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Mit ‘Psychedelika’ getaggte Beiträge

Türen öffnen mit psychedelischer Therapie

Was hat es mit der psychedelischen Renaissance auf sich?

Worum handelt es sich bei Psychedelika, was sind die Hintergründe psychedelischer Forschung und was gibt es für neue Erkenntnisse zum Thema Therapie mit Psychedelika? Was passiert, wenn man diese Türen öffnet? Welche Möglichkeiten und Risiken bergen bewusstseinserweiternde Drogen?

Von Anna Boeker
Lektoriert von Natalie Birnbaum und Arne Hansen
Illustriert von Katrin Grings

Menschen verwenden Psychedelika schon seit Tausenden von Jahren (Grof, 2019; Nichols & Barker, 2016). Psilocybin-haltige Pilze sind zum Beispiel auf allen Kontinenten der Erde zu finden. Ihre Verwendung wurde von präkolumbianischen mesoamerikanischen Gesellschaften wie den Azteken und Mayas ausführlich dokumentiert (Grof & Grof, 2010; Nichols & Barker, 2016).

Ein weiteres Psychedelikum ist NN-DMT, eine Substanz, die in vielen Pflanzenarten vorkommt (Drug Enforcement Administration, 2019) und einer der wichtigsten Bestandteile des beliebten psychedelischen Gebräus namens Ayahuasca ist. Dieses wird in den Regionen des Amazonas seit mindestens 1000 Jahren verwendet (Miller et al., 2019). Bei vielen Ureinwohnern wurden diese Psychedelika häufig zu Heilzwecken und zu religiösen oder spirituellen Zwecken verwendet (Grof, 2019; Nichols & Barker, 2016) und spielten in einigen kulturellen Ritualen eine wichtige Rolle (Grof, 2019).

Betrachtet man den Zeitraum von den ersten Belegen für die Verwendung von Psychedelika durch Menschen bis zur Gegenwart, so wurden die psychedelischen Praktiken grösstenteils im Kontext der einheimischen Kulturen ausgeübt und von Personen wie Mystikern, Priestern, Ältesten, Schamanen, Heilern und Medizinmännern entwickelt. Westliche Gesellschaften fingen erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts an, Psychedelika zu verwenden und eigene Praktiken zu entwickeln. Eine wichtige Rolle spielte dabei, dass die Psychedelika Gegenstand wissenschaftlicher Forschung wurden (Grof, 2019).

«die legale psychedelische Therapie wird kommen»

Cormier, 2022

Ein neueres Beispiel ist LSD. Albert Hofmann, ein Schweizer Chemiker, synthetisierte LSD 1938 bei Sandoz Chemicals. Er glaubte, dass LSD die Psychiatrie revolutionieren und eine Generation von Künstlern und Intellektuellen inspirieren könnte (Grof, 2019). Sandoz Chemicals, sowie andere Forschungsstellen, gaben die Droge damals zu Forschungszwecken kostenlos an amerikanische Psychiater ab.

Zwischen 1953 und 1960 wurden tausende Personen mit einer Alkoholabhängigkeit unter kontrollierten Bedingungen einer Behandlung mit LSD unterzogen. Die Ergebnisse zeigten, dass fast die Hälfte der behandelten Personen noch mehr als ein Jahr später alkoholabstinent war. Obwohl diese Forschung in einigen Kreisen Zustimmung fand, wurde sie in anderen Kreisen angegriffen. Ähnliche Studien konnten die Ergebnisse nicht reproduzieren und deshalb äußerte auch die konservative Ärzteschaft Kritik (MAPS, 2012). Jahrzehnte später stehen wir immer noch an einer ähnlichen Stelle. Wie Menschen auf die Substanz und das mögliche Potenzial reagieren, hängt womöglich von weit mehr ab als der Substanz selbst (MAPS, 2012).

