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Mit ‘Stigmatisierung’ getaggte Beiträge

Das Leben von Trans*-Personen in der Schweiz

Ihre Geschichten

Das Missverständnis, die Geringschätzung, die Stigmatisierung und sogar die Pathologisierung ihrer Identität gehört zum Alltag vieler Transfrauen und -männer. Transphobie ist ein ernstzunehmendes und folgenreiches Problem. Eine wertschätzende Darstellung von Transidentität in den Medien soll Problematik entschärfen. Das aware gibt Trans*-Menschen eine Stimme.

Von Noémie Lushaj und Marcia Arbenz
Lektoriert von Vera Meier und Selina Landolt
Illustriert von Melina Camin

Laut dem Transgender Network Switzerland(TGNS) sind Trans*-Personen Individuen, «[…] deren Geschlechtsidentität (teilweise) nicht dem ihnen körperlich zugeordneten Geschlecht entspricht» (TGNS, 2017). Innerhalb des Trans*-Begriffs existieren viele feine Unterscheidungen, welche die verschiedenen Facetten der Transidentität deutlich machen. Die Verwendung des Sternchens in der Bezeichnung signalisiert entsprechend, dass «[…]verschiedene Ausprägungen und Selbstbezeichnungen der Geschlechtsidentität eingeschlossen sind» (TGNS, 2017). Es ist ein Zeichen von Respekt und Wertschätzung gegenüber Angehörigen der Trans*-Community, die angemessene Sprache zu verwenden (TGNS, 2017). Dabei sind bestimmte Begriffe zu vermeiden, die eine abwertende Konnotation mit sich bringen: Von Trannies, Shemales, Ladyboys und ehemaligen Frauen oder Männern sollte nicht mehr die Rede sein (TGNS, 2017). Im Zweifel ist es wünschenswert, Trans*-Menschen direkt zu fragen, wie sie gerne genannt werden möchten und welche Pronomen sie präferieren (Brandenburg, 2018).

Transgender ist (k)eine Krankheit

Personen, die anders als Transfrauen und -männer eine Kongruenz zwischen ihrer empfundenen Geschlechtsidentität und ihrem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht erfahren, werden als cisgender bezeichnet (TGNS, 2017). Die moderne westliche Gesellschaft ist hochgradig cisnormativ, das heisst, dass Cisidentität als Standard angesehen wird (Capuzza & Spencer, 2015). Menschen, die von dieser Norm abweichen, in diesem Fall eben Trans*-Menschen, werden häufig stigmatisiert oder gar pathologisiert. In der Tat ist gender dysphoriaeine im DSM-5 beschriebene psychische Erkrankung und auch das ICD-10 klassifiziert gender identity disorders als psychische Krankheiten (Reed et al., 2016). Mit der Erscheinung des ICD-11 wird sich diese Form der Kategorisierung ändern: Transfrauen und -männer werden von der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO) künftig nicht mehr als psychisch kranke Patienten|innen angesehen. Ihr Zustand wird im Rahmen der neuen Klassifikation als gender incongruenceim Kapitel sexual health beschrieben (Reed et al., 2016). Dieser Begriffs- und Kategorienwechsel stellt für viele einen massiven Fortschritt dar: Er reduziert das Stigma, das auf Trans*-Menschen lastet und erleichtert gleichzeitig deren Zugang zu Gesundheitsleistungen (Reed et al., 2016). Die Tendenz, Transidentität zu pathologisieren,entspringt vermutlich der Beobachtung, dass diese oft mit grossem Leiden verbunden ist. Forschende konnten aber zeigen, dass das Leiden von Transfrauen und -männern nicht per se darauf begründet ist, dass sie ihre Transidentität ausleben, sondern, auf der fehlenden gesellschaftlichen Akzeptanz und vorherrschenden Diskriminierung ihnen gegenüber (Robles et al., 2016).

«Stigma associated with the intersection of transgender status and mental disorders appears to have contributed to precarious legal status, human rights violations, and barriers to appropriate health care in this population.» Reed et al., 2016, S. 209

Transphobie: Wenn Hass tödlich ist

Die Ablehnung von beziehungsweise die Abneigung gegenüber Trans*-Menschen wird Transphobie genannt (TGNS, 2017). Sie äussert sich beispielsweise in Form verbaler und körperlicher Gewalt, sowie Benachteiligungen in verschiedenen Bereichen des Zusammenlebens. Unfaire Behandlungen werden auf dem Arbeitsmarkt von 22 Prozent und auf dem Wohnungsmarkt von 9 Prozent der Trans*-Menschen berichtet (Bradford, Reisner, Honnold, & Xavier, 2013). Solche Diskriminierungen resultieren in höheren Arbeits- und Obdachlosigkeitsquoten für Trans*-Personen (Grant, Mottet, & Herman, 2011). Auch ist die Wahrscheinlichkeit, in Bedingungen von extremer Armut zu leben, in dieser Gruppe, verglichen mit der Allgemeinbevölkerung, um das Vierfache erhöht (Grant et al., 2011). Weiter erleben 26 Prozent der Trans*-Personen eine Diskriminierung im Gesundheitsversorgungssystem (Bradford et al., 2013). Auch das Sozialleben kann beeinträchtigt sein, da Trans*-Menschen teilweise von ihrer Familie und ihrem Freundeskreis aufgrund ihrer Transidentität zurückgewiesen werden (White Hughto, Reisner, & Pachankis, 2015). Im Laufe des letzten Jahrzehnts wurden weltweit etwa 3‘000 Trans*-Personen ermordet (Elks, 2018). Der Transgender Day of Remembrance(TDoR) ist ein Gedenktag, der jährlich am 20. November stattfindet und an dem den Opfern transfeindlicher Gewalt gedenkt wird (Kraus, 2017).

