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Mit ‘Emotion’ getaggte Beiträge

Mmh… dieses oder jenes?

Wie funktioniert der psychologische Prozess der Entscheidungsfindung? Ein kurzer Einblick in die Entscheidungspsychologie

Die Forschung hat Modelle entwickelt, um Entscheidungen rational zu erklären, aber der Mensch scheint sich nicht immer an die Theorie zu halten. Entscheidungen variieren je nach Kontext, verfügbaren Informationen und Alternativen. Erschwerend kommt hinzu, dass Emotionen Entscheidungen «irrational» machen können.

Von Arianna Pagani
Lektoriert von Michelle Regli und Isabelle Bartholomä
Illustriert von

Heutzutage sind die Möglichkeiten der Produktauswahl nahezu unendlich. Man denke nur an die Hunderte von Fernsehkanälen, die vielen Online-Shops mit Kleidung in allen Modellen und Farben und das Unterhaltungsangebot an Filmen und Musik. Worauf haben Sie heute Abend Appetit? Durch eine einfache Internetsuche kann man von der vietnamesischen Küche bis hin zur klassischen neapolitanischen Pizza alle möglichen Speisen bestellen. Die Auswahl ist vielfältig, aber wie entscheidet man sich?

Der Prozess der Entscheidung

In der entscheidungspsychologischen Forschung werden hauptsächlich Experimente zu Geldwertentscheidungen durchgeführt. Würden Sie lieber diese oder jene Belohnung erhalten? Dieses Thema war schon vor 50 Jahren faszinierend. 1976 entwickelten Keeney und Raiffa ein Modell, das auch heute noch gültig ist: die Multi-Attribute Utility Theory (MAUT). Es handelt sich um ein Modell, das bei der Entscheidungsfindung insbesondere zwischen Alternativen mit mehreren Variablen (Multi-Attribute) hilft, z. B. wenn Kriterien wie Preis, Komfort und Sicherheit eine Rolle spielen. Die MAUT identifiziert die zu berücksichtigenden Dimensionen und weist ihnen ein Gewicht, also eine Relevanz für die zu treffende Entscheidung zu (Utility). Auf diese Weise werden die Attribute integriert und für jede Alternative eine Gesamtnote vergeben, die zu einer entsprechenden Wahl führt. Obwohl das Modell versucht, objektiv zu erklären, was die «beste» Entscheidung ist, entscheiden sich die Menschen oft widersprüchlich (Shafir & LeBoeuf, 2004). Wie kommt das?

Kontexteffekte

Ein Grund für die Inkonsistenz von Entscheidungen kann der Kontext sein, in dem die Optionen präsentiert werden (Prelec et al., 1997). Wissenschaftler*innen haben kontextuelle Effekte untersucht, d. h. wie die Verfügbarkeit anderer Möglichkeiten die Präferenzen und Entscheidungen von Menschen verändert (Trueblood et al., 2013).

Am bekanntesten ist der Kompromisseffekt von Simonson und Tversky (1992), der davon ausgeht, dass die Hinzunahme einer extremen Option dazu führt, dass das Objekt in der Mitte – der Kompromiss – gewählt wird. Wenn man beispielsweise für das Abendessen zwischen einem luxuriösen Fischrestaurant und einer italienischen Pizzeria entscheiden muss, fällt durch die Hinzufügung eines billigen Fast-Food Restaurants die endgültige Wahl eher auf die Pizzeria, den Kompromiss.

Ein weiteres Beispiel ist der Ähnlichkeitseffekt (Brenner et al., 1999). In diesem Fall ähnelt die dritte Option einer der bereits vorhandenen, was die Wahl dieser beider Optionen unwahrscheinlicher macht. Im vorherigen Beispiel, würde somit bei der Hinzunahme eines weiteren exklusiven Restaurants, das auf Fleisch spezialisiert ist, bei den meisten die Tendenz steigen, die Pizzeria zu wählen, die durch die dritte Option nicht gestört wird.

