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Beiträge aus der Kategorie ‘HS22’

Gewohnheitstiere

Möglichkeiten in unseren alltäglichen Gewohnheiten

Die Stärke von kleinen «Habits» ist schon länger bekannt, aber was steckt wirklich dahinter? Entscheide ich mich bewusst für meine Gewohnheiten und wie beeinflussen diese meinen Alltag? Ein Einblick in unsere Gewohnheitsbildung.

Von Anna Boeker
Lektoriert von Rosmarie Elisabeth Nigg und Anja Blaser
Illustriert von Anja Blaser

Von Zähneputzen, über Autofahren, bis hin zu Scrolling-Verhalten: Alles kleine Gewohnheiten, die fast schon automatisch in unserem Tagesablauf passieren. Es kostet uns kaum einen vergleichbaren Aufwand mit dem Auto zu fahren wie damals in der ersten Fahrstunde. Die kleinen, unbewussten Gewohnheiten sind es, die uns den Tag erleichtern. Würden wir uns jeden Tag neu entscheiden und überlegen, ob und wie wir die Zähne putzen oder wie wir nochmal in den zweiten Gang schalten, hätten wir einen recht aufwendigen Start in den Tag. Gewohnheiten und automatisches Verhalten unterstützen uns somit in der Bewältigung unseres Alltags. Natürlich sind nicht alle Gewohnheiten nützlich oder gesund für uns (Duhigg, 2012).

Sich bewusst werden über simple Gewohnheiten, die wir immer wiederholen, ist einer der ersten Schritte zur Veränderung dieser. Fast alle Verhaltensänderungen, die wir erreichen wollen, hängen mit unseren Gewohnheiten zusammen. Ob es hierbei um Sport, Hygienemaßnahmen oder Essverhalten geht – die kleinen Gewohnheiten können den Unterschied machen (Harris, 2020).

Das selbst ohne bewusstes Erinnerungsvermögen und ohne bewusste Entscheidungen neue Gewohnheiten erlernt werden können, wurde durch Eugene Pauly gezeigt.

Diese und viele weitere Erkenntnisse der Forschung rund um Gewohnheiten stammen von dieser spannenden Case Study von Larry Squire und Kollegen aus den 90er Jahren. Eugene Paulys medialer Temporallappen, welcher oft mit kognitiven Fähigkeiten wie Erinnerung an die Vergangenheit und Emotionsregulation in Verbindung gesetzt wird, wurde durch einen Virus fast gänzlich zerstört. Seine Gedächtnisfähigkeit wurde stark eingeschränkt und er konnte keine deklarativen Erinnerungen mehr bilden. Larry Squire und sein Team konnten zeigen, dass jemand, der sich nicht mal an sein eigenes Alter erinnern kann oder an auch sonst kaum etwas, trotzdem neue Gewohnheiten, die sogar recht komplex erscheinen, erlernen kann (Duhigg, 2012). Eugene machte allein Spaziergänge, die er bereits einige Male mit seiner Frau gegangen war, ohne bewusst sagen oder beschreiben zu können, wo er langgehen muss. Auf die Frage, wo er wohnt, sagte er, er wisse es leider nicht genau, lief dann aber kurze Zeit später durch seine Haustüre. Dieser spannende Fall öffnete einige Türen für die Gewohnheitsforschung (Duhigg, 2012).

Heutzutage erkennen viele das Potenzial unserer kleinen Gewohnheiten. Nicht nur die Forschung, sondern auch Ratgeber und Podcasts beschäftigen sich mehr und mehr mit dem Thema. Tiny Habits von BJ Fogg, The Power of Habit von Charles Duhigg und der Bestseller Atomic Habits von James Clear sind einige Literaturbeispiele. Hier wird die Idee vermittelt, dass kleine Veränderungen zu bemerkenswerten Ergebnissen führen können. Dort werden Guides und Strategien zum Erlernen oder Ablegen von Gewohnheiten gegeben (Duhigg, 2012).

Wie lange es schließlich braucht, eine neue Gewohnheit zu erlernen, ist oft sehr individuell und auch abhängig von der Gewohnheit selbst. Vor circa 10 Jahren sorgte eine Studie für Aufsehen, die den Zeitraum von 66 Tagen als ungefähres Plateau für eine neue Gewohnheit fand (Lally et al., 2010). Doch auch hier lag die Spannweite für den Zeitraum des Erlernens einer neuen Gewohnheit zwischen 18 und 254 Tagen. Verallgemeinernde Aussagen über den Zeitraum zur Gewohnheitsausbildung mit Vorsicht betrachtet werden. Es wird schon lange und auch weiterhin an den wichtigen Umständen für neue Gewohnheiten geforscht. Das Habit Lab in Amsterdam versucht zum Beispiel die Lücke zwischen der Grundlagenforschung über Gewohnheiten und der Klinischen- und Gesundheitspsychologie zu schließen (Devit, 2022).

Im Alltag gilt es erst einmal, sich den eigenen Gewohnheiten bewusst zu werden, aber auch eigene Möglichkeiten zu erkennen, Zeitfenster zu nutzen, um kleine neue Gewohnheiten zu erlernen (Duhigg, 2012).


Zum Weiterlesen

Duhigg, C. (2012). The power of habit: Why we do what we do in life and business (Vol. 34, No. 10). Random House.

Fogg, B. J. (2019). Tiny habits: The small changes that change everything. Eamon Dolan Books.

Harris, S. (2020). Creatures of Habit (No. 200) [Audio Podcast Episode]. In Making Sense with Sam Harris. Spotify. https://open.spotify.com/episode/4qtklPztpWcphQvk7NRs0I?si=b0008ac658e74010

Literatur

Devit, S. (2022). The Role of Habits in Mental Disorders. HABIT LAB. University of Amsterdam. http://www.habitlab.nl/

Duhigg, C. (2012). The power of habit: Why we do what we do in life and business (Vol. 34, No. 10). Random House.

Fogg, B. J. (2019). Tiny habits: The small changes that change everything. Eamon Dolan Books.

Harris, S. (2020). Creatures of Habit (No. 200) [Audio Podcast Episode]. In Making Sense with Sam Harris. Spotify. https://open.spotify.com/episode/4qtklPztpWcphQvk7NRs0I?si=b0008ac658e74010

Lally, P., Van Jaarsveld, C. H., Potts, H. W., & Wardle, J. (2010). How are habits formed: Modelling habit formation in the real world. European journal of social psychology, 40(6), 998-1009. doi.org/10.1002/ejsp.674

Mmh… dieses oder jenes?

Wie funktioniert der psychologische Prozess der Entscheidungsfindung? Ein kurzer Einblick in die Entscheidungspsychologie

Die Forschung hat Modelle entwickelt, um Entscheidungen rational zu erklären, aber der Mensch scheint sich nicht immer an die Theorie zu halten. Entscheidungen variieren je nach Kontext, verfügbaren Informationen und Alternativen. Erschwerend kommt hinzu, dass Emotionen Entscheidungen «irrational» machen können.

Von Arianna Pagani
Lektoriert von Michelle Regli und Isabelle Bartholomä
Illustriert von

Heutzutage sind die Möglichkeiten der Produktauswahl nahezu unendlich. Man denke nur an die Hunderte von Fernsehkanälen, die vielen Online-Shops mit Kleidung in allen Modellen und Farben und das Unterhaltungsangebot an Filmen und Musik. Worauf haben Sie heute Abend Appetit? Durch eine einfache Internetsuche kann man von der vietnamesischen Küche bis hin zur klassischen neapolitanischen Pizza alle möglichen Speisen bestellen. Die Auswahl ist vielfältig, aber wie entscheidet man sich?

Der Prozess der Entscheidung

In der entscheidungspsychologischen Forschung werden hauptsächlich Experimente zu Geldwertentscheidungen durchgeführt. Würden Sie lieber diese oder jene Belohnung erhalten? Dieses Thema war schon vor 50 Jahren faszinierend. 1976 entwickelten Keeney und Raiffa ein Modell, das auch heute noch gültig ist: die Multi-Attribute Utility Theory (MAUT). Es handelt sich um ein Modell, das bei der Entscheidungsfindung insbesondere zwischen Alternativen mit mehreren Variablen (Multi-Attribute) hilft, z. B. wenn Kriterien wie Preis, Komfort und Sicherheit eine Rolle spielen. Die MAUT identifiziert die zu berücksichtigenden Dimensionen und weist ihnen ein Gewicht, also eine Relevanz für die zu treffende Entscheidung zu (Utility). Auf diese Weise werden die Attribute integriert und für jede Alternative eine Gesamtnote vergeben, die zu einer entsprechenden Wahl führt. Obwohl das Modell versucht, objektiv zu erklären, was die «beste» Entscheidung ist, entscheiden sich die Menschen oft widersprüchlich (Shafir & LeBoeuf, 2004). Wie kommt das?

Kontexteffekte

Ein Grund für die Inkonsistenz von Entscheidungen kann der Kontext sein, in dem die Optionen präsentiert werden (Prelec et al., 1997). Wissenschaftler*innen haben kontextuelle Effekte untersucht, d. h. wie die Verfügbarkeit anderer Möglichkeiten die Präferenzen und Entscheidungen von Menschen verändert (Trueblood et al., 2013).

Am bekanntesten ist der Kompromisseffekt von Simonson und Tversky (1992), der davon ausgeht, dass die Hinzunahme einer extremen Option dazu führt, dass das Objekt in der Mitte – der Kompromiss – gewählt wird. Wenn man beispielsweise für das Abendessen zwischen einem luxuriösen Fischrestaurant und einer italienischen Pizzeria entscheiden muss, fällt durch die Hinzufügung eines billigen Fast-Food Restaurants die endgültige Wahl eher auf die Pizzeria, den Kompromiss.

Ein weiteres Beispiel ist der Ähnlichkeitseffekt (Brenner et al., 1999). In diesem Fall ähnelt die dritte Option einer der bereits vorhandenen, was die Wahl dieser beider Optionen unwahrscheinlicher macht. Im vorherigen Beispiel, würde somit bei der Hinzunahme eines weiteren exklusiven Restaurants, das auf Fleisch spezialisiert ist, bei den meisten die Tendenz steigen, die Pizzeria zu wählen, die durch die dritte Option nicht gestört wird.

Der letzte kontextuelle Effekt ist der Anziehungseffekt oder asymmetrische Dominanz-Effekt (Heath & Chatterjee, 1995). Hier ähnelt die hinzugefügte Option einer der bisherigen, aber im Gegensatz zum Ähnlichkeitseffekt wird sie von ihr dominiert. Es bedeutet, dass die neue Option objektiv etwas minderwertiger ist. Wäre das zusätzliche Angebot z. B. ein italienisches Restaurant, das aber keine Holzofenpizza anbietet, würde aufgrund der asymmetrischen Dominanz die Pizzeria ausgewählt werden. Der Effekt wurde in vielen Studien getestet und ist stabil, selbst wenn das Luxusrestaurant anfangs gegenüber der Pizzeria bevorzugt wurde (Huber et al., 1982).

Suche nach Infos

Wie bei Kontexteffekten kann nicht nur das Angebot neuer Alternativen die Entscheidung verändern, sondern auch einfach die Suche nach mehr Informationen über die vorhandenen Optionen. Menschen neigen dazu, nach mehr Informationen zu suchen, um ihre Wahl zu erleichtern, wenn sie unsicher sind (Tversky & Shafir, 1992b). Je genauer man über die Möglichkeiten informiert ist, desto besser. Bei der endgültigen Entscheidung wird jedoch neuen Informationen mehr Bedeutung beigemessen (Shafir & LeBoeuf, 2004). Die zusätzliche Feststellung, dass die Wohnung A näher an der Bushaltestelle liegt als die Wohnung B, wird ein wichtigerer Faktor sein, als wenn diese Information von Anfang an zur Verfügung gestanden hätte.

Rolle der Emotionen

Entscheidungen haben einen klar rational-kognitiven Anteil: Was sind die Optionen? Und was für Konsequenzen haben sie? Menschen haben jedoch auch emotionale Reaktionen auf Entscheidungen und Folgen: Freude über ein gutes Ergebnis oder Angst vor einer Operation (Connolly & Zeelenberg, 2002). Emotionen sind wesentlich für den Entscheidungsprozess, sie sind nicht von vornherein Störfaktoren. Die affektive Reaktion folgt auf die kognitive Verarbeitung, die zu einem Urteil und einer Entscheidung führt (Zajonc, 1980).

«Wir sehen nicht nur ein ‘Haus‘: Wir sehen ‚ein schönes Haus‘, ‚ein hässliches Haus‘ oder ‚ein pompöses Haus‘.»

Zajonc, 1980, S. 154

Die am meisten untersuchte Emotion in der Entscheidungspsychologie ist das Bedauern (Connolly & Zeelenberg, 2002). Es wird unterschieden zwischen dem Bedauern, etwas getan zu haben, und dem Bedauern, nicht gehandelt zu haben. Welche der beiden Situationen mehr belastet, ist umstritten. Kahneman und Tversky (1982) führten eine Umfrage durch, bei der es darum ging, wer von zwei Anlegern mehr Bedauern empfand. Beide hatten 1’200 Dollar verloren, der eine, nachdem er Aktien aktiv gekauft hatte, der andere, weil er sie hielt. Mehr als 90 Prozent der Befragten vermuten, dass der Erstere, der «aktiven Käufer», mehr Bedauern empfinden würde. Im Gegensatz dazu zeigen Gilovich und Medvec (1995) anhand einer realen Erinnerung, dass Menschen es mehr bedauern, etwas «nicht getan» zu haben, als etwas getan zu haben.

Verlust versus Gewinn

Emotionale Auswirkungen spielen ebenfalls eine Schlüsselrolle bei einer sehr wichtigen Frage in der Entscheidungspsychologie: «Was fällt emotional schwerer ins Gewicht: Verluste oder Gewinne?». Laut dem Prinzip der Verlustaversion (Kahneman & Tversky, 1979) sind Verluste für uns von grösserer Bedeutung. Menschen benötigen typischerweise «[…] einen potenziellen Gewinn von mindestens 100 Dollar, um einen potenziellen Verlust von 50 Dollar auszugleichen […]» (Tom et al., 2007, S. 51). Dieses Paradigma ist auch in anderen wissenschaftlichen Bereichen wie Wirtschaft, Recht und Medizin weit verbreitet (Lewis, 2016).

«Losses hurt about twice as much as gains make us feel good.»

Thaler, 2000, S. 137

Das Modell wird akzeptiert, jedoch gibt es viele Experimente, die das Gegenteil zeigen, d. h. dass ein Gewinn eine grössere Wirkung als ein Verlust haben kann (Harinck et al., 2007). Mukherjee und Kollegen (2017) zeigten, dass der betreffende Geldbetrag einen Einfluss hat. Wenn der Betrag hoch war (z. B. 200 Dollar), war die psychologische Auswirkung des Verlustes grösser als der Gewinn. War der Betrag dagegen niedrig (50 Dollar), beurteilten die Teilnehmenden die Gewinne eher als wirkungsvoller. Eine mögliche Erklärung ist, dass ein grosser Geldbetrag objektive Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben kann und daher eine grössere Risikoaversion besteht (Rabin & Thaler, 2001). Gal und Rucker (2017b) weisen darauf hin, dass sich die Auswirkungen je nach Typ der Belohnung ändern können. Bei nicht-monetären Objekten (z. B. Gewinn oder Verlust einer Tasse) ist die positive Auswirkung eines möglichen Gewinns grösser als die negative Auswirkung eines Verlusts.

Neuropsychologie der Entscheidung

Mit dem Aufkommen neuer Technologien zur Messung der neuronalen Aktivität wurde das Gehirn auch während dem Entscheidungsprozess beobachtet. Hirnaktivität zeigte sich dabei vor allem im orbitofrontalen Kortex (wichtig bei kognitiven Prozessen), dem Striatum (koordiniert Motorik, Handlungsplanung und Motivation), dem Präfrontalkortex (verarbeitet Risiken und reguliert emotionale Reaktionen) und dem anterioren cingulären Kortex (zuständig für Lernprozesse und Belohnung). Interessanterweise sind diese Bereiche sowohl bei der Regulation potenzieller Gewinne als auch bei der Verarbeitung potenzieller Verluste involviert (Tom et al., 2007). Was Verluste von Gewinnen unterscheidet, ist die Aktivität in den Gebieten: Bei Verlust nimmt die Aktivität ab, während sie bei Gewinnen zunimmt (Tom et al., 2007).

Vielleicht wird es in der Zukunft einem Modell gelingen, neben den besprochenen Faktoren wie Kontext, Alternativen und Emotionen auch noch weitere Einflüsse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Bis dahin werden die Menschen weiterhin jeden Tag Entscheidungen treffen, die den Verlauf ihres Lebens verändern werden.



Zum Weiterlesen

Connolly, T., & Zeelenberg, M. (2002). Regret in decision making. Current directions in psychological science, 11(6), 212-216.

Gal, D., & Rucker, D. D. (2018). The loss of loss aversion: Will it loom larger than its gain?. Journal of Consumer Psychology, 28(3), 497-516.

Literatur

Brenner, L., Rottenstreich, Y., & Sood, S. (1999). Comparison, grouping, and preference. Psychological Science, 10(3), 225-229. doi.org/10.1111/1467-9280.00141

Connolly, T., & Zeelenberg, M. (2002). Regret in decision making. Current directions in psychological science, 11(6), 212-216. doi.org/10.1111/1467-8721.00203

Gal, D., & Rucker, D. D. (2017b). The hedonic impact of losses and gains of diverse goods. Working Paper.