Die minority stress theory besagt, dass Stressoren, die mit dem Minoritätsstatus einer Gruppe verbunden sind – im Fall von Trans*-Menschen Stressoren, die auf ihrer nichtnormativen Geschlechtsidentität basieren – die Gesundheit der betroffenen Population negativ beeinflussen (White Hughto et al., 2015). In der Tat sind die psychischen Konsequenzen der Transphobie für Trans*-Menschen schwerwiegend. Zum Beispiel leiden diese übermässig häufig an Depressionen und Angststörungen (Budge, Adelson, & Howard, 2013). Im National Transgender Discrimination Survey(NTDS) gaben 26 Prozent der befragten Trans*-Menschen an, gegenwärtig Alkohol oder Drogen zu konsumieren oder in der Vergangenheit konsumiert zu haben, um mit den Folgen der Diskriminierung umzugehen (Grant, Mottet, & Tanis, 2010). In einem amerikanischen Bericht zeigte sich, dass 42 Prozent der Transfrauen und 46 Prozent der Transmänner bereits einmal in ihrem Leben einen Suizidversuch unternommen haben (Haas, Rodgers, & Herman, 2014).

«Sie [Trans*-Menschen] werden nicht erst durch Operationen zur ‘richtigen Frau’ oder zum ‘richtigen Mann’, sondern sie waren schon immer diese Frau, dieser Mann.» Transgender Network Switzerland, 2018, S. 7

Sichtbarkeit für Trans*-Menschen

Trans*-Personen werden in den Medien zumeist entweder unterrepräsentiert (Smith et al., 2015) oder hauptsächlich in stigmatisierender und cisnormativer Weise dargestellt (Capuzza & Spencer, 2015). Um schädliche Darstellungen möglichst zu vermeiden, erscheint es sinnvoll, dass Trans*-Menschen persönlich von ihren Erfahrungen berichten und so sichtbar werden. In den nächsten Abschnitten erzählen Manu und Beni, was es für sie bedeutet, ein Transmann zu sein.

Manu, 19

Die Gewissheit kam mit 16 Jahren. Vorher war es lange kein Thema, vermutlich weil ich nicht gewusst hatte, dass es das gibt. Sonst wäre ich wahrscheinlich früher darauf gekommen. Aber ich habe das Gefühl, dass ich es schon immer ein wenig gespürt habe und 16 Jahre lang dachte «Das kann nicht alles sein, was mir das Leben zu bieten hat». Es ist, als hätte ich vorher immer alles schwarz-weiss gesehen. Und jetzt sehe ich alles in Farben. Meine gesamte Gefühlsrange hat sich vergrössert. Ich war damals depressiv. Zu dieser Zeit habe ich auch angefangen, Antidepressiva zu nehmen. Jetzt geht es mir viel besser. Es gab keinen ausschlaggebenden Moment [der Erkenntnis], es war eher ein Prozess – wenn auch ein schneller, alles in allem. Das ist anstrengend, der Körper arbeitet halt. Für die emotionale Unterstützung war ich lange bei einer Psychiaterin. Meine Familie war zuerst skeptisch. Verständlicherweise. Es gibt Lustigeres als wenn die 16-jährige Tochter zu einem kommt, und ihr Leben auf den Kopf stellen will. Die Reaktion meiner Mutter war nicht schlecht, aber ich hörte halt genau das, was ich nicht hören wollte. Für sie war es schwieriger, vor allem, weil ich neben meinen drei Brüdern das kleine Mädchen gewesen war, das sie sich gewünscht hatte. Das war schon noch schwierig. Ab und zu haben wir darüber gesprochen, aber es war schwer, weil sie mir nicht sagen wollte, wie schwierig es für sie ist, um mich nicht zusätzlich zu belasten.