Als die Forschenden das Verständnis für die klassischen Psychedelika und auch Cannabis weiterentwickelten, wurden diese Substanzen auch in der Öffentlichkeit bekannter und ihr Konsum wurde schließlich in der Kulturbewegung der Hippies in den 1960er und 1970er Jahren weit verbreitet (Encyclopaedia Britannica, 2022)

1971 wurde dann das Verbot der klassischen Psychedelika, wie auch der meisten anderen heute illegalen Drogen, durch das UN-Übereinkommen über psychotrope Stoffe weltweit verabschiedet (UNODC, 1971).

Innerhalb eines knappen halben Jahrhunderts wandelte sich die Einstellung der Menschen gegenüber Psychedelika von Neugier und Faszination hin zu einer Stigmatisierung und Kriminalisierung dieser Substanzen. Die zahlreichen Folgen dieses Bruchs sind noch heute spürbar, denn das Verbot schränkt zum Beispiel stark ein, was und wie heutzutage mit Psychedelika geforscht werden darf. Trotzdem stieg das Interesse an diesen «unspezifischen Verstärkern» in den letzten Jahrzehnten wieder an (Cormier, 2022)

Seitdem wurde dieses erneut erwachte Interesse an der psychedelischen Forschung am Menschen von Organisationen wie der Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies (MAPS), der Johns Hopkins University und vielen anderen Verbänden, auch außerhalb der USA, gefördert (Cormier, 2022; Grof, 2019).

In Onlineforen wie actualized.org teilen Menschen anonym ihre Erfahrungen mit Psychedelika

«I had previously reported no insights on my initial acid trip and a month later took the same dose. For some reason I’ve had these amazing mind-blowing awakenings on ganja.  I took a week off from smoking and smoked again and had another God Realization awakening that really rocked me hard. However, despite not having any immediate insights after dropping LSD, the longterm effect has been a total cessation of drinking alcohol. I no longer pick up a single beer for after work and I’ve been avoiding going out for drinks…not out of some weird kind of willpower but because it no longer appeals to me. A week or two ago I walked into a liquor store to buy lager beer and some tequila.  I bought nothing because it just didn’t appeal to me. I’ve been struggling with alcohol addiction for years and I’m SO fucking ELATED that I don’t desire it anymore. I’m still shocked and blown away by this in a great way. All that struggle and after two LSD sessions it’s gone. Wow!» (Ramu, 2022)

Darüber hinaus wurde das medizinische Potenzial von Psychedelika 2017 und 2018 anerkannt, als die US-amerikanische Food and Drugs Administration (FDA) psychotherapeutische Verfahren mit MDMA (MAPS, 2017) und Psilocybin (COMPASS Pathways, 2018) als «bahnbrechende Therapien» einstufte.

Außerdem wurde vor allem in Nordamerika eine Welle von Gesetzesreformen auf den Weg gebracht, die den legalen Zugang zu Psychedelika entkriminalisieren und/oder ermöglichen (Lewis-Healey, 2021). Im Rahmen dieser neuen Gesetze wurden die Fälle, in denen bestimmte Psychedelika für religiöse oder spirituelle Zwecke in den USA verwendet werden durften – insbesondere meskalinhaltiger Peyote für die indianische Kirche und Ayahuasca für die brasilianische indigene Kirche União do Vegetal – eingeführt (Nichols & Barker, 2016).

«Psychedelic experience — like all other intense life events — may offer the potential for growth and change. How people respond, however, depends on far more than a drug. »

MAPS, 2012

Mit dem derzeitigen Paradigmenwechsel, den laufenden klinischen Studien und der Entwicklung einer ganzen Industrie rund um Psychedelika gewinnt der Begriff psychedelische Renaissance weiter an Popularität. Dennoch sind Psychedelika in den meisten Teilen der Welt auch 2022 noch illegal und die Mehrheit der Konsumenten bezieht sie vom Schwarzmarkt (Cormier, 2022).