Gal, D., & Rucker, D. D. (2018). The loss of loss aversion: Will it loom larger than its gain?. Journal of Consumer Psychology, 28(3), 497-516. doi.org/10.1002/jcpy.1047

Gilovich, T., & Medvec, V.H. (1995). The experience of regret: What, when, and why. Psychological Review, 102(2), 379–395.

Harinck, F., Van Dijk, E., Van Beest, I., & Mersmann, P. (2007). When gains loom larger than losses reversed loss aversion for small amounts of money. Psychological Science, 18(12), 1099–1105. doi.org/10.1111/j.1467-9280.2007.02031.x

Heath, T. B., & Chatterjee, S. (1995). How entrants affect multiple brands: A dual attraction mechanism. Advances in Consumer Research, 18, 768-771.

Huber, J., Payne, J. W., & Puto, C. (1982). Adding asymmetrically dominated alternatives: Violations of regularity and the similarity hypothesis. Journal of consumer research, 9(1), 90-98. doi.org/10.1086/208899

Kahneman, D., & Tversky, A. (1979). Prospect theory: An analysis of decision under risk. Econometrica, 47, 263–291. doi.org/10.1142/9789814417358_0006

Kahneman, D., & Tversky, A. (1982). The psychology of preferences. Scientific American, 246(1), 160–173.

Keeney, R. L. & Raiffa, H. (1976) Decisions with Multiple Objectives: Preferences and Value Tradeoffs. Cambridge University Press.

Lewis, M. (2016). The undoing project: A friendship that changed the world. Penguin UK.

Mukherjee, S., Sahay, A., Pammi, V. C., & Srinivasan, N. (2017). Is loss-aversion magnitude-dependent? Measuring prospective affective judgments regarding gains and losses. Judgment and Decision Making, 12(1), 81–89. doi.org/10.1017/S1930297500005258

Prelec, D., Wernerfelt, B., & Zettelmeyer, F. (1997). The role of inference in context effects: Inferring what you want from what is available. Journal of Consumer research, 24(1), 118-125. doi.org/10.1086/209498

Rabin, M., & Thaler, R. H. (2001). Anomalies: Risk aversion. The Journal of Economic Perspectives, 15(1), 219–232. DOI: 10.1257/jep.15.1.219

Simonson, I., & Tversky, A. (1992). Choice in context: Tradeoff contrast and extremeness aversion. Journal of marketing research, 29(3), 281-295. doi.org/10.1177/002224379202900301

Shafir, E., & LeBoeuf, R. A. (2004). Context and conflict in multiattribute choice. Blackwell handbook of judgment and decision making, 341-359.

Tom, S. M., Fox, C. R., Trepel, C., & Poldrack, R. A. (2007). The neural basis of loss aversion in decision-making under risk. Science, 315(5811), 515-518. DOI: 10.1126/science.1134239

Trueblood, J. S., Brown, S. D., Heathcote, A., & Busemeyer, J. R. (2013). Not just for consumers: Context effects are fundamental to decision making. Psychological science, 24(6), 901-908. doi.org/10.1177/0956797612464241

Tversky, A. & Shafir, E. (1992b) The disjunction effect in choice under uncertainty, Psychological Science, 3(5), 305–9. doi.org/10.1111/j.1467-9280.1992.tb00678.x

Zajonc, R. B. (1980). Feeling and thinking: Preferences need no inferences. American psychologist, 35(2), 151-175. doi.org/10.1037/0003-066X.35.2.151

Wacher Geist, schlafender Körper

Was wissen wir über die Schlafparalyse und deren Ursachen?

Schlafparalysen zeichnen sich durch das Zusammentreffen klaren Denkens und dem Gefühl eines gelähmten Körpers aus. Diese ungewohnte Erfahrung bereitet dabei vielen Leuten Gefühle von Panik und Grusel – obwohl Schlafparalysen eigentlich gar nicht gefährlich sind.

Von Lena Kohler
Lektoriert von Arne Hansen und Alissa Lusti
Illustriert von Andrea Bruggmann

Der Geist wacht auf, der Körper schläft weiter: Ungefähr vierzig Prozent der Bevölkerung befinden sich mindestens einmal im Leben in diesem ungewöhnlichen Zustand (Schütze, 2022). Bei diesem Zustand handelt es sich um die Schlafparalyse; einer Schlafstörung, bei welcher kurzzeitig die willentliche Kontrolle über die Skelettmuskulatur inhibiert wird, ein Prozess, welcher auch Schlafatonie genannt wird (Denis et al., 2018).

«Ich war orientiert, konnte Stimmen hören. Geistig war ich wach, ich wusste genau, wo ich bin. Aber ich konnte mich halt nicht bewegen.»

Viktoria Schütze, 2022

Dieser Prozess geschieht im Übergang zwischen Rapid Eye Movement (REM)-Phasen zu anderen Schlafphasen aufgrund verlangsamter Umschaltung von Prozessen und findet am Anfang des Schlafes hypnagogisch oder hypnopompisch kurz vor dem Aufwachen statt (Sharpless & Barber, 2011; Schütze, 2022).

Obwohl das Gefühl plötzlich gelähmt zu sein bei den Betroffenen bereits unbehagliche Gedanken auslöst, sind es meist die lebhaften Halluzinationen von Menschen oder supernatürlichen Gestalten, welche den beängstigenden Charakter der Schlafparalyse kennzeichnen und für die hohe Intensität der erlebten Furcht in Relation zu Furcht bei normalem Träumen ursächlich sind (Denis et al., 2018). Die Lebhaftigkeit der Halluzinationen wird dabei oft durch die intakte okulare Muskulatur sowie das Liegen in Rückenlage begünstigt. Dies, da die Betroffenen die unheimlichen Gestalten, welche  Produkt des generell unheimlichen Gefühls während des Schein-gelähmt-seins und des Mitnehmens von Gestalten aus Träumen während des REM-Schlafs sind, so tatsächlich sehen können (Sharpless & Barber, 2011; Schütze, 2022). Für Betroffene fühlt sich das Erleben von Atonie und Halluzinationen quälend lange an – laut Forschung halten Schlafparalysen jedoch nur wenige Sekunden bis einige Minuten an (Schütze, 2022).

Was löst diesen Zustand aus?

Wie bereits erwähnt, gehen Wissenschaftler davon aus, dass sich Schlafparalysen aus dem Übergang von REM-Phasen in andere Schlafphasen entwickeln; genaue Ursachen des Phänomens sind jedoch unbekannt (Denis et al., 2018). Einzig Faktoren, welche mit Schlafparalysen assoziiert sind, konnten bisher identifiziert werden. Als Schlafstörung werden Schlafparalysen oft mit Narkolepsie eine Störung, welche sich durch Schlaf-Wach-Dysregulation auszeichnet  in Verbindung gebracht und gelten als Symptom dieser Erkrankung (Denis et al., 2018; Pramsohler, 2020). Tritt Schlafparalyse ohne die Diagnose der Narkolepsie auf, spricht man von isolierter Schlafparalyse. Wiederholtes Auftreten solcher Episoden bezeichnet man als wiederkehrende isolierte Schlafparalyse (Denis et al., 2018). Auch andere Variablen bezüglich des Schlafes werden mit Schlafparalysen assoziiert: Eine tiefe subjektive Schlafqualität, Insomnie-Symptome, sowie das Erleben von Alpträumen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, an Schlafparalysen zu leiden (Denis, 2018).

Verbindung zu anderen REM-Schlaf-Phänomenen

Neben Schlafparalysen werden auch andere Phänomene wie luzide Träume, ausserkörperliche Erfahrungen und False Awakening mit REM-Schlaf assoziiert (Raduga et al., 2020). Daher ist es nicht überraschend, dass Betroffene eines dieser Phänomene oft auch mit einem anderen dieser Phänomene Erfahrungen machen (Raduga et al., 2020). Bekannt ist, dass die meisten mindestens ein REM-Schlaf-Phänomen über die Lebensspanne erleben (Raduga et al., 2020).

Des Weiteren konnte eine Beziehung zwischen psychischen Störungsbildern und Schlafparalysen hergestellt werden, wobei vor allem deren Koexistenz mit unspezifischen Angststörungen, Panikstörungen und Posttraumatischen Belastungsstörungen untersucht wurde (Sharpless & Barber, 2011; Wróbel-Knybel et al., 2022). Dabei zeigt die Frequenz von Schlafparalyse-Episoden eine signifikante Verbindung mit sexuellem Missbrauch während des Kindesalters – unabhängig davon, ob sich die Betroffenen an dieses traumatische Ereignis erinnern können (Denis et al., 2018). Neben pathologischer Angst und Traumata treten Schlafparalysen generell häufiger bei hohem selbstberichtetem Stress, einer hohen Anzahl erlebter traumatischer Ereignisse und Professionen mit hohem Stressniveau auf (Denis et al., 2018; Wróbel-Knybel et al., 2022).

Wie Kultur dazu beiträgt

In vielen Fällen stehen die halluzinierten Gestalten in direkter Verbindung mit der Folklore der Kultur der Betroffenen (Denis et al., 2018). Aus diesem Grund ergaben sich über die Zeit eine Vielzahl von alternativen Erklärungen für die Schlafparalyse: von Hexerei in europäischen Gesellschaften über Angriffe von Schamanen oder bösartigen Geistern bei den Inuit bis zu Gedanken an die Entführung durch Ausserirdische (Davies, 2003; Law & Kirmayer, 2005; Denis et al., 2018).

Während die Schlafparalyse laut heutigem Forschungsstand auf kein spezifisches Gen zurückgeführt werden kann, wird ihr eine moderate Vererbbarkeit zugeschrieben (Denis et al., 2018). Demografische Variablen wie Geschlecht und Alter weisen in den meisten Studien keine signifikante Beziehung zur Schlafparalyse auf, was die Ethnizität angeht, sind die Befunde gemischt. Interessant ist, dass nicht-kaukasische Individuen in mehreren Studien höhere Inzidenzraten aufweisen, wobei diese höhere Ausprägungen von Furcht beinhalten (Denis et al., 2018; Sharpless & Barber, 2011).

Potentielle Behandlungsmöglichkeiten

Wie im letzten Abschnitt erläutert, handelt es sich bei Schlafparalysen um ein komplexes Phänomen, welches multifaktoriell beeinflusst wird und nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen ist. Dies und die Tatsache, dass die Schlafparalyse in Kliniken nicht routinemässig diagnostiziert und behandelt wird, trägt dazu bei, dass sich bisher wenige Behandlungsmöglichkeiten finden liessen (Sharpless, 2016).

Eine dieser Möglichkeiten nennt sich Meditation-Relaxation-Therapie (MR-Therapie). Die MR-Therapie unterteilt sich in vier Phasen, welche während der Schlafparalyse durchgeführt werden: Als Erstes wird die Schlafparalysen-Episode neu bewertet, anschliessend distanziert sich der*die Betroffene emotional und psychisch davon. Als dritter Schritt folgt eine Meditation mit Fokus nach innen, und schlussendlich werden Muskelrelaxations-Techniken durchgeführt (Jalal et al., 2020). Um das Anwenden dieser Methode bei tatsächlichem Eintreten einer Schlafparalyse zu vereinfachen, wird empfohlen, sie regelmässig in Absenz einer Schlafparalyse in Rückenlage zu üben (Jalal, 2016). Meditation wird Betroffenen auch isoliert empfohlen, da dies die Dauer des Deltaschlafes, und somit die Schlafqualität, erhöht und die Wahrscheinlichkeit einer Schlafparalyse verringert, wodurch die Therapie gesamthaft effektiver wird (Jalal, 2016). Eine Pilotstudie der MR-Therapie konnte was die Anzahl von Episoden und Tagen betrifft, an denen die Schlafparalyse auftrat, im Vergleich zur Kontrollgruppe eine Abnahme von 50 Prozent verzeichnen (Jalal et al., 2020). Des Weiteren berichteten Patient*innen in der Testgruppe von einer Verminderung der Unruhe während Halluzinationen (Jalal et al., 2020). Die Resultate dieser Studie suggerieren, dass MR-Therapie eine geeignete Behandlungsoption für Schlafparalysen darstellt. Um deren klinischen Nutzen vollständig zu erheben, ist es jedoch nötig, mehrere randomisierte Experimente diesbezüglich durchzuführen (Jalal et al., 2020).

Eine andere Behandlungsmöglichkeit bietet die Neuropharmakologie, wobei der Serotonin-5-HT2A-Rezeptor im Fokus liegt (Jalal, 2018). Dieser Serotoninrezeptor spielt eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von visuellen Halluzinationen und der Verarbeitung von visuellen Reizen allgemein, und ist in grosser Anzahl im visuellen Kortex vorhanden (Jalal, 2018). Auch in Gebieten, welche mit dem Erleben von Furcht im Zusammenhang mit mystischen Erfahrungen und der Tendenz, bedeutungslose Reize als persönlich wichtig zu interpretieren, assoziiert sind, finden sich viele 5-HT2A-Rezeptoren (Jalal, 2018). Dadurch ergibt sich die Hypothese, dass die Aktivierung von 5-HT2A-Rezeptoren die Halluzinationen bei Schlafparalysen verursachen (Jalal, 2018). Laut dieser Hypothese kommt als Behandlungsmöglichkeit von Schlafparalyse-induzierten Halluzinationen der inverse 5-HA2A Agonist «Primavanserin» (auch als Nuplazid bekannt) in Frage, welcher bisher vor allem zur Behandlung von Halluzinationen bei Parkinson-Patient*innen zum Einsatz kam (Jalal, 2018). Jedoch ist es auch hier nötig, das Medikament zuerst in sicheren Konditionen mehrmals zu testen, bevor dessen Effektivität zur Behandlung von Schlafparalysen abschliessend geklärt werden kann.


Zum Weiterlesen

Schütze, Viktoria. (2022). Schlafparalyse: Wenn der Geist aufwacht, aber der Körper nicht. National Geographic. https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2021/12/schlafparalyse-wenn-der-geist-aufwacht-aber-der-koerper-nicht

Literatur

Davies, O. (2003). The nightmare experience, sleep paralysis, and witchcraft accusations. Folklore, 114(2), 181–203. https://doi.org/10.1080/0015587032000104211

Denis, D. (2018). Relationships between sleep paralysis and sleep quality: Current insights. Nature and Science of Sleep, 10, 355–367. https://doi.org/10.2147/NSS.S158600

Denis, D., French, C. C., & Gregory, A. M. (2018). A systematic review of variables associated with sleep paralysis. Sleep Medicine Reviews, 38, 141–157. https://doi.org/10.1016/j.smrv.2017.05.005

Jalal, B. (2016). How to make the ghosts in my bedroom disappear? Focused-attention meditation combined with muscle relaxation (MR Therapy) – A direct treatment intervention for sleep paralysis. Frontiers in Psychology, 7. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2016.00028

Jalal, B. (2018). The neuropharmacology of sleep paralysis hallucinations: Serotonin 2A activation and a novel therapeutic drug. Psychopharmacology, 235(11), 3083–3091. https://doi.org/10.1007/s00213-018-5042-1

Jalal, B., Moruzzi, L., Zangrandi, A., Filardi, M., Franceschini, C., Pizza, F., & Plazzi, G. (2020). Meditation-Relaxation (MR Therapy) for sleep paralysis: A pilot study in patients with narcolepsy. Frontiers in Neurology, 11, 922. https://doi.org/10.3389/fneur.2020.00922

Law, S., & Kirmayer, L. J. (2005). Inuit interpretations of sleep paralysis. Transcultural Psychiatry, 42(1), 93–112. https://doi.org/10.1177/1363461505050712

Pramsohler, B. (2020). Narkolepsie: Häufig verzögerte Diagnosestellung. psychopraxis. neuropraxis, 23(2), 65–69. https://doi.org/10.1007/s00739-020-00625-9

Raduga, M., Kuyava, O., & Sevcenko, N. (2020). Is there a relation among REM sleep dissociated phenomena, like lucid dreaming, sleep paralysis, out-of-body experiences, and false awakening? Medical Hypotheses, 144, 110169. https://doi.org/10.1016/j.mehy.2020.110169

Schütze, Viktoria. (2022). Schlafparalyse: Wenn der Geist aufwacht, aber der Körper nicht. National Geographic. https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2021/12/schlafparalyse-wenn-der-geist-aufwacht-aber-der-koerper-nicht

Sharpless, B. A., & Barber, J. P. (2011). Lifetime prevalence rates of sleep paralysis: A systematic review. Sleep Medicine Reviews, 15(5), 311–315. https://doi.org/10.1016/j.smrv.2011.01.007

Sharpless, B. (2016). A clinician’s guide to recurrent isolated sleep paralysis. Neuropsychiatric Disease and Treatment, 12, 1761–1767. https://doi.org/10.2147/NDT.S100307

Wróbel-Knybel, P., Flis, M., Rog, J., Jalal, B., Wołkowski, L., & Karakuła-Juchnowicz, H. (2022). Characteristics of sleep paralysis and its association with anxiety symptoms, perceived stress, PTSD, and other variables related to lifestyle in selected high stress exposed professions. International Journal of Environmental research and Public Health, 19(13), 7821. https://doi.org/10.3390/ijerph19137821

«Was gibt es nach dem Studium für mich?»

Ehemalige Psychologie-Studierende, die heute in ihrem psychologischen Beruf fest etabliert sind, teilen ihren Werdegang-Erfahrungen mit UZH-Studierenden

Mit einer Grosszahl an Richtungen in der Psychologie, fällt es vielen nach dem Studium schwer, sich für eine bestimmte Richtung zu entscheiden. Vier etablierte Fachpsycholog*innen teilen den Weg, den sie gegangen sind, um zu ihrem heutigen erfolgreichen Berufsstand zu kommen.

