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Mit ‘Filmrezension’ getaggte Beiträge

Vom Privileg Mensch zu sein

Filmrezension zu Himmel über Berlin

Im Film geht es um zwei Engel, die Menschen helfen und sie um ihre Sinnlichkeiten beneiden. Sie sind ewige Beobachter einer durch die Berliner Mauer separierten Welt. Eine Bandbreite an Themen wird angesprochen: Krieg, Realität und was Menschlichkeit bedeutet. Es ist ein Film, der im Gedächtnis bleibt.

Von Marcia Arbenz
Lektoriert von Isabelle Bartholomä und Hannah Meyerhoff
Illustriert von Andrea Bruggmann

Zwei Engel schweben über den Berliner Himmel. Sie beobachten die Menschen, lauschen ihren Gedanken und bieten durch sanfte Berührungen Trost. Nur Kinder können sie sehen, für alle anderen sind sie unsichtbar. Damiel und Cassian, die beiden Engel, erzählen sich von den kleinen Dingen, die sie beobachtet haben. Es sind die kleinen Momente, die sie faszinieren, beispielsweise wie jemand den Regenschirm schliesst, um den Regen zu spüren oder jemand die Socken auszieht, um die Zehen nach einem langen Arbeitstag zu strecken. Oft tun sie so, als ob sie Teil vom Geschehen wären. Doch Damiel will mehr, er will Mensch sein und sich der Endlosigkeit seines Daseins entziehen. Zudem fühlt er sich zu der Trapezkünstlerin Marion hingezogen. Im Todesstreifen der Berliner Mauer findet er seine Sterblichkeit und macht sich auf die Suche nach Marion. Cassian hingegen versucht einem älteren Mann zu helfen und beobachtet vermehrt ein Filmset.

Der Schwarzweissfilm von Wim Wenders im Jahr 1987 spielt etwa derselben Zeit in Berlin. Die Mauer voller Graffiti und halbzerstörte Gebäude prägen die Stimmung des Films. Die Geschichte wird langsam und gemächlich erzählt. In der ersten Stunde scheint es kaum Handlung geben. Dies widerspiegelt jedoch die beobachtende Natur der Engel, die selten eingreifen und wenn, dann so subtil, dass man es kaum bemerkt. Oft wird durch die Kameraführung der Blickwinkel der Engel auf die Welt hinab gezeigt. Es gibt einige versteckte lustige Momente – dennoch ist der Film an manchen Stellen etwas zäh. Der Film erhielt 19 internationale Preise wie bester Regisseur im Cannes Film Festival, beste Kamera der deutschen Filmpreise oder bester ausländischer Film beim French Syndicate of Cinema Critics sowie zahlreiche Nominierungen (imdb, k.A.).

«Wann begann die Zeit und wo endet der Raum?
Ist das Leben unter der Sonne nicht bloß ein Traum?
Ist was ich sehe und höre und rieche
nicht bloß der Schein einer Welt vor der Welt?»

Wenders, 1987, 9:24

Mensch sein

Durch die Aussenperspektive von nicht-menschlichen Wesen auf den Menschen wird zwangsläufig die Frage aufgeworfen, was denn Mensch sein überhaupt bedeutet. Anfangs scheint die Versklavung durch die eigenen trübseligen Gedanken und die Eintönigkeit des Alltags die Antwort zu sein. Dem Gegenüber stellt sich die Freude der Engel über die kleinen alltäglichen Dinge, nach denen sie sich sehnen. Ähnlich wie Kinder, die eine wichtige Rolle im Film spielen, erkennen sie die Schönheit im Alltag und in der Vergänglichkeit. Aber auch Sinnlichkeiten, Unwissenheit und Irrtümer sehen sie als bemerkenswerte menschliche Eigenschaften an. Anders als die Menschen sind die Engel oft unberührt und zeigen kaum Emotionen. Sie scheinen alles hinzunehmen, nur selten kommt es zu Gefühlsausbrüchen. Wie die Menschen haben sie eine beinahe depressive Grundstimmung. Aber während sich die Personen im Film durch grübelnde Gedanken auszeichnen, sind die Engel einfach zu losgelöst vom Geschehen, um Emotionen zu verspüren. Es ist das Los der ewig Beobachtenden. Im Umkehrschluss wird das Mensch sein im Film auch durch die Fähigkeit, zu handeln und sein eigenes Dasein zu kreieren bestimmt.