Letztes Jahr konnte eine Studie des Imperial College London zeigen, dass Psilocybin bei der Bekämpfung von Depressionen genauso wirksam ist wie Escitalopram (auch Lexapro genannt), welcher ein gängiger Selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) ist (Carhart-Harris, 2021). Zu beachten ist, dass sich die Symptomatik in beiden Patientengruppen verbesserte. Diese Verbesserung zeigte sich unabhängig davon, ob Psilocybin oder Escitalopram verabreicht wurde. Beide Patientengruppen erhielten außerdem fast 40 Stunden Psychotherapie. Hier könnte kritisiert werden, dass dies weit mehr Stunden sind, als ein*e durchschnittliche*r Patient*in erhält, die in Behandlung mit SSRIs ist (Cormier, 2022).

Nicht nur in akademischen Kreisen sind Psychedelika ein Thema. Bereits mehr als 50 börsennotierte Unternehmen, die an der Entwicklung oder Verabreichung psychedelischer Substanzen arbeiten, sind heute in Amerika tätig – drei von ihnen werden bereits mit jeweils über 1 Milliarde Dollar bewertet: Angermayers ATAI Life Sciences, Compass Pathways und GH Research (Cormier, 2022).

Es entsteht die Sorge, dass es den meisten dieser Unternehmen nur um den wirtschaftlichen Gewinn geht und nicht um die Behandlung von Patient*innen. Es könnte zu einem Streit um Patente, Lizenzen und Rechten kommen. Zusätzlich zu den noch nicht ausreichend erforschten Risiken der Substanzen selbst, kommen so noch Risiken der wirtschaftlichen und ethischen Umsetzung. Es scheint, als öffneten Psychedelika nicht nur im Bewusstsein, sondern auch für den Markt neue Türen.

Es muss als zentral verstanden werden, Psychedelika nicht selbst als Heilmittel zu betrachten. Eine andere Art von Medikation, egal bei welchem Störungsbild, sollte nicht als Möglichkeit gesehen werden, Therapiezeiten zu verkürzen (Cormier, 2022). Risiken müssen ausreichend erforscht und kommuniziert werden und die Integration psychedelischer Erfahrungen selbstverständlich sein. Trotzdem dürfen die neuen Erkenntnisse und die Suche nach Alternativen zu herkömmlichen Medikamenten nicht abgetan werden und


Zum Weiterlesen

Cormier, Z. (2022). The Brave New World of Legalized Psychedelics Is Already Here. https://www.thenation.com/article/society/legal-drugs-psychedelics-corporate/

Walker, L. (2022). How to Change Your Mind. Netflix Series. https://www.netflix.com/title/80229847

Pollan, M. (2021). This is your Mind on Plants. Penguin.

Literatur

Carhart-Harris, R., Giribaldi, B., Watts, R., Baker-Jones, M., Murphy-Beiner, A., Murphy, R., … & Nutt, D. J. (2021). Trial of psilocybin versus escitalopram for depression. New England Journal of Medicine384(15), 1402-1411.

COMPASS Pathways. (2018, October 23). COMPASS Pathways receives FDA Breakthrough Therapy designation for psilocybin therapy for treatment-resistant depression. COMPASS Pathways. https://compasspathways.com/compass-pathways-receives-fda-breakthrough-therapy-designation-for-psilocybin-therapy-for-treatment-resistant-depression/

Cormier, Z. (2022). The Brave New World of Legalized Psychedelics Is Already Here. https://www.thenation.com/article/society/legal-drugs-psychedelics-corporate/

Drug Enforcement Administration. (2019). N,N-DIMETHYLTRYPTAMINE. https://www.deadiversion.usdoj.gov/drug_chem_info/dmt.pdf

Encyclopaedia Britannica. (2022). hippie subculture. Britannica. https://www.britannica.com/topic/hippie

Grof, S., & Grof, C. (2010). HOLOTROPIC BREATHWORK A New Approach to Self-Exploration and Therapy. State University of New York Press.

Grof, S. (2019). The Way of the Psychonaut – Encyclopedia for Inner Journeys V1 (Vol. 1). Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies.

