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Beiträge aus der Kategorie ‘FS22’

Depression und Suizidalität – die Erfahrungen von Angehörigen

Über Gedanken, Gefühle und Herausforderungen im Alltag mit einem von Depression und Suizidalität betroffenen Vater.

15 von 1000 Todesfällen in der Schweiz sind Suizide. 9% der Schweizer*innen leiden an Depressionen (Bundesamt für Statistik, o.J.a, o.J.b). Davon betroffen sind auch Angehörige; zwei davon erzählen von ihren individuellen Gedanken, Ängsten und Wünschen und hoffen, damit zur Enttabuisierung der beiden Themen beizutragen.

Von Student*innen des Vereins Mindful[L] der UZH
Lektoriert von Natalie Birnbaum und Isabelle Bartholomä

Nicht nur das Leben der Betroffenen, sondern auch das Leben der Angehörigen von psychisch erkrankten Menschen wird durch diese Erkrankungen stark beeinträchtigt. Es ist besonders wichtig,dass diese Menschen nicht vergessen werden, sondern dass ihnen Unterstützung angeboten und ihren Herausforderungen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Auch Angehörige sollen Hilfe bekommen und diese vor allem auch in Anspruch nehmen. (Weiterführende Informationen finden sich in der Infobox.)

Die im Folgenden dargestellten Erfahrungsberichte sind sehr individuell und sollten keinesfalls als Generalisierung für alle Betroffenen und deren Angehörige dienen. Sie sollen vielmehr einen tiefen und ehrlichen Einblick in das Erleben von Angehörigen geben.

Mehr Raum für Angehörige

Meine Jugend war stark durch die Depression meines Vaters geprägt.

Diese hat viel Raum in unserer Familie und somit auch in meinem Leben eingenommen. Es war ein sich ständig wiederholendes Auf und Ab, zu dem leider auch mehrere Suizidversuche gehörten. Der Gedanke, dass der eigene Vater nicht mehr weiterleben möchte, war hart und bei jedem weiteren Suizidversuch wurde ich schwächer, irgendwie auch wütender und ungeduldiger. Dass er dazu bereit gewesen wäre, uns mit diesem Schmerz alleine zurückzulassen, hat mich sehr verletzt und auch enttäuscht.

Die ständige Angst, es könnte wieder passieren, hat mich und mein Verhalten stark geprägt. Unbewusst habe ich mir angewöhnt, wie auf Eierschalen zu laufen. Damit wollte ich verhindern, ihn mit meinen Handlungen noch zusätzlich zu belasten oder in irgendeiner Art zu triggern. Letzteres beschreibt das Auslösen einer starken emotionalen (hauptsächlich negativen) Reaktion durch einen äusseren Einfluss (hier: meine Handlung). Diese Neigung trage ich auch heute noch in mir. Ich habe eine Erwartungshaltung entwickelt, aufgrund derer mein Herz bei jedem Anruf meiner Mutter schneller zu schlagen begann, weil ich immer das Schlimmste befürchtete. Und auch heute geschieht mir das noch ab und zu. Die Angst, es könnte wieder von vorne beginnen, begleitet mich weiterhin in meinem Leben.

Jede*r Angehörige reagiert, fühlt und verhält sich anders. Dabei gibt es kaum ein Richtig oder Falsch. Einigen Angehörigen geht es wie mir: Oft dachte ich, dass ich selbst nicht leiden und klagen darf, weil ich meinem Vater helfen und für ihn stark sein musste und dies auch selber unbedingt wollte. Dabei rückte meine eigene Belastung oft in den Hintergrund.

Was wir euch mit auf den Weg geben möchten

Bitte verwendet bei diesem Thema nicht die Begriffe Selbstmord oder Freitod, denn dies kann für Betroffene sehr verletzend sein. Selbstmord ist ein veralteter Begriff, welcher als Beurteilung der Tat verstanden wird und einen kriminellen Akt beschreibt. Der Begriff Freitod deutet auf eine selbstbestimmte Tat hin und somit auf eine freie Entscheidung. Dies ist es keinesfalls, denn suizidgefährdete Menschen befinden sich in einer Notlage, in einem Zustand extremen Leidens, aus welchem sie sich befreien wollen. Als eine freie Entscheidung kann das nicht verstanden werden (Suizidprävention Kanton Zürich, o.J.).
Die Mehrheit aller Suizidhandlungen sind Impulshandlungen, da der momentane seelische Schmerz nicht ausgehalten werden kann.
Suizidabsichten konnten bei 68 – 80 Prozent der Patient*innen in weniger als 2 Tagen; bei 90 – 99 Prozent in weniger als 10 Tagen in der Klinik behandelt werden (Bronisch & Hegerl, 2011).

Ich wünsche mir, dass das Bewusstsein für die Herausforderungen, mit denen die Angehörigen von psychisch erkrankten Menschen zu kämpfen haben, in unserer Gesellschaft mehr Platz findet und vor allem auch bei den Betroffenen selbst vorhanden ist. Es ist völlig in Ordnung, manchmal nicht mehr weiter zu wissen und es ist akzeptabel und sogar ausserordentlich wichtig, sich auch mal zurückzuziehen, auf sich selbst zu achten und bei Bedarf Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Mein Alltag als Suizidhinterbliebene*r

Im Alltag wird man oft mit der Frage nach seinen Eltern konfrontiert. Wenn ich sage, dass mein Papa nicht mehr lebt, kommt manchmal die Frage auf, warum man im Alter von 23 Jahren keinen Vater mehr hat. Darauf antworte ich immer ehrlich, dass er sich suizidiert hat. Oft merke ich dann schnell, dass es doch niemand so genau wissen möchte. Trotzdem antworte ich so, weil ich die Stigmatisierung und das Tabu satt bin und mit der Reaktion der Personen umgehen kann. Es ist mir egal, wie sich die andere Person mit meiner Antwort fühlt, denn ich fühle mich auch nicht gut mit der Tatsache, dass sich Menschen das Leben nehmen. Dies ist aber leider die Realität. Weisst du, wie viele Personen sich das Leben in der Schweiz nehmen? Jährlich sind es etwa 1000 Personen (Bundesamt für Statistik, 2021), assistierte Suizide sind davon ausgeschlossen. Gemäss einer schweizerischen Gesundheitsbefragung kam es im Jahr 2017 zu 33´000 Suizidversuchen. Es wird von einer grossen Dunkelziffer ausgegangen (Peter & Tuch, 2019). Weiter nimmt man an, dass zwischen 18-40% der Bevölkerung im Laufe des Lebens Suizidgedanken haben (Suizidprävention Kanton Zürich, o.J.). Als Reaktion auf meine Geschichte wird mir überraschend oft entgegnet, dass mein Gegenüber eine ähnliche Erfahrung gemacht hat. Dies zeigt sich auch in den Zahlen der WHO, welche davon ausgeht, dass bei jeder suizidierten Person durchschnittlich 5-7 Angehörige von den Folgen mitbetroffen sind (AGUS e.V., o.J.). Angehörige haben nach dem Tod eines suizidierten Familienmitglieds ein signifikant höheres Risiko, selber psychisch zu erkranken. Posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen, Suchterkrankungen oder die eigene Suizidalität sind einige Beispiele von häufigen psychischen Erkrankungen von Angehörigen (Wagner et al., 2021).