Von Engji Blickensdorfer
Lektoriert von Isabelle Bartholomä und Anja Blaser

Als bald-absolvierende Psychologie-Studentin werde ich oft mit der grossen Frage konfrontiert: «Was machst du denn nach deinem Master-Studium?». Anders als viele meiner Kommiliton*innen hatte ich lange keine klare Epiphanie dazu, als was ich arbeiten möchte. Besonders in der Psychologie sehe ich eine Myriade an Richtungen, wo ich mich nach meinem Studium hineinbewegen könnte. Möchte ich in der Forschung arbeiten oder als Coach, vielleicht als Schulpsychologin, als Paartherapeutin oder gar als Sexualtherapeutin? Während meiner Recherche für diesen Artikel hatte ich einen klaren Gedanken: «Ich bin bestimmt nicht die einzige Person, die sich mit diesem Thema auseinandersetzt. Es muss doch andere gegeben haben, die sich gegenüber der unbekannten Zukunft unsicher gefühlt haben, es jedoch trotzdem geschafft haben, für sich etwas Passendes zu finden». So wandte ich mich mit dieser Idee an Expert*innen in der Schweiz, die es aus der gleichen Position als ehemalige Psychologie-Studierende herausgeschafft haben, sich als Fachpersonen in der Psychologie zu etablieren. Ich war genauso gespannt wie Du, ihre Antworten zu unseren Fragen zu lesen. Ein grosses Dankeschön geht an die vier Expert*innen, die eine grosse Bereitschaft und Offenheit bei der Beantwortung der Fragen zeigten.

Beginnend mit einer Lehre an der damals grössten Schweizer Bank gewann Herr Weber grosses Wissen und Erfahrung, später brachte ihn sein Leben aber zu einem Psychologie-Studium. Er entschied sich bei einer Akutstation als Psychologe zu arbeiten, wodurch er praktische Einsicht in verschiedene Störungsbilder und Therapiemethoden gewann. Er absolvierte ebenfalls weitere Ausbildungen und machte eine Ausbildung zum Supervisor. Herr Weber führt heute zwei eigene Praxen in Winterthur und Illnau.

Thomas Weber, lic. Phil.

Eidg. Anerkannter Psychotherapeut

Fachpsychologe für Psychotherapie FSP

https://www.praxisweber.ch/

1) Wussten Sie schon immer, dass Sie in der Psychologie arbeiten würden?

Nein, ich habe zunächst eine kaufmännische Ausbildung absolviert und arbeitete bei verschiedenen Bankinstituten. Erst da habe ich gespürt, dass ich gerne in ein soziales Berufsfeld wechseln möchte. Ich habe damals schon rasch die Stimmungen und Gefühle anderer Personen wahrgenommen und mich für deren Innenleben interessiert. Erst da fasste ich den Entscheid, die Erwachsenenmatur zu absolvieren. Danach war ich mir nach wie vor nicht sicher, ob ich Psychologie oder Veterinärmedizin studieren soll. Nach einem Praktikum bei einem Tierarzt war mir dann aber klar, dass dies nicht meinen Vorstellungen und Erwartungen entsprach. Also begann ich mit dem Psychologiestudium. Da ich mir die Option, später einmal psychotherapeutisch tätig zu sein, offenhalten wollte, belegte ich als erstes Nebenfach Psychopathologie des Erwachsenenalters und im zweiten Nebenfach Neuropsychologie. Nach dem Grundstudium wählte ich dann als Hauptrichtung Sozialpsychologie, da mich vor allem die Gesundheitsprävention interessierte.


2) Gab es einen Moment in Ihrem Leben, in dem Sie genau wussten als was Sie arbeiten möchten? Was war dieser Moment?

Ja, in meinem ersten Praktikum innerhalb des Psychologiestudiums als ich auf einer Akutstation in der Psychiatrie gearbeitet habe. Es gab bestimmte Momente im Kontakt mit Patient*innen bei denen ich spürte: That’s it. Das liegt mir, das kann ich, es fühlt sich nicht anstrengend an, es passiert einfach.

3) Was ist Ihre grösste Unsicherheit betreffend einer Arbeitsstelle in der Psychologie gewesen?

Freunde von mir verstanden nicht so recht, weshalb ich einen sehr gut bezahlten Job bei einer Bank freiwillig aufgeben wollte, um in ein wirtschaftlich eher weniger attraktives Berufsfeld zu wechseln. Festanstellungen als Psychologe in einer Klinik waren rar, ich fragte mich deshalb oft, ob ich davon wirklich einmal eine Familie ernähren könnte oder eine Stelle finden würde.

4) Was ist Ihrer Meinung nach das Schönste an dem Beruf, den Sie ausüben?

Ganz klar die Begegnungen mit Menschen. Es gibt wohl in wenigen anderen Berufen die Möglichkeit, verschiedenen Menschen emotional so nahe zu sein und sich mit ihnen verbunden zu fühlen. Im Moment der Verbundenheit lebt man ganz im Augenblick, alles rundherum erscheint unwichtig. Es fühlt sich alles leicht an.

5) Aus Ihrer jetzigen Perspektive, was würden Sie Ihrem jüngeren Ich (was gerade das Psychologie-Studium absolviert) als Rat mitgeben?

Auch wenn du nicht weisst, wo dein Weg hinführt und wo er enden wird, folge deinem inneren Kompass. Es lohnt sich, einen längeren Ausbildungsweg auf sich zu nehmen, um dorthin zu gelangen, wo man sich zu Hause fühlt.

Vor 20 Jahren absolvierte Herr Scherrer seine Psychologie-Ausbildung, gefolgt von einer Weiterbildung zum klinischen Psychotherapeuten, Fortbildung zum Coach, Fortbildung zum Outdoor-Training, alles kombiniert mit einer mehrjährigen klinischen Tätigkeit. Herr Scherrer hat Erfahrung als Dozent und Supervisor an der Universität Basel, ebenfalls als Dozent in Hypnosesystemischen Coaching in Zürich, und ist oftmals als Gastdozent unterwegs.

Stephan Scherrer, lic. Phil.

Psychologe, Coach, Supervisor,

Eidg. Anerkannter Psychotherapeut,

Dozent in Coaching und Psychotherapie, Team- und Organisationsentwickler

https://www.stephanscherrer.ch

1) Wussten Sie schon immer, dass Sie in der Psychologie arbeiten würden?

Nein, das wusste ich nicht! Ich hatte mich in der Jugend für Psychologie zu interessieren begonnen und habe erste Bücher dazu gelesen. Philosophie war mein Lieblingsfach im Gymnasium. Psychologie wurde zu meiner Zeit im Gymi noch nicht gelehrt. Aber Psychologie ist ja aus der Philosophie entstanden und die Fragestellungen übers Leben waren für mich wichtig, mehr noch als Antworten. Ich erinnere mich, dass es mir als Jugendlicher in den Pfadi-Lagern ein Anliegen war, dass Kolleg*innen Vertrauen in mich gewinnen und sich mir gegenüber öffnen konnten, wenn sie Sorgen hatten. Aus heutiger Sicht irgendwie amüsant. Offenbar war da bereits der Psychotherapeut in mir angelegt.  

2) Gab es einen Moment in Ihrem Leben, in dem Sie genau wussten als was Sie arbeiten möchten? Was war dieser Moment?

Ich glaube, ich habe ein genuines Interesse am Menschen und am Menschsein. Psychotherapeut zu werden war früh angelegt, das geht bis in die Jugend zurück. Zuerst dachte ich, dieser Weg geht über die Medizin und Psychiatrie. Entsprechend hatte ich mit Medizin in Fribourg begonnen. Rasch war mir klar, dass Naturwissenschaften nicht mein Hauptinteresse waren und ich aufgrund des vielen Auswendiglernens keine Zeit mehr hatte, mich dem wirklich Wichtigen, meinen Fragen übers Menschsein zu widmen. So hatte ich nach schwierigen zwei Jahren entschieden, auf Psychologie zu wechseln und an der Universität Zürich mit dem Studium begonnen. 

3) Was ist Ihre grösste Unsicherheit betreffend einer Arbeitsstelle in der Psychologie gewesen?

Die Bedingungen als Psychologe im medizinischen Umfeld, sprich in Kliniken, waren für mich stets sehr unbefriedigend gewesen. Ich war unsicher, ob dies der Weg für mich war und habe immer wieder grosse Zweifel an der Weiterbildung zum Psychotherapeuten gehegt. Diese Unsicherheiten waren nicht inhaltlicher Natur, sondern aufgrund der Kontextbedingungen entstanden. Ich konnte es lange nicht akzeptieren, dass der Berufsstand wichtiger war als das sachliche Verständnis. Erst mit der Zeit lernte ich die gesellschaftliche Dimension zu akzeptieren, dass Medizin per se zu mehr Gestaltungsmöglichkeiten im klinischen Kontext berechtigt wie Psychologie. Mittlerweile sehe ich Psychologie als weites Feld mit deutlich mehr Möglichkeiten in der Berufsgestaltung. Für mich bedeutet Psychologie eine gewisse Sicht auf die Welt und das Menschsein, welche multidimensionale, pluralistische, differenzierte und vor allem authentische Arten des Denkens, Fühlens und Spürens beinhaltet. So gesehen tut Psychologie der heutigen Welt sicherlich gut!

4) Was ist Ihrer Meinung nach das Schönste an dem Beruf, den Sie ausüben?

Die Vielschichtigkeit meiner Arbeit mit Einzelpersonen, Paaren, Gruppen, Teams und Organisationen, die nie endende Komplexität der Themenfelder und das stete Lernen und Entwickeln meiner eigenen Person machen den Beruf unglaublich spannend, vielseitig und sinnstiftend. Ich lerne jeden Tag dazu, und es ist ein Glück, Menschen in ihrer Entwicklung ein Stück weit begleiten zu dürfen.

5) Aus Ihrer jetzigen Perspektive, was würden Sie Ihrem jüngeren Ich (was gerade das Psychologie Studium absolviert) als Rat mitgeben?

Sei mutig und gehe deinen Weg. Was auch immer die Älteren raten und vor dir getan haben. Lerne daraus, erkenne es an, wage Neues und gehe unkonventionelle Wege. Ich denke, wir brauchen Menschen, die Neues denken und über Bisheriges hinausgehen. Und last but not least, gehe dorthin, wohin es dich zieht, auch wenn in dir oder von anderen Zweifel gesät werden. Die Welt ist nur vorwärts interessant und was das Vorwärts bietet, wird erst beim Gehen klar. Ich hoffe, ich habe mein jüngeres Ich nicht zu sehr beansprucht mit diesen Ratschlägen. Ich bin sicher, es wird genau das tun, was es für richtig hält.

Nach ihrem Psychologie-Studium arbeitete Frau Dr. Kager mit AIDS-Erkrankten und dann als Psychotherapeutin von jungen Drogen-Konsument*innen. Sie bildete sich in systemischer und psychoanalytischer Therapie aus. Als 30jährige Psychologin wurde ihr Abteilungsleitung der offenen Akutabteilung und Psychotherapieabteilung der Psychiatrischen Klinik Schlössli Oetwil am See anvertraut. 1994 eröffnet Frau Dr. Kager ihre erste eigene Praxis in Zürich, wo sie bis heute die Systemische Therapie mit Psychoanalyse kombiniert. Ebenfalls doziert Frau Dr. Kager an Schweizer Fachhochschulen.


Dr. phil. Andrea Kager

Eidg. anerkannte Psychotherapeutin

Fachpsychologin für Klinische Psychologie und Psychotherapie FSP

1) Wussten Sie immer, dass Sie in der Psychologie arbeiten würden?

Das Psychologie-Studium hat mich immer interessiert, stand anfänglich aber in starker Konkurrenz zu meinem Germanistik- und Philosophie-Studium. Als ich in den 80er Jahren in Österreich studierte, konnte man unter bestimmten Bedingungen noch ein Doppelstudium absolvieren. Dies ermöglichte mir die Kombination von zwei  Studien, die ich als sehr bereichernd empfand. Mein ursprüngliches Hauptinteresse galt der Literatur. Gute Literatur hat immer mit dem Menschen und damit auch mit Psychologie zu tun. Psychologie und Literatur ergänzten sich daher für mich sehr gut. Diese Synergien konnte ich auch in meiner Dissertation «Imagination – ein Phänomen und seine Bedeutung» nutzen.

2) Gab es einen Moment in Ihrem Leben, in dem Sie genau wussten als was Sie arbeiten möchten? Was war dieser Moment?

Entscheidend für meine Berufswahl war ein Praktikum in der psychosomatischen Klinik Grönenbach in Deutschland. Es war im Sommer 1986, der Sommer, in dem sich das Reaktorunglück Tschernobyl ereignete. Beides hat tiefe Eindrücke hinterlassen. Es gab auf einmal eine Zeitrechnung vor und nach Tschernobyl. Der gesamtheitliche Ansatz der Klinik und die Möglichkeiten, die mir als Praktikantin geboten wurden, haben mich in meiner Berufswahl als Klinische Psychologin und Psychotherapeutin sehr beeinflusst. Ich habe zu diesem Zeitpunkt bereits meine erste psychotherapeutische Ausbildung in Gesprächspsychotherapie und Focusing gemacht und mein Ziel war es, nach dem Studium als Psychotherapeutin in einer Klinik arbeiten zu können.

3) Was ist Ihre grösste Unsicherheit betreffend einer Arbeitsstelle in der Psychologie gewesen?

Die grösste Unsicherheit und Belastung war die berufspolitische Situation in der Praxis. Da ich nur in einem sehr geringen Ausmass im Delegationsmodel arbeiten wollte, war ich auf Patient*innen angewiesen, die entweder eine Zusatzversicherung hatten oder privat die Psychotherapie bezahlen konnten. Dies war zwar zu jeder Zeit meiner beruflichen Laufbahn möglich, ich hätte es mir jedoch anders gewünscht. Leider ist auch die aktuelle Situation, in der Psychotherapeut*innen neu im Anordnungsmodell und somit über die Grundversicherung abrechnen können, nicht zufriedenstellend.

4) Was ist Ihrer Meinung nach das Schönste an dem Beruf, den Sie ausüben?

Das Schönste ist nach wie vor der Reichtum und die Vielfalt meiner beruflichen Tätigkeit. Ich bin immer neugierig auf meine Patient*innen und Paare und immer wieder berührt von der Tiefe und der Authentizität der Begegnungen. Ich habe sehr viel von meinen Patient*innen gelernt und lerne nie aus. Ich als Psychotherapeutin werde, je älter ich werde, durch meine berufliche und Lebenserfahrung immer erfahrener und damit entspannter. Das ist ein sehr schöner Nebeneffekt.

Es ist die Zeit der Ernte. Ich schreibe viel, gebe Interviews, habe mich die letzten 12 Jahre im Rahmen der «Cinépassion» intensiv mit dem Thema Psychoanalyse und Film auseinandergesetzt und freue mich über immer wieder neue berufliche Herausforderungen.

5) Aus Ihrer jetzigen Perspektive, was würden Sie Ihrem jüngeren Ich (was gerade das Psychologie Studium absolviert) als Rat mitgeben?

Meinem jüngeren Ich, das gerade Psychologie studiert, würde ich raten, sich in der Vielfalt der beruflichen Möglichkeiten, die das Psychologiestudium bietet, das Gebiet zu wählen, das sowohl Entwicklungsmöglichkeiten bietet als auch den persönlichen Interessen entspricht. Dort würde ich mich dann optimal ausbilden und immer wieder über den «Tellerrand» der jeweiligen Disziplin hinausschauen und mich mit anderen Themen verbinden. Das habe ich persönlich als bereichernd empfunden. Wichtig ist dabei auch eine gewisse Leidenschaft.

Nach mehreren seiner Aus- und Weiterbildungen eröffnete Herr Schiller-Stutz in Dietlikon eine Gemeinschaftspraxis zur Mobbingberatung. Er wurde später zum Mitbegründer der «Gesellschaft gegen psychosozialen Stress am Arbeitsplatz». Herr Schiller-Stutz leistete eine sehr grosse Arbeit zur Enttabuisierung des Begriffs «Mobbing am Arbeitsplatz» in der Schweiz, beriet bei der Schweizer Mobbingstudie des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco im Jahr 2002, und spricht seitdem oftmals in Tagespresse, TV, Fachzeitschriften und in eigenen Bücher über das Thema Mobbing.

Klaus Schiller-Stutz, lic. phil. I

Eidgenössisch anerkannter Psychotherapeut

Fachpsychologe für Klinische Psychologie und Psychotherapie FSP

https://schiller-stutz.ch/

1) Wussten Sie immer, dass Sie in der Psychologie arbeiten würden?


Durch die beruflichen Tätigkeiten meiner Eltern im Gesundheitswesen (Vater war Arzt; Mutter war medizinisch-technische Assistentin) und den Austausch darüber wollte ich seit meiner Jugend via Medizinstudium Psychiater / Psychotherapeut werden. Den Studienplatz in Psychologie erhielt ich 1975 durch das Schweizer Konsulat in München. Das Psychologiestudium an der Uni Zürich hat mich jedoch derart fasziniert hat, dass ich 1978 mein zwischenzeitlich begonnenes Medizinstudium in München definitiv abgebrochen und aufgegeben habe. Grund: Das Medizinstudium lieferte mir zu wenig Antworten auf meine Fragen über die Entwicklung eines Menschen und die zwischenmenschlichen Dynamiken.

2) Gab es einen Moment in Ihrem Leben, in dem Sie genau wussten als was Sie arbeiten möchten? Was war dieser Moment? 


Meine Motivation für eine (Blind-)Bewerbung als Gruppenleiter in einem Jugendheim in der Schweiz wurde massgebend durch ein sehr gestaltungsfreudiges, kreatives Heimleiterehepaar eines Altersheims ausgelöst, in welchem meine Grossmutter einige Jahre bis zu ihrem Tod mit sehr schönen Erfahrungen gelebt hat.

