Zum Inhalt springen

Mit ‘körper’ getaggte Beiträge

Wacher Geist, schlafender Körper

Was wissen wir über die Schlafparalyse und deren Ursachen?

Schlafparalysen zeichnen sich durch das Zusammentreffen klaren Denkens und dem Gefühl eines gelähmten Körpers aus. Diese ungewohnte Erfahrung bereitet dabei vielen Leuten Gefühle von Panik und Grusel – obwohl Schlafparalysen eigentlich gar nicht gefährlich sind.

Von Lena Kohler
Lektoriert von Arne Hansen und Alissa Lusti
Illustriert von Andrea Bruggmann

Der Geist wacht auf, der Körper schläft weiter: Ungefähr vierzig Prozent der Bevölkerung befinden sich mindestens einmal im Leben in diesem ungewöhnlichen Zustand (Schütze, 2022). Bei diesem Zustand handelt es sich um die Schlafparalyse; einer Schlafstörung, bei welcher kurzzeitig die willentliche Kontrolle über die Skelettmuskulatur inhibiert wird, ein Prozess, welcher auch Schlafatonie genannt wird (Denis et al., 2018).

«Ich war orientiert, konnte Stimmen hören. Geistig war ich wach, ich wusste genau, wo ich bin. Aber ich konnte mich halt nicht bewegen.»

Viktoria Schütze, 2022

Dieser Prozess geschieht im Übergang zwischen Rapid Eye Movement (REM)-Phasen zu anderen Schlafphasen aufgrund verlangsamter Umschaltung von Prozessen und findet am Anfang des Schlafes hypnagogisch oder hypnopompisch kurz vor dem Aufwachen statt (Sharpless & Barber, 2011; Schütze, 2022).

Obwohl das Gefühl plötzlich gelähmt zu sein bei den Betroffenen bereits unbehagliche Gedanken auslöst, sind es meist die lebhaften Halluzinationen von Menschen oder supernatürlichen Gestalten, welche den beängstigenden Charakter der Schlafparalyse kennzeichnen und für die hohe Intensität der erlebten Furcht in Relation zu Furcht bei normalem Träumen ursächlich sind (Denis et al., 2018). Die Lebhaftigkeit der Halluzinationen wird dabei oft durch die intakte okulare Muskulatur sowie das Liegen in Rückenlage begünstigt. Dies, da die Betroffenen die unheimlichen Gestalten, welche  Produkt des generell unheimlichen Gefühls während des Schein-gelähmt-seins und des Mitnehmens von Gestalten aus Träumen während des REM-Schlafs sind, so tatsächlich sehen können (Sharpless & Barber, 2011; Schütze, 2022). Für Betroffene fühlt sich das Erleben von Atonie und Halluzinationen quälend lange an – laut Forschung halten Schlafparalysen jedoch nur wenige Sekunden bis einige Minuten an (Schütze, 2022).

Was löst diesen Zustand aus?

Wie bereits erwähnt, gehen Wissenschaftler davon aus, dass sich Schlafparalysen aus dem Übergang von REM-Phasen in andere Schlafphasen entwickeln; genaue Ursachen des Phänomens sind jedoch unbekannt (Denis et al., 2018). Einzig Faktoren, welche mit Schlafparalysen assoziiert sind, konnten bisher identifiziert werden. Als Schlafstörung werden Schlafparalysen oft mit Narkolepsie eine Störung, welche sich durch Schlaf-Wach-Dysregulation auszeichnet  in Verbindung gebracht und gelten als Symptom dieser Erkrankung (Denis et al., 2018; Pramsohler, 2020). Tritt Schlafparalyse ohne die Diagnose der Narkolepsie auf, spricht man von isolierter Schlafparalyse. Wiederholtes Auftreten solcher Episoden bezeichnet man als wiederkehrende isolierte Schlafparalyse (Denis et al., 2018). Auch andere Variablen bezüglich des Schlafes werden mit Schlafparalysen assoziiert: Eine tiefe subjektive Schlafqualität, Insomnie-Symptome, sowie das Erleben von Alpträumen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, an Schlafparalysen zu leiden (Denis, 2018).

