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Mit ‘Himmel’ getaggte Beiträge

Die Bedeutung des Himmels für den Menschen

Der Mensch auf der Erde – unter dem Himmel

Der Himmel war für die Menschheit schon seit Anbeginn ihrer Zeit von grosser Bedeutung. Aber warum? Und welche Rolle spielt der Himmel für den Menschen aus psychologischer Sicht?

Von Amira Weiss
Lektoriert von Berit Barthelmes und Alina S. von Garrel
Illustriert von Melina Camin

Wann begann der Mensch erstmals zum Himmel emporzuschauen und glaubte, darin den Sitz Gottes und das ewige Paradies für verstorbene Seelen zu erkennen? Wann begann er in Sternansammlungen Sternzeichen zu finden und in entfernten Galaxien die Möglichkeit ausserirdischen Lebens zu erahnen? Mit anderen Worten: Wie nahm die Beziehung zwischen Mensch und Himmel ihren Anfang und welche Deutungen und Bedeutungen wurden dem Himmel im Laufe der Menschheitsgeschichte zugeschrieben?

Mensch und Himmel: Einst…

Als eines der ältesten Hinweise auf astronomische Aufzeichnungen durch den Menschen gelten die Höhlenmalereien in der Höhle von Lascaux in Frankreich (Jègues-Wokliewiez, 2000). Gemäss der Archäoastronomin Jègues-Wokliewiez sind die 17‘000 Jahre alten Tierzeichnungen am Tierkreis angelehnt und wurden bewusst so positioniert, dass bei der Sommersonnenwende die Strahlen der untergehenden Sonne die sogenannte «Halle der Stiere» bestrahlen. Dies lässt auf ein gutes Verständnis des Sternenhimmels bereits in der Altsteinzeit schliessen (Jègues-Wokliewiez, 2000). Eindeutigere Befunde gehen auf die Babylonier zurück (Hunger & Sachs, 1988). Sie entwickelten mathematische Verfahren, um die Bewegungen der Himmelskörper aufzuzeichnen, die so präzise waren, dass sie Planetenbewegungen vorhersagen und daraus unsere Stundenzählung sowie den babylonischen Kalender entwickeln konnten (Hunger & Sachs, 1988). Die Ägypter ihrerseits beobachteten unter anderem den Stern Sirius, um die Nilschwemme vorhersagen zu können, was für die Planung ihrer Saat und Ernte essenziell war (Cornell, 1983). Auch wurde der berühmte Stonehenge-Steinkreis in England ca. 2500 vor Christus astronomisch so exakt ausgerichtet, dass die Sonne bei Sommersonnenwenden genau über dem «Heel-Stein» aufgeht (Worthington, 2001).

Archäoastronomie

Archäoastronomie, auch Paläoastronomie oder Ethnoastronomie ist ein «interdisziplinäres Forschungsgebiet zur Ermittlung der himmelskundlichen Kenntnisse vor- und frühgeschichtlicher Kulturen» (Schlosser, 2017).

An diesen Beispielen wird die strukturgebende Funktion des Himmels ersichtlich. Aus den Bewegungen der Himmelskörper liessen sich Kalender- und Zeitberechnungen ableiten, Naturereignisse vorhersagen, und Saat- und Erntezeit festmachen. Die Himmelsrichtungen konnten für das Erstellen von Karten und für die Orientierung auf Reisen herangezogen werden. Alles wichtige Errungenschaften, um das Leben und Zusammenleben der Menschen zu strukturieren.

…und Heute

In den letzten Jahrhunderten haben uns enorme Fortschritte in der Astronomie und Astrophysik ganz neue Einsichten offenbart. Heute wissen wir dank technisch immer besser werdenden Teleskopen mehr und mehr über das Universum, in dem sich unser Planet Erde befindet. Es werden neue Hoffnungen auf Ausweichplaneten, neue Ressourcen aus dem All und auf die Möglichkeit ausserirdischen Lebens gesetzt. Man könnte fast so weit gehen zu sagen, es hat eine Entspiritualisierung des Himmels und eine Hinwendung zu den Naturwissenschaften stattgefunden. Trotzdem trägt der Himmel auch heute noch eine religiöse Konnotation.

«Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen Zeichen sein und zur Bestimmung von Festzeiten, von Tag und Jahren dienen; sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, die über die Erde hin leuchten. So geschah es» Das Buch Genesis, 1:14-1:15

Projektionsfläche der Religionen

Während in der englischen Sprache die Differenzierung zwischen Sky und Heaven gemacht wird, beinhaltet das Wort Himmel im Deutschen beide Bedeutungen (Lesch et al., 2016). Der physische Himmel und der Himmel als transzendentale Sphäre – im Gegensatz zur Hölle – stehen sich also schon aufgrund einer geteilten Bezeichnung sehr nahe. Die Verbindung ist aber nicht zufällig. Der Himmel stand für den Menschen – zumindest bis in jüngster Zeit – für einen unerreichbaren Ort, mit scheinbar unendlicher Weite. Der bestirnte Nachthimmel liess auf einen entfernten nicht irdischen, eben himmlischen Ort hoffen, während der Himmel bei sonnenerhelltem Tag, Wärme und Sicherheit zu versprechen schien. Der beständige Wechsel von Tag und Nacht, die Mondphasen und Regelmässigkeiten der Planetenbewegungen vermitteln eine gewisse Stabilität und Berechenbarkeit des Lebens (Lesch et al., 2016).

Das Himmelszelt lässt all diese Assoziationen und Projektionen nicht nur wunderbar zu, vielmehr werden sie von den Religionen genutzt und bestärkt (Lesch et al., 2016). Professor Dr. Bernd Oberdorf der Universität Augsburg schreibt in diesem Zusammenhang: «Die nüchterne Kosmologie von Genesis 1 [transportiert] nicht nur vorwissenschaftliches Weltwissen in narrativem Gewand. Sie hat vielmehr durchaus einen religiösen Sinn: Sie kommuniziert die Verlässlichkeit der Welt, sie soll Weltvertrauen generieren. Die Welt ist von Gott so gemacht, dass uns der sprichwörtliche Himmel nicht auf den Kopf fallen kann» (Oberdorf, 2016, S .21).

Abrahamitische Religionen

Die drei monotheistischen Religionen Islam, Judentum und Christentum. Alle drei gehen auf Abraham, Stammvater der Israeliten zurück (Nordheim, 2016).

Den Sitz Gottes und des ewigen Paradises oben zu verorten, erscheint zudem viel intuitiver als gegensätzlich unten (Lesch et al., 2016). Zu Überlegenem und Idolisiertem wird aufgeschaut – so auch zum Himmel und Gott, buchstäblich durch den Blick nach oben, etwa bei einem Stossgebet, wie auch metaphorisch. Wo sonst sollte Gott und das Himmelsparadies residieren als über uns im Himmel. In der Bibel ist ausserdem von der Himmelfahrt Christi die Rede. Jesus stieg buchstäblich und metaphorisch zum Himmel auf, was diese Verortung weiter konkretisiert (Lesch et al., 2016).

Durch diese Projektion von allem Seligen und Guten in den Himmel fiel und fällt es vielen religiösen Menschen leichter, das leidvolle Leben auf Erden zu ertragen (Start, 2009). Der Himmel wird dabei als Belohnung für die Bewältigung des harten Lebens auf Erden gesehen: Eine Quelle des Trosts und der Hoffnung auf etwas Besseres (Start, 2009).