Der letzte kontextuelle Effekt ist der Anziehungseffekt oder asymmetrische Dominanz-Effekt (Heath & Chatterjee, 1995). Hier ähnelt die hinzugefügte Option einer der bisherigen, aber im Gegensatz zum Ähnlichkeitseffekt wird sie von ihr dominiert. Es bedeutet, dass die neue Option objektiv etwas minderwertiger ist. Wäre das zusätzliche Angebot z. B. ein italienisches Restaurant, das aber keine Holzofenpizza anbietet, würde aufgrund der asymmetrischen Dominanz die Pizzeria ausgewählt werden. Der Effekt wurde in vielen Studien getestet und ist stabil, selbst wenn das Luxusrestaurant anfangs gegenüber der Pizzeria bevorzugt wurde (Huber et al., 1982).

Suche nach Infos

Wie bei Kontexteffekten kann nicht nur das Angebot neuer Alternativen die Entscheidung verändern, sondern auch einfach die Suche nach mehr Informationen über die vorhandenen Optionen. Menschen neigen dazu, nach mehr Informationen zu suchen, um ihre Wahl zu erleichtern, wenn sie unsicher sind (Tversky & Shafir, 1992b). Je genauer man über die Möglichkeiten informiert ist, desto besser. Bei der endgültigen Entscheidung wird jedoch neuen Informationen mehr Bedeutung beigemessen (Shafir & LeBoeuf, 2004). Die zusätzliche Feststellung, dass die Wohnung A näher an der Bushaltestelle liegt als die Wohnung B, wird ein wichtigerer Faktor sein, als wenn diese Information von Anfang an zur Verfügung gestanden hätte.

Rolle der Emotionen

Entscheidungen haben einen klar rational-kognitiven Anteil: Was sind die Optionen? Und was für Konsequenzen haben sie? Menschen haben jedoch auch emotionale Reaktionen auf Entscheidungen und Folgen: Freude über ein gutes Ergebnis oder Angst vor einer Operation (Connolly & Zeelenberg, 2002). Emotionen sind wesentlich für den Entscheidungsprozess, sie sind nicht von vornherein Störfaktoren. Die affektive Reaktion folgt auf die kognitive Verarbeitung, die zu einem Urteil und einer Entscheidung führt (Zajonc, 1980).

«Wir sehen nicht nur ein ‘Haus‘: Wir sehen ‚ein schönes Haus‘, ‚ein hässliches Haus‘ oder ‚ein pompöses Haus‘.»

Zajonc, 1980, S. 154

Die am meisten untersuchte Emotion in der Entscheidungspsychologie ist das Bedauern (Connolly & Zeelenberg, 2002). Es wird unterschieden zwischen dem Bedauern, etwas getan zu haben, und dem Bedauern, nicht gehandelt zu haben. Welche der beiden Situationen mehr belastet, ist umstritten. Kahneman und Tversky (1982) führten eine Umfrage durch, bei der es darum ging, wer von zwei Anlegern mehr Bedauern empfand. Beide hatten 1’200 Dollar verloren, der eine, nachdem er Aktien aktiv gekauft hatte, der andere, weil er sie hielt. Mehr als 90 Prozent der Befragten vermuten, dass der Erstere, der «aktiven Käufer», mehr Bedauern empfinden würde. Im Gegensatz dazu zeigen Gilovich und Medvec (1995) anhand einer realen Erinnerung, dass Menschen es mehr bedauern, etwas «nicht getan» zu haben, als etwas getan zu haben.

Verlust versus Gewinn

Emotionale Auswirkungen spielen ebenfalls eine Schlüsselrolle bei einer sehr wichtigen Frage in der Entscheidungspsychologie: «Was fällt emotional schwerer ins Gewicht: Verluste oder Gewinne?». Laut dem Prinzip der Verlustaversion (Kahneman & Tversky, 1979) sind Verluste für uns von grösserer Bedeutung. Menschen benötigen typischerweise «[…] einen potenziellen Gewinn von mindestens 100 Dollar, um einen potenziellen Verlust von 50 Dollar auszugleichen […]» (Tom et al., 2007, S. 51). Dieses Paradigma ist auch in anderen wissenschaftlichen Bereichen wie Wirtschaft, Recht und Medizin weit verbreitet (Lewis, 2016).

«Losses hurt about twice as much as gains make us feel good.»

