Ansatzpunkte und Hürden im Kampf gegen die Erderwärmung
Die Auswirkungen des Klimawandels betreffen uns alle. Lösungen für die Umweltprobleme werden dabei häufig in multilateralen Abkommen der Weltpolitik gesucht. Stattdessen den Fokus auf das Verhalten jedes Einzelnen zu legen, bedeutet im Fachgebiet der Psychologie nach Lösungen zu suchen.
Von Jan Nussbaumer Lektoriert von Madeleine Lanz und Stefan Dorner Illustriert von Kerry Willimann
2017 kündigte Donald Trump den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen an. Dies stellte einen beträchtlichen Rückschritt in der Klimapolitik dar. Das Pariser Abkommen setzte zum Ziel, die Klimaerwärmung auf unter zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Stand zu halten. Dieses Abkommen zeigt, wie in der Politik mit multilateralen Abmachungen nach Lösungen des Klimaproblems gesucht wird. Das ist notwendig, denn der ökologische Fussabdruck der Menschheit übersteigt die Kapazität der Erde. Nach unserer heutigen Lebensweise bräuchten wir 1.6 Erden, um den momentanen Ressourcenverbrauch der Menschheit zu decken (Global Footprint Network, 2016). Doch wie können wir nachhaltiger Handeln, so dass die Erde reicht, die wir haben? Auf die eine grosse Lösung zu warten scheint utopisch. Also verabschieden wir uns für einen Moment von den Abkommen der Weltpolitik, von den Masterplänen von Macron, Merkel und Konsorten und wenden uns stattdessen dem Verhalten der einzelnen Menschen zu, womit wir uns im Gebiet der Psychologie befinden.
Dies mag weniger aufregend klingen als die grossen Lösungen, doch letztlich trägt jeder von uns zu der Misere bei, die wir Klimawandel nennen. Kann die Psychologie Umweltverhalten und nachhaltiges Handeln erklären? Können wir umweltförderndes Handeln fördern, und falls wir das können – wie? Was steht nachhaltigem Handeln im Weg?
Unterschied zwischen Problembewusstsein und Verhalten
Der erste Impuls liegt meist darin, nach Schuldigen zu suchen. Wie wäre es mit Donald Trump – dem Sündenbock schlechthin? Oder allgemein den Klimaleugnern? Wenn es die nicht gäbe, hätten wir das Problem doch schon längst gelöst. Oder etwa nicht?
So einfach scheint es nicht zu sein, denn sowohl in armen als auch in reichen Ländern überwiegt die Anzahl Personen, welche den Umweltschutz über das wirtschaftliche Wachstum stellen (Dunlap, Gallup Jr., & Gallup, 1993). Auch sehen die meisten Menschen es als persönlich wichtiges Ziel an, sich um die Umwelt zu kümmern (Milfont & Schultz, 2016). Doch leider reicht das nicht. Ein hohes Bewusstsein und Sorgen um die Umwelt führen allein nicht zu umweltverträglichem Verhalten. Bamberg und Möser (2007) zeigten in ihrer Metaanalyse, dass das Bewusstsein um Umweltprobleme nur einen geringen Zusammenhang mit tatsächlichem Verhalten hat. Die Bekehrung der Klimaleugner wird demnach nicht die Lösung sein.
«Was steht nachhaltigem Handeln im Weg?»
Prägung in der Kindheit
In einem anderen Ansatz werden Faktoren in der Kindheit untersucht, welche nachhaltiges Handeln im Erwachsenenalter beeinflussen. Evans, Otto und Kaiser (2018) versuchten dem in einer zwölf Jahre dauernden Längsschnittstudie auf den Grund zu gehen. Sie untersuchten Kinder im Alter von sechs Jahren und prüften, welche Variablen in der Kindheit deren Umweltverhalten im Alter von 18 Jahren voraussagen können. Sie fanden vier Variablen, die mit dem späteren Verhalten zusammenhängen: Die Bildung der Mutter, die Zeit, die das Kind draussen spielt, die Umwelteinstellung der Mutter und das Umweltverhalten der Mutter. Die Autoren benutzten diese vier Variablen, um in einem linearen Modell die Änderung des Umweltverhaltens vorherzusagen. Wenn jedoch alle vier Variablen miteinander die Änderung des Umweltverhaltens voraussagen sollten, hatten nur noch die Bildung der Mutter und die Zeit, die das Kind draussen spielt, einen Einfluss. Dies zeigt, dass der Zusammenhang des Umweltverhaltens und der Umwelteinstellung der Mutter mit dem Umweltverhalten der Jugendlichen zwölf Jahre später, durch die Zeit, welche sie draussen verbringen und die Bildung der Mutter erklärt werden kann. Interessant ist auch, dass die politische Einstellung der Mutter keinen Einfluss auf das Umweltverhalten der Jugendlichen hatte.