Lewis-Healey, E. (2021). The Legal Status of Psychedelics Around the World. Psychedelic Spotlight. https://psychedelicspotlight.com/legal-status-of-psychedelics-around-the-world/

MAPS. (2012). LSD May Help Treat Alcoholism. MAPS. https://maps.org/news/media/lsd-may-help-treat-alcoholism/

MAPS. (2017). FDA Grants Breakthrough Therapy Designation for MDMA-Assisted Therapy for PTSD, Agrees on Special Protocol Assessment for Phase 3 Trials. MAPS. https://maps.org/news/media/press-release-fda-grants-breakthrough-therapy-designation-for-mdma-assisted-psychotherapy-for-ptsd-agrees-on-special-protocol-assessment-for-phase-3-trials/

MAPS. (2020). Psychedelic Research Fundraising Campaign Attracts $30 Million in Donations in 6 Months, Prepares MDMA-Assisted Therapy for FDA Approval. MAPS. https://maps.org/news/media/press-release-psychedelic-research-fundraising-campaign-attracts-30-million-in-donations-in-6-months-prepares-mdma-assisted-psychotherapy-for-fda-approval/

Miller, M. J., Albarracin-Jordan, J., Moore, C., & Capriles, J. M. (2019). Chemical evidence for the use of multiple psychotropic plants in a 1,000-year-old ritual bundle from South America. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 166(23), 11207–11212. https://doi.org/10.1073/pnas.1902174116

Nichols, D. E., & Barker, E. L. (2016). Psychedelics. Pharmacological Reviews, 68(2), 264–355. https://doi.org/10.1124/pr.115.011478

Pollan, M. (2021). This is your Mind on Plants. Penguin.

Ramu (2022). LSD and Alcohol. Actualized.Org Forum. https://www.actualized.org/forum/topic/83595-lsd-and-alcohol/

UNODC. (1971). Convention on Psychotropic Substances, 1971. https://www.unodc.org/pdf/convention_1971_en.pdf

Walker, L. (2022). How to Change Your Mind. Netflix Series. https://www.netflix.com/title/80229847

Tierischer Rausch

Wie uns die psychedelische Erfahrung mit dem Tierischen verbindet. 

Weltweit und über die Zeitepochen und Kulturen hinweg verbindet uns Menschen das Bedürfnis nach Rausch. Doch nicht nur Menschen, sondern auch Tiere suchen veränderte Bewusstseinszustände. Menschen, Tiere und psychoaktive Substanzen hängen in vielerlei Hinsicht zusammen, sei es durch das Streben nach Rausch, durch molekulare Verbindungen, durch Visionen oder durch die Phänomenologie der aussergewöhnlichen Zustände unter Einfluss von Psychedelika. 

Von Helena Aicher 
Lektoriert von Marie Reinecke und Selina Engeli 
Illustriert von Helena Aicher 

Der Genuss psychoaktiver Substanzen und die psychedelische Stimulation sind nicht nur dem Menschen ein Bedürfnis. Auch Tiere berauschen sich absichtlich. Solche Erfahrungen scheinen sogar so essentiell zu sein, dass verschiedene Arten, wenn sie einmal Kenntnis von der Wirkung eines bestimmten Stoffes gemacht haben, diese Substanz immer und immer wieder zu sich nehmen. Durch den Charakter dieses Strebens nach Rausch gleicht es den Grundbedürfnissen nach Sexualität und Nahrungsaufnahme.  

«The pursuit of intoxication with drugs is a primary motivational force in the behavior of organisms (…) Like sex, hunger, and thirst, the fourth drive, to pursue intoxication, can never be repressed. It is biologically inevitable.» 