Thaler, 2000, S. 137

Das Modell wird akzeptiert, jedoch gibt es viele Experimente, die das Gegenteil zeigen, d. h. dass ein Gewinn eine grössere Wirkung als ein Verlust haben kann (Harinck et al., 2007). Mukherjee und Kollegen (2017) zeigten, dass der betreffende Geldbetrag einen Einfluss hat. Wenn der Betrag hoch war (z. B. 200 Dollar), war die psychologische Auswirkung des Verlustes grösser als der Gewinn. War der Betrag dagegen niedrig (50 Dollar), beurteilten die Teilnehmenden die Gewinne eher als wirkungsvoller. Eine mögliche Erklärung ist, dass ein grosser Geldbetrag objektive Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben kann und daher eine grössere Risikoaversion besteht (Rabin & Thaler, 2001). Gal und Rucker (2017b) weisen darauf hin, dass sich die Auswirkungen je nach Typ der Belohnung ändern können. Bei nicht-monetären Objekten (z. B. Gewinn oder Verlust einer Tasse) ist die positive Auswirkung eines möglichen Gewinns grösser als die negative Auswirkung eines Verlusts.

Neuropsychologie der Entscheidung

Mit dem Aufkommen neuer Technologien zur Messung der neuronalen Aktivität wurde das Gehirn auch während dem Entscheidungsprozess beobachtet. Hirnaktivität zeigte sich dabei vor allem im orbitofrontalen Kortex (wichtig bei kognitiven Prozessen), dem Striatum (koordiniert Motorik, Handlungsplanung und Motivation), dem Präfrontalkortex (verarbeitet Risiken und reguliert emotionale Reaktionen) und dem anterioren cingulären Kortex (zuständig für Lernprozesse und Belohnung). Interessanterweise sind diese Bereiche sowohl bei der Regulation potenzieller Gewinne als auch bei der Verarbeitung potenzieller Verluste involviert (Tom et al., 2007). Was Verluste von Gewinnen unterscheidet, ist die Aktivität in den Gebieten: Bei Verlust nimmt die Aktivität ab, während sie bei Gewinnen zunimmt (Tom et al., 2007).

Vielleicht wird es in der Zukunft einem Modell gelingen, neben den besprochenen Faktoren wie Kontext, Alternativen und Emotionen auch noch weitere Einflüsse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Bis dahin werden die Menschen weiterhin jeden Tag Entscheidungen treffen, die den Verlauf ihres Lebens verändern werden.



Zum Weiterlesen

Connolly, T., & Zeelenberg, M. (2002). Regret in decision making. Current directions in psychological science, 11(6), 212-216.

Gal, D., & Rucker, D. D. (2018). The loss of loss aversion: Will it loom larger than its gain?. Journal of Consumer Psychology, 28(3), 497-516.

Literatur

Brenner, L., Rottenstreich, Y., & Sood, S. (1999). Comparison, grouping, and preference. Psychological Science, 10(3), 225-229. doi.org/10.1111/1467-9280.00141

Connolly, T., & Zeelenberg, M. (2002). Regret in decision making. Current directions in psychological science, 11(6), 212-216. doi.org/10.1111/1467-8721.00203

Gal, D., & Rucker, D. D. (2017b). The hedonic impact of losses and gains of diverse goods. Working Paper.

Gal, D., & Rucker, D. D. (2018). The loss of loss aversion: Will it loom larger than its gain?. Journal of Consumer Psychology, 28(3), 497-516. doi.org/10.1002/jcpy.1047

Gilovich, T., & Medvec, V.H. (1995). The experience of regret: What, when, and why. Psychological Review, 102(2), 379–395.

Harinck, F., Van Dijk, E., Van Beest, I., & Mersmann, P. (2007). When gains loom larger than losses reversed loss aversion for small amounts of money. Psychological Science, 18(12), 1099–1105. doi.org/10.1111/j.1467-9280.2007.02031.x

Heath, T. B., & Chatterjee, S. (1995). How entrants affect multiple brands: A dual attraction mechanism. Advances in Consumer Research, 18, 768-771.

