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Mit ‘Klimawandel’ getaggte Beiträge

Climate Anxiety

Wenn der Klimanotstand auf die Psyche schlägt

Der Artikel stellt das neue Phänomen «Climate Anxiety» vor. Verschiedene Perspektiven und Definitionen aus den Bereichen der Psychologie, Soziologie und Philosophie werden betrachtet. Ausserdem wird ein Blick auf die Klimagerechtigkeit und Rassismus geworfen.

Von Caroline Meinshausen
Lektoriert von Laura Trinkler und Hannah Meyerhoff
Illustriert von Melina Camin

Die Klimakrise ist brandaktuell. Sie zeigt sich in der Eisschmelze, Hochwasser, extremen Temperaturen und anderen heftigen Wetterereignissen (Europäische Komission, o. D.). Wer in seiner Region nicht direkt betroffen ist, bekommt meist durch die Medien mit, was der Klimawandel auf der Welt anrichtet. Das menschgemachte Phänomen hat laufend horrende Auswirkungen. Ein Blick in die Zukunft verheisst eine Vielzahl düsterer Prognosen: Artensterben, Schwinden der Gletscher, Meeresspiegelanstieg, extreme Hitze und aus alldem folgend enorme gesundheitliche, soziale und wirtschaftliche Schäden (Europäische Komission, o. D.).

Wie geht es uns mit diesem Wissen und den zahlreichen schlechten Nachrichten aus aller Welt – wie geht es uns damit? Ist das nicht zum Verzweifeln? Bis zur Verzweiflung geht es wohl bei den meisten Menschen (noch) nicht. Aber die drohende Zerstörung des Planeten, wie wir ihn kennen, kann belastend sein (Panu, 2020).

Seit Kurzem lässt sich dieses Phänomen durch einen Begriff beschreiben: Climate Anxiety. Im Google n-gram Viewer, der die Häufigkeit von Wörtern in digitalisierten Buchbeständen anzeigt, ist ersichtlich, wie der Begriff in den 1970ern aufkam und aktuell wieder an Popularität gewinnt.

«Climate Anxiety» im Google nGram Viewer: Mit dieser Häufigkeit wurde das Wort im grossen Buchbestand (Englisch) von 1950-2019 verwendet (nach dem Vorgehen von Lin et al., 2012).

Warum wurde das Wort Climate Anxiety schon in den 1970ern gehäuft verwendet?

Der Psychiater und Psychoanalytiker Harold Searles veröffentlichte 1960 ein Buch mit dem Titel The nonhuman environment in normal development and in schizophrenia. In diesem Werk stellte er dar, wie wichtig es ist, der nicht-menschlichen Umwelt eines Menschen Beachtung zu schenken. Searles (1960) untersuchte zum Beispiel die Bezogenheit eines Kleinkindes auf seine Umwelt und erweiterte die Perspektive um die nicht-menschlichen Dinge: Für die Entwicklung des Kindes sind zum Beispiel nicht nur die Mutter und andere Menschen relevant, sondern auch die ganze Umgebung. Auch bei der Betrachtung von schizophrenen Wahnvorstellungen entdeckte Searles (1960), dass die Umgebung der Person relevant ist, um Wahninhalte und innere Konflikte besser zu verstehen (Coleman Nelson, 1961). Dieser Hinweis auf die enge und vielfältige Beziehung der Menschen zu ihrer Umwelt führte zu ersten öko-psychologischen Überlegungen (Coleman Nelson, 1961).

Doch was genau ist Climate Anxiety? Es handelt sich um einen neuen Begriff, für den viele verschiedene Definitionen mit unterschiedlichen Schwerpunkten vorliegen (Panu, 2020). Diese können helfen, die zahlreichen Auswirkungen des Klimanotstandes auf die menschliche Psyche umfassender zu begreifen. Vorweggesagt: Das Phänomen ist so weitgreifend wie die Klimakrise selbst (Panu, 2020). In einer Studie von Ogunbode (2021) konnten in 25 westlichen und nicht-westlichen Ländern symptomatische Belastungen der psychischen Gesundheit nachgewiesen werden, welche durch Formen von Climate Anxiety ausgelöst wurden.