« And maybe I put everything I have
into helping others
because at the end of the day-
I don’t know how to help myself.
Self-prescription medicine doesn’t seem to help
So what can I really do
He said he marvels at my strive to help others
He said that’s the best character a person can have
And I smile and take the compliment
But I feel no pride, no satisfaction
I know I wouldn’t do it if I wasn’t just like them
I know I wouldn’t do it if I could heal myself
I know I wouldn’t do it if I didn’t need to be needed.
This is the only way I know to help myself
I do this because keeping others alive –
keeps me alive.»

Student*in des Vereins Mindful[L] der UZH, 2021

Neben der Trauer haben Angehörige auch mit einer starken Stigmatisierung zu kämpfen. Sei es nun der Arbeitgeber, dem man sich anvertraut und der einem nachfolgend keine Belastung zumutet oder die Kaderposition, welche man nicht bekommt, weil man in Therapie ist oder war. Es fühlt sich für mich wie eine Doppelstigmatisierung an, weil ich Hilfe in Anspruch genommen habe.

Etwas Gutes habe ich aber aus der Erfahrung gelernt. Ich habe Bewusstsein für die Tatsache entwickelt, dass die Zeit, welche ich zur Verfügung habe, ein Ablaufdatum hat. Ich habe mich schon sehr früh mit der Frage auseinandergesetzt, wer ich sein und was ich werden will und tue dies auch heute noch.

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ich (mindestens) so oft an meinen toten Vater wie an meine Mutter denke, werde ich sehr selten nach meinem Vater gefragt. Meine Tanten und Onkel fragen mich oft nach meiner Mutter, aber nur selten nach meinem Vater. Genau darum ist es mir unglaublich wichtig, das Thema zu entstigmatisieren. Ich will gefragt werden, wie es mir mit meinem Papa geht. Ich will Geschichten über ihn hören, denn mein Papa ist so viel mehr als nur sein Suizid. Ich will nicht behandelt werden, als wäre ich in Watte gepackt, als hätte ich keinen Vater oder als hätten meine Verwandten ihn nie gekannt. Denn ich habe einen Papa, einfach einen toten. Ich will dir auch sagen können, dass ich mich grad schlecht fühle, weil ich meinen Papa vermisse und ich möchte, dass du damit umgehen kannst. Und ich möchte, dass alle, welche mein Schicksal teilen, auch die Möglichkeit haben, nach ihren Gefühlen gefragt zu werden, eine Therapie machen und fröhlich sein zu dürfen, ohne dafür verurteilt zu werden.


Zum Weiterlesen

Hilfestellen

Mehr zum Thema Depression, Suizidalität und den Umgang von Angehörigen mit diesen Themen

  • VASK Schweiz

https://www.vask.ch/de/Bewaeltigungshilfen/Situation-der-Angehoerigen/Belastung/Belastung-Fortsetzung

Literatur

AGUS e.V. (o.J.). Angehörige nach Suizid. https://www.agus-selbsthilfe.de/info-zu-suizid/tod-durch-suizid/angehoerige-nach-suizid/

Bronisch, T. & Hegerl, U. (2011). Suizidalität. In H.-J. Möller et al. (Eds.), Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie (4th ed., pp. 2659-2691). Springer.

Bundesamt für Statistik. (2021). Suizidmethoden nach Geschlecht. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/gesundheitszustand/sterblichkeit-todesursachen/spezifische.assetdetail.19444410.html

Bundesamt für Statistik. (o.J.). Spezifische Todesursachen. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/gesundheitszustand/sterblichkeit-todesursachen/spezifische.html

Bundesamt für Statistik. (o.J.). Psychische Gesundheit. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/gesundheitszustand/psychische.html#par_headline_1677393895

Peter, C. & Tuch, A. (2019). Suizidgedanken und Suizidversuche in der Schweizer Bevölkerung. Obsan Bulletin 7. Schweizerisches Gesundheitsobservatorium. https://www.obsan.admin.ch/sites/default/files/obsan_bulletin_2019-07_d_0.pdf

Suizidprävention Kanton Zürich. (o.J.). Suizid oder Selbstmord? Warum wir von Suizid und nicht von Selbstmord sprechen. https://www.suizidpraevention-zh.ch/ich-bin-in-der-krise/erwachsene/wie-kann-ich-mir-helfen/gespraechstipps/zur-wortwahl/

Suizidprävention Kanton Zürich. (o.J.). Wie häufig sind Suizide? https://www.suizidpraevention-zh.ch/mehr-wissen-ueber-suizid/einige-zahlen/wie-haeufig-sind-suizide/

Wagner, B., Hofmann, L., & Grafiadeli, R. (2021). Wirksamkeit von Interventionen für Hinterbliebene nach einem Suizid: Ein Systematischer Review. Psychiatrische Praxis, 48(01), 9–18. https://doi.org/10.1055/a-1182-2821

Redaktionsechos

Wollt ihr nach oben?

Gesammelt von Noémie Lushaj und Julia J. Schmid
Illustriert von Janice Lienhard

Isabelle Bartholomä, Ressort Lektor*innen

Ich höre und lese gerne Geschichten, wie sich Menschen beruflich und sozial hochgearbeitet haben. Ihre Willenskraft und ihr Durchhaltevermögen faszinieren mich. Obwohl sie nicht wissen, wo sie mal stehen werden, und ob sich der ganze Aufwand lohnt, bleiben sie stark und geben nicht auf. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ähnliches leisten könnte. Es ist nicht mein erklärtes Ziel, «nach oben» zu kommen, was auch immer das bedeutet. Im Moment setze ich so gut wie möglich einen Fuss vor den anderen, teils natürlich auch die Treppe hoch. Umso gespannter bin ich darauf, wo ich mich irgendwann wiederfinde und welchen Höhen und Tiefen ich auf meinem Lebensweg begegne.

Berit Barthelmes, Ressort Autor*innen

Nach oben wollen wir alle hin und wieder. Im Aufzug, in der Karriere, am liebsten ins All. Doch was erwartet uns, wenn wir ganz oben angekommen sind? Ein Stockwerk wie jedes andere, Alleinsein der Karriere willen und ein lebensfeindlicher Planet. Auf der anderen Seite erwarten uns, eine neue Ebene zum Erkunden, Erfolg und der Willen, privat und beruflich voll dabei zu sein und ein noch unbekannter, spannender, noch formbarer Ort. Was wir von oben sehen, hängt davon ab, wie wir es sehen wollen.

Arianna Pagani, Ressort Marketing und Ressort Layout

Ich finde, dass unsere Gesellschaft das Wort «Oben» mit dem Positiven assoziiert. Wir wachsen mit der Aufforderung auf, in der Schule hohe Noten anzustreben, im Sport höher zu springen, durchzuatmen und nach oben zu schauen, um die Angst zu besiegen. Für mich bedeutet «nach oben», dass ich jeden Tag versuche, einen Schritt weiterzukommen und gleichzeitig mich zu verbessern, um die persönliche Erfolgsleiter zu erklimmen.