Huber, J., Payne, J. W., & Puto, C. (1982). Adding asymmetrically dominated alternatives: Violations of regularity and the similarity hypothesis. Journal of consumer research, 9(1), 90-98. doi.org/10.1086/208899

Kahneman, D., & Tversky, A. (1979). Prospect theory: An analysis of decision under risk. Econometrica, 47, 263–291. doi.org/10.1142/9789814417358_0006

Kahneman, D., & Tversky, A. (1982). The psychology of preferences. Scientific American, 246(1), 160–173.

Keeney, R. L. & Raiffa, H. (1976) Decisions with Multiple Objectives: Preferences and Value Tradeoffs. Cambridge University Press.

Lewis, M. (2016). The undoing project: A friendship that changed the world. Penguin UK.

Mukherjee, S., Sahay, A., Pammi, V. C., & Srinivasan, N. (2017). Is loss-aversion magnitude-dependent? Measuring prospective affective judgments regarding gains and losses. Judgment and Decision Making, 12(1), 81–89. doi.org/10.1017/S1930297500005258

Prelec, D., Wernerfelt, B., & Zettelmeyer, F. (1997). The role of inference in context effects: Inferring what you want from what is available. Journal of Consumer research, 24(1), 118-125. doi.org/10.1086/209498

Rabin, M., & Thaler, R. H. (2001). Anomalies: Risk aversion. The Journal of Economic Perspectives, 15(1), 219–232. DOI: 10.1257/jep.15.1.219

Simonson, I., & Tversky, A. (1992). Choice in context: Tradeoff contrast and extremeness aversion. Journal of marketing research, 29(3), 281-295. doi.org/10.1177/002224379202900301

Shafir, E., & LeBoeuf, R. A. (2004). Context and conflict in multiattribute choice. Blackwell handbook of judgment and decision making, 341-359.

Tom, S. M., Fox, C. R., Trepel, C., & Poldrack, R. A. (2007). The neural basis of loss aversion in decision-making under risk. Science, 315(5811), 515-518. DOI: 10.1126/science.1134239

Trueblood, J. S., Brown, S. D., Heathcote, A., & Busemeyer, J. R. (2013). Not just for consumers: Context effects are fundamental to decision making. Psychological science, 24(6), 901-908. doi.org/10.1177/0956797612464241

Tversky, A. & Shafir, E. (1992b) The disjunction effect in choice under uncertainty, Psychological Science, 3(5), 305–9. doi.org/10.1111/j.1467-9280.1992.tb00678.x

Zajonc, R. B. (1980). Feeling and thinking: Preferences need no inferences. American psychologist, 35(2), 151-175. doi.org/10.1037/0003-066X.35.2.151

Was wir empfinden und wie wir sind 

Die Bedeutung von affektiven Zuständen für die Gerechtigkeit am Arbeitsplatz

Fehlende Gerechtigkeit am Arbeitsplatz ist kein seltenes Problem. Häufig führt sie zu Spannungen zwischen Arbeitgeber*in und Arbeitnehmer*in. Deshalb befasst sich die Gerechtigkeitsforschung damit, wie Gerechtigkeit entsteht, um diese zu fördern. Folgend wird auf die Rolle von affektiven Zuständen fokussiert.

Von Anja Blaser
Lektoriert von Marina Reist und Laura Trinkler 
Illustriert von Anja Blaser

Gerechtes Verhalten wird als Normalzustand angesehen und fällt nicht auf – bis es fehlt (Goldman & Cropanzano, 2015). Bekannt ist, dass Erfahrungen von Ungerechtigkeiten am Arbeitsplatz bei den Betroffenen zu schlechterer Arbeitsleistung, mehr Feindseligkeit und höherer Ablenkbarkeit führen (Colquitt et al., 2014). Gerechtes Verhalten des Gegenübers ist demzufolge grundlegend für eine förderliche Arbeitsatmosphäre (Colquitt et al., 2001). Die Forschung liefert weiter einige Erkenntnisse darüber, wie beispielsweise gewisse Charakterzüge sowie die Glaubwürdigkeit und Kompetenz der handelnden Person mit deren Grad an gezeigter Gerechtigkeit verknüpft sind. Personen, die sich gerecht verhalten, werden demnach etwa kompetenter eingestuft als sich ungerecht verhaltende Personen (Zapata et al., 2013). Aber was macht Gerechtigkeit eigentlich aus?  

«Wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Wert mehr, dass Menschen leben auf Erden.» 

Kant, 1797, S. 453 

Auf dem Weg zur Gerechtigkeit 

Gerechtigkeit wird meist in vier Dimensionen unterteilt: Distributiv, prozedural, informational und interpersonal. Die distributive Gerechtigkeit beschreibt das gerechte Verteilen von materiellen und symbolischen Gütern. Dabei wird es als gerecht wahrgenommen, wenn die Verteilung gewissen Regeln folgt. Bei der prozeduralen Gerechtigkeit ist vielmehr der Prozess einer Entscheidungsfindung im Fokus. Die betroffene Person wird demnach gerecht behandelt, wenn das Gefühl besteht, dass sie Einfluss auf die Entscheidung hat oder diese nach bestimmten Kriterien gefällt wird. Bei der informationalen Gerechtigkeit geht es um die Transparenz der erhaltenen Informationen. Die Handlung soll somit nachvollziehbar sein und mit den vorhandenen Informationen übereinstimmen. Die interpersonale Gerechtigkeit als letzte Dimension bezieht sich auf den zwischenmenschlichen Umgang (Colquitt et al., 2001). Auch hier wird folglich auf die interpersonale Spannung fokussiert.  

«Es kann nicht nicht kommuniziert werden.» 

Watzlawick, 2016, S. 58 

Generell haben die Erkenntnisse der organisationalen Gerechtigkeitsforschung in den vergangenen Jahrzehnten massiv zugenommen, besonders mit Blick auf die neuere Dimension – die interpersonale Gerechtigkeit (Colquitt et al., 2001). Diese wird definiert als die Einhaltung von Regeln im zwischenmenschlichen Kontakt, meist ausgeübt von Führungspersonen. Interpersonal gerechtes Verhalten beinhaltet demnach Höflichkeit, Respekt, Würde sowie Verzicht auf unangemessene Bemerkungen (Colquitt et al., 2014) und ist ein wichtiger Bestandteil verbaler Kommunikation. Kommunikation findet sich in in allen Teilbereichen der gesamten Organisation wieder. Dazu stellte Paul Watzlawick einst den Grundsatz auf, dass nicht nicht kommuniziert werden kann (Watzlawick et al., 2016). Ähnlich ist es mit interpersonaler Gerechtigkeit. Obwohl Menschen das interpersonal gerechte Verhalten nicht immer bewusst wahrnehmen, ist es immer Teil des zwischenmenschlichen Kontakts. Werden die Regeln diesbezüglich von Führungspersonen ignoriert, folgen bei den Mitarbeitenden Konsequenzen, wie etwa ein erhöhtes Krankheitsrisiko (Goldman & Cropanzano, 2015) sowie Wut und Widerstand gegenüber diesen Führungspersonen (Colquitt et al., 2001). 

Vom Gefühl zum Verhalten und wieder zurück 

Gerechtigkeit ist das objektive Mass der Beurteilung einer Handlung. Doch jede Handlung ist auch mit einem subjektiven Empfinden verbunden – der subjektiv empfundenen Fairness. Diese folgt somit nicht konkreten Regeln und ergibt sich aus den Umständen. Aus der Literatur ist bekannt, dass viele Einflussgrössen existieren, welche die Entstehung dieser subjektiv empfundenen Fairness signifikant verändern. Als Beispiel können die charismatischen Qualitäten der handelnden Person genannt werden (Rodell et al., 2017). Rodell und Kollegen (2017) begründen diesen Einfluss damit, dass Charisma positive Emotionen auslöst, welche das Fairnessempfinden positiv färben. Dass affektive Zustände die empfundene Fairness beeinflussen, wiesen zudem bereits Lind und van den Bos (2002) nach. Neben diesen Faktoren ist auch bekannt, dass Stimmung einen beachtlichen Einfluss auf die Wahrnehmung von Mensch und Umwelt hat (Barsky et al., 2011).  

