Zum Inhalt springen

Mit ‘Umwelt’ getaggte Beiträge

Fast Fashion 

Trend von heute, Abfall von morgen – Die Konsequenzen des Überkonsums der Wegwerfmode 

Die Mode von heute ist der Abfall von morgen: So wirkt Fast Fashion. Wieso kursiert der Wegwerftrend in unserer Gesellschaft und welche Zielgruppe konsumiert hauptsächlich Fast Fashion? Welche Auswirkungen hat dieser Konsum auf unsere Umwelt? Wie setzten sich Einzelhändler gegen die Wegwerfmode ein und was kannst DU dagegen machen? 

Von Gioia Köppel
Lektoriert von Jovana Vicanovic und Marina Reist
Illustriert von Melina Camin

Hast du schon einmal ein T-Shirt für unter zehn Franken gekauft im Wissen, dass sowohl das Material, die Herstellungskosten, der Transport und die Fixkosten vom Einzelhändler mit diesen zehn Franken proportional abgedeckt werden müssen? Es bedarf keiner grossen Vorstellungskraft, um zu erkennen, dass dieser Preis nur so tief angesetzt werden kann, weil an Materialqualität, sicheren Arbeitsbedingungen bei der Herstellung oder Sozialleistungen der Arbeiter*innen gespart wird. Aber sind wir doch ehrlich, lieber zehn Shirts à zehn Franken als zwei Shirts à 50 Franken – oder doch nicht? 

Definition von Fast Fashion 

Mode ist ein zyklisches Phänomen, das von der Öffentlichkeit weitgehend akzeptiert wird, bis es veraltet (Bhardwaj & Fairhurst, 2010). Modetrends werden von Fashion Shows und Runways beeinflusst, die früher ausschliesslich für das Auge von Designer*innen, Einkäufer*innen und Fashion Manager*innen auf die Beine gestellt wurden (Bhardwaj & Fairhurst, 2010). Ab 1999 machten Fotos der Modeschauen in Zeitschriften und im Internet die Modetrends der Öffentlichkeit zugänglich (Mintle, 2008). Der Industriezweig «Fast Fashion» entwickelte sich aufgrund des kurzen Lebenszyklus der heutigen Modetrends und dem Druck der Einzelhändler, diese Trends so schnell wie möglich umzusetzen (Barnes & Lea‐Greenwood, 2006; Mintle, 2008).  

Der Cambridge Dictionary (o. D.) definiert Fast Fashion wie folgt: 

«Clothes that are made and sold cheaply, so that people can buy new clothes often.»  

In der Schweiz sind Zara und H&M führende Fast-Fashion-Händler, welche alle zwei bis vier Wochen neue Kollektionen präsentieren (Fast Fashion, 2020). Die Vielfalt der Optionen, die begrenzte Produktion und die niedrigen Preise von Fast Fashion erhöhen den Anreiz der Verbraucher*innen, eine grosse Menge an Kleidung zu kaufen (Crewe & Davenport, 1992; Mintle, 2008). Der Überkonsum von Bekleidung hat durch Onlineshops im letzten Jahrzehnt noch rasanter zugenommen (George & Yaoyuneyong, 2010; Lazim et al., 2020). Auch auf Social-Media-Kanälen ist man als Konsument*in stets zahlreichen Werbeanzeigen ausgesetzt, welche Impulsiv-Käufe fördern (Lazim et al., 2020). Weltweit werden jedes Jahr 80 Milliarden Kleidungsstücke aus erster Hand gekauft (Bick et al., 2018). Allein in der Schweiz fügt jede Person durchschnittlich 20 Kilogramm Kleidung (ca. 60 Stück) pro Jahr ihrem Kleiderschrank hinzu (WWF-Rating der Bekleidungs- und Textilindustrie, o. D.). Viele dieser Kleider bleiben ungetragen und landen beim Aussortieren direkt im Müll (Greenpeace-Umfrage, 2019). Dies unterstreicht das Ausmass des Kleidungsüberkonsums, welcher zu schwerwiegenden Umweltfolgen führt (z. B. Boucher & Friot, 2017). 

Doppelte Menge, halbe Tragedauer – Welche Auswirkungen hat dies auf unsere Umwelt? 

