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Mit ‘Muskel’ getaggte Beiträge

Muscle Dysmorphia

Wenn es keine realistische Selbstsicht mehr gibt

Muscle Dysmorphia ist eine Körperschemastörung, die häufig im Fitnesskontext auftritt und in den letzten Jahren besonders bei Männern vermehrt diagnostiziert wurde. Im Folgenden werden die Symptome, mögliche Ursachen und aufrechterhaltende Faktoren sowie verschiedene Behandlungsmöglichkeiten der Störung beschrieben. 

Von Madita Schindler
Lektoriert von Arne Hansen und Julia Küher
Illustriert von Shaumya Sankar

Der Wunsch nach dem idealen Körper

In einer Gesellschaft, die nach dem perfekten Erscheinungsbild strebt, sei es mit Hilfe von Make-up, Schönheitschirurgie oder exzessivem Sport, wird einem athletischen Körper viel Bedeutung beigemessen. Die Mitgliedschaften im Gym steigen jährlich (Wienke, 2014). Die sozialen Medien sind voll von fitspirational quotes wie «the pain you feel today will be the strength you feel tomorrow». Doch gibt es auch ein Zuviel an Sport? In vereinzelten Fällen kann der Fitnesswahn ein wahrhaftiger Wahn sein.

«I don´t stop when I´m tired. I stop when I´m done.»

David Goggins, 2018

Wie äussert sich Muscle Dysmorphia?  

Body Dysmorphic Disorder (BDD) beschreibt eine psychische Erkrankung, die durch ein verzerrtes Selbstbild in Bezug auf den eigenen Körper und die ständige Beschäftigung mit meist eingebildeten Makeln charakterisiert werden kann. Im DSM-V (Diagnostic and Statistical Manual for Mental Disorders) ist BDD in der Kategorie der «obsessive-compulsive disorders», also der Zwangsstörungen, klassifiziert. Zu den Symptomen gehören unter anderem die andauernde Beschäftigung mit eingebildeten oder in übertriebener Weise wahrgenommenen Makeln des eigenen Körpers und repetitive Verhaltensmuster wie ein zwanghafter Blick in den Spiegel oder eine exzessive Körperhygiene. Diese Gedanken und Verhaltensweisen müssen klinisch relevanten Stress auslösen, also das Leben der betroffenen Person erheblich beeinträchtigen, um als Störung diagnostiziert zu werden. BDD kann abgegrenzt werden von Essstörungen, bei denen allgemeine Sorgen um das Gewicht im Vordergrund stehen (American Psychiatric Association, 2013).

Bei BDD kann prinzipiell jedes Körperteil betroffen sein, die häufigsten «Problemzonen» sind jedoch Haut, Haar oder Nase (Bjornsson et al., 2022). Eine spezifische Form der BDD ist Muscle Dysmorphia (MD). Hier bezieht sich die Verzerrung des Selbstbildes auf den gesamten Körper und die Idee, nicht muskulös genug zu sein, obwohl die betroffene Person meist überdurchschnittlich viel Muskelmasse besitzt. Dabei kreisen die Gedanken stundenlang um dieses Thema, können nur schwer oder gar nicht kontrolliert werden und führen zu Stress und Angstzuständen (American Psychiatric Association, 2013).

«My only fixation was what I looked like. I would think about that numerous times throughout the day. I would panic if I couldn’t make a gym session.»

Micky David in Dawson, 2021

Als Folge des verzerrten Selbstbildes wird häufig versucht, den eigenen Körper mit weiter Kleidung zu verdecken oder Orte wie das Schwimmbad, in denen der Körper für andere besonders sichtbar ist, zu vermeiden (Phillips, 2005). Zudem wird exzessiv Sport betrieben, um endlich das gewünschte Erscheinungsbild zu erreichen. Dieses übertriebene Training hat nichts mehr mit Freude am Body Building zu tun. Personen mit MD fokussieren sich so stark auf einen konstanten, dauerhaft meist nicht gesundheitsförderlichen Trainingsplan und eine strikte Diät, dass andere wichtige Aspekte des Lebens hintenangestellt werden müssen. Oft gehen Beziehungen zu Bruch oder der Job wird vernachlässigt. Wenn an einem Tag kein Sport getrieben werden kann, führt das zu extremen Angstzuständen oder Wut. Es kommt zu ständigen Vergleichen mit anderen Personen und Blicken in den Spiegel. In vielen Fällen werden Anabolika eingenommen, in der Hoffnung, damit endlich den eigenen Ansprüchen zu genügen (Pope et al., 1997). Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass MD mit vermehrten Suizidgedanken, aggressivem Verhalten und Substanzmissbrauch einhergeht (Bjornsson et al., 2022).