Was ist Anxiety?

Im Deutschen lässt sich Anxiety als ein Zustand von Sorge, Angst und Anspannung beschreiben (Panu, 2020). Hierbei ist wichtig zu betonen, dass Anxiety für sich genommen eine natürliche und gesunde Reaktion auf ein (potenziell) belastendes Ereignis ist. Eine Pathologisierung der Climate Anxiety muss unbedingt vermieden werden. Es kann sonst zu grundsätzlichen Missverständnissen um die Tragweite des auslösenden Ereignisses kommen und die Realität der Lage würde zu Unrecht in Zweifel gezogen werden. In Einzelfällen kann Climate Anxiety zu einer klinischen Angststörung werden, bei der das Ausmass der Angst und Anspannung nicht mehr im Verhältnis zum Auslöser steht. Dies kommt aber weitaus seltener vor. Es ist wichtig, das reale emotionale Erleben der Menschen angesichts der Klimakrise zu validieren – daher ist Climate Anxiety ein wichtiger Begriff, besonders weil er nicht pathologisch zu verstehen ist (Panu, 2020). Es gibt ausserdem Evidenz, dass Climate Anxiety nicht von einer stärker gefährdeten Gruppe mit erhöhter Anfälligkeit erlebt wird, sondern von Menschen allgemein (Hyry, 2019).

Psychologischer und soziologischer Blick

Angst entsteht meist durch einen konkreten Auslöser (Panu, 2020). Anxiety hingegen wird oft von starker Ungewissheit ausgelöst, die auch bei der Klimakrise sehr präsent ist. Furcht und Sorge zeigen sich als Reaktionen auf diese Ungewissheit. Climate Anxiety bezieht sich also auf das Erleben von Furcht und Besorgnis in Bezug auf verschiedene Aspekte (Panu, 2020). Einerseits kann die Zerstörung unserer (Um)Welt, wie wir sie kennen, zu grosser Furcht führen (Clayton et al., 2017). Andererseits bezieht sich diese Besorgnis auch auf unser Verhältnis zu beziehungsweise unseren Umgang mit der Umwelt (Albrecht, 2018). Die Abgrenzung von Furcht und Sorge zu Angst ist in diesem Fall schwierig zu vollziehen (Panu, 2020). Climate Anxiety bezeichnet einen umfassenden umweltbezogenen Stress. Ohnmacht und Hilflosigkeit sind ebenfalls wichtige Bestandteile der Climate Anxiety. Diese werden insbesondere durch den Umstand ausgelöst, dass die Klimakrise für kaum jemanden ein zufriedenstellendes Mass an Kontrollmöglichkeiten zulässt. Der permanente Strom von Nachrichten in den Medien trägt zum Gefühl der Überwältigung und Überforderung bei (Panu, 2020).

«[…] ‪climate change constitutes a profound challenge ‪to established ways of life in Western nations and constitutes the emergence ‪of an ongoing and expanding cultural trauma.»

Brulle, 2019, S. 899

Soziologisch gesehen, entsteht durch den Klimawandel auch eine Veränderung der sozialen Ordnung, was Angst und Stress auslösen kann (Panu, 2020). In einer Zeit, in der Traditionen und Normen sich zunehmend lockern, die Freiheit der Individuen sich erweitert und gesellschaftliche Veränderungen stattfinden, ist der*die Einzelne zunehmend mit Ungewissheit konfrontiert. Technische Neuerungen torpedieren diese Entwicklung. Das Fehlen sozialer Normen für den Umgang mit dem Klimawandel ist eine weitere Quelle von Unsicherheit oder gar Frustration (Panu, 2020).