Siegel, 1989 

Der evolutionäre Vorteil von Fortpflanzung und Nahrungsaufnahme liegt auf der Hand. Weniger einleuchtend scheint auf den ersten Blick das Grundbedürfnis nach Rausch zu sein, beinhalten berauschende Substanzen und Erfahrungen doch Risiken, die kaum der biologischen Fitness dienlich sein können. Samorini (2001) argumentiert jedoch Horizont erweiternd, die Steigerung des divergenten Denkens unter Einfluss von Psychedelika könnte letztlich indirekt zu einem evolutionären Vorteil führen. Durch das divergente Denken, welches im Gegensatz zum konvergenten Denken üblicherweise als Kreativität oder als Teil ebendieser definiert wird, würde das Tier auf kreative Lösungen kommen, die seinen Artgenossen nicht zugänglich sind. In der Tat konnten Kuypers und Kollegen (2016) zeigen, dass die Einnahme von Ayahuasca, einem DMT-haltigen Gebräu aus der Amazonasregion, das divergente Denken beim Menschen erhöht. Dieses out-of-the-box-Denken könnte letztlich zu einer effizienteren Adaptionsfähigkeit führen, die – so könnte man dies interpretieren – sogar eher revolutionären (statt evolutionären) Charakter hätte. 

Wir Menschen scheinen also mit anderen Tieren dieses Bedürfnis nach Rausch zu teilen und dieses könnte unter Umständen sogar der Evolution dienlich sein. 

Im Folgenden werden wir uns lediglich mit psychedelischen Substanzen (wie beispielsweise LSD, DMT, Meskalin, Psilocybin) – nicht jedoch mit andersartig berauschenden – auseinandersetzen. 

Das Molekül in mir 

Eine über die Gemeinsamkeit des Rauschbedürfnisses hinausgehende, tatsächlich molekulare Verbindung entsteht, wenn der Mensch Tiere nutzt, um sein Bewusstsein zu verändern. Kambô, eine Substanz, die in indigenen Ritualen zur Reinigung Verwendung findet, wird beispielsweise aus dem Sekret eines Frosches gewonnen. Ein weiteres Beispiel ist die Kröte Bufo alvarius (Coloradokröte), deren Schleim 5-MeO-DMT enthält, das ebenfalls rituell genutzt wird. Auch eine bestimmte Sorte Honig im Himalaya-Gebirge soll eine halluzinogene Wirkung haben. Hier handelt es sich also wortwörtlich um «das Tier in mir».  

Tiere in psychedelischen Ritualen indigener Kulturen 

Nicht nur werden die Psychedelika enthaltenden Tiere rituell genutzt; Tiere spielen auch in schamanischen Visionen bei rituellem Gebrauch psychoaktiver Substanzen in indigenen Kulturen eine wichtige Rolle, auch wenn nur wenige dieser Substanzen tierischer Herkunft sind; meistens stammen sie aus Pflanzen oder Pilzen. Typisch ist beispielsweise bei Ayahuasca-Ritualen die Erscheinung von Schlange und Jaguar. Anekdoten zufolge soll der Jaguar beim Kauen der Ayahuasca-Liane beobachtet worden und so dem Menschen als Beispiel vorausgegangen sein. Sogenannte Krafttiere spielen auch im westlichen Neo-Schamanismus eine wichtige Rolle (vgl. z. B. Metzner, 2013).  

Die Brücke zur aktuellen Psychedelikaforschung 

Tiere kommen aber nicht nur als Vision in der psychedelischen Erfahrung vor, sondern auch auf einer Metaebene, indem sich das Erleben unter Einfluss solcher Substanzen durch Merkmale auszeichnet, die man als basal, archaisch, dem Lustprinzip folgend, ontologisch und evolutionär früh angesiedelt und somit gewissermassen als tendenziell tierisch beschreiben könnte. Krähenmann und Kollegen (2017a, 2017b) konnten dieses bisher hauptsächlich aus qualitativen Berichten bekannte Phänomen in zwei Studien mit LSD auch quantitativ nachweisen. Die Erzählungen der Probanden über ihr momentanes Erleben post-peak zeichneten sich durch ein erhöhtes Mass an kognitiver Bizarrheit und primärprozesshaftem Denken aus, und zwar jeweils mediiert durch die 5HT2A-R-agonistischen Eigenschaften des LSD. Bei Ersterem handelt es sich um einen Index für traumähnliche Inhalte (REM-Schlafphase), die sich durch irreale, unrealistische, seltsame und fantasievolle Wahrnehmungen bezüglich Situationen, Objekten, eigenen Gefühlen und Gedanken auszeichnen. Primärprozesse sind laut einer meta-psychologischen Theorie Freuds automatische, motivations- und emotionsgetriebene, tieferliegende Prozesse (Lustprinzip), die phänomenologisch eher dem Tierischen zuzuordnen sind, während Sekundärprozesse als höher hierarchische, adaptive, reflektierte und regelgebundene Prozesse definiert werden, welche die Primärprozesse unterdrücken (Realitätsprinzip). 