3) Was ist Ihre grösste Unsicherheit betreffend einer Arbeitsstelle in der Psychologie gewesen?


Die Vielschichtigkeit der menschlichen Psyche sowie der Strukturen, Abläufe und Organisation in Betrieben hat mich für eine Bildung von Netzwerken und Vereinen motiviert, um den (Erfahrungs-)Austausch mit KollegInnen aus dem psychologischen, medizinischen, sozialen, pädagogischen, juristischen und Sozialversicherungsfachbereich und der Wirtschaft (z.B. www.BGMnetz.ch ) zu pflegen und fördern.

4) Was ist Ihrer Meinung nach das Schönste an dem Beruf, den Sie ausüben?


Menschen (einzelne Personen, Paare, Familien, Teams, Organisationen, Betriebe) mit systemisch- und ressourcenorientierter Analyse / Klärung zu begleiten und, einen Beitrag zur Förderung ihrer Lebensqualität / Lösung von Problemen / Konflikten zu erarbeiten und / oder sie beim Verarbeiten traumatisierender Ereignisse zu unterstützen.

5) Aus Ihrer jetzigen Perspektive, was würden Sie Ihrem jüngeren Ich (was gerade das Psychologie Studium absolviert) als Rat mitgeben?


Hinschauen, zuhören, benennen sowie offen sein für Austausch und Vernetzung mit Fachpersonen aus anderen Fachbereichen (wie z.B. Medizin, Sozialwesen, Rechtswissenschaften, Wirtschaft) erachte ich als sehr hilfreich und entlastend.

Aussichten nach dem Psychologiestudium

Eine Umfrage zu Zukunftsplänen von Studierenden

Wie stark befassen sich Psychologiestudierende mit ihrer Zukunft? Was für Gefühle löst diese Auseinandersetzung in ihnen aus? Eine Zusammenfassung verschiedener Impressionen aus einer kurzen Umfrage rund um die Zukunftspläne von Psychologiestudierenden.

Von Norzin Bhusetshang
Lektoriert von Berit Barthelmes und Anja Blaser
Illustriert von Svenja Rangosch

«Die Zukunft ist eine undankbare Person, die grad‘ nur die quält, die sich recht sorgsam um sie bekümmern.»

Johann Nepomuk Nestroy, Die beiden Herren Söhne, 1845, Dritter Akt: Dritte Szene

Dieses Zitat spiegelt meine in Teilen zynischen Gedanken wider, die mir durch den Kopf schwirren, während ich mir einmal mehr (zu viele?) Sorgen um meine berufliche Zukunft mache. Die Anzahl spannender Möglichkeiten nach dem Psychologiestudium ist enorm. Für welchen Weg bin ich geeignet? Wo passe ich hin? Ja, manchmal scheint es tatsächlich einfacher, sich nicht um die Zukunft zu bekümmern. Doch wie ergeht es meinen Mitstudierenden? Um diese Frage zu beantworten und verschiedene Impressionen einzufangen, führte ich eine kurze Umfrage rund um die Zukunftspläne von Psychologiestudierenden durch.

An dieser Umfrage nahmen insgesamt 30 Psychologiestudierende teil – davon zwei aus dem Propädeutikum, vier aus dem Bachelor und 24 aus dem Master. Alter und Geschlecht wurden nicht abgefragt. Direkt vor dem Psychologiestudium haben 17 Teilnehmende die Matura im Gymnasium bzw. das Abitur in Deutschland gemacht. Acht Teilnehmende kommen hingegen aus einem Beruf und haben zuvor eine Lehre oder eine andere Ausbildung abgeschlossen. Fünf Teilnehmende haben mit einem anderen Studium begonnen und dann zur Psychologie gewechselt. Es lässt sich demnach ein recht breit gefächertes Vorerfahrungsspektrum feststellen.

Wissen Psychologiestudierende bereits, was sie in Zukunft tun/werden wollen?

Die erste der beiden Hauptfragen befasste sich damit, ob und wie sehr sich die Psychologiestudierenden bereits mit ihrer Zukunft auseinandergesetzt und ob sie sich schon für einen Weg entschieden haben. Die Antworten der zwei Studierenden aus dem Propädeutikum waren inhaltlich ähnlich. Beide haben gewisse Ideen, welcher Bereich oder welches Feld sie interessieren könnte, wollen jedoch zuerst einmal die Propädeutikumsprüfungen bestehen, bevor sie sich weiter mit ihren Zukunftsplänen auseinandersetzen.

Bei den vier Bachelorstudierenden finden sich schon spezifischere Berufsideen, die sich über die Bereiche Psychotherapie, Coaching und Beratung sowie Forschung erstrecken. Es scheint, dass sie sich schon stärker mit dem Thema auseinandergesetzt haben, sich jedoch noch nicht festlegen wollen, bis sie mehr Erfahrung sowohl im weiteren Verlauf des Studiums als auch mit verschiedenen Praktika gesammelt haben.

Für die 24 Masterstudierenden fallen die Antworten unterschiedlicher aus. Es gibt einige, deren Zukunftspläne noch unsicher sind oder die sogar etwas ganz anderes tun möchten, das nicht mit dem Psychologiestudium zusammenhängt. Manche haben eine oder mehrere spezifische Berufsideen, haben sich aber nicht festgelegt und wollen sich mit der Entscheidung noch etwas Zeit lassen. Andere haben genaue Ideen, wie ihre nächsten Jahre aussehen sollen und wo sie am Ende arbeiten möchten. Wieder andere haben sich für einen Beruf entschieden und zum Teil auch bereits Anstellungen in Aussicht. Die Berufsziele der Masterstudierenden, die einer psychologischen Tätigkeit nachgehen wollen, decken unterschiedlichste Bereiche ab. So wollen die meisten im klinischen Bereich und in verschiedenen Psychotherapierichtungen arbeiten. Es gibt jedoch auch fünf Studierende, die später doktorieren und in die Forschung gehen möchten und sechs Studierende, die Berufsziele im Bereich der Arbeits- und Organisationspsychologie nennen.

Anlaufstellen zur beruflichen Zukunftsgestaltung der UZH

Für alle, die Unterstützung bei ihrer beruflichen Zukunftsgestaltung wünschen oder nach weiteren Informationen suchen, stehen die Career Services der UZH zur Verfügung. Auf ihrer Website (www.careerservices.uzh.ch) gibt es unter anderem verschiedene Ratgeber, ein Jobportal (www.uzhcareer.ch) und hilfreiche Informationen. Ausserdem bieten die Career Services Beratungen, Workshops und Veranstaltungen an.

Die Career Services organisieren ausserdem den UZH JobHub (www.uzhcareer.ch/de/uzh-jobhub), eine Rekrutierungsmesse, bei der sich verschiedenen Berufsanbietern und Jobsuchenden die Möglichkeit zum Austausch und Kennenlernen bietet. Der nächste UZH JobHub findet vom 13. bis 17. März 2023 statt.

Weitere Anlaufstellen zur beruflichen Zukunftsgestaltung

Wie geht es Psychologiestudierenden, wenn sie an ihre Zukunft denken?

Die zweite der beiden Hauptfragen beschäftigte sich mit dem Gemütszustand der Psychologiestudierenden beim Nachdenken über ihre Zukunft, und den Gefühlen, welche die Auseinandersetzung mit diesem Thema in ihnen auslöst. Bei den beiden Studierenden im Propädeutikum war zum Zeitpunkt der Umfrage eine verstärkte Beschäftigung mit den Prüfungen spürbar. Ausserdem wurden Sorge und Nervosität gegenüber den Ergebnissen, Selbstzweifel und Überforderung geäussert. Doch auch Neugierde und (Vor-)Freude für den psychologischen Tätigkeitsbereich, dem sie mit grossem Interesse begegnen.

Die Bachelorstudierenden berichten ebenfalls von (Vor-)Freude gegenüber ihrer Zukunft und ihrer Weiterentwicklung im Beruf. Sie formulieren jedoch auch Sorgen, Selbstzweifel und Ängste, da sie zum Beispiel nicht genau wissen, welche Möglichkeiten ihnen später zur Verfügung stehen. Weiter fühlen sie sich durch das Studium (noch) nicht genug auf die Arbeit vorbereitet und fragen sich teilweise, ob sie für die verschiedenen Berufe überhaupt geeignet wären.

Diese Befürchtungen – vielleicht doch die falsche Wahl getroffen zu haben oder nicht geeignet zu sein – finden sich zum Teil auch noch bei den Masterstudierenden, wobei der Gedanke hinzukommt, den Herausforderungen nicht gewachsen zu sein und sowohl sich selbst als auch Patient*innen/Klient*innen zu enttäuschen. Ausserdem drehen sich ihre Ängste häufiger darum, ob sie eine Anstellung finden werden, und diese Gefühle scheinen stärker zu werden, je näher das Ende des Studiums heranrückt. Eine weitere Sorge, die genannt wurde, ist der lange, teure und zum Teil nicht gut abgesicherte oder vergütete Aus- bzw. Weiterbildungsweg bis zum vollen Berufseinstieg. Wenn die Masterstudierenden jedoch an die Ausübung des Berufs denken, überwiegen Vorfreude, Hoffnung und Entschlossenheit. In diesen Momenten sehen sie den Weg als Herausforderung, für den es sich lohnt, hart zu arbeiten, um am Ende ihr Ziel zu erreichen.

Ambivalente Gefühle gegenüber unserer Zukunft

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mehr Masterstudierende als Bachelorstudierende an der Umfrage teilgenommen haben, was daran liegen könnte, dass sie sich bereits mehr mit dem Thema Zukunftspläne auseinandergesetzt haben und deshalb mehr Interesse daran zeigen. Zur Frage nach ihren Zukunftsplänen antworteten die Studierenden im Propädeutikum, dass sie dieses erst mal bestehen möchten, bevor sie sich mehr Gedanken zur Zukunft machen. Die Bachelorstudierenden haben schon genauere Ideen, warten jedoch noch damit, sich festzulegen. Bei den Masterstudierenden zeigt sich ein breiter gefächertes Bild, bei dem einige bereits spezifische Vorstellungen und zum Teil auch schon Stellen haben und andere noch unsicher sind oder sogar etwas von der Psychologie Unabhängiges tun möchten. Bei der Frage nach dem Gemütszustand berichteten die Psychologiestudierenden sowohl Vorfreude, Hoffnung und Neugier als auch Sorgen, Ängste und Unsicherheiten, wenn sie an ihre Zukunft denken. Dabei scheint es, als würden für die Teilnehmenden mit genaueren Plänen die positiven Emotionen die negativen überwiegen, auch wenn dennoch meist beides berichtet wurde.

Es war unglaublich interessant, die Antworten meiner Mitstudierenden zu lesen und von ihren vielseitigen Zukunftsplänen zu erfahren. Ich war überrascht, wie ähnlich die Antworten auf die Frage nach den Emotionen ausgefallen sind und wie viele im Verlauf ihres Studiums dieselben Erfahrungen erleben. Dies löste bei mir ein Gefühl der Verbundenheit mit meinen Mitstudierenden aus; es scheint, als würden wir alle diese Ambivalenz gegenüber unserer Zukunft kennen. Wir machen uns dieselben Sorgen und haben die gleichen Unsicherheiten und Ängste – doch wir sind auch neugierig und gespannt auf alles, was wir in Zukunft noch lernen werden und freuen uns bereits auf die Ausübung unserer jeweiligen Berufsideen. Die Hoffnung, unseren Weg und einen passenden Platz zu finden, treibt uns weiter an.


Zum Weiterlesen

Den Boer, L., Klimstra, T. A., & Denissen, J. J. A. (2021). Associations between the identity domains of future plans and education, and the role of a major curricular internship on identity formation processes. Journal of Adolescence, 88, 107–119. https://doi.org/10.1016/j.adolescence.2021.02.005

Ebner, K., Soucek, R., & Selenko, E. (2021). Perceived quality of internships and employability perceptions: The mediating role of career-entry worries. Education + Training, 63(4), 579–596. https://doi.org/10.1108/ET-02-2020-0037

Literatur

Den Boer, L., Klimstra, T. A., & Denissen, J. J. A. (2021). Associations between the identity domains of future plans and education, and the role of a major curricular internship on identity formation processes. Journal of Adolescence, 88, 107–119. https://doi.org/10.1016/j.adolescence.2021.02.005

Ebner, K., Soucek, R., & Selenko, E. (2021). Perceived quality of internships and employability perceptions: The mediating role of career-entry worries. Education + Training, 63(4), 579–596. https://doi.org/10.1108/ET-02-2020-0037

Dissoziative Identitätsstörung

Ein bisschen Klarheit für diese faszinierende, aber komplexe Störung

Charaktere, die ihr Gesicht verzerren, ihre Stimme verändern und zu «jemand anderem» werden, sind uns nicht neu. Was verursacht die Verhaltenswechsel, wie viele Identitäten können koexistieren und was sind mögliche Therapien? Diese und andere Aspekte der dissoziativen Identitätsstörung werden erörtert.

Von Arianna Pagani und Debora Giarracca
Lektoriert von Noomi Heilmann und Natalie Birnbaum
Illustriert von

Wen gibt es in mir?  Eine zerfallene Identität, das ist das Kennzeichen der Dissoziativen Identitätstörung (American Psychiatric Association, 1994). Ein relevanter Teil der Gesamtpopulation – 1,5 Prozent nach Johnson und Kollegen (2006) – sind davon betroffen. Aber was genau  verbirgt sich hinter dieser faszinierenden Störung?

Was steckt hinter dem Film Split?

Der bekannte Film Split von M. Night Shyamalan basiert auf der wahren Geschichte von Billy Milligan, einem US-amerikanischen Kriminellen, der an einer dissoziativen Identitätsstörung leidet. Nachdem er verschiedene Straftaten begangen hatte, wurde er schliesslich aufgrund von drei Vergewaltigungen an Universitätsstudent*innen verhaftet. Er war die erste Person in den Vereinigten Staaten, die aufgrund ihrer Unzurechnungsfähigkeit für schuldigunfähig gehalten wurde (Keyes, 2018). Billy Milligan wurde am 4. Februar 1955 in Miami Beach geboren. Er hatte eine unglückliche Kindheit, die unmittelbar von einem schweren Verlust geprägt war: Im Alter von vier Jahren verlor er seinen Vater, der Selbstmord beging (Keyes, 2009). Dieses Ereignis markiert die ersten Symptome der Dissoziation. Die endgültige Dissoziation erfolgt jedoch im Alter von 9 Jahren nach körperlicher Gewalt und sexuellem Missbrauch durch seinen Stiefvater, Chalmer Milligan. Die Aufspaltung in vierundzwanzig verschiedene Persönlichkeiten hilft ihm, seine innere Welt zu schützen und dient als Schutzschild vor der äusseren Welt.  Im Alter von 16 Jahren unternimmt er einen Selbstmordversuch, indem er versucht, sich vom Schuldach zu stürzen. Regen, eine der Persönlichkeiten, greift ein, um ihn an der Tat zu hindern (Keyes, 2009). Nach diesem Ereignis wird Billy sieben Jahre lang von den dominanten Persönlichkeiten im «Schlaf» gehalten, weil sie befürchten, dass er erneut versuchen könnte, sich umzubringen. Sein soziales Leben wird von den verschiedenen Persönlichkeiten gelebt, die sich je nach Situation abwechseln.

Während des Prozesses wegen der begangenen Straftaten streitet Milligan die Anklagen nicht ab, behauptet aber weiterhin, sich nicht an die begangenen Taten erinnern zu können. Die Psychiaterin Dorothy Turner entdeckt die Existenz mehrerer Persönlichkeiten, darunter David, der die Existenz der anderen aufdeckt (Keyes, 2009).

Anfänglicher Skeptizismus

Vor Billy wurden schon einige Fälle von Personen mit DID bekannt.  Die ersten wurden  Anfang 1800 beschrieben (z. B. Mitchill, 1816) und bis Ende des 19. Jahrhunderts litten  nur wenige Personen unter multiple personality disorder (MPD) – so wurde die Störung früher bezeichnet. Diese «neue Störung» bekam grosse Aufmerksamkeit, vor allem in Frankreich (Merskey, 1992), wo hospitalisierte Strukturen wie das Salpêtrière diese Patient*innen aufnahmen, ihr Störungsbild untersuchten und mit möglichen Behandlungsmethoden experimentierten (Seilhean, 2020). Die Anzahl von Patient*innen mit MDP wuchs, seit dem Prince im Jahr 1908 seine Sammlung über 24 Fälle publizierte und eskalierte nachdem das Buch The three faces of Eve (1957) veröffentlicht wurde. In diesem Buch geht es um eine Frau mit gespaltener Persönlichkeit, die nach der Bewältigung ihres kindlichen Traumas plötzlich wieder ganz war. Seitdem gibt es Psychiater*innen, die behaupten, dass sie Dutzenden von Patient*innen diagnostiziert und geheilt haben (z. B. Kluft, 1982).

Einige Experten waren aber skeptisch gegenüber der Diagnose der MDP und vermuteten, dass sie von Ärzt*innen erfunden worden sei (Hacking, 1986). Zum Beispiel Merskey (1992) analysierte verschiedene Fälle und fand vermeintlich alternative Erklärungen, wie die hysterische Amnesie, die Schaffung neuer Identitäten unter Hypnose durch Suggestivfragen oder die Fehlinterpretation einer bipolaren Störung. Andere meinen, dass das Konzept im 18. Jahrhundert entwickelt wurde und die Störung vorher fälschlicherweise als Psychose oder Besessenheit interpretiert wurde (Hacking, 1875).