«Exercise becomes dangerous when it takes away from other things that people might want to enjoy, like being with their friends or family. It becomes a disorder when this problematic behavior really reduces their quality of life.» 

Professor Jason Nagata in Dawson, 2021

Wer ist von der Störung betroffen?

MD tritt schätzungsweise bei 1,4-2,2 Prozent der Bevölkerung auf (Mitchison et al., 2021). Im Kontext von Body Building wird sie deutlich häufiger diagnostiziert (Guerra-Torres & Arango-Vélez, 2015). Während Frauen von der generellen BDD tendenziell häufiger betroffen sind als Männer (Bjornsson et al., 2022), scheint MD deutlich öfter bei Männern aufzutreten (Grieve, 2007). Eine plausible Erklärung hierfür ist, dass der gesellschaftliche Druck, gross und muskulös zu sein für Männer höher ist als für Frauen (Pope et al., 1997). Es ist schwierig zu sagen, ob die Störung heute häufiger auftritt als früher oder einfach öfter erkannt und diagnostiziert wird (Pope et al., 1997).

Mögliche Ursachen

In der Entwicklung einer MD können sowohl biologische als auch soziale und individuelle Faktoren eine Rolle spielen. Laut einigen Studien gibt es eine genetische Disposition, die Störung zu entwickeln (Olivardia, 2001).

Individuelle Risikofaktoren, die in Zusammenhang mit MD stehen, sind unter anderem ein geringes Selbstbewusstsein, ein hohes Level an Perfektionismus, die Internalisierung von muskulösen Idealen und das Betreiben von Kraftsport (Olivardia, 2001). In einer Studie von Olivardia und Kollegen (2004) war geringes Selbstbewusstsein assoziiert mit einer stärkeren Ausprägung von MD. Zudem wurde beobachtet, dass besonders die Abhängigkeit des Selbstbewusstseins von der körperlichen Erscheinung mit vermehrtem Kraftsporttraining einherging (Crocker, 2002). Der Risikofaktor Perfektionismus ist charakterisiert durch das Verfolgen von unrealistischen Zielen. In diesem Sinne ist es plausibel, dass Perfektionist*innen dazu prädestiniert sind, sich unrealistisch hohe Ziele bezüglich ihrer Muskelmasse zu setzen. Henson (2003) zeigte in einer Studie, dass die Ausprägung von Perfektionismus das Level an MD der Studienteilnehmer*innen vorhersagte. Des Weiteren wurde gefunden, dass die Internalisierung von traditionell maskulinen Normen bei Männern den wahrgenommenen sozialen Druck, muskulös zu sein, erhöhen kann (Bégin et al., 2019) und mit einer höheren Ausprägung von MD-Symptomen einhergeht (Blashill et al., 2020). Ein weiterer Faktor, der mit MD verbunden wird, ist das Betreiben von Kraftsport oder Sportarten, welche viel Kraft erfordern (Pope et al., 1993; Cerea et al., 2018). Es ist schwierig zu bestimmen, in welche Richtung der Effekt wirkt. Es ist plausibel, dass der Fitnesskontext selbst die Entwicklung von MD begünstigt, weil man dort regelmässig besonders sportlichen und muskulösen Körpern ausgesetzt ist. Alternativ kann es sein, dass Individuen, welche Symptome von MD zeigen, wahrscheinlicher extensiven Kraftsport betreiben. Eine dritte Erklärung ist, dass Personen im Kraftsport Charaktereigenschaften wie Perfektionismus teilen, welche die Entwicklung von MD wahrscheinlicher machen. Vermutlich spielen alle Erklärungsansätze eine Rolle. Generell kann man sagen, dass das Ausüben von Kraftsport allein nicht direkt zu der Entwicklung einer MD führt. Es kann aber aufgrund verschiedener Mechanismen und in Kombination mit anderen Faktoren die Entwicklung und Aufrechterhaltung der Störung begünstigen (Olivardia, 2001).