Neuropsychologische Studien liefern Ergebnisse, die ebenfalls in diesem Kontext interpretiert werden können. Beispielsweise wird durch Psychedelika die Aktivität im Präfrontalkortex (PFC) moduliert (vgl. z. B. Carhart-Harris et al., 2012). Dieser ist beim Menschen im Vergleich zu anderen Tieren besonders ausgeprägt und für exekutive Funktionen (Planen, Inhibition und Metakognition) zuständig, also im weiteren Sinne auch für die eben beschriebenen Sekundärprozesse. Unter Einfluss von Psychedelika nehmen verschiedene kognitive Funktionen ab, und zwar insbesondere typisch menschliche Kognitionen wie beispielsweise bestimmte Aufmerksamkeitsaspekte und andere höhere exekutive Funktionen, die mit PFC-Aktivität zusammenhängen (vgl. z. B. Carter et al., 2005; Quednow et al., 2012). Das kann so interpretiert werden, dass sich Probanden unter Einfluss von Psychedelika in einem eher wahrnehmenden und fühlenden Zustand befinden als in einem interpretierenden Modus, was mit den Befunden zu Sekundär- und Primärprozessen in Einklang steht. In Freuds Terminus könnte man auch von verstärktem Lustprinzip und reduziertem Realitätsprinzip sprechen. Auch die Befunde von Kometer et al. (2011), welche besagen, dass unter Einfluss von Psilocybin frühe Potentiale im EEG tendenziell erhöht sind und späte Potentiale eher abnehmen, können mit den hier beschriebenen Veränderungen der kognitiven Prozesse übereinstimmend so interpretiert werden, dass eine Verschiebung stattfindet weg vom Kategorisieren in Richtung Wahrnehmung (Elemente, Farben), was wahrscheinlich ebenfalls eher dem tierischen Zustand entspricht. 

Diese Befunde haben Implikationen für die aktuell weltweit laufenden und geplanten Psychotherapiestudien mit Psychedelika, liefern sie doch mögliche Erklärungen für die den psychotherapeutischen Effekten dieser Substanzen zugrundeliegenden Mechanismen. 

«Wenn man lernen würde, die Fähigkeit von LSD, unter geeigneten Bedingungen visionäres Erleben hervorzurufen, in der medizinischen Praxis und in Verbindung mit Meditation besser zu nutzen, dann könnte dieses neuartige Psychopharmakon, glaub ich, von einem Sorgenkind zum Wunderkind werden.» 

Albert Hofmann, 1979 

Der Mensch bleibt Mensch 

Trotz der hier beschriebenen Studienergebnisse und Interpretationen bleibt der Mensch unter Einfluss von Psychedelika immer noch Mensch. Einige der Effekte psychedelischer Substanzen unterscheiden sich tatsächlich grundlegend vom tierischen Zustand. Viele Tiere sind beispielsweise sehr einfach auf Belohnung konditionierbar. Unter Einfluss psychedelischer Substanzen berichten Menschen von ich-entgrenzten, losgelösten bis hin zu transzendenten Zuständen, also weit weg vom klassisch Triebgesteuerten. 

Die wundersame Phänomenologie psychedelischer Zustände macht Psychedelika zu wertvollen Werkzeugen der Bewusstseinsforschung jenseits konventioneller Vorstellungen der beschreibbaren Welt. Sie erklärt wohl auch die von diesen Substanzen ausgehende Faszination auf uns Menschen, zumal sich ihr Wesen letztlich des für uns Fassbaren entzieht. 