Noch negativere Auswirkungen als fehlende Normen kann ein fehlender Austausch haben (Panu, 2020). Es entsteht ein sozial konstruiertes Schweigen, in dem Besorgnisse und Gefühle gegenüber der Klimakrise nicht geäussert werden können (Panu, 2020). Die verschiedenen Meinungen und Positionen erscheinen so widersprüchlich und unvereinbar, dass der Diskurs abgebrochen wird (Norgaard, 2011). Dies kann Climate Anxiety weiter verstärken (Panu, 2020). Nicht allein ökologische Veränderungen üben also Druck auf die menschliche Psyche aus, auch der soziale Umgang oder Nicht-Umgang mit diesen Veränderungen hat einen starken Einfluss (Panu, 2020).

Aus psychodynamischer Sicht ist hier zusätzlich der Teufelskreis von Furcht und Verleugnung interessant, der seinerseits zu einer intraindividuellen Verstärkung der Anspannung führen kann (Panu, 2020). «Environmental Melancholia» bezeichnet einen Zustand der unbewussten Trauer angesichts der Folgen des Klimawandels (Lertzman, 2015). Ob umweltbezogene Besorgnisse adressiert und bearbeitet werden können, wird auch in der Zukunft von grosser Bedeutung für die mentale Gesundheit sein (Panu, 2020). Climate Anxiety kann sogar Einfluss auf Überlegungen für oder gegen eine Familiengründung nehmen (Nairn, 2019), was den Bedarf an Aufmerksamkeit für dieses Thema und seine Reflexion unterstreicht.

Existenzielle Sichtweise

Es erscheint nicht abwegig, Climate Anxiety mit den grundlegendsten Sorgen und Ängsten zu verbinden, die wir in Bezug auf die elementaren Gegebenheiten des Lebens hegen. Der Tod ist ein zentrales Thema medialer Untergangsprophezeiungen sowie wissenschaftlicher Vorhersagen, wie etwa zum Thema der Temperaturentwicklungen (Adams, 2014). Neben der Ungewissheit in Bezug auf konkrete Entwicklungen und Herausforderungen in unserer nahen Zukunft tritt hier eine «ontologische Unsicherheit» auf. Diese Form der Unsicherheit besteht darin, dass die Strukturen, in denen wir leben, nicht von unbegrenzter Dauer und sogar konkret bedroht sind. Eine tatsächliche oder imminente Störung unserer Lebenswelt, deren Konsumverhalten mit ursächlich für die Klimakrise ist, kann starke Gefühle von Trauer und auch Schuld hervorrufen (Adams, 2014).

Moralische Emotionen und «Practical Anxiety»

Furcht und Besorgnis als natürliche Reaktionen auf eine Bedrohung können auch positive Aspekte enthalten (Kurth, 2018). «Practical Anxiety» regt Informationsbeschaffung und Problemlöseverhalten an (Kurth, 2018). Es kommt zum Beispiel zu einem Überdenken des eigenen Konsumverhaltens und Lebensstils bei Einzelpersonen wie auch in Gemeinschaften (Kurth, 2018). Als moralische Emotion zeigt Climate Anxiety einerseits an, dass etwas geschieht, das nicht recht ist (Panu, 2020). Andererseits bekräftigt sie auch die Bedeutsamkeit, sich um dieses Geschehen Sorgen zu machen. Dieses Potenzial scheint bei der Frage relevant zu sein, wie künftig mit dem Klimanotstand und seinen psychischen Folgen umgegangen werden kann. Sich um die Umwelt zu sorgen, ist ein erster Schritt für die Umwelt zu sorgen. Das kann bedeuten, Missverhältnisse zu adressieren und nicht stiller Beobachter oder Leugner der drohenden Veränderungen zu sein. Es braucht also Mittel und Wege, um die positiven und konstruktiven Seiten von Climate Anxiety für den Kampf gegen die Klimakrise dienstbar zu machen. Die lähmenden Aspekte der negativen Gefühle dagegen müssen begrenzt werden (Panu, 2020).