Die meisten Kleidungsstücke bestehen aus Baumwolle oder Polyester (Anbau von Baumwolle, 2016). Der Anbau und die Verarbeitung beider Stoffe verursacht Umwelt- und Gesundheitsprobleme. Baumwolle ist anfällig für Schädlinge und benötigt daher zum Anbau Pestizide, die die Bodenfruchtbarkeit beeinträchtigen und das Trinkwasser verunreinigen (Anbau von Baumwolle, 2016). Die Chemikalien aus der Textilfärberei und Pestizide aus dem Baumwollanbau gefährden die Gesundheit von Menschen und Tieren vor Ort (Bick et al., 2018). Pestizide sind laut WHO (2018) eine der häufigsten Todesursachen durch Selbstvergiftung. Darüber hinaus verbraucht die Baumwollproduktion 15.000 Liter Süsswasser pro Kilo (Fast Fashion, 2020). Die Polyesterproduktion verbraucht Öl und gibt beim Waschen in der Waschmaschine Mikroplastik in die Ozeane ab. Nach Angaben der IUCN wird 35 Prozent der Mikroplastikfreisetzung in die Weltmeere durch Polyester verursacht (Boucher & Friot, 2017). Aufgrund der momentanen Konsumsituation von Fast Fashion wird erwartet, dass die CO2-Emmissionen in den nächsten zehn Jahren um 60 Prozent steigen (UNFCCC, 2018). Kinderarbeit, gewissenlose Arbeitsbedingungen und Ausbeutung sind in der Fast Fashion-Produktion alltäglich (Anbau von Baumwolle, 2016; Anguelov, 2015; Bick et al., 2018). Trotz alledem steigt der Konsum, wieso? 

Wer konsumiert Fast Fashion und wieso? 

Eine Determinante für den Konsum von Fast Fashion ist die Erschwinglichkeit und die Vielfalt der Auswahl, die soziale Norm und die intrinsische Motivation einzigartig sein zu wollen (Crewe & Davenport, 1992; McNeill & Moore, 2015; Rostiani & Kuron, 2019; Wai Yee et al., 2016). Vor allem junge, gebildete Frauen konsumieren die kurzlebigen Modetrends (Crewe & Davenport, 1992; Ma et al., 2012; McNeill & Moore, 2015; Wai Yee et al., 2016). Wieso konsumieren gebildete Individuen mehr Fast Fashion? Eine mögliche Erklärung hierfür bietet der Rigorismus. Rigorismus bezeichnet das starre Festhalten an Denk- und Handlungsweisen ohne Berücksichtigung von Situationsmerkmalen. Im Kontext übermässigen Konsums wird Rigorismus als Erklärungsversuch für die Kluft von Umweltbewusstsein und dementsprechenden Umweltverhalten herbeigezogen (Kuckartz, 2007). Die Inkonsistenz von Überzeugung und Verhalten kann zu einem unbehaglichen Gefühl führen, welches kognitive Dissonanz genannt wird. Wenn ein solches Gefühl eintritt, muss sich etwas ändern, um die Dissonanz zu beseitigen oder zu reduzieren (Festinger, 1957).  

Strategien zur Reduktion der kognitiven Dissonanz gemäss Fischer et al. (2018) 

Wie reduziert ein*e Fast Fashion-Konsument*in das unangenehme Gefühl nach den Einkäufen? 

  1. Addition von Argumenten, die das Verhalten unterstützen – «Ich möchte trendy gekleidet sein. » 
  1. Ignorieren von Argumenten, welche gegen das Verhalten sprechen – Zum Beispiel die Statistiken zu Konsequenzen von Fast Fashion in den Medien ignorieren 
  1. Andere positive Verhaltensweisen hervorheben, um das Verhalten zu kompensieren – «Ich fliege nie mit dem Flugzeug und trage so schon zu einem verminderten CO2-Ausstoss bei.» 
  1. Betonung der Wichtigkeit von unterstützenden Argumenten – «Fast Fashion trägt Umweltkonsequenzen mit sich, aber mein Wohlbefinden ist mir am wichtigsten und ich fühle mich nur in modischer Kleidung wohl.» 
  1. Verharmlosung der Wichtigkeit von Argumenten, die gegen das Verhalten sprechen – «Ich glaube, die Medien stellen die Umweltkonsequenzen von Fast Fashion übertrieben dar.» 