Verbindung zu anderen REM-Schlaf-Phänomenen

Neben Schlafparalysen werden auch andere Phänomene wie luzide Träume, ausserkörperliche Erfahrungen und False Awakening mit REM-Schlaf assoziiert (Raduga et al., 2020). Daher ist es nicht überraschend, dass Betroffene eines dieser Phänomene oft auch mit einem anderen dieser Phänomene Erfahrungen machen (Raduga et al., 2020). Bekannt ist, dass die meisten mindestens ein REM-Schlaf-Phänomen über die Lebensspanne erleben (Raduga et al., 2020).

Des Weiteren konnte eine Beziehung zwischen psychischen Störungsbildern und Schlafparalysen hergestellt werden, wobei vor allem deren Koexistenz mit unspezifischen Angststörungen, Panikstörungen und Posttraumatischen Belastungsstörungen untersucht wurde (Sharpless & Barber, 2011; Wróbel-Knybel et al., 2022). Dabei zeigt die Frequenz von Schlafparalyse-Episoden eine signifikante Verbindung mit sexuellem Missbrauch während des Kindesalters – unabhängig davon, ob sich die Betroffenen an dieses traumatische Ereignis erinnern können (Denis et al., 2018). Neben pathologischer Angst und Traumata treten Schlafparalysen generell häufiger bei hohem selbstberichtetem Stress, einer hohen Anzahl erlebter traumatischer Ereignisse und Professionen mit hohem Stressniveau auf (Denis et al., 2018; Wróbel-Knybel et al., 2022).

Wie Kultur dazu beiträgt

In vielen Fällen stehen die halluzinierten Gestalten in direkter Verbindung mit der Folklore der Kultur der Betroffenen (Denis et al., 2018). Aus diesem Grund ergaben sich über die Zeit eine Vielzahl von alternativen Erklärungen für die Schlafparalyse: von Hexerei in europäischen Gesellschaften über Angriffe von Schamanen oder bösartigen Geistern bei den Inuit bis zu Gedanken an die Entführung durch Ausserirdische (Davies, 2003; Law & Kirmayer, 2005; Denis et al., 2018).

Während die Schlafparalyse laut heutigem Forschungsstand auf kein spezifisches Gen zurückgeführt werden kann, wird ihr eine moderate Vererbbarkeit zugeschrieben (Denis et al., 2018). Demografische Variablen wie Geschlecht und Alter weisen in den meisten Studien keine signifikante Beziehung zur Schlafparalyse auf, was die Ethnizität angeht, sind die Befunde gemischt. Interessant ist, dass nicht-kaukasische Individuen in mehreren Studien höhere Inzidenzraten aufweisen, wobei diese höhere Ausprägungen von Furcht beinhalten (Denis et al., 2018; Sharpless & Barber, 2011).

Potentielle Behandlungsmöglichkeiten

Wie im letzten Abschnitt erläutert, handelt es sich bei Schlafparalysen um ein komplexes Phänomen, welches multifaktoriell beeinflusst wird und nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen ist. Dies und die Tatsache, dass die Schlafparalyse in Kliniken nicht routinemässig diagnostiziert und behandelt wird, trägt dazu bei, dass sich bisher wenige Behandlungsmöglichkeiten finden liessen (Sharpless, 2016).

Eine dieser Möglichkeiten nennt sich Meditation-Relaxation-Therapie (MR-Therapie). Die MR-Therapie unterteilt sich in vier Phasen, welche während der Schlafparalyse durchgeführt werden: Als Erstes wird die Schlafparalysen-Episode neu bewertet, anschliessend distanziert sich der*die Betroffene emotional und psychisch davon. Als dritter Schritt folgt eine Meditation mit Fokus nach innen, und schlussendlich werden Muskelrelaxations-Techniken durchgeführt (Jalal et al., 2020). Um das Anwenden dieser Methode bei tatsächlichem Eintreten einer Schlafparalyse zu vereinfachen, wird empfohlen, sie regelmässig in Absenz einer Schlafparalyse in Rückenlage zu üben (Jalal, 2016). Meditation wird Betroffenen auch isoliert empfohlen, da dies die Dauer des Deltaschlafes, und somit die Schlafqualität, erhöht und die Wahrscheinlichkeit einer Schlafparalyse verringert, wodurch die Therapie gesamthaft effektiver wird (Jalal, 2016). Eine Pilotstudie der MR-Therapie konnte was die Anzahl von Episoden und Tagen betrifft, an denen die Schlafparalyse auftrat, im Vergleich zur Kontrollgruppe eine Abnahme von 50 Prozent verzeichnen (Jalal et al., 2020). Des Weiteren berichteten Patient*innen in der Testgruppe von einer Verminderung der Unruhe während Halluzinationen (Jalal et al., 2020). Die Resultate dieser Studie suggerieren, dass MR-Therapie eine geeignete Behandlungsoption für Schlafparalysen darstellt. Um deren klinischen Nutzen vollständig zu erheben, ist es jedoch nötig, mehrere randomisierte Experimente diesbezüglich durchzuführen (Jalal et al., 2020).