Früher wurde die subjektiv empfundene Fairness gleichgesetzt mit der objektiven Gerechtigkeit (Goldman & Cropanzano, 2015). Die empfundene Fairness beschreibt jedoch, wie das Verhalten von einer Person subjektiv wahrgenommen wird und ist nicht die objektive Beurteilung des Verhaltens anhand gewisser Regeln (Goldman & Cropanzano, 2015). So spiegelt sie nicht die Angemessenheit wider, sondern die subjektive Empfindung ebendieser (Colquitt & Rodell, 2015). 

Die Wirkungsweise der Stimmung 

Es existieren grundsätzlich zwei Prozesse, wie Informationen verarbeitet werden. Neben der expliziten kognitiv kontrollierten Komponente gibt es eine implizite automatische Komponente (van den Bos, 2003). Da subjektiv empfundene Fairness nicht nach eindeutigen Regeln entsteht, scheint dies somit kein rein kognitiv basierter Prozess zu sein, sondern eher ein implizit affektbasierter (Rodell et al., 2017). Dabei beeinflusst der Affekt die Beurteilung vor allem dann, wenn diese erst umfassend konstruiert werden muss. Damit ist gemeint, dass verschiedenste Quellen für mögliche Informationslücken gesammelt und genutzt werden, um diese zu schliessen und daraus eine Beurteilung zu bilden. Demnach werden Erinnerungen oder bestehendes Wissen über ähnliche Sachverhalte als Informationsquelle genutzt, da gegenüber diesen bereits ein Vertrauen für eine korrekte Einschätzung besteht (Lind & van den Bos, 2002). Einfach ausgedrückt, scheint die subjektiv empfundene Fairness ein individuelles Bauchgefühl zu sein. Dieses entsteht dadurch, dass die Person sich unbewusst an bereits ähnlich erlebte Situationen erinnert und sich daran orientiert. So wie das Gefühl bezüglich dieser Situation war, so wird es für die jetzige Beurteilung übernommen. Bisherige Forschung zeigt, dass insbesondere überdauernde Eigenschaften, wie der Charakter, Emotionen oder die Motive der bewerteten Person, ausschlaggebend sind als solche Anhaltspunkte für die Bildung der subjektiv empfundenen Fairness (Rodell et al., 2017). Verhielt sich also eine hilfsbereite Person A in der Vergangenheit gerecht gegenüber einer Person B, dann wird in der Gegenwart eine andere hilfsbereite Person C von Person B auch eher als fair wahrgenommen. Immer häufiger wird jedoch auch die momentane Stimmung als einflussreiche Information zur Entstehung der Fairnessempfindung in Betracht gezogen und nicht nur als Konsequenz derer (Barsky et al., 2011; Barsky & Kaplan, 2007; Colquitt et al., 2013). Denn die momentane Stimmung verändert, wie erwähnt, die Informationswahrnehmung und -verarbeitung einer Person (Rodell et al., 2017).  

Da Stimmungen meist keinen konkreten Auslöser haben, kann dieser Einfluss der Stimmung eine Person bei der Urteilsbildung in die Irre führen (Schwarz, 2012). Die momentane Stimmung kann dann die subjektiv empfundene Fairness erhöhen oder vermindern. Was davon eintritt, hängt von der Stimmung ab, da je nach Stimmung Informationen unterschiedlich verarbeitet werden. So führt positive Stimmung eher zu heuristischen Überlegungen und negative Stimmung eher zu sorgfältigeren Denkprozessen (Forgas & George, 2001). 

Unter einer momentanen Stimmung wird eine vorübergehende Phase eines Gefühls verstanden (Watson & Vaidya, 2003). Im Vergleich zur Emotion ist die Intensität oft geringer, hält aber länger an. Konkrete Auslöser gibt es meist nicht, vielmehr besteht ein Zyklus über den Tag hinweg (Forgas, 1992). Die Stimmung kann trotzdem leicht beeinflusst werden (Watson & Vaidya, 2003). Unterschieden wird oft zwischen den fünf Ausprägungen Vitalität, Depressivität, Müdigkeit, Wut und Ängstlichkeit nach Cranford und Kollegen (2006).  