Die spirituelle Ladung des Himmels in den abrahamitischen Religionen lässt sich vermutlich auf die Religionen der Antike zurückführen. Im alten Griechenland und im alten Ägypten war es üblich, die Gestirne durch Gottheiten zu personifizieren, da sie glaubten, im Sternenhimmel seien Botschaften ihrer Götter zu finden. In Griechenland war die Sonne beispielsweise durch den Sonnengott Helios verkörpert, der den Feuerball der Sonne mit seinem Streitwagen über den Himmel zog, während im ägyptischen Sonnenkult die oberste Gottheit der Sonnengott Ra war. Zudem haben die Römer die damals bekannten Planeten unseres Sonnensystems nach ihren Gottheiten benannt: Jupiter, Venus, Mars, Merkur und Saturn. Diese Namen sind geblieben (Start, 2009).

Horoskop – neuer Trend oder uralter Brauch?

Horoskope und Astrologie im Allgemeinen scheinen in jüngster Zeit wieder in Mode gekommen zu sein, haben aber schon immer eine gewisse Popularität genossen (Lilqvist & Lindeman, 1998). Insbesondere die digitale Präsenz der Astrologie scheint diese neue Welle des «Astrologie-Hypes» von den letzten Jahrzehnten abzuheben. In den sozialen Medien wimmelt es nur so von Horoskop-Seiten zu jedem erdenklichen Thema. In gewissen Jugendkreisen gilt es sogar als trendy, die eigenen positiven wie negativen Eigenschaften mit dem eigenen Sternzeichen zu begründen. Aber was macht Astrologie insgesamt so populär?

«Prior research has shown that astrology may help people deal with negative life events or cope in the age of uncertainty»

Madelyn Good (Delgado, 2021)

Um eine Antwort darauf zu finden, sollte zunächst der Astrologie-Begriff definiert werden: Die Astrologie postuliert eine Vorhersagekraft der astronomischen Ereignisse und Gestirnkonstellationen für irdische Vorgänge und wurde bereits in Jahrtausende alten Kulturen praktiziert (Beck, 2007). Und welcher Nutzen erbringt uns diese Vorhersagekraft? Gemäss Delgado (2021) kann Astrologie Menschen dabei helfen, mit Stress und Unsicherheit umzugehen und ein besseres Verständnis von sich selbst zu erlangen.

In einer Studie aus dem Jahr 2017 wurde gezeigt, dass Stress unter anderem aus einer Unsicherheit gegenüber zukünftigen Ereignissen entsteht (Peters et al., 2017). Genau dieser Unsicherheit und dem daraus resultierenden Stress können Horoskope, seien es Tages-, Monats- oder Geburtshoroskope, entgegenwirken (Peters et al., 2017).

Barnum-Effekt

Barnum-Aussagen sind vage und allgemein gehaltene Persönlichkeitsbeschreibungen, die eine hohe Basisrate in der Population aufweisen (Fichten & Sunerton, 1983). Eine Barnum-Beschreibung könnte wie folgt lauten: «Sie handeln oft entschlossen, sind aber auch häufig unsicher, wie Sie sich verhalten sollen.» Die Bereitschaft zu glauben, dass eine solche Barnum-Beschreibung auf einen selbst zutrifft, wird als Barnum-Effekt bezeichnet (Fichten & Sunerton, 1983).

Manche Individuen fühlen sich von Horoskopen angezogen, weil sie in der Formung des Selbstbildes zur Hilfe gezogen werden können (Delgado, 2021). Dies trifft insbesondere auf Menschen mit weniger stark ausgeprägter Selbsterkenntnis zu, so Madelyn Good (Delgado, 2021). Die erlangte Selbsterkenntnis könnte allerdings durch den Barnum-Effekt bedingt sein, der möglicherweise ebenfalls für die gesteigerte Bereitschaft, an astrologische Vorhersagen und Persönlichkeitszuschreibungen zu glauben, verantwortlich ist (Fichten & Sunerton, 1983).