Vor allem hat mich meine Freundin unterstützt. Ich habe mich damals als lesbisch geoutet und dann an einem ominösen Abend haben wir uns geküsst und ineinander verliebt. Das war komisch für sie. Sie meinte: «Hä, du bist doch eine Frau, wieso stehe ich auf Frauen?». Als wir dann ein Paar wurden, war es für uns beide klar, dass das keine lesbische Beziehung war. Ich habe ihr dann gesagt: «Hey, ich glaube, ich bin ein Mann» und sie: «Ah, jetzt macht alles Sinn». Gerade durch sie habe ich gemerkt, dass ich sie nicht als Frau liebe, sondern als Mann. Gefühlt ist es eine heterosexuelle Beziehung. Sie hat mich durch diese ganze Zeit begleitet. Wir sind immer noch zusammen, seit drei Jahren. Ich habe schon das Gefühl, dass ich ein besserer Freund bin. Nur schon, weil ich weiss, was es heisst, wenn du deine Tage hast.

Was sich verändert hat, ist das Gefühl, besser zu meiner weiblichen Seite stehen zu können. Vorher hatte ich versucht, sie mit allen Mitteln zu unterdrücken. Jetzt, wo mich alle als Mann wahrnehmen, ist es okay. Aber es braucht schon ein wenig Mut, die weibliche Seite auszuleben. Mit kleinen Kindern habe ich es ein paar Mal erlebt, dass sie mich direkt gefragt haben, ob ich ein Mann oder eine Frau sei. Sie sind viel sensibler, noch nicht so verdorben von diesen starren Vorstellungen, so dass es sie vielleicht nicht ganz so stört, wenn jemand nicht so eindeutig Frau oder Mann ist. Sie fragen einfach: «Bist du ein Mann oder eine Frau?» und dann ist es okay. Der kleine Bruder meiner Freundin ist etwa acht Jahre alt und dann hat man ihm gesagt: «[…] heisst jetzt Manu» und er so: «Okay». Und das war es. Das würde ich mir bei allen Menschen wünschen. Ich kenne das bei mir selber, diesen Einordnungsdrang. Wenn ich irgendjemanden sehe, will ich ihn unbedingt als Mann oder als Frau schubladisieren, aber eigentlich ist es mir scheiss egal. Trotzdem ist es einfach so präsent in unserer Gesellschaft.

Es ist ein wenig traurig, aber mir wird als Mann besser zugehört. Klar, ich trete auch anders auf, aber es ist schon ein krasses Gefühl. Man wird ernster genommen. Gerade war ich mit meinem Vater in den Ferien und dann habe ich irgendwann einen schweren Koffer getragen und es war selbstverständlich, dass er ihn mir nicht mehr abnehmen will. Vorher, als Frau, hätte er mir den Koffer natürlich noch abgenommen aber jetzt habe ich ihn halt getragen – das war völlig klar. Ich habe realisiert, dass ich anders behandelt werde, obwohl sich für mich nichts verändert hat. Ich bin immer noch der gleiche Mensch wie vorher. Aber alle anderen sehen plötzlich etwas anderes in mir.

Immer noch finden ganz viele Leute in diesem Land, dass Schwule nicht heiraten dürfen. Wir haben also noch so viel anderes zu tun. Man kann jetzt nicht noch mit einem dritten Geschlecht kommen. Ich habe wie das Gefühl, dass die Gesellschaft noch nicht bereit ist für das. Wir sollten grundsätzlicher vorgehen und weniger symptomatisch. Ich finde, wir sollten viel grundsätzlicher an Toleranz arbeiten, und nicht zuerst für Transmenschen und dann für das und das… Ich habe nicht das Gefühl, dass es so irgendwo hinführt. Was ich gelernt habe durch das alles, ist, dass ich versuche, den Menschen hinter einer Person zu sehen. Ich habe gemerkt, dass wir durch das Geschlecht immer sehr viel konstruieren und einen Menschen gar nicht richtig anschauen. Ich habe es bei meiner Freundin gemerkt. Sie hat sich in mich verliebt. Sie hat sich nicht in eine Frau oder in einen Mann oder in sonst etwas verliebt, sondern einfach in mich.

Beni, 20

Ich habe mit einer Kollegin einen eigenen Verein gegründet, über den wir einmal im Monat ein Treffen für Jugendliche aus der LGBT-Community [Anm. d. Red.: Lesbian, Gay, Bisexual, and Transgender] organisieren. Meine Freundin ist neben Schule, Arbeit und Verein, ein wichtiger Ankerpunkt. Wir sind seit dem April 2017 zusammen. 2015 im Februar hatte ich mein Outing und 2015 im Juni habe ich begonnen, Hormone zu nehmen. Meine Freundin hat meine Gebärmutterentfernung mitbekommen und halt alles, was sonst noch los war, wie die ständige Medikamenten-Einnahme und mein momentaner Kleinkrieg mit der Krankenkasse. Bei mir ist die Penis-Epithese [Anm. d. Red.: Dabei wird ein künstlicher Penis aus medizinischem Silikon hergestellt, auf den spezifischen Genitalbereich abgestimmt und mit einem speziellen hautfreundlichen Kleber auf der Haut befestigt (Selvaggi & Elander, 2008)] ein Thema, weil ich keine Operation machen will, ich vertrage sie sehr schlecht. Das heisst man muss einen Silikonabdruck machen und nachher passt der künstliche Penis einfach perfekt, so dass er überhaupt nicht störend ist und für alles funktioniert. Man kann einen machen, der für das Urinieren im Stehen funktioniert, man kann einen machen, der schön aussieht und angenehm zu tragen ist, und man kann einen machen, der für Sex gebraucht werden kann. Das heisst,alle Funktionen sind möglich.