Im Film wird immer wieder das Gedicht Lied vom Kindsein eingespielt (für Ausschnitte siehe Zitate). Dieses besteht aus vier Strophen, die meiner Meinung nach, folgende Themen beinhalten: Im ersten Teil geht es um die Reinheit und Unbeschwertheit des Kindes. Dieses wird im zweiten Teil durch das Stellen von Fragen über Realität und Identität abgelöst. Das Kind wird erwachsen, vollzieht einen Wandel und erhält neue Sichtweisen. Im vierten Teil wird aber klar, dass das Kind im Erwachsenen noch immer vorhanden ist. Es wird angedeutet, dass gewisse Taten oder Gefühle des Kindseins auf ewig Bestand haben.

Was ist wirklich?

Der Film spielt mit dem Konzept von Realität. Während man immer wieder an die Hinterlassenschaften des zweiten Weltkriegs in der Stadt erinnert wird, spielt ein Teil der Handlung auf einem Filmset über den zweiten Weltkrieg. Auch sieht man die Erinnerungen der Menschen über die Kriegszeit, wie eingestürzte Gebäude oder Leichen auf der Strasse. Die Vergangenheit ist im Film der Gegenwart verdächtig nah.

Einige wenige Menschen scheinen sich der Engel bewusst zu sein. Kinder sehen die Engel und interagieren mit ihnen. Doch auch ein erwachsener Mann kann sie erkennen. Er spricht sogar mit Damiel und Cassian. Während er von seiner Umgebung als merkwürdig angesehen wird, ist er der Einzige, der die Realität erkennt.

Hinzukommt, dass im Film immer wieder ein Gedicht eingespielt wird (siehe Kästchen). Darin wird unter anderem der Zweifel an der Realität direkt angesprochen. Sind unsere Wahrnehmungen tatsächlich wirklich? Wieso bin ich das, was ich bin? Was bestimmt Zeit und Raum?

Auch die Realität über die Bedeutsamkeit der eigenen Gedanken wird in Frage gestellt. Die Engel lauschen den Überlegungen der Menschen, die sich immer wieder vermischen und trennen. Kaum einer dieser Gedanken ist nicht selbstfokussiert oder grüblerisch. Von aussen scheinen sie sogar zumeist belanglos und dümmlich zu sein – vor allem wenn man sie in Beziehung zur Realität stellt. Vielleicht möchte der Film uns somit mitteilen, dass wir unsere eigenen Grübeleien weniger ernst nehmen sollen.

Krieg

Die Auswirkungen des zweiten Weltkriegs sind im Film omnipräsent. Die Mauer, die Menschen trennt, der Todesstreifen und die Erinnerungen der Menschen an Tod und Zerstörung wird immer wieder gezeigt. Aber auch die Engel scheinen einen Krieg zu führen: Sie kämpfen gegen das Trübsal der Menschen. Ihre einzigen Waffen sind hierbei sanfte Berührungen, die ihrem Empfangenden Wohlbefinden und Trost spenden. Manchmal können sie helfen, oft scheint es aber lächerlich wirkungslos zu sein – als würde man ein viel zu kleines Pflaster über eine Wunde kleben. Dennoch können sie in bestimmten Momenten den Menschen helfen und Unterstützung leisten, bis andere Hilfe naht.

«Wie kann es sein, daß ich, der ich bin,
bevor ich wurde, nicht war,
und daß einmal ich, der ich bin,
nicht mehr der ich bin, sein werde?»

Wenders, 1987, 9:55

Ein Film für ruhige Stunden

Insgesamt ist der Film sehr schön und poetisch. Dennoch erlebte ich ihn besonders in der ersten Stunde etwas zäh. Es gibt kaum Konflikte und Handlungen, obwohl es die Geschichte an sich anbietet. Die Dialoge wirken gestellt und sind in einer unnatürlichen Sprache verfasst. Dennoch bleibt einem der Film positiv im Gedächtnis, vielleicht weil man sich wünscht, dass es tatsächlich Engel gibt, die sich um uns kümmern. Er hallt aussergewöhnlich lange nach. Je länger man über ihn nachdenkt, desto mehr zieht er einen in Bann. Es ist ein Film für ruhige Stunden, in denen man entspannen und philosophieren möchte. Er erinnert an vergangene Zeiten und an das Privileg, Mensch zu sein.


Zum Ansehen

Wenders, W. (Regisseur). (1987). Der Himmel über Berlin [Film]. Deutschland, Frankreich: Road Movies Filmproduktion, Argos Films & Westdeutscher Rundfunk.