Was machen Einzelhändler, um den Fast Fashion-Konsum zu reduzieren? 

Damit umweltfreundliche Kleidung von Konsument*innen erkannt wird, wurden Gütesiegel kreiert. Ein Beispiel hierfür ist das Gütesiegel «GOTS – Global Organic Textile Standard», welches für eine nachhaltige Produktionskette von Rohstoff bis Verkauf einsteht (GOTS, o. D.).  

Einige Einzelhändler spezialisieren sich auf das Gegenstück von Fast Fashion, etwa Slow Fashion (Fast Fashion, 2020). Slow Fashion bezeichnet Mode, die mit recycelbaren Materialen bei nachhaltigen Bedingungen hergestellt wird. Ausserdem fokussiert Slow Fashion auf zwei Saisons im Jahr und folgt demnach nicht den stetig wechselnden Trends, sondern setzt vielmehr auf zeitlose Designs. Die Herstellung der Slow Fashion Kleidung richtet sich nach Menschen- und Arbeitsrecht, sodass weder Kinderarbeit noch Ausbeutung betrieben wird (Fast Fashion, 2020). 

Was kann man als Konsument*in machen, um den Fast Fashion-Konsum zu reduzieren? 

Genau wie das Car-Sharing in der Automobilbranche findet man in der Kleiderbranche einen Industriezweig für Kleiderverleih. In Leihboutiquen kann man nicht nur Abendkleider oder Kostüme ausleihen, sondern auch Alltagskleidung, Schuhe, Taschen und weitere Accessoires. Das Ausleihen von Bekleidung bietet eine Alternative, um an Veranstaltungen neue Kleider anziehen zu können, bei welchen man sowieso nicht die Absicht gehabt hat, diese öfters zu verwenden.  

Ein weiterer Ansatz wäre, die Lebensdauer der Fast Fashion-Kleidung zu verlängern. Dies lässt sich durch tiefe Waschtemperaturen, Auslüften statt Trocknen und selteneren Waschvorgängen erreichen. 

Secondhand Mode statt Fast Fashion wäre eine Möglichkeit, nachhaltig zu agieren und Umwelt und Ressourcen zu schonen, ohne aufs Shoppingerlebnis an sich verzichten zu müssen. Der Kauf von Secondhand-Kleidung trägt dazu bei, die Umweltfolgen von (Fast-)Fashion zu reduzieren (Farrant et al., 2010). Secondhand Mode kann auch in puncto Preis mit Fast Fashion mithalten, zumal Secondhand-Kleidung meist qualitativ hochwertiger ist und in Relation zu ihrer Qualität zu einem günstigeren Preis erworben werden kann. Ein nicht zu vernachlässigender Vorteil von Secondhand-Mode ist, dass sie den Wunsch nach einzigartiger Entfaltung der eigenen Persönlichkeit besser zu erfüllen vermag als Fast Fashion-Kleidung (Rostiani & Kuron, 2019). Da es sich bei Secondhand-Kleidern meist um Einzelstücke handelt, wird die Shoppingtour zur Jagd nach verborgenen Schätzen. Hört sich nach einem aufregenden Einkaufserlebnis an, oder? 


Zum Weiterlesen

Thomas, D. (2019). Fashionopolis: The price of fast fashion and the future of clothes. Head of Zeus. 

Brooks, A. (2019). Clothing poverty: The hidden world of fast fashion and second-hand clothes. Bloomsbury Publishing PLC. 

Literatur 

Anguelov, N. (2015). The dirty side of the garment industry: Fast fashion and its negative impact on environment and society (1. Aufl.). CRC Press. https://doi.org/10.1201/b18902 

Barnes, L., & Lea‐Greenwood, G. (2006). Fast fashioning the supply chain: Shaping the research agenda. Journal of Fashion Marketing and Management: An International Journal, 10(3), 259–271. https://doi.org/10.1108/13612020610679259 

Bhardwaj, V., & Fairhurst, A. (2010). Fast fashion: Response to changes in the fashion industry. The International Review of Retail, Distribution and Consumer Research20(1), 165–173. https://doi.org/10.1080/09593960903498300 

Bick, R., Halsey, E., & Ekenga, C. C. (2018). The global environmental injustice of fast fashion. Environmental Health17(1), 1-4. https://doi.org/10.1186/s12940-018-0433-7 