Ich hatte mich schon immer sehr burschikos gegeben und mich mit den Jungs besser verstanden. Wenn man mich als kleines Kind, so mit sechs oder sieben, gefragt hatte: «Willst du ein Junge sein?», was meine Gspöndli noch oft getan haben, weil sie mich etwas komisch fanden, habe ich geantwortet: «Ja natürlich, aber ich bin halt ein Mädchen». Mit zwölf hatte meine Schwester einen Kollegen, der auch ein Transmann war, und da erfuhr ich, dass es ein Wort dafür gibt. Aber damals habe ich es immer noch weit von mir weggeschoben. Ich hatte Tagträume, dass ich von zuhause abhaue und nach Deutschland gehe, dort meine Transition habe und dann zurückkehre, um mich als Mann in meine Familie einzuschleichen. Irgendwann hätte ich gesagt: «Hey übrigens, ich bin es». Dann kam der Moment, als wir in den Ferien waren und wir in einem Restaurant sassen, so wie jetzt und da gab es ein Mädchen, das so 14 Jahre alt war und ich war ungefähr 16 und sah aus wie ein süsser kleiner Justin Bieber, ein Bubi halt. Und sie hat immer wieder zu mir rüber geschaut. Es war wie klar, dass sie mich süss fand oder, dass ich ihr auffalle. Da habe ich zu meiner Mutter gesagt: «Weisst du, es ist mega unfair, wenn sie wüsste, dass ich eine Frau bin, hätte sie überhaupt kein Interesse mehr». Diese Aussage hat mich noch extremer zum Nachdenken gebracht. Ich habe mich in den nächsten Tagen in meinem Zimmer eingeschlossen und einfach YouTube-Video an YouTube-Video geschaut. Irgendwann bin ich auf das Video einer Psychologin oder Psychiaterin gestossen. Ich hatte die Frage eingegeben: «How to know if I’m transgender», und die Frau im Video sagte, wenn man das google, sei die Wahrscheinlichkeit relativ gering, dass man es nicht ist. Und mit dem Video ist für mich der Groschen gefallen. Auf einmal konnte ich akzeptieren, dass es so ist. Irgendwann muss man es einfach hinnehmen und dann die Dinge machen, die nötig sind.

Mein Grossvater ist einer der grössten Homophoben [und Transphoben] gewesen. Und nun hat er es vollkommen abgelegt. Er ist voll auf meiner Seite und ich bin vollkommen sein Enkelsohn und es ist voll akzeptiert. Ich denke, Homophobie [und Transphobie] hat oft mit Unbetroffenheit, mit Angst und mit Unwissenheit zu tun. Jeder hat irgendeine Aufgabe und viele Menschen haben schwierige Aufgaben. Und die Transidentität ist halt einfach meine Aufgabe, so erklär ich es mir. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott will, dass ich mich umgebracht hätte. Denn das hätte ich getan, wenn ich die Transition nicht hätte machen können. Es gibt einen Spruch in der Bibel, der heisst «Gottes Wege sind unergründlich». Ich masse mir nicht an zu verstehen, warum was wie läuft. Ich konnte vielen Menschen, die auch trans* sind helfen dadurch helfen, dass ich meinen Weg akzeptiert habe und ihn nun gehe. Es hat sich viel Positives ergeben, dadurch, dass ich trans* bin. Klar, ich wäre gerne einfach möglichst «normal». Es ist eine coole Vorstellung, ganz «normal» durch das Leben zu gehen und keine Medikamente nehmen zu müssen oder Operationen zu machen, nur um sich wohl zu fühlen. Aber umso länger man drin ist, desto mehr vergessen es die Leute. Ich kenne wirklich Leute, die, wenn ich es wieder einmal erwähne, zu mir sagen, dass sie es vergessen hätten. Und ich merke auch, dass sie und auch ich die Erinnerungen angleichen, an das, was ich jetzt bin. Also wenn ich mich an meine Kindheit erinnere, nehme ich mich als Junge wahr, auch wenn ich damals als Mädchen gelebt habe. Das geht auch Kollegen und Kolleginnen so und auch meiner Mutter. Man passt sich so an.

Ich fände es mega schön, leibliche Kinder zu haben, aber ich habe auch Verwandte, die adoptierte Kinder haben und für die sind sie vollkommen ihre Eltern. Es ist keine Frage. Da denke ich mir: «Gut, meine Kinder werden es auch». Ich will dann auch offen mit ihnen umgehen, ich will, dass meine Kinder von Anfang an wissen, dass ich nicht ihr leiblicher Vater bin, aber dass ich trotzdem ihr Vater bin und sie trotzdem genauso gern habe. Aber ja, ich hatte einen halben Nervenzusammenbruch, bevor ich meine Gebärmutter entfernen liess, weil ich wusste, jetzt ist es vorbei. Mit 19 Jahren diese Entscheidung zu treffen war nicht einfach. Aber es war das Richtige.