Von «Multiple personality disorder» zu «dissoziative Identitätsstörung»

1980 wird MPD eine offizielle Diagnose im Manual der psychischen Störungen DSM-III (American Psychiatric Association, 1980) und es bleibt einerseits ein extrem faszinierendes Phänomen, anderseit gab es einige Skeptiker*innen. In der sukzessiven Version des DSM-IV (American Psychiatric Association, 1994) wurde die Bezeichnung von MPD in Dissoziative Identitätsstörung (DID) geändert, die bis zur heute aktuellen Version beibehalten wurde.

Diese Veränderung des Namens ist Ausdruck eines grundlegenden Wandels in der Sichtweise der Störung. Sie wird nicht mehr als eine Proliferation verschiedener Persönlichkeiten gesehen, sondern eher als eine Fragmentierung der eigenen Identität (American Psychiatric Association, 1994). Dadurch wird betont, dass es sich um ein unfreiwilliges und unbewusstes Phänomen handelt (Laycock, 2015). Dazu wurden spezifische Kriterien für die Diagnose der DID hinzugefügt.

Was kennzeichnet die Störung?

Wie der Name bereits andeutet, ist die DID eine Dissoziation oder Zerlegung des Selbst. Das DMS-5 legt Kriterien, um DID zu diagnostizieren fest.

Das erste Kriterium ist, dass es mindestens zwei distinkte Persönlichkeitzustände – Alter Egos – gibt, je mit einem eigenen Gedächtnis, Gedanken und Wahrnehmungen, die die Kontrolle über das Verhalten wechselseitig übernehmen (American Psychiatric Association, 2013).  Die betroffenen Personen erleben eine Diskontinuität des Selbst und der Handlungsfähigkeit: Sie können andere Kleider tragen und plötzlich nicht mehr in der Lage sein, das Auto zu fahren.

Healthy Multiplicity

Das ist, wenn mehrere Alter Egos koexistieren, ohne die Funktionalität des Individuums zu beeinträchtigen (Telfer, 2015). Ein anschauliches Beispiel ist John (Mierendorf, 1993), ein Polizist, dessen Identitäten unterschiedliche Kompetenzen haben, die bei Bedarf absichtlich ausgetauscht werden. Ein Alter Ego schiesst gut mit der Waffe, ein anderes ist ein besserer Detektiv. John zeigt, dass es nicht unbedingt nötig ist, eine endgültige Fusion anzustreben, um ein gesundes Leben zu führen.

Das zweite Kriterium betrifft die Amnesie (American Psychiatric Association, 2013). Betroffene haben signifikante Gedächtnislücken über das Selbst, den Alltag oder die traumatischen Erfahrungen. Da die Identitäten ein eigenes Gedächtnis haben, können sie etwas machen, woran sie später jedoch keine Erinnerung haben, was sie unehrlich erscheinen lässt (Leonard & Tiller, 2016). Die anderen Persönlichkeitszustände sind nicht immer unbewusst, während einer der Alter Egos die Kontrolle hat: Es kommt vor, dass Identitäten passiv zusehen, was passiert, ohne eingreifen zu können (Dell, 2016).

«’Why are you not “She”?’ ‘Because “she” does not know the same things that I do.’ ‘But you both have the same arms and legs, haven’t you?»

Merskey, 1992, S. 333

Mitbewusstsein

Oft kennen sich diese Identitäten gegenseitig; dies wird als Mitbewusstsein bezeichnet. Es bedeutet, dass sich zwei oder mehrere andere Persönlichkeiten der Anwesenheit des jeweils anderen bewusst sind und eine kontinuierliche Erinnerung an eine Situation oder einen bestimmten Zeitraum haben (Haddock, 2001). Einer von ihnen hat normalerweise die «exekutive Kontrolle» über den Körper der Person, während ein anderer beobachten, zuhören und über das Geschehen nachdenken kann (Haddock, 2001).

Trance und Besessenheit

Die Dissoziative Identitätsstörung ist Teil der dissoziativen Störung, die auch die Trance- und Besessenheitszustände enthält (American Psychiatric Association, 2013). Diese zwei Störungen ähneln sich in grossen Teilen: Beide sind durch unwillkürliche und abrupte Wechsel der eigenen Identitäten charakterisiert. Sie differenzieren sich, indem bei der dissoziativen Identitätsstörung die alternative Identität als internal – als Persönlichkeit – eingeordnet wird, während bei der anderen die Identität als external erlebt wird, also als ein externes «Jemand» (Overkamp, 2005).

Ätiopathogenese

Wo liegen die Ursachen für diese psychische Störung? Es gibt zwei Ansätze, um die Entwicklung dissoziativer Zustände zu verstehen. Der eine Ansatz nimmt an, dass Dissoziation als Reaktion auf ein Trauma zurückzuführen ist, wohingegen der andere Ansatz annimmt, dass sie auf bestimmte primäre Persönlichkeitsmerkmale zurückzuführen ist. Der erste Aspekt führt zur Entstehung von dissoziativen Symptomen im pathogenetischen Zusammenhang mit akuten oder posttraumatischen Belastungsstörungen. Der zweite Aspekt bezieht sich auf dissoziative Tendenzen in der normalen Persönlichkeit und stellt Bezüge zu anderen Persönlichkeitskonstrukten wie der Fantasiebegabung her. Beide Aspekte beinhalten also normale und traumatische psychologische Faktoren (Kapfhammer, 2017). Diese beiden Ansätze beschreiben dementsprechend die Ursache für das Leben mehrerer Identitäten in einem einzigen Körper.

Wer sind all die Alter Egos?

Eine Person mit dissoziativer Identitätsstörung ist durch multiple Persönlichkeitszustände gekennzeichnet, die als Alter Egos bezeichnet werden können. Es handelt sich um getrennte Identitäten, die je nach Situation den Körper übernehmen und unabhängig voneinander funktionieren können. Alle zusammen bilden die gesamte Persönlichkeit des Individuums (American Psychiatric Association, 2013). Die Alter können unterschiedliches Alter, Geschlecht und Namen haben, sie können unterschiedliche Einstellungen und Wahrnehmungen der Realität, sowie unterschiedliche Erinnerungen haben. Van der Hart und Kolleg*innen (2006) unterscheiden zwischen scheinbar normalen Teilen und emotionalen Teilen. Im ersten Fall handelt es sich um eine Identität, die das alltägliche Leben bewältigt und normalerweise keine Traumaerinnerungen aufbewahrt hat. Die zweite Identität hingegen ist eng mit traumatischen Erinnerungen verbunden und bleibt oft in der Erinnerung verhaftet, ohne zu merken, wie die Zeit vergeht (Haddock, 2001).

Howell (2011) stellt fest, dass die Anzahl der Alter in einem DID-System normalerweise in die Dutzende geht. In einigen Fällen handelt es sich um mehrfache Alter Egos, die viele Identitäten haben, in manchen Fällen sogar bis zu  hundert (diese hohe Zahl ist wahrscheinlich auf hoch organisierten Missbrauch zurückzuführen, wie z. B. Sektenmissbrauch, rituellen Missbrauch, Pädophilie oder andere Formen extremen, sadistischen Missbrauchs, der sich über lange Zeiträume erstreckt und oft mehrere Täter*innen miteinbezieht (Miller, 2014)). Die Anzahl der Alter Egos, deren sich eine Person mit DID bewusst ist, nimmt während der Behandlung oft zu. In einer Studie von Coons und Kolleg*innen (1988), wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Diagnose im Durchschnitt zwei bis vier Identitäten bestanden, während sich im Verlauf der Behandlung 13 bis 15 Identitäten herausbildeten. Das bedeutet nicht, dass die Behandlung die Entstehung neuer Persönlichkeiten verursacht hat. Stattdessen bedeutet es, dass vorhandene andere Persönlichkeiten sich in der Lage fühlen, während einer Psychotherapie aufzutauchen, wenn sie etwas mitteilen möchten oder wenn sie durch etwas ausgelöst werden (Haddock, 2001).

Therapien

Kann DID behandelt werden? Ja, es gibt international anerkannte Guidelines (International Society for the Study of Trauma and Dissociation, 2011) mit wichtigen Hinweisen, die Kliniker*innen und Psychotherapeut*innen helfen. Symptome können verbessert und die Funktionsfähigkeit kann erhöht werden (Brand, Loewenstein, & Spiegel, 2014).

Die Hauptmethode zur Behandlung der DID laut den Guidelines ist die Gesprächstherapie. Nach Kluft (1993a) ist das Ziel die endgültige Fusion aller Identitäten, sodass sich die Person wieder einheitlich fühlt. Trotzdem sind viele Patient*innen dazu nicht in der Lage oder sind nicht gewillt,  die Alter Egos  zu fusionieren. In diesen Fällen ist das Ziel der Therapie eine bessere Integration, Kommunikation und Harmonie zwischen den Alter Egos zu erwirken, mit einem festen und stabilen Selbstverständnis (vgl. Guidelines). Es ist ein langer Prozess, da jede Identität eine eigene Rolle, ein eigenes Gedächtnis, und manchmal verschiedene Alter und Geschlechter hat. Laut Ellason und Ross (1997) erreicht jede*r fünfte Patient*in die endgültige Fusion,  wobei unklar bleibt, wie häufig dies das Ziel der Therapie ist.

«Das menschliche Gehirn ist das komplexeste Objekt im Universum. Was wäre, wenn es für den minderwertigen Menschen mit multipler Persönlichkeit keine Grenzen gäbe, was er werden kann?»

Shyamalan, 2017

Laut den Guidelines kann es erforderlich sein, die traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten und unter einer einheitlichen Perspektive zu vereinigen. Die Hypnose könnte  sowohl für die Behandlung der Traumata (Dell & O’Neil, 2010), als auch für die Amnesie hilfreich sein (Brown, Scheflin, & Hammond, 1998). Die Verabreichung von Medikamenten ist laut den Guidelines nicht empfohlen, ausser wenn sie für andere koexistierende Störungen nötig sind.


Zum Weiterlesen

Merskey, H. (1992). The manufacture of personalities: The production of multiple personality disorder. The British Journal of Psychiatry, 160(3), 327-340.

Night Shyamalan, M. (2016). Split. Universal Pictures.

Literatur

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American Psychiatric Association. (2013). Diagnostic and statistical manual of mental disorders: DSM-5. (5th ed.). Washington, D.C.: American Psychiatric Association. https://doi.org/10.1176/appi.books.9780890425596

Brand, B. L., Loewenstein, R. J., & Spiegel, D. (2014). Dispelling myths about dissociative identity disorder treatment: An empirically based approach. Psychiatry, 77(2), 169-189.

Brown, D., Scheflin, A. W., & Hammond, D. C. (1998). Memory, trauma treatment, and the law. WW Norton & Company.

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Dell, P. F., & O’Neil, J. A. (Eds.). (2010). Dissociation and the dissociative disorders: DSM-V and beyond. Routledge.

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Haddock D, (2001). The Dissociative Identity Disorder Sourcebook. McGraw-Hill.

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Telfer, T. (2015). Are Multiple Personalities Always a Disorder? Vice. Retrieved 31.07.2022. https://www.vice.com/en/article/vdxgw9/when-multiple-personalities-are-not-a-disorder-400

Thigpen, C. H., & Cleckley, H. M. (1957). The three faces of Eve.

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World Health Organization. (1992). The ICD-10 Classification of Mental and Behavioural Disorders.

Terror-Management oder die Angst vor dem Tod

Wie das Unausweichliche menschliches Verhalten formt

Von Sebastian Junghans
Lektoriert von Lorenzo Liem und Isabelle Bartholomä
Illustriert von

Epikur schrieb, dass alles was schlecht und alles was gut ist, Sache der Wahrnehmung sei und das Ende der Wahrnehmung der Tod. Der Tod habe also keine Bedeutung, sei weder gut noch schlecht, denn solange wir da seien, sei der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, so seien wir nicht mehr da. Nun liessen wir uns vielleicht von Epikur überzeugen, den Tod nicht zu fürchten, wenn wir rein rational denkende Wesen wären. Den Konjunktiv verlassend, stellen wir fest, dass die Bewusstwerdung der eigenen Sterblichkeit durchaus Angst oder zumindest unangenehme Gefühle hervorrufen kann.

Bond (1994) beschreibt die Angst vor dem Tod oder englisch Death Anxiety als ein Gefühl des Grauens, der Befürchtung oder Besorgnis, wenn man an den Prozess des Sterbens oder an das Aufhören des «Seins» denkt. Dabei unterscheidet Wong (1994) zwischen der Furcht vor dem Sterben und der Angst vor dem Tod. Die Furcht vor dem Sterben ist dabei konkret und dem Bewusstsein zugänglich. Die Angst vor dem Tod hingegen äussert sich allgemeiner und ist eher nicht bewusstseinszugänglich.  

Die Angst vor dem Tod und ihre Korrelate

Breit ausgelegte Angst vor dem Tod kann per Selbstmessung erhoben werden. Die Death Anxiety Scale (Templer, 1970)besteht aus 15 Items, die man mit Ja oder Nein beantwortet. Die Items lauten beispielsweise: Das Thema Leben nach dem Tod beunruhigt mich sehr. Ich habe das Gefühl, dass ich die Zukunft nicht zu fürchten brauche (rückwärts codiert). Und: Ich habe grosse Angst vor dem Tod.

Unter psychisch nicht beeinträchtigten Menschen fanden Lonetto und Templer (1986) einen Durchschnittswert von 6.89 von maximalen 15 Punkten. Frauen haben dabei im Durchschnitt signifikant höhere Werte als Männer. Dafür gibt es verschiedene Erklärungsansätze, wovon aber bis anhin keiner als Standarderklärung angewendet wird. Wird Angst vor dem Tod mit anderen Skalen erhoben, findet man keine Korrelation zwischen Geschlecht und Angst vor dem Tod (Depaola et al, 2003). Das heisst, dass die breite Auslegung von Angst vor dem Tod, die bei der Death Anxiety Scale gemessen wird, zu unspezifisch ist und Subskalen Unterschiede erklären könnten. Eine weitere Erklärung liefert Wong (2012), der an einer chinesischen High School Geschlechterunterschiede bei der Angst vor dem Tod fand. Laut ihm könnten die Unterschiede im in China gesellschaftlich populären Glauben an Spirituelles liegen, der unter der weiblichen Bevölkerung stärker verbreitet sei. Aberglaube korreliert dabei mit der Angst vor dem Tod. Woher die Geschlechtsunterschiede im Aberglaube stammen, beschriebt Wong (2012) jedoch nicht. In der arabischen Welt fanden sich bis anhin die grössten Geschlechterunterschiede (z.B. Abdel-Khalek, 1991). Templer (1991) kommentierte dazu, dass es in Gesellschaften, in denen sich männliche und weibliche Geschlechterrollen stark voneinander unterscheiden, typisch männlich angesehene Attribute, wie Mut und Unerschrockenheit die Scores auf der Death Anxiety Scale beeinflussen könnten.

In vielen Religionen der Welt ist das Leben nach dem Tod ein zentrales Thema. Ob die Folge des Versterbens nun Himmel, Hölle oder Wiedergeburt ist, was alle gemeinsam haben, ist dass der Tod zwar ein Ende aber auch einen Anfang darstellt. Es liegt daher nahe, dass Personen, die überzeugte Anhänger einer Religion sind, weniger Angst vor dem Tod haben. In einem Review von Jong (2021) wurden 202 Korrelationen zwischen Angst vor dem Tod und Religiosität ausgewertet. Rund die Hälfte fanden keinen signifikanten Zusammenhang, 60 einen negativen Zusammenhang und 36 einen positiven Zusammenhang. Alles in allem wurde ein schwacher negativer Zusammenhang von r = -.06 festgestellt. Einige Studien lassen vermuten, dass ein kurvilinearer Zusammenhang zwischen Religiosität und Angst vor dem Tod besteht. Das heisst, dass Menschen, die sehr religiös sind, sowie Menschen, die leicht religiös sind, weniger Angst vor dem Tod haben als Menschen, die in der Mitte dieses Spektrums befinden.

Bezüglich Lebensalter könnte man erwarten, dass die Angst vor dem Tod mit zunehmendem Alter grösser wird, da das Lebensende unweigerlich näher rückt. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Junge Menschen erreichen durchschnittlich höhere Werte im Vergleich zu Älteren. Die tiefsten Werte erreichen Menschen über 60. Hier ist anzumerken, dass der Sterbeprozess für ältere Menschen wichtiger ist. Sie fürchten sich eher vor einem Sterben, das mit Qualen und Schmerzen verbunden ist, sie daran hindert den Alltag zu bestreiten oder das zu einem Kontrollverlust über den Körper führt (Depaola et al., 2003).

Woher kommt die Angst vor dem Tod?

Die Terror-Management-Theorie (Greenberg et al., 1986) geht davon aus, dass der Mensch sich von anderen Tieren darin unterscheidet, dass er zu abstraktem und logischem Denken fähig ist. Der Mensch profitiert von seiner Intelligenz, da sie ihn sehr anpassungsfähig macht. Allerdings kommt mit solch einer hohen Intelligenz auch die Erkenntnis, dass man eines Tages sterben wird und dass der Tod zu jedem Zeitpunkt aus unzähligen unvorhersehbaren und unkontrollierbaren Gründen eintreten kann (Pyszczynski et al., 2015). Die Terror-Management-Theorie nimmt an, dass dieses Bewusstsein eines möglichen Todes, welches eigentlich dem Verhindern eines frühzeitigen Todes dient, das Potenzial für eine Urangst trägt. Diese Urangst wird in der Theorie als Terror bezeichnet. In diesem Kontext ist unter Urangst eine angeborene und nicht im Laufe der Jahre erlernte Angst zu verstehen. Würde sich der Mensch gegenüber dieser Gefahr gleich verhalten, wie gegenüber anderen Bedrohungen, so wäre er nicht in der Lage zu leben. Der Mensch nutzt die gleichen Fähigkeiten wie zur Erkenntnis des potenziellen Todes, um den Terror zu managen. Die Terror-Management-Theorie erklärt nicht nur, wo die Angst vor dem Tod herkommt, sondern auch menschliches Verhalten im Auge von Bedrohung ihrer Kultur, ihres Selbstwertgefühls oder ihrer Weltsicht (Pyszczynski et al., 2015). Des Weiteren gibt sie einen Ansatz, warum Menschen sich am liebsten in Kreisen aufhalten, in denen ihre Peers ihnen ähnlich sind.