Literatur

Lied vom Kindsein. (k.A.). http://www.reverse-angle.com/deutsch/filme/katalog/timeline/ww-1/wingsofdesire/wod-song-of-childhood-german.htm

Wenders, W. (Regisseur). (1987). Der Himmel über Berlin [Film]. Road Movies Filmproduktion, Argos Films & Westdeutscher Rundfunk.

Wings of Desire Awards. (k.A.). https://www.imdb.com/title/tt0093191/awards

Das Ding 

Filmrezension zu Das Ding aus einer anderen Welt von John Carpenter 

Das Ding aus einer anderen Welt von John Carpenter aus 1982 gilt unter manchen als Filmklassiker. Eine Geschichte, die Gänsehaut, Übelkeit und Spannung hervorbringt – aber am besten in einer Fremdsprache.  

Von Marcia Arbenz
Lektoriert von Berit Barthelmes und Marina Reist
Illustriert von Kerry Willimann

Es ist eine idyllische, eisige Wüste in der Antarktis. Aus dem Nichts taucht ein Helikopter auf, der im endlosen Weiss landet. Ein Mann steigt aus, hält eine Schusswaffe hoch und beginnt auf einen Hund zu schiessen. Das Tier rennt weg. Es flieht bis zum Basislager der US-amerikanischen Forscher, der Helikopter fliegt hinterher. Doch auch hier findet der Hund keine Zuflucht. Entsetzt beobachten die US-Amerikaner wie der ausländische Forscher aus dem Helikopter steigt, diesen in die Luft jagt und weiter auf den Hund schiesst. Als der Fremde dabei einen der US-Amerikaner trifft, wird er kurzerhand selbst getötet.  

Die Crew freundet sich mit dem Hund an, während ein Teil der Gruppe das Lager des ausländischen Mannes sucht. Was sie finden, verspricht nichts Gutes. Das gesamte Lager wurde komplett zerstört. Abgebrannte Leichen liegen herum. Schnell wird klar: Hier ist etwas Schreckliches passiert. Die Männer kehren mit einer völlig deformierten Leiche in ihre Basis zurück. Im Zuge der Autopsie erkennen sie, dass diese einmal ein Mensch gewesen sein musste. Etwas hat die Person äusserlich völlig verändert. Dieses Etwas ist ein Ding, welches in einen Wirt eindringt, ihn auf Zellebene absorbiert, imitiert und dann wartet, bis es sich das nächste Opfer zu eigen machen kann. Es tötet seine Opfer, in dem es aus ihnen herausbricht. Nach kurzer Zeit müssen sie erkennen, dass dieses Ding bereits unter ihnen ist. Wer ist noch Mensch, wer ist bereits Ding? Wem kann man noch trauen? Und wer ist Imitation? 

«How do we know who’s human? If I was an imitation, a perfect imitation… How would you know if it’s really me?» 

The Thing, 1982, 56:30 

Misstrauen, Verfolgungswahn halten Einzug ins Lager. Versuchter Mord, Sabotage und völlige Panik bricht aus. Immer wieder müssen sich die Männer neu formatieren, hinterfragen und um ihr Überleben kämpfen. Sie isolieren sich, nehmen Drogen und Alkohol, um die Spannung auszuhalten und greifen zu verzweifelten Mitteln. Können sie eine globale Ausbreitung verhindern? Wie viel sind sie bereit aufzugeben, um das Ding aufzuhalten?  

Ist ihr Ding unser Covid-19? 

Das erste Mal schaute ich den Film mit meinem Mitbewohner in seiner Muttersprache Russisch. Befreit von den eher dürftigen Dialogen konnte ich mich auf die Gruppendynamiken und intrapsychischen Vorgängen der einzelnen Charaktere fokussieren. Es ist faszinierend, wie das Ding einerseits immer wieder die Gruppe entzweit und in der nächsten Sekunde wieder zusammenschweisst. Wer Freund oder Feind ist, wechselt im Sekundentakt. Was mir ebenfalls auffiel, waren die Parallelen zu Covid-19. Die psychische und physische Isolation voneinander, Streit, Selbstmedikation, übertriebener Egoismus und Bedachtheit auf das eigene Wohl schienen mir, wie ein stark übertriebener Spiegel der letzten Monate zu sein. Im Film, wie auch in den letzten Monaten, steht die Angst einer globalen Ausbreitung eines unkontrollierbaren, unbekanntem und tödlichen Etwas im Raum. Jede Person kann infiziert sein, ohne es zu wissen und damit andere in Gefahr bringen. Die Ungewissheit und Panik zeigen das wahre Gesicht mancher Personen. Menschen, die man seit Jahren kennt, offenbaren neue Seiten an sich – Gute wie Schlechte. Und während andere an der Krise zerbrechen, schwingen andere zu neuer Höchstleistung auf. Das zeitlose Thema des Films gepaart mit den endlosen Abgründen der menschlichen Natur machen den Streifen extrem spannend. 