Viele Hebel an denen man ansetzen kann
Generell können auch sozialpsychologische Handlungsmodelle zur Erklärung von umweltrelevantem Handeln genutzt werden. Als Beispiel sei hier die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1991) genannt. Danach können Interventionen an verschiedenen Punkten ansetzen. Dies wird auch im Modell zum umweltbewussten Handeln von Fietkau und Kessel (1981) deutlich. Im Gegensatz zu den allgemeinen sozialpsychologischen Modellen handelt es sich dabei um ein spezifisches Modell für umweltrelevantes Verhalten. Dementsprechend können daraus diverse Ansatzpunkte für Interventionen einfacher abgeleitet werden (siehe Illustration). Um umweltrelevantes Verhalten zu fördern, kann nach dem Modell an fünf Punkten angesetzt werden: Als Erstes können Handlungsangebote geschaffen werden, welche Möglichkeiten bieten, umweltverträglich zu Handeln. Ohne ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz und eine intakte Bahninfrastruktur können die meisten Menschen nicht auf das Auto verzichten. Je weniger Velowege es gibt, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit sein, dass wir mit dem Velo zur Arbeit fahren. Die zweite Möglichkeit besteht in der Vermittlung von umweltbezogenen Werten und Einstellungen, welche das nachhaltige Handeln fördern, denn wem die Natur nichts bedeutet und wer keinen Wert in der Artenvielfallt sieht, der wird sein Verhalten nicht danach ausrichten. Drittens kann umweltrelevantes Wissen vermittelt werden. Wenn ich nicht weiss, dass mein Auto die Umwelt belastet, komme ich nicht auf die Idee, mein Verhalten anzupassen. Der Bauer, dem die Natur wichtig ist, wird seine Produktion erst anpassen, wenn ihm bewusst ist, dass die Überdüngung von Böden und die Ausschwemmung der Nährstoffe in die Gewässer ein grosses Problem darstellen. Als Viertes können die Konsequenzen des eigenen Handelns mit Feedback sichtbar gemacht werden. Wenn ich den Wasserverbrauch während dem Duschen ablesen kann, beeinflusst das meinen Wasserverbrauch. Wenn ich die Emissionen meines Ferienfluges rückgemeldet bekomme, werde ich vielleicht auf den nächsten Flug verzichten. Fünftens können Handlungsanreize geschaffen werden. Der Staat kann mit Steuern den Verbrauch von Schadstoffen sanktionieren und den Bahnverkehr subventionieren.
Theorie des geplanten Verhaltens
Die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1991) ist eine Erweiterung der Theorie des überlegten Verhaltens. Mit ihr wird bewusstes Handeln vorhergesagt. Dabei bestimmen die Einstellung gegenüber dem Verhalten, die subjektive Norm und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle die Verhaltensabsicht. Die Verhaltensabsicht ist wiederum der Prädiktor für das Verhalten. Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle beeinflusst dabei sowohl die Verhaltensabsicht als auch das Verhalten.
Nebenwirkungen beachten!
Wer nun begonnen hat sein Handeln nachhaltiger zu gestalten, dem bleibt noch das Problem der mentalen Buchhaltung. Nach der Theorie der mentalen Buchhaltung (Thaler, 1980) wird ein umweltschonendes Verhalten als solches in der geistigen Abrechnung verbucht. Die Wahrscheinlichkeit bei einer weiteren Entscheidung das umweltschonende Verhalten zu bevorzugen sinkt, da das Konto bereits ausreichend gefüllt und somit das schlechte Gewissen getilgt ist.
«Kann die Psychologie Umweltverhalten und nachhaltiges Handeln erklären?»
Chatelain und Kollegen (2018) untersuchten den Effekt der mentalen Buchhaltung für umweltrelevantes Verhalten. Sie fanden den Effekt bei aufeinanderfolgenden Verhaltensweisen, die ähnlich sind – zum Beispiel zweimal Recycling. Wenn sich die Handlungen aber deutlich unterschieden gab es den Effekt nicht. Interessant war auch der Einfluss von Emotionen. Positive Emotionen konnten wiederholtes Umweltverhalten fördern und den Effekt der mentalen Buchhaltung kompensieren. Der Effekt der mentalen Buchhaltung zeigte sich nur bei der Gruppe, in der eine Werbung präsentiert wurde, welche negative Emotionen verursachte.
Dies zeigt, dass Angstmacherei und die Förderung von nachhaltigem Verhalten über schlechtes Gewissen keinen langfristigen Effekt haben. Umweltverhalten muss Freude bereiten. Also sorgen wir besser dafür, dass Kinder möglichst viel Zeit in der Natur verbringen und später nachhaltig und umweltbewusst handeln. Hoffentlich ist es nicht zu spät.
Zum Weiterlesen
Hänggi, M. (2018). Null Öl. Null Gas. Null Kohle. Wie Klimapolitik funktioniert. Ein Vorschlag. Zürich: Rotpunktverlag.
[An Grafik-Team: Bei den Zitaten je nach Platz 0-2 auswählen; ihr habt die Freiheit]
Literatur
Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational Behavior And Human Decision Processes, 50(2), 179-211. doi:10.1016/0749-5978(91)90020-T
Bamberg, S., & Möser, G. (2007). Twenty years after Hines, Hungerford, and Tomera: A new meta-analysis of psycho-social determinants of pro-environmental behaviour. Journal Of Environmental Psychology, 27(1), 14-25. doi:10.1016/j.jenvp.2006.12.002
Chatelain, G., Hille, S. L., Sander, D., Patel, M., Hahnel, U. J., & Brosch, T. (2018). Feel good, stay green: Positive affect promotes pro-environmental behaviors and mitigates compensatory ‚mental bookkeeping‘ effects. Journal Of Environmental Psychology, 56, 3-11. doi:10.1016/j.jenvp.2018.02.002
Dunlap, R. E., Gallup, G. H., Jr., & Gallup, A. M. (1993). Of Global Concern: Results of the Health of the Planet Survey, Environment, 35(9), 7-39. doi:10.1080/00139157.1993.9929122
Evans, G. W., Otto, S., & Kaiser, F. G. (2018). Childhood origins of young adult environmental behavior. Psychological Science, 29(5), 679-687. doi:10.1177/0956797617741894
Fietkau, H.-J., & Kessel, H. (1981). Umweltlernen. Veränderungsmöglichkeiten des Umweltbewusstseins. Königstein: Hain.