Eine andere Behandlungsmöglichkeit bietet die Neuropharmakologie, wobei der Serotonin-5-HT2A-Rezeptor im Fokus liegt (Jalal, 2018). Dieser Serotoninrezeptor spielt eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von visuellen Halluzinationen und der Verarbeitung von visuellen Reizen allgemein, und ist in grosser Anzahl im visuellen Kortex vorhanden (Jalal, 2018). Auch in Gebieten, welche mit dem Erleben von Furcht im Zusammenhang mit mystischen Erfahrungen und der Tendenz, bedeutungslose Reize als persönlich wichtig zu interpretieren, assoziiert sind, finden sich viele 5-HT2A-Rezeptoren (Jalal, 2018). Dadurch ergibt sich die Hypothese, dass die Aktivierung von 5-HT2A-Rezeptoren die Halluzinationen bei Schlafparalysen verursachen (Jalal, 2018). Laut dieser Hypothese kommt als Behandlungsmöglichkeit von Schlafparalyse-induzierten Halluzinationen der inverse 5-HA2A Agonist «Primavanserin» (auch als Nuplazid bekannt) in Frage, welcher bisher vor allem zur Behandlung von Halluzinationen bei Parkinson-Patient*innen zum Einsatz kam (Jalal, 2018). Jedoch ist es auch hier nötig, das Medikament zuerst in sicheren Konditionen mehrmals zu testen, bevor dessen Effektivität zur Behandlung von Schlafparalysen abschliessend geklärt werden kann.


Zum Weiterlesen

Schütze, Viktoria. (2022). Schlafparalyse: Wenn der Geist aufwacht, aber der Körper nicht. National Geographic. https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2021/12/schlafparalyse-wenn-der-geist-aufwacht-aber-der-koerper-nicht

Literatur

Davies, O. (2003). The nightmare experience, sleep paralysis, and witchcraft accusations. Folklore, 114(2), 181–203. https://doi.org/10.1080/0015587032000104211

Denis, D. (2018). Relationships between sleep paralysis and sleep quality: Current insights. Nature and Science of Sleep, 10, 355–367. https://doi.org/10.2147/NSS.S158600

Denis, D., French, C. C., & Gregory, A. M. (2018). A systematic review of variables associated with sleep paralysis. Sleep Medicine Reviews, 38, 141–157. https://doi.org/10.1016/j.smrv.2017.05.005

Jalal, B. (2016). How to make the ghosts in my bedroom disappear? Focused-attention meditation combined with muscle relaxation (MR Therapy) – A direct treatment intervention for sleep paralysis. Frontiers in Psychology, 7. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2016.00028

Jalal, B. (2018). The neuropharmacology of sleep paralysis hallucinations: Serotonin 2A activation and a novel therapeutic drug. Psychopharmacology, 235(11), 3083–3091. https://doi.org/10.1007/s00213-018-5042-1

Jalal, B., Moruzzi, L., Zangrandi, A., Filardi, M., Franceschini, C., Pizza, F., & Plazzi, G. (2020). Meditation-Relaxation (MR Therapy) for sleep paralysis: A pilot study in patients with narcolepsy. Frontiers in Neurology, 11, 922. https://doi.org/10.3389/fneur.2020.00922

Law, S., & Kirmayer, L. J. (2005). Inuit interpretations of sleep paralysis. Transcultural Psychiatry, 42(1), 93–112. https://doi.org/10.1177/1363461505050712

Pramsohler, B. (2020). Narkolepsie: Häufig verzögerte Diagnosestellung. psychopraxis. neuropraxis, 23(2), 65–69. https://doi.org/10.1007/s00739-020-00625-9