«TMT [Terror Management Theory – Anm. d. Verf.] posits that awareness of death in an animal designed by natural selection to avoid premature termination creates the potential for intense primal fear, which we refer to as terror to underscore its potency and connection to death.»

Pyszczynski et al., 2015, S. 7

Terror-Management

Menschen erfinden, absorbieren und binden sich an kulturelle Weltvorstellungen. Darunter fallen Theorien über die Realität, die dem Leben Bedeutung, Sinn und Wichtigkeit sowie ein Wertesystem verleihen. Des Weiteren schenken sich Menschen mit gleichen Weltvorstellungen gegenseitig Hoffnung auf unendliches Leben, sei das durch Vorstellungen vom Leben nach dem Tod oder durch das Versprechen, dass die Hinterlassenschaften einer Person in der Welt weiter bestehen bleiben. Diese Hoffnung brauchen Menschen, um ein Selbstwertgefühl verspüren zu können. In einem System, in dem man nie validiert wird und niemand das eigene Wertesystem teilt, ist es schwierig, Angst effizient zu puffern (Pyszczynski et al., 2015).

Für die Terror-Management-Theorie spricht, dass Menschen mit hohem Selbstwertgefühl allgemein weniger Angst verspüren. Spezifischer sollte also induziertes hohes Selbstwertgefühl auch zu weniger Angst vor auf den Tod bezogenen Gedanken führen (Pyszczynski et al., 2015). In einer Studie von Greenberg und Kollegen (1992) berichteten Probanden, die zuvor ein positives Feedback zu einem Persönlichkeitstest erhalten hatten, weniger Angst beim Anschauen eines todbezogenen Videos als Probanden, welche ein neutrales Feedback erhielten.

Stimmt die Terror-Management-Theorie, so müsste eine Konfrontation mit todbezogenen Inhalten zu einem erhöhten Verlangen nach Schutz der eigenen Weltsicht und des Selbstwertgefühls führen. Demnach müsste nach einer Salientmachung der eigenen Sterblichkeit alles was den eigenen Ansichten entspricht zu stärkeren positiven Reaktionen führen bzw. alles was den eigenen Ansichten widerspricht zu einer negativeren Reaktion führen. Eine Metaanalyse von Burke und Kollegen (2010) zeigte dabei, dass dieser Effekt mit r2 = 0.35 zu einem der stärksten Effekte in der Sozialpsychologie gehört. Zur Veranschaulichung führt eine Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit zu grösserer Zustimmung für gewaltsame Lösungen in moralischen, religiösen und internationalen Konflikten (Pyszczynski et al., 2006).

Die Terror Management Theorie kann auf deutlich mehr Phänomene angewendet werden, wie beispielsweise die Fragen wo Religion herkommt, warum Kriege geführt werden, weshalb Populismus funktioniert, wo Kulturunterschiede herkommen und zu guter Letzt, warum Epikur und sein rationales Denken doch seine Fehler hat.  


Zum Weiterlesen

Pyszczynski, T., Solomon, S., & Greenberg, J. (2015). Thirty Years of Terror Management Theory. Advances in Experimental Social Psychology, 1–70. https://doi.org/10.1016/bs.aesp.2015.03.001

Literatur

Abdel-Khalek, A. M. (1991). Death Anxiety among Lebanese Samples. Psychological Reports, 68(3), 924–926E. https://doi.org/10.2466/pr0.1991.68.3.924

Bond, C. W. (1994). Religiosity, age, gender, and death anxiety (Doctoral dissertation, Indiana State University).

Burke, B. L., Martens, A., & Faucher, E. H. (2010). Two Decades of Terror Management Theory: A Meta-Analysis of Mortality Salience Research. Personality and Social Psychology Review, 14(2), 155–195. https://doi.org/10.1177/1088868309352321

Depaola, S. J., Griffin, M., Young, J. R., & Neimeyer, R. A. (2003). Death anxiety and attitudes toward the elderly among older adults: The role of gender and ethnicity. Death Studies, 27(4), 335–354. https://doi.org/10.1080/07481180302904

Greenberg, J., Pyszczynski, T., & Solomon, S. (1986). The causes and consequences of a need for self-esteem: A terror management theory. In R. F. Baumeister (Ed.), Public self and private self (pp. 189–212). New York: Springer.

Greenberg, J., Simon, L., Pyszczynski, T., Solomon, S., & Chatel, D. (1992). Terror management and tolerance: Does mortality salience always intensify negative reactions to others who threaten one’s worldview? Journal of Personality and Social Psychology, 63(2), 212–220. https://doi.org/10.1037/0022-3514.63.2.212

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Templer, D. I. (1991). Comment on Large Gender Difference on Death Anxiety in Arab Countries. Psychological Reports, 69(3_suppl), 1186. https://doi.org/10.2466/pr0.1991.69.3f.1186

Wong, P. T., Reker, G. T., & Gesser, G. (1994). Death Attitude Profile-Revised: A multidimensional measure of attitudes toward death. Death anxiety handbook: Research, instrumentation, and application, 121-148.

  Wong, S. H. (2012). Does Superstition Help? A Study of the Role of Superstitions and Death Beliefs on Death Anxiety Amongst Chinese Undergraduates in Hong Kong. OMEGA – Journal of Death and Dying, 65(1), 55–70. https://doi.org/10.2190/OM.65.1.d

Stress durch Diskriminierung

Wie sich Diskriminierungserfahrungen auf die psychische Gesundheit auswirken –mit Fokus auf die Schweizer LGBTQ+ Community

Erst letzten September hat die schweizerische Bevölkerung darüber abgestimmt, dass homosexuelle Paare heiraten dürfen. Diese im Vergleich zu Nachbarländern späte Entscheidung wirft Fragen auf. Welchem psychischen Druck war und ist die LGBTQ+ Community bis heute in unserer Gesellschaft ausgesetzt? Macht andauernde Diskriminierung krank?

Von Berit Barthelmes
Lektoriert von Michelle Regli und Marina Reist
Illustriert von Shaumya Sankar 

Das Schweizer Parlament hat am 18. Dezember 2020 mit grosser Mehrheit entschieden, dass die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werden soll. Diese Gesetzesänderung – die Ehe für alle – war ein wichtiger und längst überfälliger Schritt in Richtung Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren mit heterosexuellen Paaren in der Schweiz. Am 26. September 2021 haben auch die Stimmbürger*innen mit einem deutlichen JA die Ehe für alle angenommen. Zudem wird Frauenpaaren der Zugang zur professionellen Samenspende in der Schweiz ermöglicht, wobei beide Mütter ab Geburt als rechtliche Eltern anerkannt werden.

Partnerschaft und Ehe

Um einen Blick auf Möglichkeiten der Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren zu werfen, ist es wichtig, sich der Neuerungen durch das oben genannte Gesetz bewusst zu sein. Die wesentlichen Unterschiede zwischen einer Partnerschaft und der nun auch für gleichgeschlechtlichen Paare möglichen Ehe beziehen sich auf fünf (rechtliche) Aspekte: Vermögensrecht, Einbürgerung, Adoption, Zugang zur Samenspende und Hinterlassenenrente. Ab dem 01. Juli 2022 ist es möglich, mit Hilfe einer «einfachen Erklärung» auf dem Standesamt die Umwandlung von Partnerschaft zu Ehe zu beantragen. Wie dieses Verfahren genau abläuft, unterscheidet sich kantonal (Bundesamt für Justiz, 2022).

Freuen wir uns über die Neuigkeiten zum positiven Entscheid der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, lesen wir zugleich auch von dem Hass, der Gewalt und der Diskriminierung gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans und Queere Personen (LGBTQ). Diese Formen des Umgangs nehmen in der Schweiz zu: Die LGBT-Helpline verzeichnete im vergangenen Jahr 92 Meldungen zu so genannten «Hate Crimes» (LGBT-Helpline Schweiz, 2022). Das sind 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Insbesondere die Zahl an transfeindlichen Übergriffen sei gegenüber den Vorjahren stark gestiegen.

Die LGBT-Helpline Schweiz

Die LGBT+ Helpline (https://www.lgbt-helpline.ch) existiert seit 2016 und nimmt Meldungen zu LGBTQ-feindlichen «Hate Crimes» entgegen. Die Meldestelle hat das Ziel, die Situation in der Schweiz sicht- und messbar zu machen, da es fast keine offiziellen Erhebungen gibt. Einzig in der Stadt Zürich und im Kanton Freiburg werden seit 2021 Übergriffe regional erfasst.

45 Prozent der Betroffenen gaben bei der LGBT-Helpline an, dass sie aufgrund ihres Geschlechtsausdrucks diskriminiert worden seien. Zudem meldeten sich viele junge Menschen – auffällig sei die Häufung von Meldungen von Personen unter 22 Jahren. Mehr als die Hälfte erklärte, psychisch unter dem Vorfall zu leiden. Zwar fanden die meisten Übergriffe in der Öffentlichkeit statt, dennoch schaute die Zivilgesellschaft meistens weg und nur die wenigsten der gemeldeten «Hate Crimes» wurden angezeigt oder der Polizei gemeldet, wie es weiter heisst.

Hilfreiche Definitionen

«Hate speeches», zu Deutsch «Hassreden» beziehen sich auf die Aufstachelung und Ermutigung zu Hass, Diskriminierung oder Feindseligkeit gegenüber einer Person, die durch Vorurteile gegenüber dieser Person aufgrund eines bestimmten Merkmals, z. B. ihrer sexuellen Ausrichtung oder Geschlechtsidentität, motiviert sind.

«Hate Crimes», zu Deutsch «Hassverbrechen» beziehen sich auf einen physischen oder verbalen Angriff auf eine Person, der durch Vorurteile gegenüber dieser Person aufgrund eines bestimmten Merkmals, z. B. ihrer sexuellen Ausrichtung oder Geschlechtsidentität, motiviert ist.

«Homophobie» ist die irrationale Angst vor einer Person, weil diese lesbisch, schwul oder bisexuell ist.

«Transphobie» ist die irrationale Furcht vor einer Person, weil sie ein anderes als das ihr bei der Geburt zugewiesene Geschlecht zum Ausdruck bringt, z. B. durch Hormonbehandlung, Operationen, Kleidung oder Kosmetika.

«Ja, und für mich ist auch noch mal der Punkt, dass die Umwelt so wenig darüber weiß, also dass eben, das ist ja jetzt wirklich ein relativ junges Phänomen noch, dass es öffentlich überhaupt die ersten Informationen gibt, ja, dass einfach diese Tabuisierung noch unglaublich hoch ist, wenig Wissenslage, wenig Infrastruktur, wenig Unterstützungsmodelle, viel im Selbsthilfebereich.»

Zitat aus dem Abschlussbericht zu Lebenssituationen und Diskriminierungserfahrungen von homosexuellen Jugendlichen in Deutschland. Deutsches Jugendinstitut, 2013, Seite 47

In diesem Zitat beschreibt ein trans/transidenter Jugendlicher oder junger Erwachsener im «Abschlussbericht zu Lebenssituationen und Diskriminierungserfahrungen von homosexuellen Jugendlichen in Deutschland» des Deutschen Jugendinstituts (2013) die Situation und Erfahrung mit der Reaktion der Aussenwelt. Zu der eigenen Unsicherheit, der Selbstfindung und Verbalisierung der eigenen Vorstellungen von Körperlichkeit, Geschlecht und sexuellen Interessen kommt eine unausgeglichene Dynamik zwischen Individuum und Gesellschaft zu Tage. Das Individuum scheint die Konsequenzen (bspw. Hass oder Diskriminierung) für die relative Untätigkeit oder Behäbigkeit der Gesellschaft zu tragen. Eine unsichere Gesellschaft fängt diesen Jugendlichen oder jungen Erwachsenen nicht auf, der Jugendliche oder junge Erwachsene tritt in die Leere einer Gesellschaft, die noch nicht «so weit» ist und verweist auf den Bereich der Selbsthilfe.

Absichtlich wurde hier ein Zitat gewählt, das bald 10 Jahre alt ist. Bis heute sind Stigmatisierung und Unwissen in der Gesellschaft gross, jedoch gibt es bei weitem mehr Stellen, an die sich gewandt werden kann. Hier seien nur «Du-bist-du», «InterAction Suisse» oder der «Dachverband Regenbogenfamilien» in der Schweiz genannt.

Krank durch Ausgrenzung

Es lässt sich in Hinblick auf den gesellschaftlichen Umgang mit Personen aus der LGBTQ+ Community festhalten, dass Forschung zu psychischer Gesundheit, zu Folgen von Ausgrenzung und offen gezeigtem Hass weiter intensiv betrieben werden. Die Forschung mit Proband*innen aus der LGBTQ+ Community betrifft zahlreiche Bereiche des täglichen Lebens, wie den Arbeitsplatz (Ozeren und Aydin, 2016), konservativere Kulturen (Foong et al., 2020), öffentliche Räume (Robinson, 2016) und den Gesundheitsbereich (Smith et al., 2021). Bezogen auf die Schweiz finden sich unter anderem Artikel zur Situation von Asylsuchenden und dem Fehlen von LGBTQ+-spezifischen Fluchtgründen im Gesetz (Garcia, 2014) und zur Diversität und Inklusion in Schweizer Grossunternehmen (Bucher & Gurtner, 2017).

Diskriminierung auf Basis von Ethnie, sexueller Orientierung oder der Geschlechtsidentität wurde in bisheriger Forschung mit zahlreichen negativen psychologischen und physischen Gesundheitsfolgen in Verbindung gebracht. Dazu zählen vermehrte Selbstmordgedanken (Sutter, 2016). Lesbische, schwule, bisexuelle und trans Menschen zeigen gegenüber heterosexuellen Vergleichsgruppen ein erhöhtes Risiko für suizidales Verhalten (Bundesamt für Gesundheit et al., 2016, S. 15). So beschreiben Wang und Kollegen (2012) bei homo- und bisexuellen Jugendlichen in der Schweiz eine fünf Mal höhere Suizidversuchsrate als bei heterosexuellen Teenagern. Das erhöhte Risiko für suizidales Verhalten komme indirekt durch verschiedene Faktoren (z. B. Schikanen oder Bullying, fehlende Akzeptanz durch die Familie oder geringe Selbstakzeptanz), nicht aufgrund der sexuellen Orientierung selbst zu Stande. Als protektive Faktoren werden in der Literatur vor allem ein unterstützendes Schulklima und akzeptierende und unterstützende Familien genannt (Bryan & Mayock, 2017). Diese protektiven Faktoren dienen als Ausgangspunkt für die Entwicklung von entsprechenden Präventionsmassnahmen (O’Brien et al., 2016).

Die gesundheitlichen Ungleichheiten und Unterschiede von sexuellen Minderheiten, insbesondere im Bereich der psychischen Gesundheit, sind zumindest für westliche Staaten wie die USA intensiv dokumentiert (Bostwick, 2014). Zahlreiche Studien zeigen, dass die Prävalenz von Depressionen und Angststörungen bei Lesben, Schwulen und Bisexuellen im Vergleich zu Heterosexuellen erhöht ist (Darren, 2014; Smart, 2020; Fletcher, 2022). Einige Autor*innen vermuten, dass diese Unterschiede auf den Stress zurückzuführen sind, den Vorurteile und wahrgenommene Diskriminierung verursachen können (Ong et al., 2009; Berger & Sarnyai, 2015; Goosby et al., 2018).

Sichtbarkeit und Coping

Die vorhandenen Ergebnisse deuten darauf hin, dass verschiedene Arten von Diskriminierung in unterschiedlichem Masse mit Störungen der psychischen Gesundheit verbunden sein können. Zugleich zeigten Berjot und Gillet bereits 2011 eindrücklich, wie vorhandene psychologische Modelle, wie das der Transaktionalen Stresstheorie von Lazarus und Folkman (1984) genutzt werden können, um Zusammenhänge zwischen Diskriminierungserfahrungen und Stress herzustellen, aber auch mögliche um Copingstrategien zu entwickeln.

Unter anderem Drake (2013) attestiert unserer Gesellschaft, grundsätzlich offener für Vielfalt zu sein als noch vor einigen Jahren. Dies könnte zu einem geringeren Druck, weniger Hass und Diskriminierung gegenüber der LGBTQ+ Community führen. In der Schweiz zeigte sich auf dem diesjährigen Zürich Pride Festival, das bereits seit 1994 (damals und bis 2009 noch als CSD Zürich) durchgeführt wurde, ein weiteres Mal, wie wichtig gelebte Inklusion und Vielfalt für die Schweizer Bevölkerung zu sein scheint. Allein dieses Jahr wurde das Festival von über 40.000 Menschen besucht und bunt gefeiert. Je sichtbarer, desto besser – trotzdem muss weiter an der Sicherheitslage und dem Schutz vor Diskriminierungen gearbeitet werden.