Was mir wichtig ist: Transidentität ist keine Krankheit. Es kann Symptome einer psychischen Krankheit mit sich bringen, aber es ist keine. Ich finde es sehr wichtig, dass man einen Menschen nicht nur auf seine Transidentität oder Sexualität reduziert.

Die Transition
Mit Transition ist eine «Geschlechtsangleichung» gemeint: Das bei der Geburt zugeordnete Geschlecht kann der erlebten Geschlechtsidentität auf körperlicher, sozialer oder rechtlicher Ebene angepasst werden (TGNS, 2017). Daher sind mit der Transition physiologische, psychosoziale und administrative Veränderungen verbunden. Mittels Operationen wie Hysterektomien [Entfernungen der Gebärmutter] und Penektomien [Entfernungen des Penis’], Vaginoplastien [Vagina(re)konstruktionen] und Phalloplastien [Penis(re)konstruktionen], sowie Mastektomien [Brustentfernungen] und Brustvergrösserungen können unterschiedliche Teile des Körpers entfernt, modifiziert oder (re)konstruiert werden (Selvaggi & Bellringer, 2011; Sutcliffe et al., 2009). Auch Hormone können eingenommen werden, um endokrinologische Prozesse zu steuern und somit bestimmte Aspekte der äusserlichen Erscheinung, inklusive der Stimme, zu verändern (Selvaggi & Bellringer, 2011). Auch auf rechtlich-administrativer Ebene können Änderungen vorgenommen werden. Mai 2018 wurde in der Schweiz eine Veränderung des Zivilgesetzbuches vorgeschlagen: Diese sollte Modifizierungen des Vornamens und des amtlichen Geschlechts erleichtern, die vorher zwar möglich aber mit aufwändigen und teuren Prozeduren verbunden waren (Bundesamt für Justiz, 2018).


Zum Weiterlesen und -schauen

Transgender Network Switzerland (TGNS). (2018). Trans: Eine Informationsbroschüre von trans Menschen für trans Menschen und alle anderen [Brochure]. Abgerufen am 01. Februar 2019 von https://www.tgns.ch/wp-content/uploads/2018/05/Trans-Broschu%CC%88re-Inhalt.pdf

[World Health Organization (WHO)]. (2018). WHO: Revision of ICD-11 (gender incongruence/transgender) – questions and answers (Q&A) [Videodatei]. Abgerufen am 01. Februar 2019 von https://www.youtube.com/watch?v=kyCgz0z05Ik

Literatur

Bradford, J., Reisner, S. L., Honnold, J. A., & Xavier, J. (2014). Experiences of transgender-related discrimination and implications for health: Results from the Virginia Transgender Health Initiative Study. American Journal of Public Health, 103(10), 1820-1829. doi: 10.2105/AJPH.2012.300796

Brandenburg, K.-W. (2018). Wer ist eigentlich Trans*? Und was soll das Sternchen? rbb24. Retrieved from https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2018/03/tag-trans-sichtbarkeit-sternchen-.html

Budge, S. L., Adelson, J. L., & Howard, K. A. S. (2013). Anxiety and depression in transgender individuals: The roles of transition status, loss, social support, and coping. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 81(3), 545-557. doi: 10.1037/a0031774

Bundesamt für Justiz (BJ) (2018). Transmenschen sollen Geschlecht und Vornamen unbürokratisch ändern können.Retrieved from https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/aktuell/news/2018/ref_2018-05-24.html

Capuzza, J. C. & Spencer, L. G. (2015). Transgender communication studies: Histories, trends, and trajectories. Lanham: Lexington Books.

Elks, S. (2018). Factbox: Murders of transgender people rising worldwide. Reuters. Retrieved from https://www.reuters.com/article/us-global-lgbt-murder-factbox/factbox-murders-of-transgender-people-rising-worldwide-activists-idUSKCN1NP0WJ

Grant, J. M., Mottet, L. A., & Tanis, J. (2010). National Transgender Discrimination Survey report on health and health care. The National Center for Transgender Equality and the National Gay and Lesbian Task Force. Retrieved from https://cancer-network.org/wp-content/uploads/2017/02/National_Transgender_Discrimination_Survey_Report_on_health_and_health_care.pdf

Grant, J. M., Mottet, L. A., & Herman, J. L. (2011). Injustice at every turn: A report of the National Transgender Discrimination Survey.The National Center for Transgender Equality and the National Gay and Lesbian Task Force. Retrieved from https://www.ncgs.org/wp-content/uploads/2017/11/Injustice-at-Every-Turn-A-Report-of-the-National-Transgender-Discrimination-Survey.pdf