Climate Anxiety – ein weisses Phänomen?

Die Störung der Lebenswelt und sozialen Ordnung, die der Klimawandel bedeutet, ist per se aversiv (Panu, 2020). Sie geht mit der Infragestellung eines bisherigen Lebensstils, gesellschaftlicher Normen und Prioritäten einher und es werden existenzielle Bedürfnisse bedroht (Panu, 2020). Dr. Sarah Jaquette Ray, Autorin von A field guide to climate anxiety, weist darauf hin, dass Climate Anxiety ein sehr «weisses» Phänomen ist (Ray, 2021). Weisse Menschen sprechen und agitieren sehr viel über Klimaphänomene, wobei sie im Vergleich zu nicht-weissen Gemeinschaften erheblich weniger von den Folgen betroffen sind. Diese nicht-weissen Gemeinschaften weisen eine Resilienz auf, die den nicht-weissen fehlt – daher scheint Climate Anxiety ein weisses Phänomen zu sein (Ray, 2021).

Es muss aber beachtet werden, wie diese Resilienz entstanden ist: Unterdrückung, Marginalisierung sowie das Absprechen ihrer Existenzberechtigung haben nicht-weisse Gemeinschaften in der Vergangenheit und bis heute gezwungen, Resilienz zu entwickeln (Ray, 2021). Die Klimakrise ist nicht die erste oder grösste existenzielle Bedrohung unserer Zeit und ihre Darstellung als solche leugnet die Erfahrung nicht-weisser Gemeinschaften. Rassismus und Ausbeutung bedrohen nicht-weisse Gemeinschaften existenziell. Climate Anxiety kann daher auch als Anhaften weisser Gemeinschaften an ihren Privilegien interpretiert werden, die bisher nicht auf diese tiefgreifende Weise bedroht wurden. Diese Einsichten sind entscheidend für die Ausgestaltung unserer Reaktionen auf die Klimakrise. Die konstruktiven Aspekte von Climate Anxiety müssen zugunsten von Klimagerechtigkeit eingesetzt werden. Die Gefahr eines ökologischen Rassismus muss bewusst gemacht und aktiv abgewendet werden. Wir können die Geschichte nicht ausser Acht lassen, um die Zukunft zu retten, schreibt Ray (2021).

«We need to channel grief toward collective liberation.»

Ray, 2021, S. 2

Fazit

Climate Anxiety ist ein vielgestaltiges und wichtiges Phänomen, das als natürliche Reaktion auf die massiven, kaum kontrollierbaren Bedrohungen unserer Umwelt durch die Klimakrise auftritt (Panu, 2020). Als Motivatoren für eigenes und kollektives klimapositives Handeln können die negativen Gefühle von Besorgnis, Furcht und Angst aber konstruktiv umgewandelt werden (Panu, 2020). Beim Betrachten der existenziellen Dimension von Climate Anxiety ist zu beachten, dass diese vor allem für weisse, privilegierte Gemeinschaften gilt, die die mögliche Zerstörung ihrer Lebenswelt historisch noch nicht erfahren haben (Ray, 2021). Insbesondere dadurch sind sie also auch in der Verantwortung, an alle Reaktionen auf den Klimanotstand im Sinne der Klimagerechtigkeit zu denken. Umweltbezogene Trauer resultierend aus Klimawandel wie aus Rassismus, muss in Richtung kollektiver Befreiung gelenkt werden (Ray, 2021).


Zum Weiterlesen

National Institute of Mental Health. (2018). Anxiety disorders. https://www.nimh.nih.gov/health/topics/anxiety-disorders/

Ray, S. J. (2020). A field guide to climate anxiety. University of California Press.