Raduga, M., Kuyava, O., & Sevcenko, N. (2020). Is there a relation among REM sleep dissociated phenomena, like lucid dreaming, sleep paralysis, out-of-body experiences, and false awakening? Medical Hypotheses, 144, 110169. https://doi.org/10.1016/j.mehy.2020.110169

Schütze, Viktoria. (2022). Schlafparalyse: Wenn der Geist aufwacht, aber der Körper nicht. National Geographic. https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2021/12/schlafparalyse-wenn-der-geist-aufwacht-aber-der-koerper-nicht

Sharpless, B. A., & Barber, J. P. (2011). Lifetime prevalence rates of sleep paralysis: A systematic review. Sleep Medicine Reviews, 15(5), 311–315. https://doi.org/10.1016/j.smrv.2011.01.007

Sharpless, B. (2016). A clinician’s guide to recurrent isolated sleep paralysis. Neuropsychiatric Disease and Treatment, 12, 1761–1767. https://doi.org/10.2147/NDT.S100307

Wróbel-Knybel, P., Flis, M., Rog, J., Jalal, B., Wołkowski, L., & Karakuła-Juchnowicz, H. (2022). Characteristics of sleep paralysis and its association with anxiety symptoms, perceived stress, PTSD, and other variables related to lifestyle in selected high stress exposed professions. International Journal of Environmental research and Public Health, 19(13), 7821. https://doi.org/10.3390/ijerph19137821

Muscle Dysmorphia

Wenn es keine realistische Selbstsicht mehr gibt

Muscle Dysmorphia ist eine Körperschemastörung, die häufig im Fitnesskontext auftritt und in den letzten Jahren besonders bei Männern vermehrt diagnostiziert wurde. Im Folgenden werden die Symptome, mögliche Ursachen und aufrechterhaltende Faktoren sowie verschiedene Behandlungsmöglichkeiten der Störung beschrieben. 

Von Madita Schindler
Lektoriert von Arne Hansen und Julia Küher
Illustriert von Shaumya Sankar

Der Wunsch nach dem idealen Körper

In einer Gesellschaft, die nach dem perfekten Erscheinungsbild strebt, sei es mit Hilfe von Make-up, Schönheitschirurgie oder exzessivem Sport, wird einem athletischen Körper viel Bedeutung beigemessen. Die Mitgliedschaften im Gym steigen jährlich (Wienke, 2014). Die sozialen Medien sind voll von fitspirational quotes wie «the pain you feel today will be the strength you feel tomorrow». Doch gibt es auch ein Zuviel an Sport? In vereinzelten Fällen kann der Fitnesswahn ein wahrhaftiger Wahn sein.

«I don´t stop when I´m tired. I stop when I´m done.»

David Goggins, 2018

Wie äussert sich Muscle Dysmorphia?  

Body Dysmorphic Disorder (BDD) beschreibt eine psychische Erkrankung, die durch ein verzerrtes Selbstbild in Bezug auf den eigenen Körper und die ständige Beschäftigung mit meist eingebildeten Makeln charakterisiert werden kann. Im DSM-V (Diagnostic and Statistical Manual for Mental Disorders) ist BDD in der Kategorie der «obsessive-compulsive disorders», also der Zwangsstörungen, klassifiziert. Zu den Symptomen gehören unter anderem die andauernde Beschäftigung mit eingebildeten oder in übertriebener Weise wahrgenommenen Makeln des eigenen Körpers und repetitive Verhaltensmuster wie ein zwanghafter Blick in den Spiegel oder eine exzessive Körperhygiene. Diese Gedanken und Verhaltensweisen müssen klinisch relevanten Stress auslösen, also das Leben der betroffenen Person erheblich beeinträchtigen, um als Störung diagnostiziert zu werden. BDD kann abgegrenzt werden von Essstörungen, bei denen allgemeine Sorgen um das Gewicht im Vordergrund stehen (American Psychiatric Association, 2013).

Bei BDD kann prinzipiell jedes Körperteil betroffen sein, die häufigsten «Problemzonen» sind jedoch Haut, Haar oder Nase (Bjornsson et al., 2022). Eine spezifische Form der BDD ist Muscle Dysmorphia (MD). Hier bezieht sich die Verzerrung des Selbstbildes auf den gesamten Körper und die Idee, nicht muskulös genug zu sein, obwohl die betroffene Person meist überdurchschnittlich viel Muskelmasse besitzt. Dabei kreisen die Gedanken stundenlang um dieses Thema, können nur schwer oder gar nicht kontrolliert werden und führen zu Stress und Angstzuständen (American Psychiatric Association, 2013).