Janice Lienhard, Ressort Illustrator*innen

Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich Höhenangst habe. Wir haben alle Angst vor dem Fallen, das ist ja auch nur adaptiv. Aber ich glaube, da dies andere Leute eher nicht zu stören scheint, habe ich doch vermutlich Höhenangst. Die Menschen wollen klettern, Fallschirmspringen, auf den höchsten Turm und Gipfel hinauf. Sie wollen auf diese blöden Glasböden stehen, weit über irgendwelchen Dächern, scheinbar nur um das Adrenalin zu spüren, welches kommt, wenn man seine Füsse in der Luft anschaut. Vielleicht habe ich doch eine durchschnittliche Höhenangst und dafür ein unterdurchschnittliches Interesse, diese Angst zu spüren.

Julia J. Schmid, Präsidium

Klar will ich nach oben. Der Drang nach Selbstoptimierung ist nicht nur in unserer Gesellschaft verankert, sondern auch in mir. Individuell bleibt, was «Oben» für uns bedeutet. Eine höhere berufliche Position, mehr Zeit mit der Familie oder doch ein besseres Gesundheitsverhalten? Nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb eines Menschen kann die Definition variieren. An manchen Tag strebe ich danach, effizienter zu arbeiten, an anderen möchte ich mehr Zeit für mich selbst nehmen. Nach oben zu wollen, bedeutet für mich, ein Ziel vor Augen zu haben. Und manchmal – manchmal besteht dieses Ziel darin, anerkennen zu können, dass das Leben und man selbst, so wie es jetzt gerade ist, keiner Veränderung bedarf.

Reiss die Hände in die Luft!

Warum Gutes mit oben assoziiert wird und wie räumliche Metaphern unser Denken prägen

Wer glücklich ist oder Erfolg hat, befindet sich auf einem Höhenflug. Wer bedrückt ist, der ist am Boden, die Stimmung kann geradezu unterirdisch schlecht sein. Bereits bei der Wortwahl assoziieren wir Gutes mit der Orientierung nach oben, Schlechtes mit unten. Doch kommt wirklich alles Gute von oben?

Von Belinda Lamatsch
Lektoriert von Ladina Hummel und Isabelle Bartholomä
Illustriert von Belinda Lamatsch

Bist du gerade auf einem Hoch oder schwebst du im Moment gar auf Wolke sieben? Oder ist deine Stimmungslage eher ein ständiges auf und ab? In unserem alltäglichen Sprachgebrauch verwenden wir viele Metaphern für unsere Gefühle. Um unser Inneres zum Ausdruck zu bringen, fehlen uns oft die treffenden Worte und wir greifen auf Umschreibungen und Sinnbilder zurück. Auffällig ist dabei, dass positive Affekte vielmals mit einer Aufwärtsbewegung in Verbindung gebracht werden, negative hingegen richten sich tendenziell nach unten. Das Paradies als Allegorie für das Gute befindet sich im Himmel und wird oben angesiedelt. Derjenige, der Schlechtes tut, wird nach unten in die Hölle verbannt. Ausgehend vom neutralen Bewerten können wir einen Sachverhalt abwerten oder aufwerten. Verzeichnen wir berufliche Erfolge, so klettern wir auf der Karriereleiter nach oben.

Der Zusammenhang zwischen Affekt und räumlicher Lage

Haben diese Zuschreibungen einen Effekt auf unsere Einschätzung der jeweiligen Emotion oder der damit verbundenen Situation? Dieser Frage haben sich die Autoren Meier und Robinson gestellt. Dafür haben sie drei Studien durchgeführt (Meier & Robinson, 2004).

Bereits 1993 stellten Stepper und Strack in einer Studie eine Verbindung zwischen räumlicher Positionierung und Emotionen fest. Das Gefühl von Stolz wird verstärkt, wenn wir uns in einer aufrechten Haltung befinden. Auf der anderen Seite hingegen wird es abgeschwächt, wenn wir zusammengesackt und in nach unten gebeugter Körperhaltung verweilen (Stepper & Strack, 1993). Diese Wechselwirkung von Emotionen und körperlichen Parametern stellt bis heute eine zentrale Frage in der Emotionsforschung dar.

In einem ersten Versuch sollten die Teilnehmenden ihre Aufmerksamkeit auf einen Bildschirm richten, auf dem nacheinander verschiedene Wörter erschienen (Meier & Robinson, 2004). Diese Wörter sollten sie auf einer Skala von eins = positiv bis fünf = negativ bewerten. Ein Beispiel für ein positives Wort könnte Held sein, ein negatives wäre Lügner. Nachdem zuerst einige Wörter in der Mitte des Bildschirms erschienen waren, wurden die darauffolgenden Begriffe entweder oberhalb dieser ersten Referenzbegriffe oder im Bildschirmbereich darunter eingeblendet (Meier & Robinson, 2004). Gemessen wurde nicht nur, ob die Wörter richtig bewertet wurden, sondern vor allem, wie schnell die Wörter korrekterweise der entsprechenden Bedeutung zugeordnet wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Evaluation positiver Begriffe schneller und treffsicherer erfolgte, wenn diese in der oberen Hälfte des Bildschirms eingeblendet wurden. Negative Wörter hingegen wurden schneller als solche erkannt, wenn sie weiter unten positioniert waren. Ist die vertikale Positionierung eines Stimulus kongruent mit seiner Bedeutung, fällt uns die Verarbeitung dementsprechend leichter (Meier & Robinson, 2004).

«Participants were faster to evaluate positive words when presented at the top of the screen, whereas they were faster to evaluate negative words when presented at the bottom.»

Meier & Robinson, 2004, S. 245

Den Untersuchungen von Meier und Robinson (2004) sind bereits Studien von Wapner, Werner und Krus aus dem Jahre 1957 vorangegangen. Schüler*innen, die gerade eine gute Note erhalten hatten, unterlagen einem «Upward Bias», als sie kurz darauf aufgefordert wurden, ein Quadrat in zwei gleich grosse Hälften zu teilen (Wapner et al., 1957). Das heisst, wer gerade eine gute Note erhalten hatte und somit in euphorischer Stimmungslage war, tendierte dazu, eine Verzerrung nach oben zu zeigen und setzte beim Einzeichnen der gefragten Mittellinie weiter oben an, als sie tatsächlich zu verorten wäre. Schüler*innen, die hingegen ein Testresultat mit einer ungenügenden Note ausgehändigt bekommen hatten, zeigten beim Zweiteilen der geometrischen Figur eine Tendenz nach unten (Wapner et al., 1957).

Eine mögliche Erklärung

In ihrer Erklärung für die Resultate berufen sich die Autoren auf den Entwicklungspsychologen Piaget und sein Stufenmodell (Piaget, 1929). Die menschliche Kognition bildet sich ausgehend von sensomotorischen Erfahrungen. Wir lernen zuerst Konkretes, indem wir die physische Welt über unsere Sinne wahrnehmen. Kleine Kinder berühren Gegenstände, nehmen sie in den Mund oder beobachten, welche Geräusche ein Objekt macht. Sie schaffen sich zunächst ein Weltbild aufgrund von Sinneseindrücken. Erst später können wir Abstraktes verarbeiten (Inhelder & Piaget, 1958). Nachdem wir die Welt mit all ihren handfesten Gegenständen erkundet haben, entwickeln wir ein Verständnis für theoretische Konstrukte oder lernen Symbole in ihrer stellvertretenden Funktion zu verwenden (Inhelder & Piaget, 1958). Um abstrakte Gedanken in Worte zu fassen, um unseren Mitmenschen – manchmal auch uns selbst – unser Innenleben zu veranschaulichen, greifen wir auch später wieder auf Vergleiche mit physischen Phänomenen zurück, um unsere Ideen zu konkretisieren und verständlich zu machen (Lakoff & Johnson, 1999). Auch die anfangs genannten Metaphern nutzen Begriffe, die sinnbildlich für ein Gefühl oder eine Erregung stehen. Die Gefühle, die wir mithilfe solcher Umschreibungen auszudrücken versuchen, stellen wiederum etwas Gegenstandsloses dar. Die physischen Metaphern erlauben es uns, solche komplexen Vorgänge zu beschreiben (Lakoff & Johnson, 1999).