Haas, A. P., Rodgers, P. L., & Herman, J. L. (2014). Suicide attempts among transgender and gender non-conforming adults: Findings of the National Transgender Discrimination Survey.The Williams Institute and the American Foundation for Suicide Prevention. Retrieved from https://williamsinstitute.law.ucla.edu/wp-content/uploads/AFSP-Williams-Suicide-Report-Final.pdf

Kraus, J. (2017). Trans Day of Remembrance (TDoR) 2017. Transgender Network Switzerland. Retrieved from https://www.tgns.ch/de/2017/11/trans-day-of-remembrance-tdor-2017/

Reed, G. M., Drescher, J., Krueger, R. B., Atalla, E., Cochran, S. D., First, M. B., … Saxena, S. (2016). Disorders related to sexuality and gender identity in the ICD-11: Revising the ICD-10 classification based on current scientific evidence, best clinical practices, and human rights considerations. World Psychiatry, 15(3), 205-221. doi: 10.1002/wps.20354

Robles, R., Fresán, A., Vega-Ramírez, H., Cruz-Islas, J., Rodríguez-Pérez, V., Domínguez-Martínez, T., & Reed, G. M. (2016). Removing transgender identity from the classification of mental disorders: A Mexican field study for ICD-11. Lancet Psychiatry, 3, 850-859. doi: 10.1016/ S2215-0366(16)30165-1

Selvaggi, G. & Bellringer, J. (2011). Gender reassignment surgery: An overview. Nature Reviews Urology, 8, 274-281. doi: 10.1038/nrurol.2011.46

Selvaggi, G., & Elander, A. (2008). Penile reconstruction/formation. Current Opinion in Urology18(6), 589-597. doi: 10.1097/MOU.0b013e328313679c.

Smith, S. L., Choueiti, M., Pieper, K., Gillig, T., Lee, C., & DeLuca, D. (2015). Inequality in 700 popular films: Examining portrayals of gender, race, & LGBT Status from 2007 to 2014. Media, Diversity, & Social Change Initiative. Retrieved from http://assets.uscannenberg.org/docs/inequality_in_700_popular_films_8215_final_for_posting.pdf

Sutcliffe, P. A., Dixon, S., Akehurst, R. L., Wilkinson, A., Shippam, A., White, S., … Caddy, C. M. (2009). Evaluation of surgical procedures for sex reassignment: A systematic review. Journal of Plastic, Reconstructive & Aesthetic Surgery, 62, 294-308. doi: 10.1016/j.bjps.2007.12.009

Transgender Network Switzerland (TGNS). (2017). Was ist Trans*?Retrieved from https://www.transgender-network.ch/wp-content/uploads/2017/11/transfair-was-ist-trans.pdf

White Hughto, J. M., Reisner, S. L., & Pachankis, J. E. (2015). Transgender stigma and health: A critical review of stigma determinants, mechanisms, and interventions. Social Science & Medicine, 147, 222-231. doi: 10.1016/j.socscimed.2015.11.010.

Stigmatisierung

Auswirkungen von Stigmata auf Kinder und Erwachsene mit Depressionen und ADHS 

Depressionen und ADHS gehören zu den in der Kindheit am häufigsten diagnostizierten psychischen Erkrankungen. Obwohl ADHS oft als reine Kinderkrankheit angesehen wird, bleiben beide Störungen oft über die Kindheit hinaus bestehen. Beide werden stark stigmatisiert, was sich erheblich auf Betroffene auswirkt.

Von Loriana Medici
Lektoriert von Sarah Ihn und Lisa Makowski
Illustriert von Kerry Willimann

Depression und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sind die beiden meistdiagnostizierten emotionalen und verhaltensbezogenen Störungen im Kindesalter. Sie werden zudem extrem stigmatisiert, wobei sich gängige Stereotypen auf Gefährlichkeit, Inkompetenz und Störverhalten beziehen (Mukolo, Heflinger, & Wallston, 2010). In Übereinstimmung damit nehmen Jugendliche depressive Peers als gefährlicher wahr (Walker, Coleman, Lee, Squire, & Friesen, 2008). Vergleichsweise werden Peers mit ADHS als Faulenzer gesehen und als anfälliger dafür, in Schwierigkeiten zu geraten (Wiener et al., 2012). Zwar werden lebenslange Störungen wie ADHS im Allgemeinen eher stigmatisiert als temporäre, jedoch zeigt sich bei Depressionen eine stärkere Stigmatisierung als bei ADHS (Walker et al., 2008).

Stigmatisierung von Kindern und Jugendlichen

In einer Studie, in der die Ansichten von Kindern bezüglich Ursachen von Depressionen und ADHS untersucht wurden, waren 25-33 Prozent der teilnehmenden Kinder der Meinung, dass «sich nicht genug anstrengen» eine Ursache für eine kindliche Störungen sei (Coleman, Walker, Lee, Friesen, & Squire, 2009).

«[…] for a child with depression or ADHD, at least one in four peers believes the child is to blame for the condition.» Coleman et al., 2009

Da störendes Verhalten von Kindern generell weniger toleriert wird als das von Erwachsenen, ist es leider keine Überraschung, dass Depressionen bei Kindern negativer bewertet werden als Depressionen bei Erwachsenen, wobei jüngere Kinder einer stärkeren Stigmatisierung ausgesetzt sind als ältere Kinder (Walker et al., 2008; Mukolo et al., 2010).