«My only fixation was what I looked like. I would think about that numerous times throughout the day. I would panic if I couldn’t make a gym session.»

Micky David in Dawson, 2021

Als Folge des verzerrten Selbstbildes wird häufig versucht, den eigenen Körper mit weiter Kleidung zu verdecken oder Orte wie das Schwimmbad, in denen der Körper für andere besonders sichtbar ist, zu vermeiden (Phillips, 2005). Zudem wird exzessiv Sport betrieben, um endlich das gewünschte Erscheinungsbild zu erreichen. Dieses übertriebene Training hat nichts mehr mit Freude am Body Building zu tun. Personen mit MD fokussieren sich so stark auf einen konstanten, dauerhaft meist nicht gesundheitsförderlichen Trainingsplan und eine strikte Diät, dass andere wichtige Aspekte des Lebens hintenangestellt werden müssen. Oft gehen Beziehungen zu Bruch oder der Job wird vernachlässigt. Wenn an einem Tag kein Sport getrieben werden kann, führt das zu extremen Angstzuständen oder Wut. Es kommt zu ständigen Vergleichen mit anderen Personen und Blicken in den Spiegel. In vielen Fällen werden Anabolika eingenommen, in der Hoffnung, damit endlich den eigenen Ansprüchen zu genügen (Pope et al., 1997). Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass MD mit vermehrten Suizidgedanken, aggressivem Verhalten und Substanzmissbrauch einhergeht (Bjornsson et al., 2022).

«Exercise becomes dangerous when it takes away from other things that people might want to enjoy, like being with their friends or family. It becomes a disorder when this problematic behavior really reduces their quality of life.» 

Professor Jason Nagata in Dawson, 2021

Wer ist von der Störung betroffen?

MD tritt schätzungsweise bei 1,4-2,2 Prozent der Bevölkerung auf (Mitchison et al., 2021). Im Kontext von Body Building wird sie deutlich häufiger diagnostiziert (Guerra-Torres & Arango-Vélez, 2015). Während Frauen von der generellen BDD tendenziell häufiger betroffen sind als Männer (Bjornsson et al., 2022), scheint MD deutlich öfter bei Männern aufzutreten (Grieve, 2007). Eine plausible Erklärung hierfür ist, dass der gesellschaftliche Druck, gross und muskulös zu sein für Männer höher ist als für Frauen (Pope et al., 1997). Es ist schwierig zu sagen, ob die Störung heute häufiger auftritt als früher oder einfach öfter erkannt und diagnostiziert wird (Pope et al., 1997).

Mögliche Ursachen

In der Entwicklung einer MD können sowohl biologische als auch soziale und individuelle Faktoren eine Rolle spielen. Laut einigen Studien gibt es eine genetische Disposition, die Störung zu entwickeln (Olivardia, 2001).