Zum Weiterlesen

http://www.humanrights.ch

http://www.pinkcross.ch

Bostwick, W. B., Boyd, C. J., Hughes, T. L., West, B. T., & McCabe, S. E. (2014). Discrimination and mental health among lesbian, gay, and bisexual adults in the United States. Am J Orthopsychiatry, 84(1), 35-45. https://doi.org/10.1037/h0098851

Literatur

Berjot, S., & Gillet, N. (2011). Stress and coping with discrimination and stigmatization. Front Psychol. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2011.00033

Berger, S., & Sarnyai, Z. (2015). “More than skin deep”: stress neurobiology and mental health consequences of racial discrimination. Stress, 18(1), 1-10. https://doi.org/10.3109/10253890.2014.989204

Bryan, A., & Mayock, P. (2017). Supporting LGBT Lives? Complicating the suicide consensus in LGBT mental health research. Sexualities, 20(1 – 2), 65 – 85.

Bostwick, W. B., Boyd, C. J., Hughes, T. L., West, B. T., McCabe, S. E. (2014). Discrimination and mental health among lesbian, gay, and bisexual adults in the United States. Am J Orthopsychiatry. https://doi.org/10.1037/h0098851

Bucher, D., & Gurtner, A. (2017). Diversität und Inklusion von Schwulen und Lesben – ein Lippenbekenntnis Schweizer Grossunternehmen? In K. Tokarski, J. Schellinger, & P. Berchtold (eds), Zukunftstrends Wirtschaft 2020. Springer Gabler. https://doi.org/10.1007/978-3-658-15069-3_3

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Darren L. Whitfield, N., Walls E., Langenderfer-Magruder L. & Clark, B. (2014). Queer Is the New Black? Not So Much: Racial Disparities in Anti-LGBTQ Discrimination. Journal of Gay & Lesbian Social Services, 26(4), 426-440. https://doi.org/10.1080/10538720.2014.955556

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Fletcher, J. B., & Reback, C. J. (2022). Associations Between Gender Identity Control, Gender Identity Non-Verification, and Health Risks among Trans Women of Color Living with HIV. https://doi.org/10.1007/s10508-021-02264-6

Foong, A. L. S., Liow, J. W., Nalliah, S. et al. (2020). Attitudes of Future Doctors Towards LGBT Patients in Conservative Malaysian Society. Sexuality & Culture, 24,1358–1375. https://doi.org/10.1007/s12119-019-09685-5

Garcia, D. (2014). Entwicklung eines LGBT-Erlebens und Diskriminerung. In Amnesty International, Fluchtgrund: Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität (pp. 16-19). Schwarzbach Graphic Relations GmbH.

Goosby, B. J., Cheadle, J. E., & Mitchell, C. (2018). Stress-Related Biosocial Mechanisms of Discrimination and African American Health Inequities. Annual Review of Sociology, 44, 319-340. http://dx.doi.org/10.1146/annurev-soc-060116-053403

LGBT+ Helpline Schweiz. (2022). LGBTQ+ Helpline Schweiz. https://www.lgbt-helpline.ch. Abgerufen am 01. August 2022.

O’Brien, K. H., Putney, J. M., Hebert, N. W., Falk, A. M., & Aguinaldo, L. D. (2016). Sexual and gender minority youth suicide: Understanding subgroup differences to inform interventions. LGBT Health, 3(4), 248–251. https://doi.org/10.1089/lgbt.2016.0031

Ong, A. D., Fuller-Rowell, T., & Burrow, A. L. (2009). Racial discrimination and the stress process. J Pers Soc Psychol. https://doi.org/10.1037/a0015335

Smart, B. D., Mann-Jackson, L., Alonzo, J., Tanner, A. E., Garcia M., Refugio Aviles, L., & Rhodes, S. D. (2020). Transgender women of color in the U.S. South: A qualitative study of social determinants of health and healthcare perspectives. Int J Transgend Health. https://doi.org/10.1080/26895269.2020.1848691

Smith, E., Zirnsak, T., Power, J., Lyons, A., & Bigby, C. (2021). Social inclusion of LGBTQ and gender diverse adults with intellectual disability in disability services: A systematic review of the literature. Journal of applied research in intellectual disabilities: JARID. https://doi.org/10.1111/jar.12925

Robinson, T. (2016). Overcoming Social Exclusion in Public Library Services to LGBTQ and Gender Variant Youth. Public Library Quarterly, 35(3), 161-174. https://doi.org/10.1080/01616846.2016.1210439

Sutter, M., & Perrin, P. B. (2016). Discrimination, mental health, and suicidal ideation among LGBTQ people of color. J Couns Psychol. https://doi.org/10.1037/cou0000126

Ozeren, E., & Aydin, E. (2016). „Chapter 7: What does being LGBT mean in the workplace? A comparison of LGBT equality in Turkey and the UK“. In Research Handbook of International and Comparative Perspectives on Diversity Management. Edward Elgar Publishing. Retrieved Aug 4, 2022, from https://www.elgaronline.com/view/edcoll/9781784719685/9781784719685.00012.xml

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Wang, J., Häusermann, M., Wydler, H., Mohler-Kuo, M., & Weiss, M. G. (2012). Suicidality and sexual orientation among men in Switzerland. Findings from 3 probability surveys. Journal of psychiatric research, 46(8), 980 – 986.

Schon gehört?

Let’s hit the Play-Button: Die Popularität von Podcasts

Heute haben doch eigentlich alle einen Podcast. Von Lifestyle über Beziehungstipps bis hin zu Ratschlägen für ein gesundes Leben. Podcasts besprechen heutzutage jedes erdenkliche Thema. Aber was fasziniert am Medium Podcast so sehr? Welchen Unterschied macht es aus psychologischer Perspektive, etwas zu hören, anstatt zu lesen?

Von Berit Barthelmes
Lektoriert von Stéphanie Loeffel und Norzin Bhusetshang
Illustriert von Kerry Willimann

Definitionen des Wortes «Podcast» findet man im Internet wie Sand am Meer. Was sie eint, wird unter anderem vom Bayerischen Rundfunk (BR) bündig auf den Punkt gebracht: Laut dem BR ist «Podcast» ein sogenanntes Kofferwort, welches sich aus einem Produkt der amerikanischen Firma Apple, «iPod» und dem englischen Wort für (Fernseh-)Sendung «Broadcast» zusammensetzt. Ein Podcast soll also Unterhaltungsprogramm bieten, jedoch nicht «für’s Auge», sondern «für’s Ohr».

Warum Podcasts hören

Podcasts sind für zahlreiche Menschen ein Ersatz für das nicht mehr in den Alltag passende Lesen. Sich in Ruhe mit einem Buch zum «Schmökern» zurückziehen fällt oft nicht mehr leicht oder scheint unmöglich. Eine Lösung kann es sein, Bücher, die man sich schon immer vorgenommen hatte zu lesen, einfach zu hören. Zusätzlich vorteilig ist, freie Hände beim Hören zu haben und währenddessen auf und ab laufen zu können. So ist ein Abwasch vielleicht schneller, ein Abendspaziergang weniger einsam oder die tägliche Runde Sport entspannter erledigt.

«Gesprochene Wörter lassen Tag für Tag ganze Welten in unseren Köpfen entstehen.»

Deutscher Podcast-Preis, 2022

Aber nicht nur zum Hören von Büchern sind Podcasts gut geeignet. Auch zu Politik, Themen der psychischen Gesundheit oder Sport wird in Podcasts diskutiert. Podcasts können also thematisch nach persönlichem Geschmack und Interesse ausgewählt und mit anderen Tätigkeiten verknüpft werden.

Aus wissenschaftlicher Perspektive stellen sich verschiedene Fragen: Was macht es mit uns, das geschriebene Wort nicht mehr selbst zu lesen, sondern vorgelesen bzw. vorgetragen zu bekommen? Welchen Unterschied macht es, wenn wir selbst lesen oder vorgelesen bekommen? Wie sind solche Unterschiede, auch in der eigenen Rezeption von Gehörtem oder Gelesenem untersuchbar?

Es war einmal …

Gerne wird dieser Satzanfang in Märchen gewählt. Dass es positive Effekte auf die Sprachentwicklung zu haben scheint, wenn im jungen Kindesalter häufig und regelmässig vorgelesen wird, erweist sich als bekannt und häufig untersucht (u.a. Foorman et al., 1997; Kalb & van Ours, 2014; Niklas et al., 2016). Ratgeber empfehlen Eltern, ihren Kindern bereits im Alter von drei bis vier Monaten vorzulesen (u.a. Zech, 2021). Vorgelesen zu bekommen, begleitet uns also schon ab dem frühen Kindesalter, ist sogar in den Vorstellungen vieler eine der zahlreichen vorbildlichen Aufgaben, die gute Eltern zu erfüllen haben.

Erwachsenen wird zwar immer noch vorgelesen – man denke an Vorlesungen in der Universität, eine Rede auf einer Hochzeit, die täglichen Nachrichten oder Lesungen von Autor*innen, die man in der Freizeit besucht – jedoch verfolgen diese auditorischen Medien unterschiedliche Ziele: von Wissens- und Informationsweitergabe bis hin zu Freizeitentspannung. Es zeigt sich ein unterschiedlicher Grad der Verbindlichkeit, mit dem auf das Gehörte eingegangen werden muss. Hören kann also vieles vermitteln und unterschiedlich anstrengend, gar fordernd sein. Fernab von der Kritik an bloss passivem Hören, bspw. im Universitätskontext (Renkl et al. 2020) scheinen Podcasts unterschiedlich (un)verbindliches «Alltagshören» anzubieten.

Ganz schön schnell

Von den fünf Sinnen des Menschen ist der Gehörsinn einer der leistungsfähigsten. Das Gehör nimmt Musik, Sprache und Umgebungsgeräusche in einer Differenziertheit wahr, die die Fähigkeiten anderer Sinnesorgane übertrifft. Das Gehör arbeitet sogar schneller als das Auge. Worte werden wesentlich schneller verstanden als Bilder verarbeitet: Im gleichen Zeitraum, in dem das Gehirn einen visuellen Reiz registriert, können zwischen sechs und acht Wörter verstanden werden. Das Gehör dient aber nicht nur dem Hören und Verstehen, es ist auch ein «Stimmungsmacher»: Die akustischen Signale, die das Gehör auffängt, können Emotionen wecken, wie zum Beispiel beim Hören von Musik (Wengel & Geier, 2022).

Radio, someone still loves you

Wissenschaftliche Untersuchungen zu der psychologischen Wirkung von Podcasts sind rar. Der Fokus der wissenschaftlichen Artikel, die sich finden lassen, bezieht sich meist auf Podcasts als Lernmedium: Wie können beispielsweise Student*innen mit der Hilfe von Podcasts besser lernen und Wissen behalten (Popova, 2008)? Wie können Podcasts im Bildungskontext generell eingesetzt werden (Zorn, 2011)?

Es stellt sich die Frage, ob konkrete Informationen zur Wirkung von Podcasts alternativ bei ihrem historischen Vorfahren, der Radioforschung zu finden sind (zu den Funktionen und psychologischen Wirkungen von Radio, Cantril & Allport, 1935). Schon früh wurde erkannt, dass Radio das Potential zum Massenmedium besass (Lazarsfeld, 1940), was sich in der Zeit des Nationalsozialismus tragisch bewahrheitete (BR, 2022). Mit Audio-Medien dieser Qualität wurden Massen erreicht, die vorher nie so drahtlos und vergleichsweise flexibel die neuesten Nachrichten und Musik etc. hören konnten. Nicht nur Queen gedachten der wesentlichen Rolle des Radios mit ihrem Welthit «Radio Ga Ga», in dem es heisst:

«Let’s hope you never leave, old friend /
Like all good things, on you we depend /
So stick around, ‚cause we might miss you /
When we grow tired of all this visual.»

Queen, 1984

Vielleicht sind wir heute tatsächlich von endlosen visuellen Eindrücken gelangweilt (oder überfordert?), wie Queen es treffend beschreiben und greifen deshalb auf das Audio-Medium zurück. Jedenfalls scheint das Medium Podcast das Medium Radio durch grössere Wahlfreiheit, weniger Werbung und mehr Spontanität bei der Möglichkeit des Abrufs und Downloads der Inhalte überholt zu haben (Bär, 2021).

Hören oder Lesen?

Spannend bleibt also die Frage, welchen Unterschied es macht, Texte zu lesen oder sie (in einem Podcast) bloss zu hören. Hierzu findet sich zahlreiche Literatur, die sich über die Psychologie bis in die Linguistik erstreckt. Es zeigt sich, dass Menschen, die sich beim Lesen schwertun, zu Audioquellen greifen können, welche ihnen das Verständnis und die Verarbeitung von Texten erleichtern (Aarnoutse et al., 1998). Die Leseflüssigkeit von Kindern im Grundschulalter erhöhte sich, wenn konsequent sogenannte «audiobooks» zur Unterstützung des Leseprozesses eingesetzt wurden (Friedland et al., 2017). Zugleich wird in Studien von einem Zusammenhang zwischen Hören und Lesen und einem gewissen Grad an Vorwissen und (Lern-)Erfahrung, wie zum Beispiel im Schul- oder Universitätskontext berichtet. Sind beide Wege des Verstehens und Antizipierens von Wissen ohne entsprechende Erfahrung noch unterschiedlich, so scheint der Unterschied zwischen dem Lese- und Hörverständnis mit zunehmender Leistung von Student*innen abzunehmen (Vidal, 2011). Beide Wege des Verstehens nähern sich also an.

In aktueller Forschung interessiert besonders der Effekt, den das Hören von Fremdsprachen auf das Sprachenlernen oder den Ausdruck haben kann. Die Tendenz ist hierbei, Hören und Lesen als Grundpfeiler von Sprachverständnis zu untersuchen (Cho & Krashen, 2019). Es zeigten sich unter anderem Beziehungen zwischen Wortschatz und Grammatik und dem Leseverständnis auf der Basis von Hörverständnis (Babayigit & Shapiro, 2019). Um eine letzte spannende Forschungskomponente in diesem Bereich aufzugreifen, sei auf den Unterschied zwischen dem «einfachen» Vorlesen einer Geschichte oder dem aktiven Geschichtenerzählen hingewiesen, den unter anderem Moussa und Koester (2021) mit nigerianischen Kindern erforschten. Hierbei zeigte sich, dass die Ergebnisse dieser Studie in Einklang mit zahlreichen vorangegangen Studien zu stehen scheinen (beispielhaft Isbell, 1979; Raines und Isbell, 1994; Isbell et al., 2004), in denen das freie Geschichtenerzählen als erfolgreiches Lerninstrument zur Förderung der Sprachentwicklung untersucht wurde. Isbell fand sogar Belege dafür, dass das Erzählen von Geschichten wirksamer war als das strikte Vorlesen. Ebenso stützen die Ergebnisse dieser Studie die Behauptung von Mallan (1992), dass Schüler*innen, die einer Geschichte lauschen, zusätzlich eine wesentliche Grundeigenschaft menschlicher Kommunikation lernen: Wie man zuhört. Somit erstreckt sich das Zuhören von Geschichten und das, was wir aus ihnen lernen können, nicht nur auf inhaltliche, sondern sogar auf soziale Komponenten.

Ein Wort der Achtsamkeit, da dies schnell untergehen kann: Wie bereits erwähnt ist unser Hörsinn sehr sensibel. So können zu laute Geräusche das Gehör nachhaltig schädigen. Es sollte also nicht vernachlässigt werden, wie viele starke Reize regelmässiges Podcasthören erzeugen kann (vgl. dazu eine Studie zur übermässigen Beschallung per Audio und deren Folgen, Keppler et al., 2010).

Festgehalten soll sein, dass die Forschung zu Podcasts, wie das Medium selbst, aktueller denn je und zugleich äusserst modern und im Vergleich zu «festgefahrenen» Medien wie dem Radio noch wenig erforscht ist. Stützt man sich auf Forschungsergebnisse zu auditiver Wahrnehmung im Vergleich zum gelesenen Wort wird man dahingehend fündiger. Der Jargon scheint hier zu sein: Hören und Lesen gehen Hand in Hand, wenn es um das Erlernen oder Verflüssigen einer Sprache geht. Für Erwachsene wie auch für Kinder können auditive Medien wie Podcasts also sprachlich und inhaltlich interessant sein – und damit mehr als blosse Unterhaltung.

Zum Weiterhören

Podcast-Tipps, verfügbar bei Spotify oder in der Podcast-App von Apple:

  • «The Happiness Lab» mit Dr. Lauria Santos, Professorin an der Yale University
  • «Die Lösung» Zu psychischen Problemen im Alltag
  • «Psychcast» Ein Podcast aus medizinischer Sicht
  • «Therapieland» Was passiert hinter den verschlossenen Türen der Psychotherapie?
  • «So bin ich eben» Einblicke in den Praxisalltag einer Psychotherapeutin


Literatur

J. Aarnoutse, C. A., van den Bos, K. P., & Brand-Gruwel, S. (1998). Effects of Listening Comprehension Training on Listening and Reading. The Journal of Special Education, 32(2), 115–126. https://doi.org/10.1177/002246699803200206

Babayigit, S., & Shapiro, L. (2019). Component skills that underpin listening comprehension and reading comprehension in learners with English as first and additional language: Listening and reading comprehension. Journal of Research in Reading, 43. https://doi.org/10.1111/1467-9817.12291

Bär, J. (2021). Pod­casts wei­ter­hin auf der Überholspur. STUDIO GONG. https://www.studio-gong.de/blog/podcasts-weiterhin-auf-der-ueberholspur/

Cantril, H., & Allport, G. W. (1935). The psychology of radio. Harper. 