Milfont, T. L., & Schultz, P. W. (2016). Culture and the natural environment. Current Opinion In Psychology, 8194-199. doi:10.1016/j.copsyc.2015.09.009
Thaler, R. (1980). Toward a positive theory of consumer choice. Journal of Economic Behavior & Organization, 1(1), 39-60. doi:10.1016/0167-2681(80)90051-7
Haben Bewerber*innen, die sich ihrem Gegenüber in Vorstellungsgesprächen und Assessment-Centern gut anpassen können, einen Vorteil?
Das Persönlichkeitskonstrukt Self-Monitoring beschreibt, in welchem Ausmass Personen ihr Verhalten dem Verhalten der Interaktionspartner anpassen. Personen mit hoher Ausprägung passen ihr Verhalten der unmittelbaren sozialen Umgebung stark an, was in Personalauswahlverfahren vorteilhaft sein könnte.
Von Sebastian Junghans Lektoriert von Jovana Vicanovic und Tabea Bührer Illustriert von Livia Halbeisen
1974 präsentierte Snyder erstmals das Persönlichkeitskonstrukt Self-Monitoring, welches nach mehreren Revisionen auf zwei Hauptfaktoren zurückgeführt werden konnte. Hohes Self-Monitoring lässt sich mit hoher Ausprägung der Faktoren «Fähigkeit, die Selbstpräsentation zu ändern» und der «Sensitivität gegenüber dem expressiven Verhalten anderer» erklären (Lennox & Wolfe, 1984).
Self-Monitoring und damit einhergehendes Verhalten
Self-Monitoring korreliert positiv mit gewissen Verhaltensformen und Eigenschaften, die relevant in Personalauswahlverfahren sein können, darunter Faking und Lügen. Levashina und Campion (2007) trafen dabei eine Unterscheidung zwischen leichtem und schwerem Faking. Hogue et al (2013) definierten leichtes Faking als leichtes Ausschmücken von Tatsachen und das Verstellen, um zu gefallen, wohingegen schweres Faking das Erfinden oder Vorenthalten von relevanten Informationen beschreibt. Hogue et al. (2013) untersuchten, wie Geschlecht, Machiavellismus und Self-Monitoring mit Faking in Einstellungsgesprächen zusammenhängen. Bei den männlichen Probanden ging eine hohe Ausprägung von Self-Monitoring mit vermehrtem, leichtem Faking und höherer Ausprägung von Machiavellismus einher. Die absolute Ausprägung von Self-Monitoring und auch von Machiavellismus war bei den männlichen Probanden allgemein signifikant höher als bei den weiblichen Probandinnen. Ähnlich wie bei den männlichen Probanden hing auch bei den weiblichen Probandinnen Self-Monitoring positiv mit Machiavellismus zusammen, neben der zusätzlichen Beobachtung, dass bei den weiblichen Probanden schweres Faking auch positiv mit Self-Monitoring in Verbindung stand.
In einer Polizeistudie, in der es um die Beförderung in den Unteroffiziersrang ging, mussten 68 von 180 Personendatensätzen aufgrund von zu hohen Werten auf einer Lügenskala, für die eigentliche Analyse ausgeschlossen werden. Zwischen Self-Monitoring und der Punktzahl auf der Lügenskala wurde ein positiver, mittlerer signifikanter Zusammenhang gefunden (Osborn et al., 1998)
«Do Chameleons get ahead?»
Kilduff & Day, 1994, S. 1074
In Bezug auf den Arbeitsalltag wurden positiv behaftete Korrelate von Self-Monitoring gefunden. Kilduff and Day (1994) konnten beispielsweise beobachten, dass Personen mit hohem Self-Monitoring öfter unternehmensübergreifend befördert wurden und auch unternehmensintern häufiger in höhere Positionen berufen wurden. Dabei wechselten Personen mit hohem Self-Monitoring öfter den Arbeitgeber und ihren Wohnort. Day et al. (2002) fanden anhand einer Metaanalyse heraus, dass hohes Self-Monitoring auch positiv mit Führung, Arbeitsleistung und Involviertheit zusammenhängt. Allerdings erfahren Menschen mit tiefer Ausprägung von Self-Monitoring weniger Rollenambiguität und -konflikt und zeigen höheres Commitment.
Hohes Self-Monitoring – ein Vorteil?