Individuelle Risikofaktoren, die in Zusammenhang mit MD stehen, sind unter anderem ein geringes Selbstbewusstsein, ein hohes Level an Perfektionismus, die Internalisierung von muskulösen Idealen und das Betreiben von Kraftsport (Olivardia, 2001). In einer Studie von Olivardia und Kollegen (2004) war geringes Selbstbewusstsein assoziiert mit einer stärkeren Ausprägung von MD. Zudem wurde beobachtet, dass besonders die Abhängigkeit des Selbstbewusstseins von der körperlichen Erscheinung mit vermehrtem Kraftsporttraining einherging (Crocker, 2002). Der Risikofaktor Perfektionismus ist charakterisiert durch das Verfolgen von unrealistischen Zielen. In diesem Sinne ist es plausibel, dass Perfektionist*innen dazu prädestiniert sind, sich unrealistisch hohe Ziele bezüglich ihrer Muskelmasse zu setzen. Henson (2003) zeigte in einer Studie, dass die Ausprägung von Perfektionismus das Level an MD der Studienteilnehmer*innen vorhersagte. Des Weiteren wurde gefunden, dass die Internalisierung von traditionell maskulinen Normen bei Männern den wahrgenommenen sozialen Druck, muskulös zu sein, erhöhen kann (Bégin et al., 2019) und mit einer höheren Ausprägung von MD-Symptomen einhergeht (Blashill et al., 2020). Ein weiterer Faktor, der mit MD verbunden wird, ist das Betreiben von Kraftsport oder Sportarten, welche viel Kraft erfordern (Pope et al., 1993; Cerea et al., 2018). Es ist schwierig zu bestimmen, in welche Richtung der Effekt wirkt. Es ist plausibel, dass der Fitnesskontext selbst die Entwicklung von MD begünstigt, weil man dort regelmässig besonders sportlichen und muskulösen Körpern ausgesetzt ist. Alternativ kann es sein, dass Individuen, welche Symptome von MD zeigen, wahrscheinlicher extensiven Kraftsport betreiben. Eine dritte Erklärung ist, dass Personen im Kraftsport Charaktereigenschaften wie Perfektionismus teilen, welche die Entwicklung von MD wahrscheinlicher machen. Vermutlich spielen alle Erklärungsansätze eine Rolle. Generell kann man sagen, dass das Ausüben von Kraftsport allein nicht direkt zu der Entwicklung einer MD führt. Es kann aber aufgrund verschiedener Mechanismen und in Kombination mit anderen Faktoren die Entwicklung und Aufrechterhaltung der Störung begünstigen (Olivardia, 2001).

In Bezug auf soziale Faktoren gibt es Hinweise darauf, dass Familie und Gleichaltrige sowie die Medien relevant für die Vermittlung eines körperlichen Idealbildes sind (Grieve, 2007) und indirekt die Entwicklung einer MD beeinflussen können (Olivaria, 2001). Im Hinblick auf die zunehmende Verlagerung unserer Leben in die digitale Welt liegt es nahe, dass das Internet hier einen wachsenden Einfluss hat. Soziale Medien wie Facebook, Instagram und TikTok sind in der Hinsicht besonders relevant, weil sie mithilfe von Algorithmen die persönlichen Interessen der Nutzer*innen ermitteln und gezielt passende Inhalte vorschlagen (Pariser, 2011). Infolgedessen wird einer Person, die selbst Sport treibt, vermehrt Fitnesscontent angezeigt.

Während Fitnessinhalte prinzipiell motivierend sein können, gibt es Hinweise darauf, dass sie auch negative Auswirkungen haben (Easton et al., 2018). Beispielsweise gibt es Studien, die zeigen, dass häufig unrealistische Körperstandards vermittelt werden (Harrison & Cantor, 1997). Eine Theorie ist deshalb, dass die Darstellung von scheinbar perfekten und muskulösen Körpern in den Medien zu einem Vergleich des eigenen Körpers mit einem nicht zu erreichenden Ideal und demnach zu Unzufriedenheit führen kann (Pope et al., 1997). Gerade bei Männern ist dies aufgrund des gesellschaftlichen Ideals von Grösse und Stärke der Fall. In einer Studie von Leit und Kollegen aus dem Jahr 2002 wurde dies bestätigt: Einer Gruppe von männlichen Studenten wurde entweder Werbung mit muskulösen Männern oder mit neutralen Inhalten gezeigt. Anschliessend wurden die Teilnehmer zu ihrem Körperbild befragt. Das Ergebnis zeigte, dass die Studenten, welche vorher muskulöse Männer gesehen hatten, eine deutlich höhere Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung ihres Körpers und ihrem Wunschkörper aufwiesen. Das lässt darauf schliessen, dass das Betrachten muskulöser Ideale in den Sozialen Medien einen negativen Einfluss auf das eigene Körperbild hat und zur Aufrechterhaltung von MD-Symptomen beitragen kann (Schoenenberg, 2020).

Wie kann Personen mit MD geholfen werden?