Charme gepaart mit ekelhafter Spannung  

Obwohl der Film eine gewisse Aktualität mit sich bringt, stammt er unzweifelhaft aus den 80er Jahren. Veraltete Technik wie Ghettoblaster, dicke Computer, Floppy-Disks und alte Küchenmaschinen verleihen dem Film einen nostalgischen Charme. Weniger amüsant ist die übertriebene und gar nicht subtile Hintergrundmusik. Schrille Töne in den spannungsaufgeladenen Momenten lenken eher ab, anstatt die Gefühle zu katalysieren. Auch das Tempo des Films ist aus heutiger Sicht ungewohnt. Obwohl es ein actiongeladener Film ist, passieren die Handlungen eher langsam. Doch genau diese gemässigte Geschwindigkeit hat mich noch unruhiger und spannungsgeladener hinterlassen. Die Atemlosigkeit in der langsamen Erzählung ist genial und leider etwas, was man in heutigen Filmen vermisst.  

Wie bereits erwähnt, sind die Dialoge im Film relativ bescheiden. Genauso eindimensional sind die Charaktere. Der machohafte Protagonist, der lustige dunkelhäutige Koch, der intellektuelle, alte Arzt und der Marihuana-rauchende Verschwörungstheoretiker sind einem allzu bekannt. Wirklich sagenhaft ist hingegen das Konzept des Dings selbst. Ein schlummerndes Etwas, welches intelligent genug ist, um Angriffe zu planen und bewusst Zwietracht säht, lässt einem heute noch die Haare zu Berge stehen. Es ist unmöglich zu beschreiben, wie das Ding aussieht. So viel sei verraten: es ist absolut übelerregend und ekelhaft. Ohne Sinn und Logik bricht es aus dem Lebewesen aus, verändert es bis zur Unkenntlichkeit und lässt sich abspalten. Das Ding ist so widerlich, dass mir teilweise die Galle hochkam. Es ist ein Meisterwerk. 

Trotz des Ekels ist der Film an manchen Stellen unfreiwillig amüsant. Gewisse Momente sind so absurd, dass man einfach Lachen muss. Beispielsweise als der Flammenwerfer nicht angehen will, obwohl sie das Ding extra gereizt haben, um es zu töten oder als das Ding den Kopf eines der Opfer benutzt, um wegzurennen. Somit schafft es der Film, eine grosse Bandbreite an Gefühle auszulösen und muss dabei nicht auf ein übertriebenes Setting, Hintergrundgeschichten oder billige Tricksereien zurückgreifen.  

Insgesamt lebt der Film von der Idee des Dings, der intra- und interpersonalen Dynamiken und der Ungewissheit, wen es bereits erwischt hat. Der Nervenkitzel, welchen der Film kreiert, ist herausragend. Dennoch würde ich empfehlen, dass man den Film in einer fremden Sprache schaut, um von den Dialogen und Charakteren befreit zu bleiben. Die Spannung ist hingegen in jeder Sprache verständlich. 


Zum Anschauen

Carpenter, J. (Director). (1982). The Thing [Film]. Universal Pictures. 

Ein Spiel mit der Loyalität

Rezension zum Film Joker 

Der Film von Phillips (2019) liess mich im Sekundentakt erschauern, laut auflachen und über die Realität zweifeln. Die Geschichte wie aus Arthur Fleck der Joker wird, ist nichts für schwache Nerven. 