Die Tendenz, unsere Arme als Reaktion auf Erfolg nach oben zu reissen, ist angeboren. In einer Studie haben Tracy und Matsumoto im Jahre 2008 Athlet*innen der Olympischen Spiele und der Paralympics beobachtet und dabei festgestellt, dass auch blindgeborene Menschen als Ausdruck von Stolz intuitiv die Faust in die Luft strecken. Scham oder Erniedrigung wird hingegen bei olympischen wie paralympischen Athlet*innen durch geduckte Körperhaltung ausgedrückt (Tracy & Matsumoto, 2008).

Wie durch die im vorherigen Abschnitt präsentierten Studien gezeigt wird, aktiviert unsere Bewertung eines Stimulus räumliche Metaphern, die damit verbunden sind. Die Verarbeitung fällt uns leichter, wenn die beiden Faktoren – also die vertikale Lokalisation und die tatsächliche positive oder negative Bedeutung – übereinstimmen (Meier & Robinson, 2004). Andersrum fällt uns die Bewertung schwerer, wenn die beiden Komponenten nicht kongruent sind und eine Diskrepanz zwischen der lokalen Verortung und dem Affekt besteht. In Meier und Robinsons Studie (2004) äusserte sich dies durch eine leicht verzögerte Reaktionszeit.

Die Ergebnisse von Meier und Robinson zeigen, dass unser Denken von Metaphern geprägt ist. Aber auch, dass abstrakten Gefühlen und den dafür verwendeten Beschreibungen konkrete und greifbare Bilder zugrunde liegen, die wir aus gesammelten Erfahrungen ableiten (Meier & Robinson, 2004).

Die Verknüpfung von gut mit oben und schlecht mit unten geschieht automatisch und ohne, dass wir uns dessen bewusst sind. Denn die Metaphern, mit denen wir Affekte räumlich verorten, sind so stark in unsere alltägliche Ausdrucksweise integriert, dass wir sie ganz unbewusst verwenden.

Wenn du also das nächste Mal ein lustiges Video mit einem Daumen nach oben bewertest oder jemandem ein High Five gibst, dann ist das, weil dieser positive Affekt direkt mit der räumlichen Assoziation einhergeht.


Zum Weiterlesen

Meier, B. P., & Robinson, M. D. (2004). Why the sunny side is up. American Psychological Society, 15(4),243–247. https://doi.org/10.1111/j.0956-7976.2004.00659.x

Literatur

Inhelder, B., & Piaget, J. (1958). The growth of logical thinking from childhood to adolescence. Basic Books.

Lakoff, G., & Johnson, M. (1999). Philosophy in the flesh: The embodied mind and its challenge to western thought (Vol. 640). Basic books.

Meier, B. P., & Robinson, M. D. (2004). Why the sunny side is up. American Psychological Society, 15(4),243–247. https://doi.org/10.1111/j.0956-7976.2004.00659.x

Stepper, S., & Strack, F. (1993). Proprioceptive determinants of emotional and nonemotional feelings. Journal of Personality and Social Psychology, 64(2), 211–220. https://doi.org/10.1037/0022-3514.64.2.211

Tracy, J. L., & Matsumoto, D. (2008). The spontaneous expression of pride and shame: Evidence for biologically innate nonverbal displays. PNAS.  https://doi.org/10.1073/pnas.0802686105

Wapner, S., Werner, H., & Krus, D.M. (1957). The effect of success and failure on space localization. Journal of Personality, 25, 752–756. https://doi.org/10.1111/j.1467-6494.1957.tb01563.x

Rocket Man

Welche Auswirkungen hat ein Aufenthalt im All auf Gehirn und Psyche?

Immer öfter werden erfolgreich Menschen in den Weltraum geschickt. In Anbetracht des «Weltraumtourismus» und in Bezug auf den Klimawandel ist das Thema momentan besonders relevant. Im Folgenden soll der aktuelle Forschungsstand zu den Auswirkungen auf Gehirn und Psyche von Astronaut*innen dargelegt werden.

Von Madita Schindler
Lektoriert von Isabelle Bartholomä und Natalie Birnbaum
Illustriert von Alba Lopez

Das Weltall übt auf viele Menschen eine grosse Anziehungskraft aus. Wir mögen es, an einem lauen Sommerabend die Sterne zu betrachten und in der Unendlichkeit zu baden. Physiker*innen haben einfallsreiche Methoden entwickelt, um ihre Theorien über das Weltall und andere Planeten zu prüfen. Doch erst seit einigen Jahrzehnten ist es dem Menschen möglich, die Erde zu verlassen und sich selbst ins All zu begeben. Am 20.07.1969 wurde die erste bemannte Mondlandung durchgeführt und damit die Grenzen des Möglichen ausgeweitet. Aber ein Aufenthalt im Weltraum ist mit grundlegenden Änderungen in der physikalischen und sozialen Umwelt des Menschen verbunden. Die Forschung zur Wirkung dieser Veränderungen auf den menschlichen Organismus steht noch am Anfang. Folgende Erkenntnisse haben sich aus Studien der letzten Jahre ergeben:

Strahlenbelastung

Ein entscheidender Unterschied zwischen dem Leben auf der Erde und im All ist, dass die Erde von einem schützenden Magnetfeld umgeben ist, welches solare und kosmische Strahlung weitgehend von der Erdoberfläche ablenkt. Die internationale Raumstation ISS befindet sich innerhalb der Erdumlaufbahn, doch bei grösseren Entfernungen von der Erde – also bei Mondmissionen oder einer zukünftigen Marslandung – fällt dieses schützende Feld weg und die Astronauten sind der Strahlung in weit grösserem Masse ausgesetzt (Hellweg & Baumstark-Khan, 2006). Generell wird davon ausgegangen, dass kosmische Strahlung durch potenzielle Schädigung der DNA mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergeht. Es besteht ausserdem eine Verbindung zwischen chronischer Strahlung und neurodegenerativen Krankheiten wie Demenz (Kandarpa et al., 2019). Ausserdem berichten Astronaut*innen im Apollo Programm das Wahrnehmen von «Lichtblitzen», welche vermutlich durch kosmische Strahlung verursacht werden. Diese können unter Umständen mit einer verminderten Leistungsfähigkeit einhergehen, wenn die Astronaut*innen in kritischen Situationen schnell und akkurat handeln müssen (Sannita, 2006). Eine Empfehlung gerade für längere Missionen ausserhalb des Erdorbits ist deshalb, die Astronaut*innen durch spezielles Material des Raumschiffes, Schutzanzüge oder auch eine besondere Diät so gut wie möglich vor Schäden durch Strahlung zu schützen (Paris, 2017). Eine erhöhte Strahlenbelastung ist nach derzeitigem Stand aber nicht vollständig abzuwenden (Hellweg & Baumstark-Khan, 2006).