Geozentrisches vs. Heliozentrisches Welt-(Selbst)-bild

Das geozentrische Weltbild gibt der Erde und damit dem Menschen eine zentrale Position im Universum (Szabó, 1992). Die Erde steht gemäss dieser Auffassung im Zentrum und wird von den anderen Himmelskörpern umkreist. Dieses Weltbild wurde beispielsweise im alten China, den islamischen Kulturen wie auch im alten Griechenland gelehrt. Die Annahme, der Mensch auf der Erde bilde den Nabel der Welt, hatte zweifellos eine Auswirkung auf das Selbstbild des Menschen. Diese Position impliziert, dass sich (wie deswegen gesagt wird) alles um den Menschen dreht. Es ist ein egozentrisches und selbstgefälliges Bild unserer Stellung im Universum. Dem entgegen setzte sich im 16. Jahrhundert dank Nikolaus Kopernikus das heliozentrische Weltbild durch (Kopernikus, 1543). Kopernikus postulierte, dass sich die Erde und die anderen Planeten auf eigenen Bahnen um die Sonne bewegen und sich die Erde zusätzlich um sich selbst dreht. Dieser Weltbildwechsel, von Sigmund Freud auch «kosmologische Kränkung» genannt, stellte das Selbstbild des Menschen auf den Kopf. Der Mensch steht nun nicht mehr im Zentrum des Sonnensystems, und dieses, wie später klar wurde, schon gar nicht im Zentrum des Universums. Eine durch den wissenschaftlichen Fortschritt hervorgebrachte Entthronung (Szabó, 1992). Da fehlt nicht mehr viel, um sich existenziell zu fragen, welche Bedeutung der Mensch im weiten Kosmos überhaupt noch hat. Eben dieser wissenschaftliche Fortschritt hat aber auch zur Folge, dass wir uns vielleicht darauf freuen können, dass Astronomen bald auf ausserirdische, intelligente Lebensformen stossen werden. Und vielleicht können wir uns dann mit ihnen gemeinsam diesen existenziellen Fragen stellen?


Zum Weiterlesen

Beck, R. (2007). A brief history of ancient astrology. Blackwell Publishing.

Lesch, H., Oberdorfer, B., Waldow, S., Bergengruen, M., Giacobazzi, C., Hafner, J. E., … & Zaun, H. (2016). Der Himmel als transkultureller ethischer Raum: Himmelskonstellationen im Spannungsfeld von Literatur und Wissen (Vol. 2). Vandenhoeck & Ruprecht.

Sugarman, H., Impey, C., Buxner, S., & Antonellis, J. (2011). Astrology beliefs among undergraduate students. Astronomy Education Review, 10(1).

Van Rooij, J. J. (1994). Introversion-extraversion: Astrology versus psychology. Personality and Individual Differences, 16(6), 985-988.

Literatur

Beck, R. (2007). A Brief History of Ancient Astrology. Blackwell Publishing.

Cornell J. (1983) Sternenaufgang über dem Nil. In Die ersten Astronomen. Birkhäuser.

Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. (2017). Deutsche Bibelgesellschaft.

Delgado, C. (2021). Why are People so Into Astrology Right Now? Discovermagazine. https://www.discovermagazine.com/mind/why-are-people-so-into-astrology-all-of-a-sudden

Fichten, C. S., & Sunerton, B. (1983). Popular horoscopes and the “Barnum Effect”. The Journal of Psychology114(1), 123–134.

Hunger, H., Sachs, A. (1988) Astronomical Diaries and Related Texts from Babylonia I: Diaries from 652 B.C. to 262 B.C. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Jeguès-Wolkiewiez, C. (2000). Lascaux, vision du ciel des Magdaléniens. In Proceedings XVIII Valcamonica Symposium: Arte rupestre e tribale: Conservazione e salvaguardia dei messaggi.

Copernicus, N. (1965). De revolutionibus orbium coelestium. Norimbergae, Apud J. Petreium, 1543. [Bruxelles, Culture et Civilisation, 1966].

Lesch, H., Oberdorfer, B., Waldow, S., Bergengruen, M., Giacobazzi, C., Hafner, J. E., … & Zaun, H. (2016). Der Himmel als transkultureller ethischer Raum: Himmelskonstellationen im Spannungsfeld von Literatur und Wissen (Vol. 2). Vandenhoeck & Ruprecht.