Boucher, J., & Friot, D. (2017). Primary microplastics in the oceans: A global evaluation of sources. IUCN International Union for Conservation of Nature. https://doi.org/10.2305/IUCN.CH.2017.01.en 

Crewe, L., & Davenport, E. (1992). The puppet show: Changing buyer-supplier relationships within clothing retailing. Transactions of the Institute of British Geographers17(2), 183-197. https://doi.org/10.2307/622545 

Farrant, L., Olsen, S. I., & Wangel, A. (2010). Environmental benefits from reusing clothes. The International Journal of Life Cycle Assessment15(7), 726–736. https://doi.org/10.1007/s11367-010-0197-y 

George, B. P., & Yaoyuneyong, G. (2010). Impulse buying and cognitive dissonance: A study conducted among the spring break student shoppers. Young Consumers, 11(4), 291–306. https://doi.org/10.1108/17473611011093925 

Lazim, N. A. M., Sulaiman, Z., Zakuan, N., Mas’od, A., Chin, T. A., & Awang, S. R. (2020). Measuring post-purchase regret and impulse buying in online shopping experience from cognitive dissonance theory perspective. IEEE International Conference on Information Managementhttps://doi.org/10.1109/ICIM49319.2020.244662 

Festinger, L., (1957). A theory of cognitive dissonance. Stanford University Press. 

Fischer, P. (2018). Der Mensch als rationalisierendes Wesen: Kognitive Dissonanz und Selbstrechtfertigung. In P. Fischer, K. Jander & J. Krueger (Hrsg.), Sozialpsychologie für Bachelor (2. Aufl., S. 19–34). Springer-Verlag Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-30272-5 

Ma, F., Shi, H., Chen, L., & Luo, Y. (2012). A theory on fashion consumption. Journal of Management and Strategy, 3(4), 84–92. https://doi.org/10.5430/jms.v3n4p84 

McNeill, L., & Moore, R. (2015). Sustainable fashion consumption and the fast fashion conundrum: Fashionable consumers and attitudes to sustainability in clothing choice. International Journal of Consumer Studies39(3), 212–222. https://doi.org/10.1111/ijcs.12169 

Rostiani, R., & Kuron, J. (2019). Purchase of fast-fashion by younger consumer in Indonesia: Do we like it or do we have to like it? Journal of Indonesian Economy and Business34(3), 249–266. https://doi.org/10.22146/jieb.50554 

Wai Yee, L., Hassan, S. H., & Ramayah, T. (2016). Sustainability and philanthropic awareness in clothing disposal behavior among young Malaysian consumers. SAGE Open6(1), 1-10. https://doi.org/10.1177/2158244015625327 

Weblinks

Anbau von Baumwolle. (2016). Umweltinstitut. Abgerufen am 30. Juli 2021, von http://www.umweltinstitut.org/fragen-und-antworten/bekleidung/anbau-von-baumwolle.html#:~:text=Heute%20wird%20Baumwolle%20in%20%C3%BCber,Tonnen%20pro%20Jahr 

Cambridge Dictionary. (o. D.). Fast Fashion. Abgerufen am 30. Juli 2021, von https://dictionary.cambridge.org/de/worterbuch/englisch/fast-fashion 

Fast Fashion: Definition, Ursachen, Statistiken, Folgen und Lösungsansätze. (2020). Nachhaltige Kleidung. Abgerufen am 30. Juli 2021, von https://nachhaltige-kleidung.de/news/fast-fashion-definition-ursachen-statistiken-folgen-und-loesungsansaetze/ 

GOTS: Global Organic Textile Standard. (o. D.). Siegelklarheit. Abgerufen am 30. Juli 2021, von https://www.siegelklarheit.de/7-gots-global-organic-textile-standard 

Greenpeace-Umfrage: 72 Millionen Kleidungsstücke ungetragen in Österreichs Kleiderschränken. (2019). APA OTS. Abgerufen am 30. Juli 2021, von https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20190605_OTS0002/greenpeace-umfrage-72-millionen-kleidungsstuecke-ungetragen-in-oesterreichs-kleiderschraenken 