Brulle, R. J., & Norgaard, K. M. (2019). Avoiding cultural trauma: Climate change and social inertia. Journal of Environmental Politics, 28(5), 886–908. https://doi.org/10.1080/09644016.2018.1562138

Literatur

Adams, M. (2014). Approaching nature,‘sustainability’ and ecological crises from a critical social psychological perspective. Social and Personality Psychology Compass, 8(6), 251–262. https://doi.org/10.1111/spc3.12104

Brulle, R. J., & Norgaard, K. M. (2019). Avoiding cultural trauma: Climate change and social inertia. Journal of Environmental Politics, 28(5), 886–908. https://doi.org/10.1080/09644016.2018.1562138

Coleman Nelson, M. (1961). The Nonhuman Environment in Normal Development and in Schizophrenia by Harold F. Searles (Book Review). Psychoanalysis and the Psychoanalytic Review, 48(3), 121–123.

Clayton, S., Manning, C., Krygsman, K., & Speiser, M. (2017). Mental health and our changing climate: Impacts, implications, and guidance. Washington, DC: American Psychological Association and ecoAmerica.

Europäische Komission. (o. D.). Folgen des Klimawandels. https://ec.europa.eu/clima/change/consequences_de

Hyry, J. (2019, June 24). Kansalaiskysely Ilmastonmuutoksesta ja Tunteista [National Survey on Climate Change and Emotions]. Sitra The Finnish Innovation Fund Website.https://media.sitra.fi/2019/08/21153439/ilmastotunteet-2019-kyselytutkimuksen-tulokset.pdf

Kurth, C. (2018). The anxious mind: An investigation into the varieties and virtues of anxiety. MIT Press.

Lin, Y., Michel, J. B., Aiden, E. L., Orwant, J., Brockman, W., & Petrov, S. (2012). Syntactic annotations for the google books ngram corpus. Proceedings of the ACL 2012 System Demonstration, 169–174.

Lertzman, R. A. (2015). Environmental melancholia: Psychoanalytic dimensions of engagement. Routledge.

Nairn, K. (2019). Learning from young people engaged in climate activism: The potential of collectivizing despairand hope. Sage Journals, 27, 435–450. https://doi.org/10.1177%2F1103308818817603

National Institute of Mental Health. (2018). Anxiety disorders. https://www.nimh.nih.gov/health/topics/anxiety-disorders/

Norgaard, K. M. (2011). Living in denial: Climate change, emotions, and everyday life. MIT Press.

Ogunbode, C.A., Pallesen, S., Böhm, G., Doran, R.,  Bhullar, N., Aquino, S., Marot, T., Schermer, J. A., Wlodarczyk, A., Lu, S., Jiang, F., Salmela-Aro, K., Hanss, D., Acquadro Maran, D., Ardi, R., Chegeni, R., Tahir, H., Ghanbarian, E., Park, J., Tsubakita, T.,  Tan, C.-S., van den Broek, K. L., Chika Chukwuorji, J. Ojewumi, K., Reyes, M. E. S., Lins, S., Enea, V., Volkodav, T., Sollar, T., Navarro-Carrillo, G., Torres-Marín, J., Mbungu, W., Onyutha, C., & Lomas, M. J. (2021). Negative emotions about climate change are related to insomnia symptoms and mental health: Cross-sectional evidence from 25 countries. Current Psychology, 1–10. https://doi.org/10.1007/s12144-021-01385-4

Panu, P. (2020). Anxiety and the ecological crisis: An analysis of eco-anxiety and climate anxiety. Sustainability, 12(19), 7836–7856. https://doi.org/10.3390/su12197836

Psychoterratica. Glenn Albrecht’s Web Page. (2018, June 18). Global Dread. https://glennaalbrecht.wordpress.com/2018/06/18/naming-unnamed-emotions-and-feelings/

Ray, S. J. (2020). A field guide to climate anxiety. University of California Press.