Lillqvist, Outi, and Marjaana Lindeman (1998). Belief in Astrology as a Strategy for Self-Verification and Coping with Negative Life-Events. European Psychologist 3(3), 202–8.

Nordheim, E. (2016). »Abrahamitische Religionen«? Monotheismus und Trinität im Dialog von Judentum, Christentum und Islam. Aschkenas, 26(1), 5–15. https://doi.org/10.1515/asch-2016-0002

Peters, A., McEwen, B. S., & Friston, K. (2017). Uncertainty and stress: Why it causes diseases and how it is mastered by the brain. Progress in neurobiology156, 164–188.

Szabó, Á. (1992). Das geozentrische Weltbild: Astronomie, Geographie, und Mathematik der Griechen. Deutscher Taschenbuch Verlag.

Schlosser, W. (2017, 12. Oktober). Archäoastronomie. Eine Einführung.

https://www.archaeologie-online.de/artikel/2007/thema-archaeoastronomie/einfuehrung/

Start, L. J. (2009). The Hope of Heaven. https://cache.kzoo.edu/bitstream/handle/10920/9010/TheHopeOfHeaven.pdf?sequence=1

Worthington, A. (2001). A brief history of the Summer solstice at Stonehenge. Third Stone. http://www. thirdstone. demon. co. uk/download/stnhenge_42. Pdf

Vom Privileg Mensch zu sein

Filmrezension zu Himmel über Berlin

Im Film geht es um zwei Engel, die Menschen helfen und sie um ihre Sinnlichkeiten beneiden. Sie sind ewige Beobachter einer durch die Berliner Mauer separierten Welt. Eine Bandbreite an Themen wird angesprochen: Krieg, Realität und was Menschlichkeit bedeutet. Es ist ein Film, der im Gedächtnis bleibt.

Von Marcia Arbenz
Lektoriert von Isabelle Bartholomä und Hannah Meyerhoff
Illustriert von Andrea Bruggmann

Zwei Engel schweben über den Berliner Himmel. Sie beobachten die Menschen, lauschen ihren Gedanken und bieten durch sanfte Berührungen Trost. Nur Kinder können sie sehen, für alle anderen sind sie unsichtbar. Damiel und Cassian, die beiden Engel, erzählen sich von den kleinen Dingen, die sie beobachtet haben. Es sind die kleinen Momente, die sie faszinieren, beispielsweise wie jemand den Regenschirm schliesst, um den Regen zu spüren oder jemand die Socken auszieht, um die Zehen nach einem langen Arbeitstag zu strecken. Oft tun sie so, als ob sie Teil vom Geschehen wären. Doch Damiel will mehr, er will Mensch sein und sich der Endlosigkeit seines Daseins entziehen. Zudem fühlt er sich zu der Trapezkünstlerin Marion hingezogen. Im Todesstreifen der Berliner Mauer findet er seine Sterblichkeit und macht sich auf die Suche nach Marion. Cassian hingegen versucht einem älteren Mann zu helfen und beobachtet vermehrt ein Filmset.

Der Schwarzweissfilm von Wim Wenders im Jahr 1987 spielt etwa derselben Zeit in Berlin. Die Mauer voller Graffiti und halbzerstörte Gebäude prägen die Stimmung des Films. Die Geschichte wird langsam und gemächlich erzählt. In der ersten Stunde scheint es kaum Handlung geben. Dies widerspiegelt jedoch die beobachtende Natur der Engel, die selten eingreifen und wenn, dann so subtil, dass man es kaum bemerkt. Oft wird durch die Kameraführung der Blickwinkel der Engel auf die Welt hinab gezeigt. Es gibt einige versteckte lustige Momente – dennoch ist der Film an manchen Stellen etwas zäh. Der Film erhielt 19 internationale Preise wie bester Regisseur im Cannes Film Festival, beste Kamera der deutschen Filmpreise oder bester ausländischer Film beim French Syndicate of Cinema Critics sowie zahlreiche Nominierungen (imdb, k.A.).