Kuckartz, U. (2007). Umweltbewusstsein und Umweltverhalten. Bpb – Bundeszentrale für politische Bildung. Abgerufen am 30. Juli 2021, von https://m.bpb.de/lernen/grafstat/134851/info-05-09-umweltbewusstsein-und-umweltverhalten 

Mintle, S. (2008). Fast fashion is not a trend. Sydney Loves Fashion. Abgerufen am 30. Juli 2021, von https://www.sydneylovesfashion.com/2008/12/fast-fashion-is-trend.html 

UNFCC. (2018). Fashion industry: UN pursue climate action for sustainable development. Abgerufen am 30. Juli 2021, von https://unfccc.int/news/fashion-industry-un-pursue-climate-action-for-sustainable-development 

WHO. (2018). Pesticide residues in food.  Abgerufen am 30. Juli 2021, von https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/pesticide-residues-in-food 

WWF-Rating der Bekleidungs- und Textilbranche. (o. D.). WWF. Abgerufen am 30. Juli 2021, von https://www.wwf.ch/de/unsere-ziele/wwf-rating-der-bekleidungs-und-textilindustrie 

Klimawandel? Nein Danke

Ansatzpunkte und Hürden im Kampf gegen die Erderwärmung

Die Auswirkungen des Klimawandels betreffen uns alle. Lösungen für die Umweltprobleme werden dabei häufig in multilateralen Abkommen der Weltpolitik gesucht. Stattdessen den Fokus auf das Verhalten jedes Einzelnen zu legen, bedeutet im Fachgebiet der Psychologie nach Lösungen zu suchen.

Von Jan Nussbaumer
Lektoriert von Madeleine Lanz und Stefan Dorner
Illustriert von Kerry Willimann

2017 kündigte Donald Trump den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen an. Dies stellte einen beträchtlichen Rückschritt in der Klimapolitik dar. Das Pariser Abkommen setzte zum Ziel, die Klimaerwärmung auf unter zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Stand zu halten. Dieses Abkommen zeigt, wie in der Politik mit multilateralen Abmachungen nach Lösungen des Klimaproblems gesucht wird. Das ist notwendig, denn der ökologische Fussabdruck der Menschheit übersteigt die Kapazität der Erde. Nach unserer heutigen Lebensweise bräuchten wir 1.6 Erden, um den momentanen Ressourcenverbrauch der Menschheit zu decken (Global Footprint Network, 2016). Doch wie können wir nachhaltiger Handeln, so dass die Erde reicht, die wir haben? Auf die eine grosse Lösung zu warten scheint utopisch. Also verabschieden wir uns für einen Moment von den Abkommen der Weltpolitik, von den Masterplänen von Macron, Merkel und Konsorten und wenden uns stattdessen dem Verhalten der einzelnen Menschen zu, womit wir uns im Gebiet der Psychologie befinden.

Dies mag weniger aufregend klingen als die grossen Lösungen, doch letztlich trägt jeder von uns zu der Misere bei, die wir Klimawandel nennen. Kann die Psychologie Umweltverhalten und nachhaltiges Handeln erklären? Können wir umweltförderndes Handeln fördern, und falls wir das können – wie? Was steht nachhaltigem Handeln im Weg?

Unterschied zwischen Problembewusstsein und Verhalten

Der erste Impuls liegt meist darin, nach Schuldigen zu suchen. Wie wäre es mit Donald Trump – dem Sündenbock schlechthin? Oder allgemein den Klimaleugnern? Wenn es die nicht gäbe, hätten wir das Problem doch schon längst gelöst. Oder etwa nicht?

So einfach scheint es nicht zu sein, denn sowohl in armen als auch in reichen Ländern überwiegt die Anzahl Personen, welche den Umweltschutz über das wirtschaftliche Wachstum stellen (Dunlap, Gallup Jr., & Gallup, 1993). Auch sehen die meisten Menschen es als persönlich wichtiges Ziel an, sich um die Umwelt zu kümmern (Milfont & Schultz, 2016). Doch leider reicht das nicht. Ein hohes Bewusstsein und Sorgen um die Umwelt führen allein nicht zu umweltverträglichem Verhalten. Bamberg und Möser (2007) zeigten in ihrer Metaanalyse, dass das Bewusstsein um Umweltprobleme nur einen geringen Zusammenhang mit tatsächlichem Verhalten hat. Die Bekehrung der Klimaleugner wird demnach nicht die Lösung sein.