In Bezug auf soziale Faktoren gibt es Hinweise darauf, dass Familie und Gleichaltrige sowie die Medien relevant für die Vermittlung eines körperlichen Idealbildes sind (Grieve, 2007) und indirekt die Entwicklung einer MD beeinflussen können (Olivaria, 2001). Im Hinblick auf die zunehmende Verlagerung unserer Leben in die digitale Welt liegt es nahe, dass das Internet hier einen wachsenden Einfluss hat. Soziale Medien wie Facebook, Instagram und TikTok sind in der Hinsicht besonders relevant, weil sie mithilfe von Algorithmen die persönlichen Interessen der Nutzer*innen ermitteln und gezielt passende Inhalte vorschlagen (Pariser, 2011). Infolgedessen wird einer Person, die selbst Sport treibt, vermehrt Fitnesscontent angezeigt.

Während Fitnessinhalte prinzipiell motivierend sein können, gibt es Hinweise darauf, dass sie auch negative Auswirkungen haben (Easton et al., 2018). Beispielsweise gibt es Studien, die zeigen, dass häufig unrealistische Körperstandards vermittelt werden (Harrison & Cantor, 1997). Eine Theorie ist deshalb, dass die Darstellung von scheinbar perfekten und muskulösen Körpern in den Medien zu einem Vergleich des eigenen Körpers mit einem nicht zu erreichenden Ideal und demnach zu Unzufriedenheit führen kann (Pope et al., 1997). Gerade bei Männern ist dies aufgrund des gesellschaftlichen Ideals von Grösse und Stärke der Fall. In einer Studie von Leit und Kollegen aus dem Jahr 2002 wurde dies bestätigt: Einer Gruppe von männlichen Studenten wurde entweder Werbung mit muskulösen Männern oder mit neutralen Inhalten gezeigt. Anschliessend wurden die Teilnehmer zu ihrem Körperbild befragt. Das Ergebnis zeigte, dass die Studenten, welche vorher muskulöse Männer gesehen hatten, eine deutlich höhere Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung ihres Körpers und ihrem Wunschkörper aufwiesen. Das lässt darauf schliessen, dass das Betrachten muskulöser Ideale in den Sozialen Medien einen negativen Einfluss auf das eigene Körperbild hat und zur Aufrechterhaltung von MD-Symptomen beitragen kann (Schoenenberg, 2020).

Wie kann Personen mit MD geholfen werden?

Weil viele der oben genannten Faktoren dafür sorgen, dass die Symptome von MD aufrechterhalten werden oder sich verstärken, ist der Verlauf der Erkrankung typischerweise chronisch und verbessert sich nicht von allein. Obwohl die Störung seit vielen Jahren bekannt ist, wurde bislang nur wenig Forschung zu Behandlungsmöglichkeiten durchgeführt (Bjornsson et al., 2022) und die aktuellen Empfehlungen beruhen hauptsächlich auf Fallstudien (Olivardia, 2007). Higgins und Wysong (2018) merken an, dass vermeintlich schnelle Interventionen wie chirurgische Eingriffe keine dauerhafte Lösung darstellen, weil die Ursache des Problems dadurch nicht behoben wird. Zu den aktuell empfohlenen Optionen zählen unter anderem die pharmakologische Behandlung mit SSRI (Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; Phillipou & Castle, 2015) und kognitiv-behaviorale Psychotherapie. In der Therapie wird unter anderem versucht, perfektionistische Denkmuster oder Schwarz-Weiss-Denken („Wenn ich nicht perfekt aussehe, bin ich hässlich und ein*e Versager*in.“) zu ändern und die emotionale Selbstregulation zu verbessern (Cunningham et al., 2017).

Zwangsstörungen

Zwangsstörungen sind gekennzeichnet durch sogenannte Obsessionen und Kompulsionen. Obsession wird als Besessenheit definiert, die sich in zwanghaft wiederkehrenden, unerwünschten Gedanken oder Bedürfnissen äussert. Kompulsion beschreibt ein nach strengen Regeln ausgeführtes Verhalten oder auch eine geistige Handlung auf Basis dieser Besessenheit. Während der Inhalt der obsessiven Gedanken und Zwänge sehr unterschiedlich sein kann, gibt es einige häufig auftretende Motive wie Sauberkeit oder Symmetrie (American Psychiatric Association, 2013).