Zum Weiterlesen

Samorini, G. (2001). Animals and Psychedelics. Rochester, Vermont: Park Street Press. 

Siegel, R. (1989). Intoxication: The Universal Drive for Mind-Altering Substances. Rochester, Vermont: Park Street Press. 

Literatur

Carhart-Harris, R. L., Erritzoe, D., Williams, T., Stone, J. M., Reed, L. J., Colasanti, A., Tyacke, R.J., Leech, R., Malizia, A. L., Murphy, K., Hobden, P., Evans, J., Feilding, A., Wise, R.G., & Nutt, D. J. (2012). Neural correlates of the psychedelic state as determined by fMRI studies with psilocybin. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America109, 2138–2143. 

Carhart-Harris, R. L., Muthukumaraswamy, S., Roseman, L., Kaelen, M., Droog, W., Murphy, K., Tagliazucchi, E., Schenberg, E. E., Nest, T., Orban, C., Leech, R., Williams, L. T., Williams, T. M., Bolstridge, M., Sessa, B., McGonigle, J., Sereno, M. I., Nichols, D., Hellyer, P. J., Hobden, P., Evans, J., Singh, K. D., Wise, R. G., Curran, H. V., Feilding, A., & Nutt, D. J. (2016). Neural correlates of the LSD experience revealed by multimodal neuroimaging. PNAS, 113, 4853–4858. 

Carter, O. L., Burr, D. C., Pettigrew, J. D., Wallis, G. M., Hasler, F., & Vollenweider, F. X. (2005). Using psilocybin to investigate the relationship between attention, working memory, and the serotonin 1A and 2A receptors. Journal of Cognitive Neuroscience, 17, 1497–1508. 

Kometer, M., Schmidt, A., Jäncke, L., Vollenweider, F. X. (2013). Activation of serotonin 2A receptors underlies the psilocybin-induced effect on α oscillations, N170 visual-evoked potentials, and visual hallucinations. The Journal of Neuroscience, 33, 10544–10551. 

Krähenmann, R., Pokorny, D., Aicher, H., Preller, K. H., Pokorny, T., Bosch, O. G., Seifritz, E., & Vollenweider, F. X. (2017a). LSD increases primary process thinking via serotonin 2A receptor activation. Frontiers in Pharmacology, 8, e814. 

Krähenmann, R., Pokorny, D., Vollenweider, L., Preller, K. H., Pokorny, T., Seifritz, E., & Vollenweider, F. X. (2017b). Dreamlike effects of LSD on waking imagery in humans depend on serotonin 2A receptor activation. Psychopharmacology, 234, 2031–2046.  

Kuypers, K. P. C., Riba, J., de la Fuente Revenga, M., Barker, S., Theunissen, E. L., & Ramaekers, J. G. (2016). Ayahuasca enhances creative divergent thinking while decreasing conventional convergent thinking. Psychopharmacology, 233, 3395–3403. 

Metzner, R. (2013). The toad and the jaguar. A field report of underground research on a visionary medicine: Bufo alvarius and 5-methoxy-diethyltryptamine. Berkeley, CA: regent press. 

Quednow, B. B., Kometer, M., Geyer, M. A., & Vollenweider, F. X. (2012). Psilocybin-induced deficits in automatic and controlled inhibition are attenuated by ketanserin in healthy human volunteers. Neuropsychopharmacology, 37, 630–640. 

Samorini, G. (2001). Animals and Psychedelics. Rochester, Vermont: Park Street Press. 

Siegel, R. (1989). Intoxication: The Universal Drive for Mind-Altering Substances. Rochester, Vermont: Park Street Press. 

Valle, M., Maqueda, A. E., Rabella, M., Rodríguez-Pujadas, A., Antonijoan, R. M., Romero, S., Alonso, J. F., Mananas, M. A., Barker, S., Friedlander, P., Feilding, A., &   Riba, J. (2016). Inhibition of alpha oscillations through serotonin-2A receptor activation underlies the visual effects of ayahuasca in humans. European Neuropsychopharmacology, 26, 1161–1175.