Die Gefahren von Schlafmitteln

Es gibt auf dem Markt einige Mittel, die pharmakologischen Schlaf herbeiführen können, wenn der natürliche circadiane Rhythmus durch Schichtarbeit, Schlafstörungen oder andere Umstände gestört ist. Die aktuellen Mittel der Wahl sind Benzodiazepine wie Diazepam (auch bekannt als Valium) oder sog. Non-Benzodiazepine, die an einen Subtyp von Benzodiazepinrezeptoren binden und tendenziell mit weniger Nebenwirkungen als die klassischen Benzodiazepine einhergehen (Lemmer, 2007). Während die Arzneimittel schnell wirksam und effektiv sind, bringen sie unerwünschte Nebenwirkungen wie verminderte kognitive Leistungsfähigkeit und starke Abhängigkeit schon bei geringen Dosen bzw. Entzugserscheinungen nach chronischer Anwendung mit sich. Zudem ist der künstlich herbeigeführte pharmakologische Schlaf weniger erholsam als der natürliche physiologische Schlaf. Für eine langfristige Anwendung bei Schlafproblemen sind sie daher nicht empfohlen und sollten generell mit Vorsicht eingesetzt werden (Lemmer, 2007).

Strukturelle Veränderungen im Gehirn

Bildgebende Verfahren in Studien zeigen, dass die Schwerelosigkeit im All mit strukturellen Veränderungen im Gehirn einhergeht. Beispielsweise verschiebt sich die Zerebrospinalflüssigkeit (ZSF) aus dem Rückenmark in Richtung Kopf, was zu einer Ausdehnung der Hohlräume im Gehirn und höherem intrakraniellem Druck führt. Es gibt ausserdem Hinweise, dass sich der Anteil der grauen bzw. weissen Substanz im Gehirn verschiebt und einzelne Gehirnareale eine veränderte Konnektivität entwickeln (Roy-OʼReilly et al., 2021). Ein Artikel von Kandarpa und Kollegen (2019) erwähnt, dass die Umverteilung von ZSF zum Abstumpfen des Geruchs-, Tast- und Hörsinns führen kann. Allerdings ist die Studienlage zu diesen Veränderungen uneindeutig. Viele Veränderungen erscheinen adaptiv für das schwerelose Umfeld und zumindest teilweise reversibel bei Rückkehr auf die Erde (Roy-OʼReilly et al., 2021).

Veränderung des circadianen Rhythmus

Eine wichtige Veränderung im physikalischen Umfeld des Weltraums stellt die Verschiebung des Tagesrhythmus dar. Auf der Erde ist unser Körper an einen 24-stündigen Rhythmus mit dem Wechsel zwischen Tag und Nacht gewöhnt und wichtige körperliche und psychische Prozesse wie die Temperaturregulation, Schmerzempfinden, Blutdruck und Schlaf unterliegen diesem sogenannten circadianen Rhythmus. Die ISS umkreist die Erde in circa 90 Minuten und die Astronauten erleben täglich 16 Sonnenauf- und Untergänge; im All existiert dementsprechend kein solcher natürlicher Rhythmus. Der circadiane Rhythmus ist durch einen internen Zeitgeber im Gehirn, den nucleus suprachiasmaticus, vorgegeben, wird jedoch durch den äusseren Zeitgeber Licht synchronisiert und kann sich somit je nach Beleuchtung verschieben. Astronaut*innen sind etwa zwei Drittel der Zeit Licht ausgesetzt und müssen zudem oft Schichtarbeit leisten. Viele berichten daher von Beschwerden wie einem gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus. Eine mögliche Lösung ist die künstliche Beleuchtung des Raumschiffs in Einklang mit den irdischen Lichtverhältnissen. Eine weitere Interventionsmöglichkeit ist die pharmakologische Einnahme von Melatonin, dem «Schlafhormon», welches normalerweise bei Dunkelheit ausgeschüttet wird und somit beim Einschlafen helfen kann (Guo et al., 2014).

Sensorische Isolation

Ein weiterer Einflussfaktor auf die Psyche der Astronaut*innen ist die sensorische Isolation. Während oftmals angenommen wird, dass Astronauten andauernd aktiv handeln und wichtige Entscheidungen treffen müssen, sind gerade Langzeitmissionen tatsächlich mit langen Perioden niedriger Arbeitsbelastung und monotonen Routinearbeiten verbunden (Oglesby & Salas, 2012). Das Arbeitsumfeld im Raumschiff bietet ausserdem nur eine begrenzte Anzahl an visuellen und auditiven Stimuli; die Sinnesorgane werden sozusagen «unterfordert». Studien zeigen, dass langfristige sensorische Deprivation negative Konsequenzen wie Halluzinationen und Angststörungen hat (Merabet et al., 2004, zitiert nach Bachman et al., 2012). Gemäss Bachman und Kollegen (2012) ist das Vorhandensein neuer Stimuli wichtig für das psychische Wohlbefinden. Zudem kann der fehlende Einsatz von speziellen Fähigkeiten langfristig zum Verkümmern dieser Kompetenz führen (Oglesby & Salas, 2012). Um das Problem der Monotonie von sensorischen Stimuli zu lösen, wird versucht, die Innenausstattung des Raumschiffes so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten. Was die Eintönigkeit der Arbeit betrifft, sollten den Astronaut*innen Möglichkeiten geboten werden, ihre Fähigkeiten mit Übungsaufgaben zu trainieren. Zudem könnten sie Freizeitbeschäftigungen wie der Fotografie oder virtuellen Videospielen nachgehen. Eine weitere Massnahme, die im Vorfeld getroffen wird, ist die bewusste Personalauswahl. Das bedeutet, dass bei der Auswahl der Astronaut*innen auf eine hohe Toleranz gegenüber sensorischer Isolation und Langeweile geachtet wird, sodass nur die «geeigneten» Kandidaten ins All geschickt werden. In gewissem Umfang können diese Fertigkeiten aber auch verbessert werden. Es gibt daher Versuche, Astronaut*innen auf der Erde auf das reizarme Umfeld des Weltalls vorzubereiten, indem sie für längere Zeit ähnlich reizarmen Umgebungen auf der Erde ausgesetzt werden (Bachman et al., 2012).

Spatio-temporale Isolation

Die spatio-temporale Isolation beschreibt die buchstäbliche und sprichwörtliche Abkapselung der Astronaut*innen von der Erde. Hier geht es unter anderem um den sogenannten «Earth-out-of-view» Moment bei potenziellen Mars-Missionen, bei dem die Erde aus dem Blickfeld verschwinden und somit der letzte visuelle Referenzpunkt zur Heimat nicht mehr vorhanden sein wird (Oglesby & Salas, 2012). Zudem gehen laut Bachman und Kollegen (2012) durch das Fehlen von Feiertagen und gesamtgesellschaftlichen Aktionen wichtige Verbindungen zum Leben auf der Erde verloren. Dies kann zu Gefühlen von Isolation und Einsamkeit führen. Potenzielle Massnahmen, die dem entgegenwirken sollen, sind das aktive Wahrnehmen von Geburts- und Feiertagen und anderen wichtigen Events, sowie die bewusste Betrachtung der Erde durch die Fenster des Raumschiffes so oft und lange dies möglich ist (Bachman et al., 2012).