Fazit

Die oben erläuterte Unterform der BDD, Muscle Dysmorphia, ist eine psychologische Störung, die das Leben der Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Sie äussert sich in einer Abweichung der Körperwahrnehmung von der Realität und in rigiden Versuchen, muskulöser zu werden oder den eigenen Körper zu verstecken. Männer sind häufiger von MD betroffen als Frauen, da besonders das männliche Schönheitsideal Muskelmasse und Stärke einschliesst. In der Entwicklung einer MD wirken verschiedene biologische, individuelle und soziale Einflüsse zusammen, wobei Ursache und Effekt oft schwierig zu bestimmen sind und viele Faktoren in beide Richtungen wirken. Zur Behandlung der Störung werden pharmakologische Therapien sowie Psychotherapien empfohlen, wobei die Forschung in diesem Bereich nicht umfangreich ist.


Zum Weiterlesen

https://www.healthline.com/health/muscle-dysmorphia

Literatur

American Psychiatric Association. (2013). Obsessive-compulsive and related disorders. In Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5. Ausg.). https://doi.org/10.1176/appi.books.9780890425787

Bégin, C., Turcotte, O., & Rodrigue, C. (2019). Psychosocial factors underlying symptoms of muscle dysmorphia in a non-clinical sample of men. Psychiatry Research272, 319-325. https://doi.org/10.1016/j.psychres.2018.12.120

Bjornsson, A. S., Didie, E. R., & Phillips, K. A. (2022). Body dysmorphic disorder. Dialogues in clinical neuroscience. https://doi.org/10.31887/DCNS.2010.12.2/abjornsson

Blashill, A. J., Grunewald, W., Fang, A., Davidson, E., & Wilhelm, S. (2020). Conformity to masculine norms and symptom severity among men diagnosed with muscle dysmorphia vs. body dysmorphic disorder. PloS one15(8), e0237651. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0237651

Cerea, S., Bottesi, G., Pacelli, Q. F., Paoli, A., & Ghisi, M. (2018). Muscle dysmorphia and its associated psychological features in three groups of recreational athletes. Scientific reports8(1), 1-8. https://doi.org/10.1038/s41598-018-27176-9

Crocker, J. (2002). The costs of seeking self–esteem. Journal of social issues58(3), 597-615. https://doi.org/10.1111/1540-4560.00279

Cunningham, M. L., Griffiths, S., Mitchison, D., Mond, J. M., Castle, D., & Murray, S. B. (2017). Muscle dysmorphia: An overview of clinical features and treatment options. Journal of Cognitive Psychotherapy31(4), 255-271. https://doi.org/10.1891/0889-8391.31.4.255

Dawson, B. (2021, August 22). Eating disorders are stereotyped as only impacting women and girls. But young men are also obsessing about dieting and appearance leading to muscle dysmorphia. Insider. https://www.insider.com/muscle-dysmorphia-makes-me-feel-way-a-man-should-feel-2021-8

Easton, S., Morton, K., Tappy, Z., Francis, D., & Dennison, L. (2018). Young people’s experiences of viewing the fitspiration social media trend: Qualitative study. Journal of medical Internet research20(6), e9156. https://doi.org/10.2196/jmir.9156

Festinger, L. (1957). Social comparison theory. Selective Exposure Theory16. http://www.bahaistudies.net/asma/selective_exposure-wiki.pdf#page=18

Grieve, F. G. (2007). A conceptual model of factors contributing to the development of muscle dysmorphia. Eating disorders15(1), 63-80. https://doi.org/10.1080/10640260601044535

Guerra-Torres, J. H., & Arango-Vélez, E. F. (2015). Muscle dysmorphia among competitive bodybuilders. Revista Politécnica11(20), 39-48. https://revistas.elpoli.edu.co/index.php/pol/article/view/487

Harrison, K., & Cantor, J. (1997). The relationship between media consumption and eating disorders. Journal of communication47(1), 40-67.  

https://doi.org/10.1111/j.1460-2466.1997.tb02692.x

Henson, C. (2003). Potential antecedents of muscle dysmorphia. Masters Theses & Specialist Projects. Paper 598. https://digitalcommons.wku.edu/theses/598

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Leit, R. A., Gray, J. J., & Pope Jr, H. G. (2002). The media’s representation of the ideal male body: A cause for muscle dysmorphia?. International Journal of Eating Disorders31(3), 334-338. https://doi.org/10.1002/eat.10019