Weil viele der oben genannten Faktoren dafür sorgen, dass die Symptome von MD aufrechterhalten werden oder sich verstärken, ist der Verlauf der Erkrankung typischerweise chronisch und verbessert sich nicht von allein. Obwohl die Störung seit vielen Jahren bekannt ist, wurde bislang nur wenig Forschung zu Behandlungsmöglichkeiten durchgeführt (Bjornsson et al., 2022) und die aktuellen Empfehlungen beruhen hauptsächlich auf Fallstudien (Olivardia, 2007). Higgins und Wysong (2018) merken an, dass vermeintlich schnelle Interventionen wie chirurgische Eingriffe keine dauerhafte Lösung darstellen, weil die Ursache des Problems dadurch nicht behoben wird. Zu den aktuell empfohlenen Optionen zählen unter anderem die pharmakologische Behandlung mit SSRI (Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; Phillipou & Castle, 2015) und kognitiv-behaviorale Psychotherapie. In der Therapie wird unter anderem versucht, perfektionistische Denkmuster oder Schwarz-Weiss-Denken („Wenn ich nicht perfekt aussehe, bin ich hässlich und ein*e Versager*in.“) zu ändern und die emotionale Selbstregulation zu verbessern (Cunningham et al., 2017).

Zwangsstörungen

Zwangsstörungen sind gekennzeichnet durch sogenannte Obsessionen und Kompulsionen. Obsession wird als Besessenheit definiert, die sich in zwanghaft wiederkehrenden, unerwünschten Gedanken oder Bedürfnissen äussert. Kompulsion beschreibt ein nach strengen Regeln ausgeführtes Verhalten oder auch eine geistige Handlung auf Basis dieser Besessenheit. Während der Inhalt der obsessiven Gedanken und Zwänge sehr unterschiedlich sein kann, gibt es einige häufig auftretende Motive wie Sauberkeit oder Symmetrie (American Psychiatric Association, 2013).

Fazit

Die oben erläuterte Unterform der BDD, Muscle Dysmorphia, ist eine psychologische Störung, die das Leben der Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Sie äussert sich in einer Abweichung der Körperwahrnehmung von der Realität und in rigiden Versuchen, muskulöser zu werden oder den eigenen Körper zu verstecken. Männer sind häufiger von MD betroffen als Frauen, da besonders das männliche Schönheitsideal Muskelmasse und Stärke einschliesst. In der Entwicklung einer MD wirken verschiedene biologische, individuelle und soziale Einflüsse zusammen, wobei Ursache und Effekt oft schwierig zu bestimmen sind und viele Faktoren in beide Richtungen wirken. Zur Behandlung der Störung werden pharmakologische Therapien sowie Psychotherapien empfohlen, wobei die Forschung in diesem Bereich nicht umfangreich ist.


Zum Weiterlesen

https://www.healthline.com/health/muscle-dysmorphia

Literatur

American Psychiatric Association. (2013). Obsessive-compulsive and related disorders. In Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5. Ausg.). https://doi.org/10.1176/appi.books.9780890425787

Bégin, C., Turcotte, O., & Rodrigue, C. (2019). Psychosocial factors underlying symptoms of muscle dysmorphia in a non-clinical sample of men. Psychiatry Research272, 319-325. https://doi.org/10.1016/j.psychres.2018.12.120

Bjornsson, A. S., Didie, E. R., & Phillips, K. A. (2022). Body dysmorphic disorder. Dialogues in clinical neuroscience. https://doi.org/10.31887/DCNS.2010.12.2/abjornsson

Blashill, A. J., Grunewald, W., Fang, A., Davidson, E., & Wilhelm, S. (2020). Conformity to masculine norms and symptom severity among men diagnosed with muscle dysmorphia vs. body dysmorphic disorder. PloS one15(8), e0237651. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0237651

Cerea, S., Bottesi, G., Pacelli, Q. F., Paoli, A., & Ghisi, M. (2018). Muscle dysmorphia and its associated psychological features in three groups of recreational athletes. Scientific reports8(1), 1-8. https://doi.org/10.1038/s41598-018-27176-9

Crocker, J. (2002). The costs of seeking self–esteem. Journal of social issues58(3), 597-615. https://doi.org/10.1111/1540-4560.00279

Cunningham, M. L., Griffiths, S., Mitchison, D., Mond, J. M., Castle, D., & Murray, S. B. (2017). Muscle dysmorphia: An overview of clinical features and treatment options. Journal of Cognitive Psychotherapy31(4), 255-271. https://doi.org/10.1891/0889-8391.31.4.255

Dawson, B. (2021, August 22). Eating disorders are stereotyped as only impacting women and girls. But young men are also obsessing about dieting and appearance leading to muscle dysmorphia. Insider. https://www.insider.com/muscle-dysmorphia-makes-me-feel-way-a-man-should-feel-2021-8