ADHS-Symptome werden von Erwachsenen vielfach grundsätzlich stigmatisiert. Zusätzlich gibt es eine generelle Skepsis gegenüber ADHS-Medikamenten, basierend auf der Behauptung, dass die Erkrankung überdiagnostiziert werde (Wiener et al., 2012). Typische Argumente von Skeptikern beinhalten, dass ADHS eine Folge schlechter Erziehung oder zu vielen Videospielen sei, oder gänzlich von der Pharmaindustrie erfunden wurde (Masuch, Bea, Alm, Deibler, & Sobanski, 2018). Darüber hinaus werden die Symptome von ADHS-Kindern oft fälschlicherweise als kontrollierbar angesehen, was bei Eltern, Lehrern und Peers Wut und Frustration auslösen kann. Dies kann wiederum zu Strafreaktionen von Lehrern führen, die glauben, dass das Verhalten an Klassenzimmerstandards angepasst werden könnte (Wiener et al., 2012). Vielen Lehrern fehlen akkurate Informationen über die Vielfalt von ADHS-Symptomen, da sie sich auf das Fernsehen, Zeitschriften oder Freunde und Verwandte als primäre Wissensquellen über die Störung verlassen (Bell, Long, Garvan, & Bussing, 2010).

Insgesamt werden psychische Störungen bei Kindern gleichermassen gnadenlos stigmatisiert wie bei Erwachsenen. Dies zeigt sich in negativen Reaktionen der Gesellschaft wie etwa vermehrten strafenden Reaktionen von Erwachsenen gegenüber Kindern mit psychischen Erkrankungen. Nicht selten wird die Familie für die Probleme des Kindes verantwortlich gemacht, und aussenstehende Erwachsene beschreiben eine Präferenz für soziale Distanz zum Kind und seiner Familie sowie eine Vorliebe für striktere Behandlungsmethoden, einschliesslich der Behandlung in restriktiven Settings, wie beispielsweise stationäre Therapien (Mukolo et al., 2010).

Direkte Folgen von Stigmatisierung

Laut Wiener et al. (2012) fühlen sich Kinder mit ADHS aufgrund ihres Verhaltens oft anders behandelt. Sie spüren die mit ihrer Diagnose verbundenen Stigmata und schämen sich – ein Gefühl, das ihre Eltern oft teilen. Negative elterliche Reaktionen auf Depressionen und ADHS können sich nachteilig auf das Wohlbefinden des Kindes auswirken (Mukolo et al., 2010). Die von Betroffenen wahrgenommene Stigmatisierung ist mit geringerem Selbstwertgefühl und höherem Risiko für soziale Ablehnung verbunden (Wiener et al., 2012). Wichtiger noch, Kinder verinnerlichen bereitwillig negative Auffassungen anderer und haben daher eher stigmatisierende Ansichten bezüglich ihres eigenen psychischen Zustandes – ein Umstand, dem sich Therapeuten und Angehörige bewusst sein sollten (Coleman, 2009). Der Zusammenhang von internalisierten Stigmata und niedrigerem Selbstwert bleibt auch im Erwachsenenalter bestehen (Masuch et al., 2018).

Stigmatisierung per Assoziation und Behandlungszugang

Obwohl Depression die häufigste emotionale Störung in der Kindheit ist, bleiben 75 Prozent der jugendlichen Betroffenen undiagnostiziert. Darüber hinaus werden nur 70 Prozent der mit Depressionen und 50 Prozent der mit ADHS diagnostizierten Kinder tatsächlich therapeutisch unterstützt (Pescosolido et al., 2008). Dies ist zum Teil auf die starke Stigmatisierung der beiden Störungsbilder zurückzuführen, welche sich massgeblich darauf auswirkt, wie die Eltern auf kindliche Probleme reagieren. Dies beeinflusst sowohl den Zugang des Kindes zu psychologischen Hilfsangeboten, sowie deren Inanspruchnahme (Mukolo et al., 2010). Kinder sind auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen, um professionelle Unterstützung zu erhalten, was zu verschiedenen Problemen führen kann (Mukolo et al., 2010). Zum einen erleben Familienmitglieder eines Kindes mit einer psychischen Erkrankung oft eine Stigmatisierung per Assoziation (Wiener et al., 2012). Dies führt dazu, dass Eltern sich sorgen, für die Probleme ihres Kindes verantwortlich gemacht zu werden, sollten Menschen in ihrem sozialen Umfeld herausfinden, dass ihr Kind psychologische Hilfe benötigt. Des Weiteren äussern Eltern Besorgnis darüber, marginalisiert zu werden, falls die Diagnose ihres Kindes publik würde. Darüber hinaus unterliegen auch Psychotherapeuten selbst einer Stigmatisierung, was ein weiteres Hindernis für die Inanspruchnahme psychologischer Dienste darstellt (Mukolo et al., 2010).