Mitchison, D., Mond, J., Griffiths, S., Hay, P., Nagata, J. M., Bussey, K., … & Murray, S. B. (2021). Prevalence of muscle dysmorphia in adolescents: findings from the EveryBODY study. Psychological Medicine, 1-8. https://doi.org/10.1017/S0033291720005206

Olivardia, R. (2001). Mirror, mirror on the wall, who’s the largest of them all? The features and phenomenology of muscle dysmorphia. Harvard review of psychiatry9(5), 254-259. https://doi.org/10.1080/hrp.9.5.254.25

Olivardia, R. (2007). Muscle Dysmorphia: Characteristics, Assessment, and Treatment. In J. K. Thompson & G. Cafri (Eds.), The muscular ideal: Psychological, social, and medical perspectives (pp. 123–139). https://doi.org/10.1037/11581-006

Olivardia, R., Pope Jr, H. G., Borowiecki III, J. J., & Cohane, G. H. (2004). Biceps and body image: the relationship between muscularity and self-esteem, depression, and eating disorder symptoms. Psychology of men & masculinity5(2), 112. https://doi.org/10.1037/1524-9220.5.2.112

Pariser, E. (2011). The filter bubble: What the Internet is hiding from you. Penguin UK.

Phillipou, A., & Castle, D. (2015). Body dysmorphic disorder in men. Australian Family Physician44(11), 798-801. https://search.informit.org/doi/10.3316/informit.585209858722018

Phillips, K. A. (2005). The broken mirror: Understanding and treating body dysmorphic disorder. Oxford University Press, USA.

Pope Jr, H. G., Gruber, A. J., Choi, P., Olivardia, R., & Phillips, K. A. (1997). Muscle dysmorphia: An underrecognized form of body dysmorphic disorder. Psychosomatics38(6), 548-557. https://doi.org/10.1016/S0033-3182(97)71400-2

Pope Jr, H. G., Katz, D. L., & Hudson, J. I. (1993). Anorexia nervosa and “reverse anorexia” among 108 male bodybuilders. Comprehensive psychiatry34(6), 406-409. https://doi.org/10.1016/0010-440X(93)90066-D

Schoenenberg, K., & Martin, A. (2020). Bedeutung von Instagram und Fitspiration-Bildern für die muskeldysmorphe Symptomatik. Psychotherapeut65(2), 93-100. https://doi.org/10.1007/s00278-020-00403-3

Wienke, K. (2014). Welchen Einfluss hat Social Media auf einen möglichen Erfolg von Fitnessstudios: eine Bestandskundenanalyse von Fitnessstudios (Doctoral dissertation, Hochschule Mittweida).

Der Blick im Spitzensport

Die Wichtigkeit eines Ziels für die sportliche Leistung  

Um ein*e Spitzensportler*in zu sein, genügt es nicht, eine hohe Muskelmasse oder perfekte Geschicklichkeit zu haben. Es braucht auch eine starke mentale Vorbereitung. Die Zielsetzung ist ein wesentlicher Teil einer guten sportlichen Leistung.

Von Arianna Pagani
Lektoriert von Anja Blaser und Marina Reist
Illustriert von Anja Blaser

Ein*e Spitzensportler*in hat den Blick oft nach oben gerichtet: Auf die zu überwindende Stange, den zu treffenden Korb oder einfach, um beim Tanzen elegant auszusehen. Auch seine*ihre Gedanken zielen «nach oben»: Immer schneller, höher, mehr! Diese mentale Vorstellung ist wichtig für die Verbesserung der sportlichen Leistung, denn im Spitzensport ist neben der körperlichen Vorbereitung auch mentales Training notwendig, um erfolgreich zu sein (Ziemainz et al., 2003). Der Körper braucht den Kopf beim Sport (Teques et al., 2017).

Psychologie des Sports

Es gibt einen ganzen Bereich der Psychologie, der sich mit psychologischen Einflüssen auf den Sport beschäftigt (Nitsch, Gabler, & Singer, 2000). Die Sportpsychologie befasst sich mit dem Erleben – den inneren Prozessen – und dem Verhalten von Menschen mit spezifischem Bezug zu Sport und Bewegung (Brand, 2010). Die Erkenntnisse werden durch Empirie und wissenschaftliche Forschung gewonnen, die wiederum im Bereich des Sports praktisch angewendet werden.