Easton, S., Morton, K., Tappy, Z., Francis, D., & Dennison, L. (2018). Young people’s experiences of viewing the fitspiration social media trend: Qualitative study. Journal of medical Internet research20(6), e9156. https://doi.org/10.2196/jmir.9156

Festinger, L. (1957). Social comparison theory. Selective Exposure Theory16. http://www.bahaistudies.net/asma/selective_exposure-wiki.pdf#page=18

Grieve, F. G. (2007). A conceptual model of factors contributing to the development of muscle dysmorphia. Eating disorders15(1), 63-80. https://doi.org/10.1080/10640260601044535

Guerra-Torres, J. H., & Arango-Vélez, E. F. (2015). Muscle dysmorphia among competitive bodybuilders. Revista Politécnica11(20), 39-48. https://revistas.elpoli.edu.co/index.php/pol/article/view/487

Harrison, K., & Cantor, J. (1997). The relationship between media consumption and eating disorders. Journal of communication47(1), 40-67.  

https://doi.org/10.1111/j.1460-2466.1997.tb02692.x

Henson, C. (2003). Potential antecedents of muscle dysmorphia. Masters Theses & Specialist Projects. Paper 598. https://digitalcommons.wku.edu/theses/598

Higgins, S., & Wysong, A. (2018). Cosmetic surgery and body dysmorphic disorder–an update. International journal of women’s dermatology4(1), 43-48. https://doi.org/10.1016/j.ijwd.2017.09.007

Leit, R. A., Gray, J. J., & Pope Jr, H. G. (2002). The media’s representation of the ideal male body: A cause for muscle dysmorphia?. International Journal of Eating Disorders31(3), 334-338. https://doi.org/10.1002/eat.10019

Mitchison, D., Mond, J., Griffiths, S., Hay, P., Nagata, J. M., Bussey, K., … & Murray, S. B. (2021). Prevalence of muscle dysmorphia in adolescents: findings from the EveryBODY study. Psychological Medicine, 1-8. https://doi.org/10.1017/S0033291720005206

Olivardia, R. (2001). Mirror, mirror on the wall, who’s the largest of them all? The features and phenomenology of muscle dysmorphia. Harvard review of psychiatry9(5), 254-259. https://doi.org/10.1080/hrp.9.5.254.25

Olivardia, R. (2007). Muscle Dysmorphia: Characteristics, Assessment, and Treatment. In J. K. Thompson & G. Cafri (Eds.), The muscular ideal: Psychological, social, and medical perspectives (pp. 123–139). https://doi.org/10.1037/11581-006

Olivardia, R., Pope Jr, H. G., Borowiecki III, J. J., & Cohane, G. H. (2004). Biceps and body image: the relationship between muscularity and self-esteem, depression, and eating disorder symptoms. Psychology of men & masculinity5(2), 112. https://doi.org/10.1037/1524-9220.5.2.112

Pariser, E. (2011). The filter bubble: What the Internet is hiding from you. Penguin UK.

Phillipou, A., & Castle, D. (2015). Body dysmorphic disorder in men. Australian Family Physician44(11), 798-801. https://search.informit.org/doi/10.3316/informit.585209858722018

Phillips, K. A. (2005). The broken mirror: Understanding and treating body dysmorphic disorder. Oxford University Press, USA.

Pope Jr, H. G., Gruber, A. J., Choi, P., Olivardia, R., & Phillips, K. A. (1997). Muscle dysmorphia: An underrecognized form of body dysmorphic disorder. Psychosomatics38(6), 548-557. https://doi.org/10.1016/S0033-3182(97)71400-2

Pope Jr, H. G., Katz, D. L., & Hudson, J. I. (1993). Anorexia nervosa and “reverse anorexia” among 108 male bodybuilders. Comprehensive psychiatry34(6), 406-409. https://doi.org/10.1016/0010-440X(93)90066-D

Schoenenberg, K., & Martin, A. (2020). Bedeutung von Instagram und Fitspiration-Bildern für die muskeldysmorphe Symptomatik. Psychotherapeut65(2), 93-100. https://doi.org/10.1007/s00278-020-00403-3

Wienke, K. (2014). Welchen Einfluss hat Social Media auf einen möglichen Erfolg von Fitnessstudios: eine Bestandskundenanalyse von Fitnessstudios (Doctoral dissertation, Hochschule Mittweida).