Cho, K.-S., & Krashen, S. (2019). Pleasure reading in a foreign language and competence in speaking, listening, reading and writing. Teflin Journal – A publication on the teaching and learning of English, 30, 231. https://doi.org/10.15639/teflinjournal.v30i2/231-236

Deutscher Podcast Preis. (2022). https://www.deutscher-podcastpreis.de/

Foorman, B. R., Francis, D. J., Shaywitz, S. E., Shaywitz, B. A., & Fletcher, J. M. (1997). The case for early reading intervention. In B. A. Blachman (Ed.), Foundations of reading acquisition and dyslexia: Implications for early intervention (pp. 243–264). Lawrence Erlbaum Associates Publishers.

Friedland, A., Gilman, M., Johnson, M., & Ambaye, A.D. (2017). Does Reading-While-Listening Enhance Students‘ Reading Fluency? Preliminary Results from School Experiments in Rural Uganda. Journal of Education and Practice, 8, 82-95.

Isbell, R. (1979). In the beginning…Creative writing with young children. Tennessee Education, 9(1), 3-6.

Isbell R., Sobol, J., Lindauer, L., & Lowrance, A. (2004). The Effects of Storytelling and Story Reading on the Oral Language Complexity and Story Comprehension of Young Children. Early Childhood Education Journal, 32, 157-163.

Kalb, G., & van Ours, J. C. (2014). Reading to young children: A head-start in life? Economics of Education Review, 40, 1–24. https://doi.org/10.1016/j.econedurev.2014.01.002 

Keppler, H., Dhooge, I., & Maes, L. (2010). Short-term Auditory Effects of Listening to an MP3 Player. Arch Otolaryngol Head Neck Surg, 136(6), 538-548. https://doi.org/10.1001/archoto.2010.84

Lazarsfeld, P. F. (1940). Radio and the printed page; an introduction to the study of radio and its role in the communication of ideas. Duell, Sloan, & Pearce.

Mallan, K. (1992). Children as Storytellers. Portsmouth: Heinemann Educational Books, Inc.

Moussa, Wael & Koester, Emily. (2021). Effects of Story Read‐Aloud Lessons on Literacy Development in the Early Grades: Experimental Evidence From Nigeria. Reading Research Quarterly, 57. Ttps://doi.org/10.1002/rrq.427.

Niklas, F., Cohrssen, C., & Tayler, C. (2016). The Sooner, the Better: Early Reading to Children. SAGE Open, 6(4). https://doi.org/10.1177/2158244016672715

Raines, D. & Isbell, R. (1994). The child’s connection to the universal power of story. ChildhoodEducation, 70(1), 164-167.

Popova, A. (2008). Innovative pedagogical and psychological perspectives of podcasts. In J. Luca & E. Weippl (Eds.), Proceedings of EdMedia + Innovate Learning 2008 (pp. 3899-3903). Association for the Advancement of Computing in Education (AACE).

Renkl, A., Eitel, A., & Glogger-Frey, I. (2020). Die Vorlesung – nur schlecht, wenn schlecht vorgelesen: Warum eine gut gemachte Vorlesung einen Platz im Methodenrepertoire verdient. In R. Egger, B. Eugster (eds), Lob der Vorlesung. Doing Higher Education. Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-29049-8_6

Bayerischer Rundfunk. (2022). Audio-Trend Podcast: Acht Dinge, die Sie über Podcasts wissen sollten. Bayerischer Rundfunk. https://www.br.de/radio/bayern2/podcast-faq-fragen-100.html

Schneider, C. (2020). Medien: Geschichte des Radios. Medien – Kultur – Planet Wissen. https://www.planet-wissen.de/kultur/medien/geschichte_des_radios/index.html

Vidal, K. (2011). A Comparison of the Effects of Reading and Listening on Incidental Vocabulary Acquisition. Language Learning, 61, 219-258.

Wengel, A., & Geier, M. (2022). Sinne: Hören. Sinne – Natur – Planet Wissen. https://www.planet-wissen.de/natur/sinne/hoeren/index.html

Zech, L. (2021). Ab wann sollten wir unserem Baby vorlesen? familie.de. https://www.familie.de/artikel/ab-wann-sollten-wir-unserem-baby-vorlesen–jg2pgh9jjm

Zorn, I., Auwaerter, A., Krüger, M., & Seehagen-Marx, H. (2011). Educasting. Wie Podcasts in Bildungskontexten Anwendung finden.

Virtual reality therapy

Was bietet die Verwendung von Virtual Reality der Psychotherapie?

In den letzten Jahren hat Virtual Reality als Unterhaltungsmedium Fuss gefasst; Nutzer*innen geniessen es, sich in einer computergenerierten Wirklichkeit mit Bild und Ton auszutoben. Diese Technologie bietet nun auch der Psychologie, spezifisch der Psychotherapie, diverse neue Möglichkeiten.

Von Lena Kohler
Lektoriert von Marina Reist und Andrea Frei
Illustriert von Nathalie Vital

Transportiert in eine alternative Realität – durch das Benutzen eines VR-Headsets, auch Head-Mounted-Display (HMD) genannt oder anderen VR-Systemen, erlaubt Virtual Reality (VR) das Eintauchen in eine dreidimensionale, computergenerierte Welt, welche der echten Welt ähnlich oder weitaus verschieden sein kann (Machulska et al., 2021; Poetker, 2019). Oft wird durch VR nicht nur das passive Betrachten einer anderen Welt, sondern auch eine aktive Partizipation und Interaktion damit ermöglicht (Rueda & Lara, 2020; Poetker, 2019). Dabei betonen visuelle und auditorische Reize von dem HMD sowie additive taktile Gadgets, welche die virtuelle Manipulation von Objekten und das Aktivieren des Berührungssinnes ermöglichen, das Präsenzerleben des*der Nutzers*in (Machulska et al., 2021). Bei dem Präsenzerleben handelt es sich hierbei um den subjektiven Eindruck, sich tatsächlich in der alternativen Realität zu befinden, welcher in vielen Fällen dadurch beeinflusst wird, wie immersiv das digitale Erlebnis ist (Rueda & Lara, 2020).

«VR ermöglicht es (…), die virtuelle Umgebung als real und unvermittelt wahrzunehmen, trotz des Wissens, dass es sich um eine computergenerierte Welt handelt.»

Machulska et al., 2021, S. 170

Für die Psychotherapie ermöglicht dies das Erleben von individuellen, therapierelevanten Ereignissen in einem virtuellen Raum, wobei der*die Patient*in sich mit multimodalen Reizen auseinandersetzen kann, ohne von diesen Reizen im realen Leben tatsächlich konfrontiert zu werden (Machulska et al., 2021). Virtual Reality ist dadurch also für die Therapie diverser Störungsbilder vielversprechend; dieser Artikel beschränkt sich jedoch auf deren Funktionen und Vorteile für Angststörungen und Empathie-Fähigkeiten.

In virtuo Exposition

Mit einer Prävalenzrate von 18.1 Prozent bei Erwachsenen gelten Angststörungen als eine der meistauftretenden psychischen Störungen (Boeldt et al., 2019). Als Behandlung dafür wird in der Psychotherapie aufgrund fundierter, hoher Behandlungseffekte oft die Expositionstherapie gewählt (Machulska et al., 2021). Die Expositionstherapie stützt sich auf die Emotional Processing Theorie, wonach an Angst geknüpfte Erinnerungen als Informationsstrukturen bezüglich Bedeutungen und Stimuli verstanden werden (Maples-Keller et al., 2017). In der Exposition sollen diese Informationsstrukturen durch das Erfahren inkompatibler Information und einer neuen, funktionaleren Beurteilung des Angstreizes verändert werden; ein Prozess, welcher in Virtual Reality durch das Präsenzerleben und die freie Gestaltung der virtuellen Umgebung gut umgesetzt werden kann (Boeldt et al., 2019). Wie in der in vivo Expositionstherapie lernt der*die Patient*in in der Virtual Reality Expositionstherapie(VRE/VRET) zuerst Techniken wie Muskelrelaxation als Coping-Strategien, und arbeitet sich danach im eigenen Tempo durch eine virtuelle Expositionshierarchie (Maples-Keller et al., 2017). Obwohl sich der Grossteil der VRE/VRET-Studien mit spezifischen Flug-, und Tierphobien auseinandersetzt, konnte auch für posttraumatische Belastungsstörungen und soziale Phobien Evidenz für eine effektive Behandlung gefunden werden (Machulska et al., 2021; Tull, 2020). Dabei belegt eine Vielzahl von Metaanalysen, dass VRE/VRET gleiche oder leicht stärkere Behandlungseffekte aufweisen als gängige in vivo Expositionstherapien, und deutet zudem an, dass diese Therapieform von Patient*innen eher akzeptiert wird, da sie als sicherer empfunden wird (Machulska et al., 2021; Maples-Keller et al., 2017). Neben dem Vorteil einer höheren Akzeptanz der Patient*innen und somit einer Verringerung des Treatment Gaps kann VRE/VRET potenziell als kostenfreundlichere Alternative zu traditionellen intensiven Angststörungstherapien fungieren und die Arbeitslast von Therapeut*innen vermindern, währenddessen der gleiche Erfolg wie bei in vivo Therapien versprochen werden kann (Boeldt et al., 2019).

Virtuelle Empathie

Eine weitere Stärke der VR-Therapie sind deren Möglichkeiten, die Empathie von Individuen zu erhöhen. Trotz den Implikationen von Empathie auf politischer und gesellschaftlicher Ebene wird das Konstrukt oft verschieden und ungenau definiert, kann aber generell in eine affektive Komponente, das Mitfühlen mit anderen Individuen, und eine kognitive Komponente, die Übernahme und das Verstehen anderer Perspektiven, unterteilt werden (Roth et al., 2016). Da das Erhöhen dieser prosozialen Fähigkeiten als allgemeine Förderung der Moralität von Individuen betrachtet wird, liegt es im Fokus der Forschung zu Moral Enhancement (Rueda & Lara, 2020). Moral Enhancement beschreibt jegliche Prozesse zur Förderung von Moralität durch Biotechnologie und beinhaltet somit auch VR-Technologien (Rueda & Lara, 2020). Wie bei der VRE/VRET geht das Virtual Reality Embodied Perspective-Taking (VREPT) davon aus, dass sich eine Verbesserung der betroffenen Fähigkeiten in einer virtuellen Umgebung mit hohem Präsenzerleben automatisch auf reale Situationen überträgt, da die Nutzer*innen alte Verhaltensmuster durch neu angeeignetes Wissen modifizieren und überschreiben (Nascivera et al., 2018; Rueda & Lara, 2020). Diese Annahme wurde durch mehrere Studien gestützt: Studien bezüglich des Mitgefühls für und der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme von Demenz- und Schizophrenie-Patient*innen weisen signifikant erhöhte Empathiewerte nach VR-Situationen auf (Ventura et al., 2020). Des Weiteren zeigt eine Studie zu Krankenpfleger*innen, dass deren Empathie gegenüber Patient*innen mit Behinderungen sowie kulturell und linguistisch diverser Patient*innen durch VREPT signifikant ansteigt (Nascivera et al., 2018). Auch bei Psychologiestudent*innen wurden nach einer virtuellen Simulation signifikant erhöhte Empathiewerte gegenüber Patient*innen mit psychotischen Symptomen gefunden, wodurch sich VREPT als vielversprechend für die Ausbildung von Psycholog*innen erweisen könnte (Nascivera et al., 2018).

In einem Experiment bezüglich virtuellem Achterbahnfahren konnte ein verteiltes Netzwerk identifiziert werden, welches in das Präsenzerleben von VR-Nutzer*innen einfliesst (Jäncke, 2009). Dieses Netzwerk beinhaltet den Prämotorcortex, den superioren und den inferioren Parietalcortex, Teile des ventralen, visuellen Strangs, den dorsalen visuellen Strang, extrastriate Areale sowie Strukturen im basalen und mesiotemporalen Teil des Gehirns (Jäncke, 2009). Als erhöhte Kontrollinstanz ist der dorsolaterale Präfrontalcortex (DLPFC) tätig: mit einem erhöhten Präsenzerleben ist Hirnaktivität in dem beidseitigen DLPFC negativ korreliert (Jäncke, 2009). Daraus kann geschlossen werden, dass der DLPFC die Hirnaktivität im dorsalen, visuellen Strang herunterfährt, wodurch die virtuelle Realität der tatsächlichen Umgebung als weit entfernt angesehen wird, das Präsenzerleben dementsprechend klein ist und so keine Handlungen für die virtuelle Umgebung geplant werden (Jäncke, 2009).

Psychotherapie und Forschung profitieren

Wie bei anderen Therapieformen trägt die Motivation des*der Patient*in wesentlich zum Therapieerfolg bei (Machulska et al., 2021). Obwohl dies nur teilweise von dem*der Therapeuten*in beeinflusst werden kann, bietet die VR-Therapie vergleichsweise ein hohes Mass an Kontrolle sowie ökologischer Validität – die Möglichkeit, die Forschungsergebnisse zu generalisieren – wovon vor allem die Wirksamkeits- und Prozessforschung profitieren, aber auch die neuropsychologische Forschung generell (Bohil et al., 2011; Machulska et al., 2021). Ein weiterer Vorteil der VR-Therapie findet sich in der bereits angesprochenen Möglichkeit, die alternative Realität individuell zu gestalten und fortlaufend verändern zu können, wodurch eine hohe Anzahl von Anwendungsbereichen ermöglicht wird (Machulska et al., 2021). Auch andere Faktoren bieten der VR-Therapie Vorteile, so konnten durch das Erfassen der Hirnaktivität in der Simulation natürlicher Situationen unter anderem neue Befunde bezüglich der an sozialer Interaktion und räumlicher Kognition beteiligten Hirngebiete gewonnen werden (Bohil et al., 2011).

Trotz den vielversprechenden Befunden der VR-Therapie ist es wichtig anzumerken, dass sie relativ zu anderen Therapieformen noch in den Kinderschuhen steckt: ein Grossteil der Studien sind durch fehlende Kontrollgruppen und kleiner Stichproben nur begrenzt aussagekräftig zur Wirksamkeit der VR-Therapie (Machulska et al., 2021).


Zum Weiterlesen

Fleming, L. (2022). Virtual reality therapy is here—For some people, it’s a better option. Very well mind. https://www.verywellmind.com/virtual-reality-therapy-may-be-a-viable-option-5215913

Machulska, A., Roesmann, K., Eiler, T. J., Grünewald, A., Brück, R., & Klucken, T. (2021). Der Einsatz von Virtueller Realität in der Psychotherapeutischen Praxis: Aktueller Forschungsstand, Chancen, Risiken und Herausforderungen. Psychotherapie Forum, 25(3–4), 169–176. https://doi.org/10.1007/s00729-021-00185-2

Literatur

Bohil, C. J., Alicea, B., & Biocca, F. A. (2011). Virtual reality in neuroscience research and therapy. Nature Reviews Neuroscience, 12(12), 752–762. https://doi.org/10.1038/nrn3122

Boeldt, D., McMahon, E., McFaul, M., & Greenleaf, W. (2019). Using Virtual Reality Exposure Therapy to Enhance Treatment of Anxiety Disorders: Identifying Areas of Clinical Adoption and Potential Obstacles. Frontiers in Psychiatry, 10, 773. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2019.00773

Fleming, L. (2022). Virtual Reality Therapy Is Here—For Some People, It’s a Better Option. Very well mind. https://www.verywellmind.com/virtual-reality-therapy-may-be-a-viable-option-5215913

Jäncke, L. (2009). Virtual reality and the role of the prefrontal cortex in adults and children. Frontiers in Neuroscience, 3(1). https://doi.org/10.3389/neuro.01.006.2009

Machulska, A., Roesmann, K., Eiler, T. J., Grünewald, A., Brück, R., & Klucken, T. (2021). Der Einsatz von Virtueller Realität in der Psychotherapeutischen Praxis: Aktueller Forschungsstand, Chancen, Risiken und Herausforderungen. Psychotherapie Forum, 25(3–4), 169–176. https://doi.org/10.1007/s00729-021-00185-2

Maples-Keller, J. L., Bunnell, B. E., Kim, S.-J., & Rothbaum, B. O. (2017). The Use of Virtual Reality Technology in the Treatment of Anxiety and Other Psychiatric Disorders. Harvard Review of Psychiatry, 25(3), 103–113. https://doi.org/10.1097/HRP.0000000000000138

Nascivera, N., Alfano, Y. M., Annunziato, T., Messina, M., Iorio, V. S., Cioffi, V., Sperandeo, R., Rosato, M., Longobardi, T., & Maldonato, N. M. (2018). Virtual Empathy: The added value of Virtual Reality in Psychotherapy. 2018 9th IEEE International Conference on Cognitive Infocommunications (CogInfoCom), 000321–000326. https://doi.org/10.1109/CogInfoCom.2018.8639906

Poetker, B. (2019). What Is Virtual Reality? (+3 Types of VR Experiences). G2 Learn Hub. https://learn.g2.com/virtual-reality

Roth, M., Schönefeld, V., & Altmann, T. (Eds.). (2016). Trainings- und Interventionsprogramme zur Förderung von Empathie. Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-48199-8

Rueda, J., & Lara, F. (2020). Virtual Reality and Empathy Enhancement: Ethical Aspects. Frontiers in Robotics and AI, 7, 506984. https://doi.org/10.3389/frobt.2020.506984

Tull, Matthew. (2020). Virtual Reality Exposure Therapy Can Help PTSD. Very well mind. https://www.verywellmind.com/virtual-reality-exposure-therapy-vret-2797340

Ventura, S., Badenes-Ribera, L., Herrero, R., Cebolla, A., Galiana, L., & Baños, R. (2020). Virtual Reality as a Medium to Elicit Empathy: A Meta-Analysis. Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking, 23(10), 667–676. https://doi.org/10.1089/cyber.2019.0681