Wie können Stress und Ängste im Wettbewerb überwunden werden? Wie kann der Trainer die Mannschaft nach einer ungünstigen ersten Halbzeit zum Sieg motivieren? Und wie kann das eigene Leistungsniveau gesteigert werden? In Bezug auf den letzteren Punkt vertiefen Weinberg und Gould (2019) verschiedene Faktoren wie Selbstvertrauen, Konzentration, Erwartung und Vorstellungskraft die auf die Verbesserung der Leistung im Sport auswirken können. 

Ziel: Wieso ist es so wichtig?

Das Ziel spielt auch eine wichtige Rolle bei der sportlichen Leistung (Weinberg & Gould, 2019). Es handelt sich um eine Absicht oder ein Ergebnis, das jemand erreichen will (Cashmore, 2008); es orientiert den*die Athlet*in sowohl im Training als auch im Wettkampf (Bull et al., 1996). Das Ziel hilft dabei, das eigene Verhalten zu fokussieren und ermöglicht den Vergleich mit der idealen Leistung, was zu einer Bewertung des aktuellen Zustands führt (Goisauf, 2020). Dieses Wissen wirkt sich wiederum positiv auf die intrinsische Motivation und die Leistung aus (Kleinbeck & Kleinbeck, 2009), erhöht das Selbstvertrauen und klärt die Erwartungen (Martens, 1987). Kyllo und Landers (1995) verglichen die Ergebnisse mehrerer Experimente und stellten fest, dass die Zielsetzung die sportliche Leistung um ein Drittel (0,34 SD) erhöhte. Im Allgemeinen hat die Zielsetzung also einen positiven Effekt, aber in einem Experiment (Weinberg et al., 1987) führte sie nicht zu einer höheren Leistung als bei der Gruppe ohne spezifisches Ziel. Die letztgenannte Gruppe von Athlet*innen wurde einfach aufgefordert, «ihr Bestes zu leisten», aber bei der nachfolgenden Befragung gab die überwiegende Mehrheit von ihnen an, dass sie sich trotzdem ein persönliches Ziel gesetzt hätten. Das bedeutet, dass die Zielsetzungen im Leistungssport sehr verbreitet und nützlich sind.

«The purpose of goals is to focus the attention. Vision expands the horizons; the greater the vision, the greater the goal that will be achieved.»

Will Carling, der erfolgreichste Kapitän in der Geschichte des englischen Rugbys (in Bull et al., 1996)

Das richtige Ziel

Das Ziel entspricht den eigenen aktuellen Bedürfnissen, die ständig verändert und aktualisiert werden sollen (Bull et al., 1996). Wie findet sich das für sich selbst am besten geeignete Ziel? Es gibt zwei Techniken, die bei der Suche nach dem Ziel helfen: Performance Profiling und Mental Skills Questionnaire.

Das erste (Butler & Sellars, 1996) ist ein Instrument, um die eigenen Stärken und Schwächen – sowohl physisch als auch psychisch – zu ermitteln und dann Ziele zu überlegen. Das Verfahren ist einfach: Zunächst werden die für die spezifische Sportart erforderlichen Kompetenzen aufgelistet, dann wird ihnen ein Idealwert zugewiesen, der ihrer Bedeutung für eine erfolgreiche Leistung entspricht, danach wird der eigene Leistungsstand für jede Kompetenz bewertet und die Diskrepanz zum Wünschenswerten berechnet. Zuletzt werden drei Prioritäten festgelegt – Kompetenzen, auf die man sich im Training konzentrieren sollte – je nach Schwächen oder Diskrepanzen.

Das Mental Skills Questionnaire (Bull et al., 1996) zielt zur Überwachung der mentalen Stärke und Schwächen des*der Athlet*in. Diese Technik besteht aus einer Vielzahl von Fragen über Erlebnisse bei der sportlichen Aktivität, wie etwa «Sind meine Gedanken während der Wettkämpfe oft woanders?». Sie beschreiben die mentalen Fähigkeiten des*der Sportler*in in verschiedene Aspekte, wie z. B. Entspannungsfähigkeit, Motivation und Umgang mit Ängsten. Wie beim Performance Profiling ergibt sich ein Wert für jede Kompetenz und daraus erschliesst sich, auf welche Fähigkeit ein besonderer Fokus gelegt werden sollte.