Rein theoretisch wäre es anzunehmen, dass Personen mit hohem Self-Monitoring in Assessmentcentern bessere Leistungen im Vergleich zu Personen mit niedrigem Self-Monitoring zeigen müssten. Vor allem in Aufgaben wie Rollenspielen sollte hohes Self-Monitoring stark von Vorteil sein. Die Befundlage dazu ist dennoch nicht eindeutig. Je eine Studie zeigte einen positiven, einen gemischten (Zusammenhang nur bei weiblichen Probandinnen gefunden) und keinen Zusammenhang (zwischen Self-Monitoring und der Gesamtleistung im Assessment Center). Bei den Studien wurden jeweils nicht dieselben Aufgaben und unterschiedliche Bewertungsdimensionen verwendet, was einen Vergleich erschwert. Jedoch zeigen die unterschiedlichen Befunde klar, dass hohes Self-Monitoring kein Erfolgsgarant bei der Teilnahme an Assessment Centern ist. Im Gegenteil, Leugnerová et al. (2016) stellten fest, dass hohes Self-Monitoring mit tiefer wahrgenommener Integrität einherging und diskutierten, dass Teilnehmende, welche sich ihrem Gegenüber zu stark anpassten, als unnatürlich wahrgenommen wurden. Der oben erwähnte Geschlechterunterschied wurde von Anderson und Thacker (1985) folgendermassen erklärt: In der Studie wurden bereits eingestellte Verkäufer*innen einer grossen amerikanischen Computerfirma zur Validierung zukünftiger Assessment Center getestet. Der festgestellte Vorteil der weiblichen Probandinnen mit hohem Self-Monitoring sei aufgrund der Männerdominanz in der Branche zu beobachten gewesen. Individuen mit hohem Self-Monitoring hätten demnach in vom anderen Geschlecht dominierten Branchen aufgrund der hohen Anpassungsfähigkeit Vorteile. Die tiefe Teilnehmendenzahl mit 15 Frauen und 49 Männern verlangt allerdings nach Replikationsstudien.
In der Studie von Emrich und Diehl (2007) wurde des Weiteren zwischen dispositionellem und situativem Self-Monitoring unterschieden. In der Dispositionsbedingung wurde den Probanden mitgeteilt, dass Charakterstärke die Schlüsseleigenschaft sei, um im Assessment Center erfolgreich abzuschneiden, wo den Proband*innen in der zweiten Bedingung hingegen gesagt wurde, dass Flexibilität (situatives Self-Monitoring) die Schlüsseleigenschaft zum Erfolg im Assessment Center sei. Unabhängig von der Bedingung waren Personen mit hohem Self-Monitoring insgesamt betrachtet besser als Personen mit niedrigem Self-Monitoring. Einzig und allein in einem lösungsorientierten Zweiergespräch zeigten die Teilnehmenden in der flexiblen Bedingung signifikant bessere Leistungen als die Teilnehmenden in der Dispositionsbedingung.
In Einstellungsgesprächen scheint eine hohe Ausprägung von Self-Monitoring hingegen nicht von Vorteil zu sein. Mehrere Studien fanden keine signifikanten Zusammenhänge. Dabei waren die Interviews von unterschiedlicher Länge, Strukturierungsgrad und Form (Panel vs. Einzel). Eine Erklärung könnte darin liegen, dass Personen mit hohem Self-Monitoring bei Interviews zu wenig oder ambivalente soziale Hinweise von ihrer Umgebung, sprich den interviewenden Personen, erhalten. Es konnte jedoch festgestellt werden, dass der Einfluss von Self-Monitoring auf die Einstellungsgesprächsleistung durch die Persönlichkeit der Interviewenden moderiert wird. Ist die interviewende Person stark extrovertiert, nimmt sie hohes Self-Monitoring beim Gegenüber als positiv wahr, wo hingegen Bewertende mit niedriger Extraversion Personen mit hoher Ausprägung von Self-Monitoring negativer beurteilen (Lazar et al., 2014).
Was macht Erfolg in Personalauswahlverfahren aus?
In praktischer Hinsicht implizieren die Resultate dieser Studien, dass man sich weder als Person mit hohem noch als Person mit niedrigem Self-Monitoring vor Assessmentcentern oder Einstellungsgesprächen fürchten muss. Self-Monitoring ist schlicht nicht das entscheidende Persönlichkeitsmerkmal, wenn es darum geht, in Einstellungsgesprächen oder Assessment Centern gut bewertet zu werden. In den durchforschten Studien wurden ganz unterschiedliche Dinge neben Self-Monitoring erhoben. Levine und Feldman (2002) untersuchten beispielsweise, wie sich Augenkontakt, Lächeln und Körperhaltung auf die Sympathiebewertung der Studienteilnehmenden in einem Interviewsetting auswirkte, wobei Häufigkeitsunterschiede von 10 Prozent beim Augenkontakt schon signifikante Unterschiede ausmachten. Der Erfolg in Personalauswahlverfahren ist also höchstwahrscheinlich nicht auf ein einzelnes Merkmal zurückzuführen.