Stimmung ist nicht gleich Stimmung 

Genauer gesagt, hat sich gezeigt, dass mit positiver Stimmung eher top-down verarbeitet wird und mit negativer Stimmung bottom-up (Schwarz, 2012). Bei der top-down-Verarbeitung orientiert sich die Person an bestehendem Wissen und Erinnerungen an ähnliche Situationen und bildet daraus eine Erwartung an künftige Situationen. Diese Erwartung gleicht die Person schliesslich mit der jetzigen Situation ab (Forgas, 1994). Bei der bottom-up-Verarbeitung hingegen gewinnt die Person ihre Informationen aus der jetzigen Situation (Forgas, 1994). Für eine Einschätzung nimmt eine negativ gestimmte Person somit die Merkmale des jetzigen Verhaltens wahr und stuft sie neu ein, woraus ein neues Bild eines (un)fairen Verhaltens entsteht. 

Der stimmungsbedingte Informationsgehalt wird jedoch nicht nur als ergänzender Wegweiser der Informationsverarbeitung betrachtet, sondern fungiert als Informations-Lückenfüller (Barsky & Kaplan, 2007; Colquitt & Zipay, 2015; Forgas, 1994). Der Literatur zufolge wird durch die momentane Stimmung die Aufmerksamkeit auf die Stimuli gelenkt, welche dieser Stimmung entsprechen.  Daraus werden dann die nötigen Informationen gewonnen, wenn solche fehlen. Urteile fallen dann entsprechend dem Fokus auf positive oder negative Stimuli auch positiver oder negativer aus (Becker & Leinenger, 2011). Diese selektive Aufmerksamkeit entsteht durch die Aktivierung entsprechender Verbindungen im Gehirn, welche mit dieser Stimmung verknüpft sind (Forgas, 1995).  

Durch diese unterschiedliche Aktivierung sowie die unterschiedlichen Informationsverarbeitungswege top-down und bottom-up resultieren je nach Stimmung also andere Beeinflussungen der Denk- und Verhaltensweise, wie bereits Forgas (1994) berichtete. 

Die top-down-Verarbeitung führt dazu, dass bestehende stereotypische Bilder mit Schlüsselinformationen aus der Situation verknüpft sowie angepasst werden und bei positiver Stimmung für die Empfindung gemeinsam genutzt werden. Zudem fokussieren positiv gestimmte Menschen eher auf Externes aus der Umgebung und nicht auf sich selbst (Sedikides, 1992). Das beeinflusst die (Selbst-)Wahrnehmung dahingehend, dass sie flexibel ist und breite Informationen einbezogen werden. So werden trotz positiver Stimmung korrekt auch negative Bewertungen gebildet und fallen nicht positiver aus (Brief & Weiss, 2002).  

Die bottom-up-Verarbeitung bei negativer Stimmung hingegen führt dazu, dass auf die momentane Situation fokussiert wird. Dadurch findet eine engere Verarbeitung statt, da bestehendes Wissen nicht einbezogen wird (Barsky et al., 2011). Insbesondere liegen hierbei die negativen Eindrücke im Zentrum der Aufmerksamkeit, da diese stimmungskongruent und somit auffallender sind (Barsky et al., 2011; Forgas, 1992). Negativ gestimmte Personen sind zudem eher selbstzentriert (Sedikides, 1992). Die (Selbst-)Wahrnehmung wird dadurch so beeinflusst, als dass diese negativiert wird durch die eigene negative Stimmung. Je depressiver beispielsweise eine Person gestimmt ist, desto weniger fair nimmt sie das Verhalten wahr (van den Bos, 2003).  

Barsky und Kaplan (2007) wiesen ebenso bereits signifikante Zusammenhänge zwischen Stimmungen und der empfundenen Fairness nach. Bei allen bisherigen Forschungsdaten ist jedoch keine eindeutig kontinuierliche kausale Richtung der Beeinflussung ersichtlich. Das heisst, es ist unklar, ob die Stimmung beeinflusst, wie fair wir etwas wahrnehmen oder ob durch die Fairnessempfindung erst unsere Stimmung verändert wird.  