Von Marcia Arbenz
Lektoriert von Mandana Fröhlich und Celina Weder
Illustriert von Marcia Arbenz

Der Blick in den Spiegel 

Die Geschichte beginnt mit einem Mann, der an einem Schminktisch sitzt und sich schwarze Clownsaugen anmalt. Mit seinen Fingern verzieht er seine Mundwinkel zu einem Lächeln – bis ihm eine Träne die Wange herunterläuft. Arthur Fleck ist ein angehender Stand-up-Komiker, der sich und seine pflegebedürftige Mutter als Clown über Wasser hält. Die Welt um ihn herum versinkt im Dreck. Einerseits stapeln sich die Müllsäcke auf den Strassen, weil das Personal der Müllabfuhr streikt, andererseits herrscht überall Gewalt und Verbrechen. Auch Arthur wird Opfer davon. Mehr als einmal wird er verprügelt, man tritt ihn, während er am Boden liegt. Er ist von seinen Mitmenschen isoliert, hat unkontrollierbare Lachanfälle aufgrund einer Hirnverletzung und leidet gleichzeitig an einer depressiven Episode. Obwohl Arthur nichts zu haben scheint, verliert er immer mehr: Seinen Job, seine Sozialarbeiterin und somit auch seine Medikamente, seinen Ruf, seine Hoffnung und beinahe seine Mutter. Als er im Clownskostüm in der U-Bahn von drei Männern belästigt wird, reisst ihm der Geduldsfaden und er erschiesst sie. Das erste Mal scheint er so etwas wie Macht zu spüren. Die Medien berichten zunächst schockiert über die Tat, mit der Zeit wird er jedoch als eine Symbolfigur für den Widerstand gegen die Ungerechtigkeiten in Gotham gehandelt. Immer wieder wird Arthur mit der vermeintlichen Realität konfrontiert, die sehr von seiner Wahrheit abweicht. Nach und nach verwandelt sich der sensible Arthur Fleck in den anarchistischen Joker.  

Krankhaftes Lachen und Sinnlosigkeit 

Eines der offensichtlichsten Filmelemente ist Arthurs Lachen. Seine regelmässigen und sehr unpassenden Lachanfälle lösen Verwirrung und Unverständnis bei seinen Mitmenschen aus, auch wenn sie von seiner Diagnose erfahren. Während ein offenes Lachen einen Menschen sympathisch erscheinen lässt, stösst Arthur damit nur auf Entfremdung, Hohn und Gewalt. Zusätzlich zeigt Arthur weitere Symptome: Er spricht von einem Gefühl der Sinnlosigkeit, ist sozial weitgehend isoliert, zweifelt an seiner eigenen Existenz, fühlt sich andauernd schlecht und ist untergewichtig. Hinzu kommen Illusionen und Halluzinationen, ein frühkindliches Trauma durch Missbrauch und Gewalt, kein Gefühl von Reue und Aggressionen. Arthurs Symptome sind einerseits Produkte seiner miserablen Situation, andererseits auch verantwortlich für den Verlauf der Geschichte.  

Widersprüchliche Puzzleteile 

Es ist kein Wunder, dass man als Zuschauer*in mit Arthur mitleidet, wenn man sich die Liste der Symptome ansieht. Mehr als einmal kann man sich selber dabei ertappen, wie man Arthurs Aggressionen und Morde nachvollziehen und manchmal sogar gutheissen kann. Der Film spielt mit der Loyalität des Publikums. Die Frage, ab wann ich nicht mehr für Arthur Fleck, sondern gegen ihn bin, beschäftigte mich am meisten, während ich den Film das erste Mal sah. Immer wieder neue Erkenntnisse lassen die einzelnen Figuren in einem anderen Licht erscheinen. Hinzu kommt ein pikantes Spiel mit der Realität. Welcher Erklärung kann man trauen? Am Ende hat man zu viele widersprüchliche Puzzleteile, als das eine Wahrheit herausstechen würde. Aber das macht den Film gerade so spannend.  

Als eingefleischter Batman-Fan ist die Geschichte um Thomas Wayne, dem Vater von Batman, etwas ungewohnt. Während er in vielen Verfilmungen als grosser Wohltäter und hingebungsvoller Vater dargestellt wird, bekommt er im Joker sein Fett weg.  

Während die Entwicklung von Arthur Fleck natürlich und nachvollziehbar von statten geht, ist seine endgültige Betitelung als Joker meines Erachtens etwas gesucht. In den letzten paar Minuten nennt er sich selber so, aufgrund einer Bemerkung, die gefühlt Stunden zuvor gemacht wurde.  

Ansonsten ist der Film, besonders für Psychologiestudierende, extrem spannend. Aufgrund der vielen versteckten Symbolen und filmischen Mittel, ist der Film auch ein zweites Mal sehenswert.  


Zum Ansehen 

Cooper, B., Phillips, T., & Tillinger Koskoff, E. (Producers), & Phillips, T. (Director). (2019). Joker [Motion Picture]. United States: Warner Bros. Pictures.