Zum Weiterlesen
Snyder, M. (1974). Self-monitoring of expressive behavior. Journal of Personality and Social Psychology,30, 526-537. https://doi.org/10.1037/h0037039
Emrich, M., & Diehl, M. (2007). Flexibel versus charakterstark: Die Effekte situativen und dispositionellen Self-Monitorings im Assessment Center. Zeitschrift für Personalpsychologie, 6, 2-11. https://doi.org/10.1026/1617-6391.6.1.2
Literatur
Anderson, L. R., & Thacker, J. (1985). Self-monitoring and sex as related to assessment center rating and job performance. Basic and Applied Social Psychology, 6, 345-361. https://doi.org/10.1207/s15324834basp0604_5
Day, D. V., Schleicher, D. J., Unckless, A. L., & Hiller, N. J. (2002). Self-monitoring personality at work: A meta-analytic investigation of construct validity. Journal of Applied Psychology, 87, 390-401. https://doi.org/10.1037/0021-9010.87.2.390
Hogue, M., Levashina, J., & Hang, H. (2013). Will I fake it? The interplay of gender, Machiavellianism, and self-monitoring on strategies for honesty in job interviews. Journal of Business Ethics,117, 399-411. https://doi.org/10.1007/s10551-012-1525-x
Kilduff, M., & Day, D. V. (1994). Do chameleons get ahead? The effects of self-monitoring on managerial careers. Academy of Management Journal,37, 1047–1060. https://doi.org/10.2307/256612
Lennox, R. D., & Wolfe, R. N. (1984). Revision of the Self-Monitoring Scale. Journal of Personality and Social Psychology, 46, 1349-1364. https://doi.org/10.1037/0022-3514.46.6.1349
Leugnerová, M., Vaculik, M., & Prochazka, J. (2016). The influence of candidate social effectiveness on assessment center performance ratings: A field study. International Journal of Selection and Assessment,24, 150-160. https://doi.org/10.1111/ijsa.12137
Levashina, J., & Campion, M. A. (2007). Measuring faking in employment interview: Development and validation of an interview faking behavior scale. Journal of Applied Psychology, 92, 1638–1656. https://doi.org/10.1037/0021-9010.92.6.1638
Levine, S. P., & Feldman, R. S. (2002). Women and men’s nonverbal behavior and self-monitoring in a job interview setting. Applied HRM Research,7, 1-14.
Osborn, S. M., Field, H. S., & Veres, J. G. (1998). Introversion-extraversion, self-monitoring, and applicant performance in a situational panel interview: A field study. Journal of Business and Psychology,13, 143-156. https://doi.org/10.1023/A:1022965721229
Psychopathie und Machiavellismus sind beides zwei Persönlichkeitsmerkmale der Dark Triad. Auch sonst haben sie viele Gemeinsamkeiten und nur sehr wenige Unterschiede. Sind sie nur ein Produkt uneinsichtiger Forschung oder sind sie tatsächlich zwei voneinander unabhängige Traits?
Von Marcia Arbenz und Sophia Scheele Lektoriert von Loana Brestel und Niko Läderach Illustriert von Andrea Bruggmann
Das Konzept der Dark Triad wurde 2002 von Paulhus und Williams begründet. Sie fassten drei Persönlichkeitsmerkmale zusammen: Psychopathie, Machiavellismus und Narzissmus. Diese drei Merkmale wurden gewählt, da sie einander ähnlich sind (personal communication with D.L. Paulhus, 2020), beispielsweise im Ausnutzen anderer Personen (Jonason et al., 2009). Doch bald schon entbrannte eine Diskussion, ob diese drei Merkmale nicht zu ähnlich sind. Besonders Psychopathie und Machiavellismus sind oftmals nicht distinkt. Eine Zusammenfassung.
Das grösste Übel: Psychopathie
Eine psychopathische Person besitzt eine antagonistische Persönlichkeit, die sich durch Manipulationen, egoistisches Verhalten und Gefühlslosigkeit auszeichnet (Furnham et al., 2013; Jones & Figueredo, 2013). Zudem zeigt sie impulsives, riskantes, thrill-seeking Verhalten und besitzt wenig Empathie, wie auch Ängste (Glenn & Sellbom, 2015; Paulhus & Williams, 2002; Vize et al., 2018). Mitleid sucht man bei ihr vergeblich. Hinzu kommen ein schlechtes Urteilsvermögen und pathologischer Egozentrismus (Cleckley, 1988). Trotz dieser kaum wünschenswerten Eigenschaften wirken psychopathische Personen oft sympathisch, da sie einen aussergewöhnlichen Charme besitzen (Cleckley, 1988). Im Allgemeinen wird Psychopathie als das Übelste der Dark Triad bezeichnet (Furnham et al., 2013). Mit der Psychopathie entstehen zahlreiche ungünstigste Folgen. Beispielsweise haben diese Personen oft Probleme mit dem Gesetz (Williams et al., 2001) und betreiben Mobbing und Cybermobbing (Goodboy & Martin, 2015; Williams et al., 2001). Oft sind sie auch in den höheren Führungsebenen zu finden (Boddy, 2011; Chiaburu et al., 2013), benutzen harte Manipulationstechniken wie Erpressung (Jonason et al., 2012; Spain et al., 2014) und zeigen Counterproductive workplace behaviour (CWB), wie das Fällen von unethischen Entscheidungen, Unehrlichkeit oder Betrug (Schilbach et al., 2020). Auch in romantischen Beziehungen zeigen sie auffälliges Verhalten. So haben sie generell eine höhere Anzahl an Sexualpartner*innen, sind eher untreu und machen sich oft der sexuellen Belästigung schuldig (Muris et al., 2017; Williams et al., 2005). Sie sind äusserst missbräuchlich wie auch unvorhersehbar in Einstellungen und Verhalten (Williams et al., 2005).