Ray, S. J. (2021, March 21). Climate anxiety is an overwhelmingly white phenomenon. Scientific American. https://www.scientificamerican.com/article/the-unbearable-whiteness-of-climate-anxiety

Klimawandel? Nein Danke

Ansatzpunkte und Hürden im Kampf gegen die Erderwärmung

Die Auswirkungen des Klimawandels betreffen uns alle. Lösungen für die Umweltprobleme werden dabei häufig in multilateralen Abkommen der Weltpolitik gesucht. Stattdessen den Fokus auf das Verhalten jedes Einzelnen zu legen, bedeutet im Fachgebiet der Psychologie nach Lösungen zu suchen.

Von Jan Nussbaumer
Lektoriert von Madeleine Lanz und Stefan Dorner
Illustriert von Kerry Willimann

2017 kündigte Donald Trump den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen an. Dies stellte einen beträchtlichen Rückschritt in der Klimapolitik dar. Das Pariser Abkommen setzte zum Ziel, die Klimaerwärmung auf unter zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Stand zu halten. Dieses Abkommen zeigt, wie in der Politik mit multilateralen Abmachungen nach Lösungen des Klimaproblems gesucht wird. Das ist notwendig, denn der ökologische Fussabdruck der Menschheit übersteigt die Kapazität der Erde. Nach unserer heutigen Lebensweise bräuchten wir 1.6 Erden, um den momentanen Ressourcenverbrauch der Menschheit zu decken (Global Footprint Network, 2016). Doch wie können wir nachhaltiger Handeln, so dass die Erde reicht, die wir haben? Auf die eine grosse Lösung zu warten scheint utopisch. Also verabschieden wir uns für einen Moment von den Abkommen der Weltpolitik, von den Masterplänen von Macron, Merkel und Konsorten und wenden uns stattdessen dem Verhalten der einzelnen Menschen zu, womit wir uns im Gebiet der Psychologie befinden.

Dies mag weniger aufregend klingen als die grossen Lösungen, doch letztlich trägt jeder von uns zu der Misere bei, die wir Klimawandel nennen. Kann die Psychologie Umweltverhalten und nachhaltiges Handeln erklären? Können wir umweltförderndes Handeln fördern, und falls wir das können – wie? Was steht nachhaltigem Handeln im Weg?

Unterschied zwischen Problembewusstsein und Verhalten

Der erste Impuls liegt meist darin, nach Schuldigen zu suchen. Wie wäre es mit Donald Trump – dem Sündenbock schlechthin? Oder allgemein den Klimaleugnern? Wenn es die nicht gäbe, hätten wir das Problem doch schon längst gelöst. Oder etwa nicht?

So einfach scheint es nicht zu sein, denn sowohl in armen als auch in reichen Ländern überwiegt die Anzahl Personen, welche den Umweltschutz über das wirtschaftliche Wachstum stellen (Dunlap, Gallup Jr., & Gallup, 1993). Auch sehen die meisten Menschen es als persönlich wichtiges Ziel an, sich um die Umwelt zu kümmern (Milfont & Schultz, 2016). Doch leider reicht das nicht. Ein hohes Bewusstsein und Sorgen um die Umwelt führen allein nicht zu umweltverträglichem Verhalten. Bamberg und Möser (2007) zeigten in ihrer Metaanalyse, dass das Bewusstsein um Umweltprobleme nur einen geringen Zusammenhang mit tatsächlichem Verhalten hat. Die Bekehrung der Klimaleugner wird demnach nicht die Lösung sein.

«Was steht nachhaltigem Handeln im Weg?»