Soziale Isolation

«I miss the earth so much
I miss my wife
Itʼs lonely out in space»

Rocket Man, Elton John

Neben der sensorischen und spatio-temporalen Isolation ist auch die soziale Isolation ein zu beachtender Faktor. Soziale Isolation bezieht sich auf den beschränkten sozialen Kontakt der Astronaut*innen. Während der Zeit im Raumschiff besteht nur zu den anderen Crewmitgliedern menschlicher Kontakt – meist vier bis sechs Personen, die oft auch aus unterschiedlichen Ländern stammen und sich im Vorfeld nicht gut kennen (Bachman et al., 2012). Per Funk sind ausserdem Gespräche mit «Mission Control» möglich; bei zukünftigen, weiter entfernten Reisen wird auch dieser Kontakt abbrechen, sodass die Astronaut*innen ganz auf sich allein gestellt sein werden. Kontakt zur Familie ist nur durch gelegentliche Telefongespräche möglich. Sobald die Funkverbindung durch eine zu grosse Entfernung von der Erde abbricht, ist auch diese Möglichkeit nicht mehr gegeben. Auswirkungen von begrenztem menschlichem Kontakt zu bekannten und geliebten Personen können Motivationsverlust, Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Verdauungsprobleme sein (Paris, 2017). Es besteht ein erhöhtes Risiko für Depression und Angststörungen (Kandarpa, 2019). Zudem ist durch den erhöhten Stress das Konfliktpotenzial zwischen den Mitgliedern der Crew erhöht. Um dem so gut wie möglich entgegenzuwirken, sollten die Astronaut*innen so oft wie möglich mit der Familie telefonieren oder video-chatten können. Die Crewmitglieder sollten ausserdem trainiert werden, in Konfliktsituationen angemessen zu reagieren und gemeinsam Lösungen zu finden. Mehr Privatsphäre durch Rückzugsmöglichkeiten können ebenfalls helfen, Konflikte zu verhindern (Paris, 2017).

Perspektivenwechsel

Die oben genannten Punkte beschreiben mögliche negative Auswirkungen auf die Psyche von Astronaut*innen. Es gibt aber auch Quellen, die auf positive Konsequenzen hinweisen. In seinem Buch An astronautʼs guide to life on earth erklärt Chris Hadfield, dass sein Training und seine Missionen als Astronaut dazu geführt haben, dass er auf ungewohnte und «gefährliche» Situationen lösungsorientiert reagiert und einen kühlen Kopf behalten kann. Er beschreibt ausserdem, dass er viele Situationen auf der Erde aus einem leicht anderen Blickwinkel und mit einem Gefühl des Staunens betrachtet. Oglesby und Salas (2012) führen an, dass das Betrachten und Fotografieren der Erde aus dem All von vielen Astronaut*innen als Perspektiven verändernd und beruhigend empfunden wird.

«Life is full of so many small, unexpected pleasures, not just in space, but right here on Earth, and I think I see them more clearly now than I used to because microgravity insists you pay attention»

Chris Hadfield, 2013, S. 206

Fazit

Insgesamt kann man sagen, dass eine Mission im Weltall nach aktuellem Forschungsstand beträchtliche psychologische Konsequenzen für die Crewmitglieder hat. Nicht nur physische Veränderungen der Umwelt wie ein veränderter Tagesrhythmus und eintönige Reize, sondern auch soziale Faktoren spielen dabei eine wichtige Rolle. Durch bewusstes Design des Raumschiffs, Personalauswahl und Training der Astronaut*innen vor der Mission kann vielen Problemen entgegengewirkt werden. Letzten Endes ist der direkte Kontakt zur Crew im All aber begrenzt und Hilfestellung bei Problemen nur bedingt möglich; die Crew ist grösstenteils auf sich alleine gestellt. Mit zunehmender Erfahrung durch zukünftige Missionen und mehr Forschung in diesem Bereich wird unser Wissen über die spezifischen Auswirkungen des Alls auf die Psyche hoffentlich erweitert. Wie Chris Hadfield es formulierte: «[w]e are only limited by our ability to invent and persevere» (Hadfield, 2013, S. 302).


Zum Weiterlesen

Hadfield, C. (2013). An astronautʼs guide to life on earth. Pan Books.

Literatur

Bachman, K. R., Otto, C. A., & Leveton, L. B. (2012). Countermeasures to mitigate the negative impact of sensory deprivation and social isolation in long-duration space flight. https://core.ac.uk/reader/10566260

Guo, J., Qu, W., Chen, S., Chen, X., Lv, K., Huang, Z., & Wu, Y. (2014). Keeping the right time in space: Importance of circadian clock and sleep for physiology and performance of astronauts. Military Medical Research, 1.

Hellweg, C.E., & Baumstark-Khan, C. (2006). Getting ready for the manned mission to Mars: The astronauts’ risk from space radiation. Naturwissenschaften, 94, 517-526.

Kandarpa, K., Schneider, V.B., & Ganapathy, K. (2019). Human health during space travel: An overview. Neurology India, 67, 176-181.

Lemmer, B. (2007). The sleep–wake cycle and sleeping pills. Physiology & behavior, 90(2-3), 285-293.

Merabet, L. B., Maguire, D., Warde, A., Alterescu, K., Stickgold, R., & Pascual-Leone, A. (2004). Visual hallucinations during prolonged blindfolding in sighted subjects. Journal of Neuro-Ophthalmology, 24, 109-113.

Oglesby, J., & Salas, E. (2012). The issue of monotony and low workload in spaceflight: Considerations for the mission to Mars. Proceedings of the Human Factors and Ergonomics Society Annual Meeting, 56, 1782-1786. https://doi.org/10.1177/1071181312561358

Paris, A. (2017). Physiological and psychological aspects of sending humans to Mars: Challenges and recommendations. Journal of the Washington Academy of Sciences, 100(4), 3-20. https://doi.org/10.13140/RG.2.2.23177.34405

Roy-O’Reilly, M., Mulavara, A.P., & Williams, T.J. (2021). A review of alterations to the brain during spaceflight and the potential relevance to crew in long-duration space exploration. NPJ Microgravity, 7.

Sannita, W.G., Narici, L., & Picozza, P. (2006). Positive visual phenomena in space: A scientific case and a safety issue in space travel. Vision Research, 46, 2159-2165. https://doi.org/10.1016/j.visres.2005.12.002

Taupin, T. (1972). Rocket Man [Recorded by G. Dudgeon (Elton John)]. On Honky Château. Uni.

Die Bedeutung des Himmels für den Menschen

Der Mensch auf der Erde – unter dem Himmel

Der Himmel war für die Menschheit schon seit Anbeginn ihrer Zeit von grosser Bedeutung. Aber warum? Und welche Rolle spielt der Himmel für den Menschen aus psychologischer Sicht?

Von Amira Weiss
Lektoriert von Berit Barthelmes und Alina S. von Garrel
Illustriert von Melina Camin

Wann begann der Mensch erstmals zum Himmel emporzuschauen und glaubte, darin den Sitz Gottes und das ewige Paradies für verstorbene Seelen zu erkennen? Wann begann er in Sternansammlungen Sternzeichen zu finden und in entfernten Galaxien die Möglichkeit ausserirdischen Lebens zu erahnen? Mit anderen Worten: Wie nahm die Beziehung zwischen Mensch und Himmel ihren Anfang und welche Deutungen und Bedeutungen wurden dem Himmel im Laufe der Menschheitsgeschichte zugeschrieben?