Doch wie misst man diese Einstellungen und Verhaltensweisen? Es gibt einige Messinstrumente für Psychopathie, beispielsweise die Self-Report Psychopathy scale (SRP, Paulhus et al., 2014). Diese basiert auf der Psychopathy Check-List (Hare, 1991), dem Goldstandard für klinische Psychopathie. Die 64 Items lassen sich in vier Faktoren unterteilen: unbeständiger Lebensstil (bspw. «I enjoy taking risk»), interpersonelle Manipulationen (bspw. «It’s fun to see how far you can push people before they get angry»), gleichgültiger Affekt (bspw. «I am often rude to people») und kriminelle Tendenzen (bspw. «I avoid paying for things, such as movies, bus or train») (Muris et al., 2017). Zudem gibt es Fragebögen, wie die Dirty Dozen (DD, Jonason & Webster, 2010), die alle drei Merkmale der Dark Triad erfassen. Die psychometrischen Eigenschaften der Dirty Dozen sind jedoch sehr umstritten (Jonason & Webster, 2010; Lee et al., 2013). Vorgeworfen wird der Skala unter anderem, dass sie durch repetitive Formulierungen künstlich die Reliabilität erhöht (Credé et al., 2012) und dass die Korrelationen zwischen den einzelnen Persönlichkeitseigenschaften zu hoch sind (Jonason & Webster, 2010). Die Short Dark Triad (SD3, Paulhus & Jones, 2015) wird im Allgemeinen besser bewertet, jedoch scheinen auch hier noch weitere Untersuchungen nötig zu sein (Furnham et al., 2014). Ein mögliches Problem der SD3 ist, dass sich die Items für Psychopathie auf Verhalten fokussieren (bspw. «I’ll say anything to get what I want», Jones & Paulhus, 2015, p. 569)), während die Items für Machiavellismus Einstellungen erheben («Most people can be manipulated», Jones & Paulhus, 2015, p. 569). Diese Trennung zwischen Verhalten und Einstellung der beiden Merkmale ist jedoch frei von der theoretischen Grundlage.
Ein anderes Übel: Machiavellismus
Machiavellismus ist wie die Psychopathie durch eine antagonistische Persönlichkeit und durch Manipulationen, Gefühlskälte und Egoismus gekennzeichnet (Furnham et al., 2013; Jones & Figueredo, 2013). Doch während Psychopathie durch klinische Beobachtungen entwickelt wurde, stammt Machiavellismus von einer historischen Figur und dessen Buch ab. Niccolo Machiavelli schrieb das Buch «Der Fürst», in dem Ratschläge erteilt werden, wie man durch Manipulationen Macht gewinnen und erhalten kann. Aussagen wie «When they believe no longer, it may be possible to make them believe by force» (Machiavelli, 2001, p. 30) oder «It is much safer to be feared than loved, when, of the two, either must be dispensed with» (Machiavelli, 2001, p. 66) zeigen den manipulativen Führungsstil auf, den Machiavelli vorschlägt. Die kalten, explorativen und manipulativen Aussagen des Buchs wiederspiegeln die Charakteristika des Machiavellismus (Glenn & Sellbom, 2015). Personen mit Machiavellismus sind unaufrichtig und beuten andere Menschen für ihren eigenen Gewinn aus (Christie & Geis, 1970). Dabei können sie ihre Impulse kontrollieren und besitzen einen langfristigen Fokus (Jones & Paulhus, 2009; Rauthmann, 2011). Sie sind vorsichtig und kontrolliert (Jones & Paulhus, 2009). Zudem sind sie in ihrem Verhalten flexibel (Bereczkei, 2015), können sich also an neue Umstände gut anpassen. Auch sie haben psychopathische Züge (Muris et al., 2017) und Probleme mit Gewalt, Aggressionen und kriminellen Tendenzen (DeLisi, 2009). Im Arbeitskontext zeigt eine Person mit Machiavellismus einen autoritären und missbräuchlichen Führungsstil (Kiazad et al., 2010). Dabei zeigen sie einen weichen Manipulationsstil, und Counterproductive workplace behaviour (Jonason et al., 2012). In anderen Worten: Machiavellismus ist ein weiteres Übel.
«The close relation between Machiavellianism and psychopathy is not surprising given that both traits are indicative of malicious interpersonal behaviour»
Muris et al., 2017, p. 188
Es gibt unzählige Fragebögen, die Machiavellismus erfassen. Ein Beispiel dafür ist die MACH-V scale (Christie & Geis, 1970). Die 20 Items erfassen drei Faktoren: manipulative Taktiken («It is wise to flatter important people»), zynische Sicht auf die menschliche Natur («Anyone who completely trusts anyone is asking for trouble») und Missachtung konventioneller moralischer Ansichten («Sometimes one should take action even when one knows that it is not morally right»). Die Validität der MACH-V scale hängt generell von der Korrelation mit den Subskalen der Short Dark Triad und der Dirty Dozen ab (Christie & Geis, 1970).