«Wann begann die Zeit und wo endet der Raum?
Ist das Leben unter der Sonne nicht bloß ein Traum?
Ist was ich sehe und höre und rieche
nicht bloß der Schein einer Welt vor der Welt?»

Wenders, 1987, 9:24

Mensch sein

Durch die Aussenperspektive von nicht-menschlichen Wesen auf den Menschen wird zwangsläufig die Frage aufgeworfen, was denn Mensch sein überhaupt bedeutet. Anfangs scheint die Versklavung durch die eigenen trübseligen Gedanken und die Eintönigkeit des Alltags die Antwort zu sein. Dem Gegenüber stellt sich die Freude der Engel über die kleinen alltäglichen Dinge, nach denen sie sich sehnen. Ähnlich wie Kinder, die eine wichtige Rolle im Film spielen, erkennen sie die Schönheit im Alltag und in der Vergänglichkeit. Aber auch Sinnlichkeiten, Unwissenheit und Irrtümer sehen sie als bemerkenswerte menschliche Eigenschaften an. Anders als die Menschen sind die Engel oft unberührt und zeigen kaum Emotionen. Sie scheinen alles hinzunehmen, nur selten kommt es zu Gefühlsausbrüchen. Wie die Menschen haben sie eine beinahe depressive Grundstimmung. Aber während sich die Personen im Film durch grübelnde Gedanken auszeichnen, sind die Engel einfach zu losgelöst vom Geschehen, um Emotionen zu verspüren. Es ist das Los der ewig Beobachtenden. Im Umkehrschluss wird das Mensch sein im Film auch durch die Fähigkeit, zu handeln und sein eigenes Dasein zu kreieren bestimmt.

Im Film wird immer wieder das Gedicht Lied vom Kindsein eingespielt (für Ausschnitte siehe Zitate). Dieses besteht aus vier Strophen, die meiner Meinung nach, folgende Themen beinhalten: Im ersten Teil geht es um die Reinheit und Unbeschwertheit des Kindes. Dieses wird im zweiten Teil durch das Stellen von Fragen über Realität und Identität abgelöst. Das Kind wird erwachsen, vollzieht einen Wandel und erhält neue Sichtweisen. Im vierten Teil wird aber klar, dass das Kind im Erwachsenen noch immer vorhanden ist. Es wird angedeutet, dass gewisse Taten oder Gefühle des Kindseins auf ewig Bestand haben.

Was ist wirklich?

Der Film spielt mit dem Konzept von Realität. Während man immer wieder an die Hinterlassenschaften des zweiten Weltkriegs in der Stadt erinnert wird, spielt ein Teil der Handlung auf einem Filmset über den zweiten Weltkrieg. Auch sieht man die Erinnerungen der Menschen über die Kriegszeit, wie eingestürzte Gebäude oder Leichen auf der Strasse. Die Vergangenheit ist im Film der Gegenwart verdächtig nah.

Einige wenige Menschen scheinen sich der Engel bewusst zu sein. Kinder sehen die Engel und interagieren mit ihnen. Doch auch ein erwachsener Mann kann sie erkennen. Er spricht sogar mit Damiel und Cassian. Während er von seiner Umgebung als merkwürdig angesehen wird, ist er der Einzige, der die Realität erkennt.

Hinzukommt, dass im Film immer wieder ein Gedicht eingespielt wird (siehe Kästchen). Darin wird unter anderem der Zweifel an der Realität direkt angesprochen. Sind unsere Wahrnehmungen tatsächlich wirklich? Wieso bin ich das, was ich bin? Was bestimmt Zeit und Raum?