Mensch und Himmel: Einst…

Als eines der ältesten Hinweise auf astronomische Aufzeichnungen durch den Menschen gelten die Höhlenmalereien in der Höhle von Lascaux in Frankreich (Jègues-Wokliewiez, 2000). Gemäss der Archäoastronomin Jègues-Wokliewiez sind die 17‘000 Jahre alten Tierzeichnungen am Tierkreis angelehnt und wurden bewusst so positioniert, dass bei der Sommersonnenwende die Strahlen der untergehenden Sonne die sogenannte «Halle der Stiere» bestrahlen. Dies lässt auf ein gutes Verständnis des Sternenhimmels bereits in der Altsteinzeit schliessen (Jègues-Wokliewiez, 2000). Eindeutigere Befunde gehen auf die Babylonier zurück (Hunger & Sachs, 1988). Sie entwickelten mathematische Verfahren, um die Bewegungen der Himmelskörper aufzuzeichnen, die so präzise waren, dass sie Planetenbewegungen vorhersagen und daraus unsere Stundenzählung sowie den babylonischen Kalender entwickeln konnten (Hunger & Sachs, 1988). Die Ägypter ihrerseits beobachteten unter anderem den Stern Sirius, um die Nilschwemme vorhersagen zu können, was für die Planung ihrer Saat und Ernte essenziell war (Cornell, 1983). Auch wurde der berühmte Stonehenge-Steinkreis in England ca. 2500 vor Christus astronomisch so exakt ausgerichtet, dass die Sonne bei Sommersonnenwenden genau über dem «Heel-Stein» aufgeht (Worthington, 2001).

Archäoastronomie

Archäoastronomie, auch Paläoastronomie oder Ethnoastronomie ist ein «interdisziplinäres Forschungsgebiet zur Ermittlung der himmelskundlichen Kenntnisse vor- und frühgeschichtlicher Kulturen» (Schlosser, 2017).

An diesen Beispielen wird die strukturgebende Funktion des Himmels ersichtlich. Aus den Bewegungen der Himmelskörper liessen sich Kalender- und Zeitberechnungen ableiten, Naturereignisse vorhersagen, und Saat- und Erntezeit festmachen. Die Himmelsrichtungen konnten für das Erstellen von Karten und für die Orientierung auf Reisen herangezogen werden. Alles wichtige Errungenschaften, um das Leben und Zusammenleben der Menschen zu strukturieren.

…und Heute

In den letzten Jahrhunderten haben uns enorme Fortschritte in der Astronomie und Astrophysik ganz neue Einsichten offenbart. Heute wissen wir dank technisch immer besser werdenden Teleskopen mehr und mehr über das Universum, in dem sich unser Planet Erde befindet. Es werden neue Hoffnungen auf Ausweichplaneten, neue Ressourcen aus dem All und auf die Möglichkeit ausserirdischen Lebens gesetzt. Man könnte fast so weit gehen zu sagen, es hat eine Entspiritualisierung des Himmels und eine Hinwendung zu den Naturwissenschaften stattgefunden. Trotzdem trägt der Himmel auch heute noch eine religiöse Konnotation.

«Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen Zeichen sein und zur Bestimmung von Festzeiten, von Tag und Jahren dienen; sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, die über die Erde hin leuchten. So geschah es» Das Buch Genesis, 1:14-1:15

Projektionsfläche der Religionen

Während in der englischen Sprache die Differenzierung zwischen Sky und Heaven gemacht wird, beinhaltet das Wort Himmel im Deutschen beide Bedeutungen (Lesch et al., 2016). Der physische Himmel und der Himmel als transzendentale Sphäre – im Gegensatz zur Hölle – stehen sich also schon aufgrund einer geteilten Bezeichnung sehr nahe. Die Verbindung ist aber nicht zufällig. Der Himmel stand für den Menschen – zumindest bis in jüngster Zeit – für einen unerreichbaren Ort, mit scheinbar unendlicher Weite. Der bestirnte Nachthimmel liess auf einen entfernten nicht irdischen, eben himmlischen Ort hoffen, während der Himmel bei sonnenerhelltem Tag, Wärme und Sicherheit zu versprechen schien. Der beständige Wechsel von Tag und Nacht, die Mondphasen und Regelmässigkeiten der Planetenbewegungen vermitteln eine gewisse Stabilität und Berechenbarkeit des Lebens (Lesch et al., 2016).

Das Himmelszelt lässt all diese Assoziationen und Projektionen nicht nur wunderbar zu, vielmehr werden sie von den Religionen genutzt und bestärkt (Lesch et al., 2016). Professor Dr. Bernd Oberdorf der Universität Augsburg schreibt in diesem Zusammenhang: «Die nüchterne Kosmologie von Genesis 1 [transportiert] nicht nur vorwissenschaftliches Weltwissen in narrativem Gewand. Sie hat vielmehr durchaus einen religiösen Sinn: Sie kommuniziert die Verlässlichkeit der Welt, sie soll Weltvertrauen generieren. Die Welt ist von Gott so gemacht, dass uns der sprichwörtliche Himmel nicht auf den Kopf fallen kann» (Oberdorf, 2016, S .21).

Abrahamitische Religionen

Die drei monotheistischen Religionen Islam, Judentum und Christentum. Alle drei gehen auf Abraham, Stammvater der Israeliten zurück (Nordheim, 2016).

Den Sitz Gottes und des ewigen Paradises oben zu verorten, erscheint zudem viel intuitiver als gegensätzlich unten (Lesch et al., 2016). Zu Überlegenem und Idolisiertem wird aufgeschaut – so auch zum Himmel und Gott, buchstäblich durch den Blick nach oben, etwa bei einem Stossgebet, wie auch metaphorisch. Wo sonst sollte Gott und das Himmelsparadies residieren als über uns im Himmel. In der Bibel ist ausserdem von der Himmelfahrt Christi die Rede. Jesus stieg buchstäblich und metaphorisch zum Himmel auf, was diese Verortung weiter konkretisiert (Lesch et al., 2016).

Durch diese Projektion von allem Seligen und Guten in den Himmel fiel und fällt es vielen religiösen Menschen leichter, das leidvolle Leben auf Erden zu ertragen (Start, 2009). Der Himmel wird dabei als Belohnung für die Bewältigung des harten Lebens auf Erden gesehen: Eine Quelle des Trosts und der Hoffnung auf etwas Besseres (Start, 2009).

Die spirituelle Ladung des Himmels in den abrahamitischen Religionen lässt sich vermutlich auf die Religionen der Antike zurückführen. Im alten Griechenland und im alten Ägypten war es üblich, die Gestirne durch Gottheiten zu personifizieren, da sie glaubten, im Sternenhimmel seien Botschaften ihrer Götter zu finden. In Griechenland war die Sonne beispielsweise durch den Sonnengott Helios verkörpert, der den Feuerball der Sonne mit seinem Streitwagen über den Himmel zog, während im ägyptischen Sonnenkult die oberste Gottheit der Sonnengott Ra war. Zudem haben die Römer die damals bekannten Planeten unseres Sonnensystems nach ihren Gottheiten benannt: Jupiter, Venus, Mars, Merkur und Saturn. Diese Namen sind geblieben (Start, 2009).