«Sei SMART bei der Zielsetzung» (Bull et al., 1996, S. 32)

Wie in anderen Bereichen, z. B. in der Schule oder am Arbeitsplatz, ist ein effizientes Ziel:

  1. Specific: Zielgebiet klären. Ein spezifisches Ziel ist effizienter als ein «Leiste dein Bestes»-Ziel;
  2. Measurable: Um Fortschritte zu bewerten;
  3. Adjustable: Je nach Situation, weil Zielsetzung ein dynamischer Prozess ist;
  4. Realistic: Es sollte herausfordernd, aber nicht unerreichbar sein, um die Motivation hochzuhalten;
  5. Time-based: Eine Frist festlegen, da sonst keine Priorität gesetzt werden kann.

Ziel setzen

Und wenn der Schwerpunkt des Trainings festgelegt ist, dann wird das Ziel gesetzt, das dem Anspruchsniveau entspricht (Gabler, 2002). Im Sport sollte das Ziel den SMART-Regeln folgen (siehe Kasten), um motivieren zu können, Ängste abzubauen und nicht zu überfordern (Jarvis, 1999). Um dies zu erreichen, brauchen die Sportler*innen sowohl kurz- (für die nächste Woche) als auch langfristige (für die gesamte Saison) Ziele, die in Kombination noch effektiver sind (Kyllo & Landers, 1995).

Jetzt sind Sie in der Lage, sich wirksame Ziele zu setzen: Der Weg zum Spitzensport rückt einen Schritt näher!


Zum Weiterlesen

Bull, S. J., Albinson, J. G., & Shambrook, C. J. (1996). The mental game plan: Getting psyched for sport. Sports Dynamics.

Healy, L., Tincknell-Smith, A., & Ntoumanis, N. (2018). Goal setting in sport and performance. In Oxford Research Encyclopedia of Psychology.

Literatur

Brand, R. (2010). Sportpsychologie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Bull, S. J., Albinson, J. G., & Shambrook, C. J. (1996). The mental game plan: Getting psyched for sport. Sports Dynamics.

Butler, R., & Sellars, C. (1996). Performance profiling. Coachwise 1st4sport.

Cashmore, E. (2008). Sport and exercise psychology: The key concepts. Routledge.

Gabler, H. (2002). Motive im Sport: Motivationspsychologische Analysen und empirische Studien. Hofmann.

Goisauf, R. (2020). Ziele und Motivation. In Die Kilimanjaro-Strategie (pp. 77-87). Springer, Berlin, Heidelberg.

Jarvis, M. (1999). Sport psychology: A student hand book. Routledge.

Kleinbeck, U., & Kleinbeck, T. (2009). Arbeitsmotivation: Konzepte und Fördermaßnahmen. Pabst Science Publishers.

Kyllo, L. B., & Landers, D. M. (1995). Goal setting in sport and exercise: A research synthesis to resolve the controversy. Journal of Sport and Exercise Psychology17(2), 117-137. https://doi.org/10.1123/jsep.17.2.117

Martens, R. (1987). Coaches guide to sport psychology: A publication for the American Coaching Effectiveness Program: Level 2 sport science curriculum. Human Kinetics Books.

Nitsch, J. R., Gabler, H., & Singer, R. (2000). Sportpsychologie: Ein Überblick. Einführung in die Sportpsychologie. Teil1, 11-42.

Teques, P., Araújo, D., Seifert, L., Del Campo, V. L., & Davids, K. (2017). The resonant system: Linking brain–body–environment in sport performance. Progress in Brain Research234, 33-52. https://doi.org/10.1016/bs.pbr.2017.06.001

Weinberg, R., Bruya, L., Jackson, A., & Garland, H. (1987). Goal difficulty and endurance performance: A challenge to the goal attainability assumption. Journal of Sport Behavior10(2), 82.

Weinberg, R. S., & Gould, D. (2019). Foundations of sport and exercise psychology, 7E. Human Kinetics.

Ziemainz, H., Stoll, O., Küster, C., & Adler, K. (2003). Evaluation Mentalen Trainings im triathlonspezifischen Disziplinwechsel im Jugend-und Juniorenbereich. Leistungssport, 2, 20-22.