Auch die Realität über die Bedeutsamkeit der eigenen Gedanken wird in Frage gestellt. Die Engel lauschen den Überlegungen der Menschen, die sich immer wieder vermischen und trennen. Kaum einer dieser Gedanken ist nicht selbstfokussiert oder grüblerisch. Von aussen scheinen sie sogar zumeist belanglos und dümmlich zu sein – vor allem wenn man sie in Beziehung zur Realität stellt. Vielleicht möchte der Film uns somit mitteilen, dass wir unsere eigenen Grübeleien weniger ernst nehmen sollen.

Krieg

Die Auswirkungen des zweiten Weltkriegs sind im Film omnipräsent. Die Mauer, die Menschen trennt, der Todesstreifen und die Erinnerungen der Menschen an Tod und Zerstörung wird immer wieder gezeigt. Aber auch die Engel scheinen einen Krieg zu führen: Sie kämpfen gegen das Trübsal der Menschen. Ihre einzigen Waffen sind hierbei sanfte Berührungen, die ihrem Empfangenden Wohlbefinden und Trost spenden. Manchmal können sie helfen, oft scheint es aber lächerlich wirkungslos zu sein – als würde man ein viel zu kleines Pflaster über eine Wunde kleben. Dennoch können sie in bestimmten Momenten den Menschen helfen und Unterstützung leisten, bis andere Hilfe naht.

«Wie kann es sein, daß ich, der ich bin,
bevor ich wurde, nicht war,
und daß einmal ich, der ich bin,
nicht mehr der ich bin, sein werde?»

Wenders, 1987, 9:55

Ein Film für ruhige Stunden

Insgesamt ist der Film sehr schön und poetisch. Dennoch erlebte ich ihn besonders in der ersten Stunde etwas zäh. Es gibt kaum Konflikte und Handlungen, obwohl es die Geschichte an sich anbietet. Die Dialoge wirken gestellt und sind in einer unnatürlichen Sprache verfasst. Dennoch bleibt einem der Film positiv im Gedächtnis, vielleicht weil man sich wünscht, dass es tatsächlich Engel gibt, die sich um uns kümmern. Er hallt aussergewöhnlich lange nach. Je länger man über ihn nachdenkt, desto mehr zieht er einen in Bann. Es ist ein Film für ruhige Stunden, in denen man entspannen und philosophieren möchte. Er erinnert an vergangene Zeiten und an das Privileg, Mensch zu sein.


Zum Ansehen

Wenders, W. (Regisseur). (1987). Der Himmel über Berlin [Film]. Deutschland, Frankreich: Road Movies Filmproduktion, Argos Films & Westdeutscher Rundfunk.

Literatur

Lied vom Kindsein. (k.A.). http://www.reverse-angle.com/deutsch/filme/katalog/timeline/ww-1/wingsofdesire/wod-song-of-childhood-german.htm

Wenders, W. (Regisseur). (1987). Der Himmel über Berlin [Film]. Road Movies Filmproduktion, Argos Films & Westdeutscher Rundfunk.

Wings of Desire Awards. (k.A.). https://www.imdb.com/title/tt0093191/awards

Wolkenbilder

Nach oben

Von Belinda Lamatsch
Lektoriert von Ladina Hummel und Isabelle Bartholomä
Illustriert von Belinda Lamatsch

Richte deinen Blick nach oben. Siehst du Wasserdampf, der zu Wolken kondensiert oder siehst du einen Himmelspalast?

Majestätisch prächtige Türme, samtig weiche Wolken. Daneben ein Boot am Horizont des Nimmerlands. Schimmernd, sanft erstrahlend im Sonnenglanz.

Dort oben,

wo weder gestern noch morgen

von Bedeutung ist,

vergangenes verschmilzt mit der Zukunft und

du landest: im Jetzt.

Du fühlst dich frei mit dem Blick nach oben,

all deinen Ängsten enthoben, Zweifel zerstoben.

Blankweisse Wolken formen eine Traumlandschaft.

Eine unbemalte Leinwand,

bepinsle sie mit deiner Fantasie,

verleihe deinem Tag

eine Prise Magie