Prägung in der Kindheit

In einem anderen Ansatz werden Faktoren in der Kindheit untersucht, welche nachhaltiges Handeln im Erwachsenenalter beeinflussen. Evans, Otto und Kaiser (2018) versuchten dem in einer zwölf Jahre dauernden Längsschnittstudie auf den Grund zu gehen. Sie untersuchten Kinder im Alter von sechs Jahren und prüften, welche Variablen in der Kindheit deren Umweltverhalten im Alter von 18 Jahren voraussagen können. Sie fanden vier Variablen, die mit dem späteren Verhalten zusammenhängen: Die Bildung der Mutter, die Zeit, die das Kind draussen spielt, die Umwelteinstellung der Mutter und das Umweltverhalten der Mutter. Die Autoren benutzten diese vier Variablen, um in einem linearen Modell die Änderung des Umweltverhaltens vorherzusagen. Wenn jedoch alle vier Variablen miteinander die Änderung des Umweltverhaltens voraussagen sollten, hatten nur noch die Bildung der Mutter und die Zeit, die das Kind draussen spielt, einen Einfluss. Dies zeigt, dass der Zusammenhang des Umweltverhaltens und der Umwelteinstellung der Mutter mit dem Umweltverhalten der Jugendlichen zwölf Jahre später, durch die Zeit, welche sie draussen verbringen und die Bildung der Mutter erklärt werden kann. Interessant ist auch, dass die politische Einstellung der Mutter keinen Einfluss auf das Umweltverhalten der Jugendlichen hatte.

Viele Hebel an denen man ansetzen kann

Generell können auch sozialpsychologische Handlungsmodelle zur Erklärung von umweltrelevantem Handeln genutzt werden. Als Beispiel sei hier die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1991) genannt. Danach können Interventionen an verschiedenen Punkten ansetzen. Dies wird auch im Modell zum umweltbewussten Handeln von Fietkau und Kessel (1981) deutlich. Im Gegensatz zu den allgemeinen sozialpsychologischen Modellen handelt es sich dabei um ein spezifisches Modell für umweltrelevantes Verhalten. Dementsprechend können daraus diverse Ansatzpunkte für Interventionen einfacher abgeleitet werden (siehe Illustration). Um umweltrelevantes Verhalten zu fördern, kann nach dem Modell an fünf Punkten angesetzt werden: Als Erstes können Handlungsangebote geschaffen werden, welche Möglichkeiten bieten, umweltverträglich zu Handeln. Ohne ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz und eine intakte Bahninfrastruktur können die meisten Menschen nicht auf das Auto verzichten. Je weniger Velowege es gibt, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit sein, dass wir mit dem Velo zur Arbeit fahren. Die zweite Möglichkeit besteht in der Vermittlung von umweltbezogenen Werten und Einstellungen, welche das nachhaltige Handeln fördern, denn wem die Natur nichts bedeutet und wer keinen Wert in der Artenvielfallt sieht, der wird sein Verhalten nicht danach ausrichten. Drittens kann umweltrelevantes Wissen vermittelt werden. Wenn ich nicht weiss, dass mein Auto die Umwelt belastet, komme ich nicht auf die Idee, mein Verhalten anzupassen. Der Bauer, dem die Natur wichtig ist, wird seine Produktion erst anpassen, wenn ihm bewusst ist, dass die Überdüngung von Böden und die Ausschwemmung der Nährstoffe in die Gewässer ein grosses Problem darstellen. Als Viertes können die Konsequenzen des eigenen Handelns mit Feedback sichtbar gemacht werden. Wenn ich den Wasserverbrauch während dem Duschen ablesen kann, beeinflusst das meinen Wasserverbrauch. Wenn ich die Emissionen meines Ferienfluges rückgemeldet bekomme, werde ich vielleicht auf den nächsten Flug verzichten. Fünftens können Handlungsanreize geschaffen werden. Der Staat kann mit Steuern den Verbrauch von Schadstoffen sanktionieren und den Bahnverkehr subventionieren.

Theorie des geplanten Verhaltens

Die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1991) ist eine Erweiterung der Theorie des überlegten Verhaltens. Mit ihr wird bewusstes Handeln vorhergesagt. Dabei bestimmen die Einstellung gegenüber dem Verhalten, die subjektive Norm und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle die Verhaltensabsicht. Die Verhaltensabsicht ist wiederum der Prädiktor für das Verhalten. Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle beeinflusst dabei sowohl die Verhaltensabsicht als auch das Verhalten.

Nebenwirkungen beachten!