Viele, viele Gemeinsamkeiten
Beim Lesen der Zusammenfassungen der beiden Persönlichkeitsmerkmale mögen bereits einigen die vielen Gemeinsamkeiten der Beiden aufgefallen sein. Kein Wunder also, dass die beiden Merkmale in vielen Studien hoch miteinander korrelieren (Muris et al., 2017; O’Boyle et al., 2015; Vize et al., 2018). Machiavellismus korreliert auch mit den Subfaktoren von Psychopathie (Jakobwitz & Egan, 2006; McHoskey et al., 1998). Im Allgemeinen zeigte eine Faktorenanalyse, dass alle drei Merkmale der Dark Triad mit einem einzigen Faktor korrelieren (Hodson et al., 2009; Jonason & Webster, 2010). Insgesamt gibt es jedoch grosse Unterschiede zwischen den Studien, basierend auf den verschiedenen Messmethoden und Probanden, die verwendet wurden (Furnham et al., 2014). Vor allem scheinen die Fragebögen ein Problem darzustellen: einige inkludieren fälschlicherweise Aspekte des anderen Merkmals oder Fragebögen für Psychopathie und Machiavellismus beinhalten fast identische Items (Glenn & Sellbom, 2015; Kavish et al., 2019). Neben den Methoden überlappen auch die Konzepte der beiden Persönlichkeitsmerkmale (Paulhus & Williams, 2002; Vize et al., 2018). Dies könnte das Produkt der Forschung sein, die sich jeweils nur auf ein Merkmal fokussiert und dieses expandieren, ohne dabei auf andere Merkmale Rücksicht zu nehmen (Jones & Paulhus, 2011a). Den beiden Autorinnen dieses Artikels ist zudem aufgefallen, dass in den unterschiedlichen Studien zu Psychopathie und Machiavellismus nie eine standardisierte Definition für die Merkmale verwendet wurde. Dies erschwert vermutlich eine klare Abgrenzung und einen wissenschaftlichen Diskurs noch zusätzlich.
Wieso gibt es Psychopathie?
Es mag einem schleierhaft vorkommen, wie es möglich ist, dass sich die Psychopathie in der Natur durchsetzen konnte. Schliesslich scheinen psychopathische Personen ihrem Umfeld nur zu schaden (Paulhus & Williams, 2002). Doch eine evolutionäre Sicht bietet eine mögliche Erklärung. Es wird vorgeschlagen, dass Psychopathie einen Überlebens- und Reproduktionsvorteil schafft (Krupp et al., 2013). Die Personen würden eine cheater strategy benutzen, in dem sie andere Individuen ausnutzen (Hare, 1996). Der Erfolg dieser Strategie hängt jedoch von der Häufigkeit des Merkmals ab (Walker & Jackson, 2017). Nur wenn wenige Personen sie benutzen, ist sie erfolgreich. Der Grund dafür ist, dass die Strategie von der Gutmütigkeit der Mehrheit anderer Personen abhängt, welche psychopathische Personen nicht besitzen (Walker & Jackson, 2017). Wenn zu viele Menschen Psychopathie aufweisen würden, gäbe es niemanden zum Ausnutzen.
Es gibt noch weitere Gemeinsamkeiten zwischen Psychopathie und Machiavellismus. Beide Persönlichkeitsmerkmale beinhalten substantielle, genetische Komponenten (Petrides et al., 2011; Vernon et al., 2008; Veselka et al., 2011) und treten häufiger bei Männern als bei Frauen auf (Cale & Lilienfeld, 2002). Beide stehen in Verbindung zu moralischen Problemen und antisozialen Taktiken (Muris et al., 2017), wie auch zu emotionalen und empathischen Defiziten (Ali et al., 2009; Andrew et al., 2008; Barlow et al., 2010). Neben zahlreichen weiteren gemeinsamen Korrelationen, zeichnen sich die Merkmale auch durch ein ähnliches Profil in anderen Persönlichkeitstheorien wie dem Five Factor Model (Paulhus & Williams, 2002), dem HEXACO Model (Spain et al., 2014) und dem Interpersonal Circumplex Model (Jones & Paulhus, 2011a) aus.
Es wird in verschiedenen Quellen diskutiert, ob Psychopathie und Machiavellismus nicht denselben Kern beinhalten. Jedoch herrscht nach wie vor Uneinigkeit, was dieser Kern sein sollte. Vorgeschlagen wird Kaltherzigkeit und Manipulation (Jones & Figueredo, 2013), Böswilligkeit (Muris et al., 2017) oder das Fehlen von Empathie (Wai & Tiliopoulos, 2012). Andere behaupten, dass Psychopathie und Machiavellismus dasselbe sind (Miller et al., 2017). Wiederum andere vermuten eine hierarchische Struktur, wobei Machiavellismus eine Untereigenschaft wäre (Glenn & Sellbom, 2015) oder Psychopathie den dominanten Faktor darstellt (Muris et al., 2017). Andere vermuten, dass Machiavellismus als sekundäre Psychopathie gehandhabt werden sollte (Glenn & Sellbom, 2015; Vize et al., 2018).
Drei grosse Unterschiede
Trotz all dieser Gemeinsamkeiten gibt es auch ein paar Unterschiede. Insbesondere lassen sich drei Unterschiedlichkeiten vermerken: Impulsivität, Verhaltensflexibilität und Zeitorientierung. Während psychopathische Menschen sehr impulsiv sind und somit auch Defizite in der Selbstkontrolle aufweisen (Hare, 1991; Jones & Paulhus, 2011b), besitzen Personen mit Machiavellismus eine Impulskontrolle (Jones & Paulhus, 2009). Generell sind Individuen mit Psychopathie dysfunktional impulsiv – das heisst, sie besitzen die Fähigkeit in Situationen schnell zu reagieren, in denen es nicht von Vorteil ist (Dickman, 1990). Damit in Zusammenhang stehen auch schlechte Selbstkontrolle, Rücksichtslosigkeit und Defizite in Vermeidungsorientierung (Brunas-Wagstaff et al., 1995). Der Link zwischen Psychopathie und Impulsivität lässt sich auch anhand des Behavioral Inhibition System (BIS) und Behavioral Activation System (BAS) aufzeigen. Das BIS kennzeichnet sich durch eine Sensitivität für Bestrafungen und Neuheiten, während das BAS eine Sensitivität und Strebung nach Belohnung beinhaltet (Gray, 1982). Psychopathie ist assoziiert mit einer niedrigeren Sensitivität für Bestrafung und einem höheren Fokus auf Belohnung (Carver & White, 1994). Dahingegen korreliert Machiavellismus entweder mit keinem der beiden Systeme (Neria et al., 2016), nur mit dem BIS (Jonason & Jackson, 2016) oder nur mit dem BAS (Stenason & Vernon, 2016) . Dadurch, dass Personen mit Machiavellismus sensitiver auf Bestrafungen sind, lässt sich eine Erklärung für den Unterschied zur Impulsivität erahnen.