«Was steht nachhaltigem Handeln im Weg?»

Prägung in der Kindheit

In einem anderen Ansatz werden Faktoren in der Kindheit untersucht, welche nachhaltiges Handeln im Erwachsenenalter beeinflussen. Evans, Otto und Kaiser (2018) versuchten dem in einer zwölf Jahre dauernden Längsschnittstudie auf den Grund zu gehen. Sie untersuchten Kinder im Alter von sechs Jahren und prüften, welche Variablen in der Kindheit deren Umweltverhalten im Alter von 18 Jahren voraussagen können. Sie fanden vier Variablen, die mit dem späteren Verhalten zusammenhängen: Die Bildung der Mutter, die Zeit, die das Kind draussen spielt, die Umwelteinstellung der Mutter und das Umweltverhalten der Mutter. Die Autoren benutzten diese vier Variablen, um in einem linearen Modell die Änderung des Umweltverhaltens vorherzusagen. Wenn jedoch alle vier Variablen miteinander die Änderung des Umweltverhaltens voraussagen sollten, hatten nur noch die Bildung der Mutter und die Zeit, die das Kind draussen spielt, einen Einfluss. Dies zeigt, dass der Zusammenhang des Umweltverhaltens und der Umwelteinstellung der Mutter mit dem Umweltverhalten der Jugendlichen zwölf Jahre später, durch die Zeit, welche sie draussen verbringen und die Bildung der Mutter erklärt werden kann. Interessant ist auch, dass die politische Einstellung der Mutter keinen Einfluss auf das Umweltverhalten der Jugendlichen hatte.

Viele Hebel an denen man ansetzen kann

Generell können auch sozialpsychologische Handlungsmodelle zur Erklärung von umweltrelevantem Handeln genutzt werden. Als Beispiel sei hier die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1991) genannt. Danach können Interventionen an verschiedenen Punkten ansetzen. Dies wird auch im Modell zum umweltbewussten Handeln von Fietkau und Kessel (1981) deutlich. Im Gegensatz zu den allgemeinen sozialpsychologischen Modellen handelt es sich dabei um ein spezifisches Modell für umweltrelevantes Verhalten. Dementsprechend können daraus diverse Ansatzpunkte für Interventionen einfacher abgeleitet werden (siehe Illustration). Um umweltrelevantes Verhalten zu fördern, kann nach dem Modell an fünf Punkten angesetzt werden: Als Erstes können Handlungsangebote geschaffen werden, welche Möglichkeiten bieten, umweltverträglich zu Handeln. Ohne ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz und eine intakte Bahninfrastruktur können die meisten Menschen nicht auf das Auto verzichten. Je weniger Velowege es gibt, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit sein, dass wir mit dem Velo zur Arbeit fahren. Die zweite Möglichkeit besteht in der Vermittlung von umweltbezogenen Werten und Einstellungen, welche das nachhaltige Handeln fördern, denn wem die Natur nichts bedeutet und wer keinen Wert in der Artenvielfallt sieht, der wird sein Verhalten nicht danach ausrichten. Drittens kann umweltrelevantes Wissen vermittelt werden. Wenn ich nicht weiss, dass mein Auto die Umwelt belastet, komme ich nicht auf die Idee, mein Verhalten anzupassen. Der Bauer, dem die Natur wichtig ist, wird seine Produktion erst anpassen, wenn ihm bewusst ist, dass die Überdüngung von Böden und die Ausschwemmung der Nährstoffe in die Gewässer ein grosses Problem darstellen. Als Viertes können die Konsequenzen des eigenen Handelns mit Feedback sichtbar gemacht werden. Wenn ich den Wasserverbrauch während dem Duschen ablesen kann, beeinflusst das meinen Wasserverbrauch. Wenn ich die Emissionen meines Ferienfluges rückgemeldet bekomme, werde ich vielleicht auf den nächsten Flug verzichten. Fünftens können Handlungsanreize geschaffen werden. Der Staat kann mit Steuern den Verbrauch von Schadstoffen sanktionieren und den Bahnverkehr subventionieren.