Wer nun begonnen hat sein Handeln nachhaltiger zu gestalten, dem bleibt noch das Problem der mentalen Buchhaltung. Nach der Theorie der mentalen Buchhaltung (Thaler, 1980) wird ein umweltschonendes Verhalten als solches in der geistigen Abrechnung verbucht. Die Wahrscheinlichkeit bei einer weiteren Entscheidung das umweltschonende Verhalten zu bevorzugen sinkt, da das Konto bereits ausreichend gefüllt und somit das schlechte Gewissen getilgt ist.

«Kann die Psychologie Umweltverhalten und nachhaltiges Handeln erklären?»

Chatelain und Kollegen (2018) untersuchten den Effekt der mentalen Buchhaltung für umweltrelevantes Verhalten. Sie fanden den Effekt bei aufeinanderfolgenden Verhaltensweisen, die ähnlich sind – zum Beispiel zweimal Recycling. Wenn sich die Handlungen aber deutlich unterschieden gab es den Effekt nicht. Interessant war auch der Einfluss von Emotionen. Positive Emotionen konnten wiederholtes Umweltverhalten fördern und den Effekt der mentalen Buchhaltung kompensieren. Der Effekt der mentalen Buchhaltung zeigte sich nur bei der Gruppe, in der eine Werbung präsentiert wurde, welche negative Emotionen verursachte.

Dies zeigt, dass Angstmacherei und die Förderung von nachhaltigem Verhalten über schlechtes Gewissen keinen langfristigen Effekt haben. Umweltverhalten muss Freude bereiten. Also sorgen wir besser dafür, dass Kinder möglichst viel Zeit in der Natur verbringen und später nachhaltig und umweltbewusst handeln. Hoffentlich ist es nicht zu spät.


Zum Weiterlesen

Hänggi, M. (2018). Null Öl. Null Gas. Null Kohle. Wie Klimapolitik funktioniert. Ein Vorschlag. Zürich: Rotpunktverlag.

[An Grafik-Team: Bei den Zitaten je nach Platz 0-2 auswählen; ihr habt die Freiheit]

Literatur

Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational Behavior And Human Decision Processes, 50(2), 179-211. doi:10.1016/0749-5978(91)90020-T

Bamberg, S., & Möser, G. (2007). Twenty years after Hines, Hungerford, and Tomera: A new meta-analysis of psycho-social determinants of pro-environmental behaviour. Journal Of Environmental Psychology, 27(1), 14-25. doi:10.1016/j.jenvp.2006.12.002

Chatelain, G., Hille, S. L., Sander, D., Patel, M., Hahnel, U. J., & Brosch, T. (2018). Feel good, stay green: Positive affect promotes pro-environmental behaviors and mitigates compensatory ‚mental bookkeeping‘ effects. Journal Of Environmental Psychology, 56, 3-11. doi:10.1016/j.jenvp.2018.02.002

Dunlap, R. E., Gallup, G. H., Jr., & Gallup, A. M. (1993). Of Global Concern: Results of the Health of the Planet Survey, Environment, 35(9), 7-39. doi:10.1080/00139157.1993.9929122

Evans, G. W., Otto, S., & Kaiser, F. G. (2018). Childhood origins of young adult environmental behavior. Psychological Science, 29(5), 679-687. doi:10.1177/0956797617741894

Fietkau, H.-J., & Kessel, H. (1981). Umweltlernen. Veränderungsmöglichkeiten des Umweltbewusstseins. Königstein: Hain.

Global Footprint Network. (2016). Living Planet Report 2016. Retrieved from http:// www.footprintnetwork.org/living-planet-report/.

Milfont, T. L., & Schultz, P. W. (2016). Culture and the natural environment. Current Opinion In Psychology, 8194-199. doi:10.1016/j.copsyc.2015.09.009

Thaler, R. (1980). Toward a positive theory of consumer choice. Journal of Economic Behavior & Organization, 1(1), 39-60. doi:10.1016/0167-2681(80)90051-7