Der zweite Unterschied, die Verhaltensflexibilität, beinhaltet erneut ein Defizit auf Seiten der Psychopathie. Personen mit Psychopathie fehlt diese Flexibilität und sie besitzen einen kurzsichtigen Fokus (Bereczkei, 2015). Individuen mit Machiavellismus können ihr Verhalten verändern, so dass sie sich an externale Faktoren anpassen. Dadurch können sie allfällige Bestrafungen oder Belohnungen in ihre Entscheidungsfindung miteinbeziehen (Bereczkei, 2015). Mehrere Studien belegen, dass die Versuchspersonen mit hohen Werten in Machiavellismus sich nur dann egoistisch verhalten, wenn sie wissen, dass sie für ihr Verhalten nicht bestraft werden können (Bereczkei, 2015; Spitzer et al., 2007). Sobald diese Garantie nicht mehr gewährleistet wurde, verhielten sie sich nicht länger egoistisch. Gleichzeitig verhielten sich dieselben Personen prosozial, falls es mit ihren persönlichen Zielen übereinstimmte (Spitzer et al., 2007). In anderen Studien konnte das Fehlen von Verhaltensflexibilität bei psychopathischen Personen durch die Assoziation mit passivem Vermeidungslernen aufgezeigt werden. Menschen mit Psychopathie verfolgten weiterhin ihr Ziel, auch wenn es Hinweise für eine allfällige Bestrafung gab (Smith & Lilienfeld, 2015). In älteren Studien wurden ähnliche Ergebnisse gefunden (Lykken, 1957; Newman & Kosson, 1986).
«Overall, despite some differences in the theoretical descriptions of psychopathy and Machiavellianism, relatively few empirical differences have emerged. »
Miller et al., 2017, p. 440
Beide dieser Unterschiede, Impulsivität und Verhaltensflexibilität, stehen in Zusammenhang mit der letzten Unterscheidung: der Zeitorientierung. Während psychopathische Personen kurzzeitige Orientierung aufweisen, fokussieren sich Personen mit Machiavellismus auch auf langzeitige Ziele (Jones & Paulhus, 2011b).
Ein paar weitere Unterschiede lassen sich erwähnen. Psychopathie und Machiavellismus korrelieren mit unterschiedlichen Arten der Manipulation. Während Psychopathie mit harten Manipulationstaktiken, wie beispielsweise Drohungen, in Verbindung steht, ist Machiavellismus mit weichen Manipulationen, wie das Anbieten von Gefälligkeiten, assoziiert (Jonason et al., 2012). Des weiteren spannen psychopathische Individuen eher jemand anderem den*die Partner*in aus, werden aber auch öfters für andere Personen verlassen (Jonason et al., 2010). Machiavellismus hingegen ist assoziiert mit einem vermeidenden Bindungsstil (Ináncsi et al., 2015). Personen mit Machiavellismus sind dadurch eher distanziert gegenüber anderen Personen und vermeiden emotionale Verpflichtungen (Christie & Geis, 1970) im Vergleich zu Menschen ohne Machiavellismus. Dadurch formen sie strategische Allianzen und versuchen einen positiven Ruf zu wahren (Jones & Paulhus, 2011b). Psychopathische Personen hingegen sind durch ihre Impulsivität leichtfertiger darin andere zu verlassen und achten nicht auf ihren Ruf (Hare & Neumann, 2008).
Kein Ende in Sicht?
Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Psychopathie und Machiavellismus sind also mannigfaltig. Hinzu kommt, dass die beiden Persönlichkeitsmerkmale in unterschiedlichen Kontexten untersucht werden. Psychopathie findet man oft in klinischen Studien wieder (Miller et al., 2017), während Machiavellismus oft in der Sozialpsychologie, Persönlichkeitspsychologie oder in der Arbeits- und Organisationspsychologie studiert wird (D’Souza & Jones, 2017). Das macht freilich ein abschliessendes Urteil, ob die beiden Merkmale zwei distinkte Konstrukte oder doch nur ein Persönlichkeitsmuster sind, nicht einfacher. Hinzu kommen die methodischen Mängel. Das Fehlen von standarisierten Definitionen und die oftmals ungenügenden psychometrischen Werte der Instrumente (Miller et al., 2017) lassen kaum ein Ende der Diskussion in Sicht kommen. Vorerst mögen die Unterschiede zwischen Psychopathie und Machiavellismus ausreichen, um von zwei distinkten Persönlichkeitsmerkmalen auszugehen.
Zum Weiterlesen
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References
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