Theorie des geplanten Verhaltens

Die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1991) ist eine Erweiterung der Theorie des überlegten Verhaltens. Mit ihr wird bewusstes Handeln vorhergesagt. Dabei bestimmen die Einstellung gegenüber dem Verhalten, die subjektive Norm und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle die Verhaltensabsicht. Die Verhaltensabsicht ist wiederum der Prädiktor für das Verhalten. Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle beeinflusst dabei sowohl die Verhaltensabsicht als auch das Verhalten.

Nebenwirkungen beachten!

Wer nun begonnen hat sein Handeln nachhaltiger zu gestalten, dem bleibt noch das Problem der mentalen Buchhaltung. Nach der Theorie der mentalen Buchhaltung (Thaler, 1980) wird ein umweltschonendes Verhalten als solches in der geistigen Abrechnung verbucht. Die Wahrscheinlichkeit bei einer weiteren Entscheidung das umweltschonende Verhalten zu bevorzugen sinkt, da das Konto bereits ausreichend gefüllt und somit das schlechte Gewissen getilgt ist.

«Kann die Psychologie Umweltverhalten und nachhaltiges Handeln erklären?»

Chatelain und Kollegen (2018) untersuchten den Effekt der mentalen Buchhaltung für umweltrelevantes Verhalten. Sie fanden den Effekt bei aufeinanderfolgenden Verhaltensweisen, die ähnlich sind – zum Beispiel zweimal Recycling. Wenn sich die Handlungen aber deutlich unterschieden gab es den Effekt nicht. Interessant war auch der Einfluss von Emotionen. Positive Emotionen konnten wiederholtes Umweltverhalten fördern und den Effekt der mentalen Buchhaltung kompensieren. Der Effekt der mentalen Buchhaltung zeigte sich nur bei der Gruppe, in der eine Werbung präsentiert wurde, welche negative Emotionen verursachte.

Dies zeigt, dass Angstmacherei und die Förderung von nachhaltigem Verhalten über schlechtes Gewissen keinen langfristigen Effekt haben. Umweltverhalten muss Freude bereiten. Also sorgen wir besser dafür, dass Kinder möglichst viel Zeit in der Natur verbringen und später nachhaltig und umweltbewusst handeln. Hoffentlich ist es nicht zu spät.


Zum Weiterlesen

Hänggi, M. (2018). Null Öl. Null Gas. Null Kohle. Wie Klimapolitik funktioniert. Ein Vorschlag. Zürich: Rotpunktverlag.

[An Grafik-Team: Bei den Zitaten je nach Platz 0-2 auswählen; ihr habt die Freiheit]

Literatur

Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational Behavior And Human Decision Processes, 50(2), 179-211. doi:10.1016/0749-5978(91)90020-T

Bamberg, S., & Möser, G. (2007). Twenty years after Hines, Hungerford, and Tomera: A new meta-analysis of psycho-social determinants of pro-environmental behaviour. Journal Of Environmental Psychology, 27(1), 14-25. doi:10.1016/j.jenvp.2006.12.002

Chatelain, G., Hille, S. L., Sander, D., Patel, M., Hahnel, U. J., & Brosch, T. (2018). Feel good, stay green: Positive affect promotes pro-environmental behaviors and mitigates compensatory ‚mental bookkeeping‘ effects. Journal Of Environmental Psychology, 56, 3-11. doi:10.1016/j.jenvp.2018.02.002

Dunlap, R. E., Gallup, G. H., Jr., & Gallup, A. M. (1993). Of Global Concern: Results of the Health of the Planet Survey, Environment, 35(9), 7-39. doi:10.1080/00139157.1993.9929122

Evans, G. W., Otto, S., & Kaiser, F. G. (2018). Childhood origins of young adult environmental behavior. Psychological Science, 29(5), 679-687. doi:10.1177/0956797617741894

Fietkau, H.-J., & Kessel, H. (1981). Umweltlernen. Veränderungsmöglichkeiten des Umweltbewusstseins. Königstein: Hain.

Global Footprint Network. (2016). Living Planet Report 2016. Retrieved from http:// www.footprintnetwork.org/living-planet-report/.

Milfont, T. L., & Schultz, P. W. (2016). Culture and the natural environment. Current Opinion In Psychology, 8194-199. doi:10.1016/j.copsyc.2015.09.009

Thaler, R. (1980). Toward a positive theory of consumer choice. Journal of Economic Behavior & Organization, 1(1), 39-60. doi:10.1016/0167-2681(80)90051-7