Offene Fragen der Zukunft 

In Anbetracht der wachsenden Literatur, welche sich mit der Rolle der Stimmung auseinandersetzt, ist zu sehen, dass ein Grossteil der Forscher*innen die Wichtigkeit deren anerkannt hat. Trotzdem gibt es diesbezüglich noch Lücken. Meist wird der Einfluss der Stimmung nur in Bezug auf die subjektiv empfundene Fairness betrachtet oder vermehrt auch auf die objektive Komponente – die interpersonale Gerechtigkeit. Obschon diese objektiv sein sollte und klaren Regeln folgt, kann es auch von den Bewertern zu subjektiven Einschätzungen kommen, welche von Stimmungen geleitet werden könnten. Weiter fehlt bis heute die gemeinsame Betrachtung der beiden Konstrukte «Fairness» und «Gerechtigkeit» und deren Übereinstimmung. In Bezug auf bestehende Nachweise über eine Beeinflussung der empfundenen Fairness durch die Stimmung liegt es nahe, dass die Rolle der Stimmung auch bei der vermuteten Übereinstimmung zwischen der selbst empfundenen Fairness und der interpersonal gezeigten Gerechtigkeit nicht vernachlässigt werden darf. Es reicht nämlich nicht, gerecht handeln zu wollen, um dies auch wirklich zu tun. Eine Führungsperson muss demnach selbst wahrnehmen können, wie sie tatsächlich handelt, denn erst so kann sie darauf reagieren und ihr Verhalten entsprechend verändern.  


Zum Weiterlesen

Barsky, A., & Kaplan, S. A. (2007). If you feel bad, it’s unfair: A quantitative synthesis of affect and organizational justice perceptions. The Journal of Applied Psychology92(1), 286-295. https://doi.org/10.1037/0021-9010.92.1.286 

Forgas, J. P., & George, J. M. (2001). Affective influences on judgments and behavior in organizations: An information processing perspective. Organizational Behavior and Human Decision Processes86(1), 3-34. https://doi.org/10.1006/obhd.2001.2971 

Rodell, J. B., Colquitt, J. A., & Baer, M. D. (2017). Is adhering to justice rules enough? The role of charismatic qualities in perceptions of supervisors’ overall fairness. Organizational Behavior and Human Decision Processes140, 14-28. https://doi.org/10.1016/j.obhdp.2017.03.001 

van den Bos, K. (2003). On the subjective quality of social justice: The role of affect as information in the psychology of justice judgments. Journal of Personality and Social Psychology85(3), 482-498. https://doi.org/sedik 

Literatur

Barsky, A., & Kaplan, S. A. (2007). If you feel bad, it’s unfair: A quantitative synthesis of affect and organizational justice perceptions. The Journal of Applied Psychology92(1), 286-295. https://doi.org/10.1037/0021-9010.92.1.286 

Barsky, A., Kaplan, S. A., & Beal, D. J. (2011). Just feelings? The role of affect in the formation of organizational fairness judgments. Journal of Management37(1), 248-279. https://doi.org/10.1177/0149206310376325 

Becker, M. W., & Leinenger, M. (2011). Attentional selection is biased toward mood-congruent stimuli. Emotion11(5), 1248-1254. https://doi.org/10.1037/a0023524 

Brief, A. P., & Weiss, H. M. (2002). Organizational behavior: Affect in the workplace. Annual Review of Psychology53(1), 279-307. https://doi.org/10.1146/annurev.psych.53.100901.135156 

Colquitt, J. A., Conlon, D. E., Wesson, M. J., Porter, C. O. L. H., & Ng, K. Y. (2001). Justice at the millennium: A meta-analytic review of 25 years of organizational justice research. Journal of Applied Psychology86(3), 425-445. https://doi.org/10.1037/0021-9010.86.3.425 

Colquitt, J. A., Long, D., Rodell, J., & Halvorsen-Ganepola, M. D. K. (2014). Adding the «in» to justice: A qualitative and quantitative investigation of the differential effects of justice rule adherence and violation. The Journal of Applied Psychology100(2), 278-297. https://doi.org/10.1037/a0038131 

Colquitt, J. A., & Rodell, J. B. (2015). Measuring justice and fairness. In R. S. Cropanzano & M. L. Ambrose (Eds.), The Oxford handbook of justice in the workplace (pp. 187-202). Oxford University Press. https://doi.org/10.1093/oxfordhb/9780199981410.013.8 

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