Ein- und Aufrechterhaltung der Behandlung

Wissensmangel, Misstrauen und uninformierte Urteile begünstigen Stigmatisierung und machen damit die (Un-)Fähigkeit der Gesellschaft, psychische Erkrankungen zu erkennen und verstehen, zu einer Determinante für die Entstehung von Stigmata. Dementsprechend ist die Fähigkeit zur Symptomerkennung der Eltern und deren Wissen über Behandlungsmöglichkeiten ausschlaggebend für die Entscheidung ob professionelle Hilfe gesucht wird oder nicht (Pescosolido et al., 2008). Bedauerlicherweise kann die Behandlung von psychischen Störungen bei Kindern auch nach dem Überwinden all dieser Hindernisse von Stigmata beeinträchtigt werden. So werden z.B. Zielsetzungen und Methoden, die nicht mit elterlichen Überzeugungen übereinstimmen, behindert oder gänzlich abgelehnt. Infolgedessen stellt die Beteiligung der Familie für Therapeuten oft eine Herausforderung dar (Pescosolido et al., 2008).

Ein besonders stigmatisierter Aspekt der Therapie sind Psychopharmaka. Jugendliche mit einer psychiatrischen Diagnose schämen sich oft für ihren Zustand und den daraus resultierenden Medikationsbedarf. Sie tendieren dazu, sowohl ihre Diagnose als auch ihren Medikamentengebrauch geheim zu halten, was zu einer Reduktion von Interaktionen mit Peers führen kann, denen sie nicht vollständig vertrauen (Kranke, Floersch, Townsend, & Munson, 2010).

Spezifische Stigmata gegen ADHS bei Erwachsenen

Während die Validität von ADHS als psychische Störung im Allgemeinen bezweifelt wird, sind Erwachsene mit ADHS mit besonders ausgeprägten Vorurteilen konfrontiert, da ADHS allgemein als Störung des Kindesalters gilt. Da ADHS angeblich «bei Erwachsenen nicht existiert», wird ihnen häufig vorgeworfen ihre Symptome zu fingieren, um an Stimulanzien zu gelangen (Masuch et al., 2018). Während viele Stereotypen aus dem Kindesalter bestehen bleiben, beinhalten die Attributionsüberzeugungen über ADHS bei Erwachsenen zusätzlich auch Drogenmissbrauch als vermeintliche Ursache für die Störung (Masuch et al., 2018).

Hürden bei der Hilfesuche für Erwachsene

Während Diskriminierung am häufigsten im Arbeits- und Bildungskontext antizipiert wird, befürchten viele Erwachsene mit ADHS auch, von medizinischen Fachkräften diskriminiert zu werden (Masuch et al., 2018). Die aktive Verleugnung von ADHS bei Erwachsenen durch bestimmte Ärzte verstärkt diese Angst und könnte eine mögliche Erklärung für den signifikanten Unterschied zwischen administrativer und epidemiologischer Prävalenz von ADHS sein (Masuch et al., 2018).

Bei erwachsenen Patienten mit Depression sind Selbststigmata ein wichtiger Faktor für die Suche nach psychologischer Hilfe (Barney, Griffiths, Jorm, & Christensen, 2006). Schamgefühle wegen der Einholung professioneller Hilfe sowie erwartete negative Reaktionen aus dem Umfeld sind bei depressiven Patienten weit verbreitet und können die Wahrscheinlichkeit vorhersagen, mit der um professionelle Unterstützung gebeten wird (Barney et al., 2006). Wahrgenommene Stigmatisierung zu Beginn der Therapie hängt signifikant mit dem späteren Behandlungsverhalten der Patienten zusammen (Sirey et al., 2001).

Ein Stigma kann definiert werden als die Ansicht, dass eine bestimmte Abweichung von der Norm bezüglich physikalischer Eigenschaften, Verhalten oder Charakter unerwünscht ist und ein negatives Gesamtergebnis darstellt. Es kann unterschieden werden zwischen öffentlichem Stigma, das sich in der Regel durch Vorurteile, Stereotypen und Diskriminierung ausdrückt, und Selbststigmatisierung, die auftritt, wenn das stigmatisierte Individuum beginnt, diese verzerrten Ansichten zu akzeptieren. Öffentliche Stigmata variiert je nach Art der psychischen Störung, bleiben aber auch dann bestehen, wenn bekannt ist, dass eine Behandlung wirksam oder unnötig ist.


Zum Weiterlesen

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Bowers, E. (2012, August 15). Countering the Social Stigma of Depression [Web log post]. Abgerufen am 01. Februar 2019 von https://www.everydayhealth.com/hs/major-depression/facing-social-stigma-of-depression/

Tartakovsky, M. (2018, July 8). Breaking the Silence of ADHD Stigma [Web log post]. Abgerufen am 01. Februar 2019 von https://psychcentral.com/blog/breaking-the-silence-of-adhd-stigma/

Literatur

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