Horoskop – neuer Trend oder uralter Brauch?

Horoskope und Astrologie im Allgemeinen scheinen in jüngster Zeit wieder in Mode gekommen zu sein, haben aber schon immer eine gewisse Popularität genossen (Lilqvist & Lindeman, 1998). Insbesondere die digitale Präsenz der Astrologie scheint diese neue Welle des «Astrologie-Hypes» von den letzten Jahrzehnten abzuheben. In den sozialen Medien wimmelt es nur so von Horoskop-Seiten zu jedem erdenklichen Thema. In gewissen Jugendkreisen gilt es sogar als trendy, die eigenen positiven wie negativen Eigenschaften mit dem eigenen Sternzeichen zu begründen. Aber was macht Astrologie insgesamt so populär?

«Prior research has shown that astrology may help people deal with negative life events or cope in the age of uncertainty»

Madelyn Good (Delgado, 2021)

Um eine Antwort darauf zu finden, sollte zunächst der Astrologie-Begriff definiert werden: Die Astrologie postuliert eine Vorhersagekraft der astronomischen Ereignisse und Gestirnkonstellationen für irdische Vorgänge und wurde bereits in Jahrtausende alten Kulturen praktiziert (Beck, 2007). Und welcher Nutzen erbringt uns diese Vorhersagekraft? Gemäss Delgado (2021) kann Astrologie Menschen dabei helfen, mit Stress und Unsicherheit umzugehen und ein besseres Verständnis von sich selbst zu erlangen.

In einer Studie aus dem Jahr 2017 wurde gezeigt, dass Stress unter anderem aus einer Unsicherheit gegenüber zukünftigen Ereignissen entsteht (Peters et al., 2017). Genau dieser Unsicherheit und dem daraus resultierenden Stress können Horoskope, seien es Tages-, Monats- oder Geburtshoroskope, entgegenwirken (Peters et al., 2017).

Barnum-Effekt

Barnum-Aussagen sind vage und allgemein gehaltene Persönlichkeitsbeschreibungen, die eine hohe Basisrate in der Population aufweisen (Fichten & Sunerton, 1983). Eine Barnum-Beschreibung könnte wie folgt lauten: «Sie handeln oft entschlossen, sind aber auch häufig unsicher, wie Sie sich verhalten sollen.» Die Bereitschaft zu glauben, dass eine solche Barnum-Beschreibung auf einen selbst zutrifft, wird als Barnum-Effekt bezeichnet (Fichten & Sunerton, 1983).

Manche Individuen fühlen sich von Horoskopen angezogen, weil sie in der Formung des Selbstbildes zur Hilfe gezogen werden können (Delgado, 2021). Dies trifft insbesondere auf Menschen mit weniger stark ausgeprägter Selbsterkenntnis zu, so Madelyn Good (Delgado, 2021). Die erlangte Selbsterkenntnis könnte allerdings durch den Barnum-Effekt bedingt sein, der möglicherweise ebenfalls für die gesteigerte Bereitschaft, an astrologische Vorhersagen und Persönlichkeitszuschreibungen zu glauben, verantwortlich ist (Fichten & Sunerton, 1983).

Geozentrisches vs. Heliozentrisches Welt-(Selbst)-bild

Das geozentrische Weltbild gibt der Erde und damit dem Menschen eine zentrale Position im Universum (Szabó, 1992). Die Erde steht gemäss dieser Auffassung im Zentrum und wird von den anderen Himmelskörpern umkreist. Dieses Weltbild wurde beispielsweise im alten China, den islamischen Kulturen wie auch im alten Griechenland gelehrt. Die Annahme, der Mensch auf der Erde bilde den Nabel der Welt, hatte zweifellos eine Auswirkung auf das Selbstbild des Menschen. Diese Position impliziert, dass sich (wie deswegen gesagt wird) alles um den Menschen dreht. Es ist ein egozentrisches und selbstgefälliges Bild unserer Stellung im Universum. Dem entgegen setzte sich im 16. Jahrhundert dank Nikolaus Kopernikus das heliozentrische Weltbild durch (Kopernikus, 1543). Kopernikus postulierte, dass sich die Erde und die anderen Planeten auf eigenen Bahnen um die Sonne bewegen und sich die Erde zusätzlich um sich selbst dreht. Dieser Weltbildwechsel, von Sigmund Freud auch «kosmologische Kränkung» genannt, stellte das Selbstbild des Menschen auf den Kopf. Der Mensch steht nun nicht mehr im Zentrum des Sonnensystems, und dieses, wie später klar wurde, schon gar nicht im Zentrum des Universums. Eine durch den wissenschaftlichen Fortschritt hervorgebrachte Entthronung (Szabó, 1992). Da fehlt nicht mehr viel, um sich existenziell zu fragen, welche Bedeutung der Mensch im weiten Kosmos überhaupt noch hat. Eben dieser wissenschaftliche Fortschritt hat aber auch zur Folge, dass wir uns vielleicht darauf freuen können, dass Astronomen bald auf ausserirdische, intelligente Lebensformen stossen werden. Und vielleicht können wir uns dann mit ihnen gemeinsam diesen existenziellen Fragen stellen?


Zum Weiterlesen

Beck, R. (2007). A brief history of ancient astrology. Blackwell Publishing.

Lesch, H., Oberdorfer, B., Waldow, S., Bergengruen, M., Giacobazzi, C., Hafner, J. E., … & Zaun, H. (2016). Der Himmel als transkultureller ethischer Raum: Himmelskonstellationen im Spannungsfeld von Literatur und Wissen (Vol. 2). Vandenhoeck & Ruprecht.

Sugarman, H., Impey, C., Buxner, S., & Antonellis, J. (2011). Astrology beliefs among undergraduate students. Astronomy Education Review, 10(1).

Van Rooij, J. J. (1994). Introversion-extraversion: Astrology versus psychology. Personality and Individual Differences, 16(6), 985-988.

Literatur

Beck, R. (2007). A Brief History of Ancient Astrology. Blackwell Publishing.

Cornell J. (1983) Sternenaufgang über dem Nil. In Die ersten Astronomen. Birkhäuser.

Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. (2017). Deutsche Bibelgesellschaft.

Delgado, C. (2021). Why are People so Into Astrology Right Now? Discovermagazine. https://www.discovermagazine.com/mind/why-are-people-so-into-astrology-all-of-a-sudden

Fichten, C. S., & Sunerton, B. (1983). Popular horoscopes and the “Barnum Effect”. The Journal of Psychology114(1), 123–134.

Hunger, H., Sachs, A. (1988) Astronomical Diaries and Related Texts from Babylonia I: Diaries from 652 B.C. to 262 B.C. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Jeguès-Wolkiewiez, C. (2000). Lascaux, vision du ciel des Magdaléniens. In Proceedings XVIII Valcamonica Symposium: Arte rupestre e tribale: Conservazione e salvaguardia dei messaggi.

Copernicus, N. (1965). De revolutionibus orbium coelestium. Norimbergae, Apud J. Petreium, 1543. [Bruxelles, Culture et Civilisation, 1966].

Lesch, H., Oberdorfer, B., Waldow, S., Bergengruen, M., Giacobazzi, C., Hafner, J. E., … & Zaun, H. (2016). Der Himmel als transkultureller ethischer Raum: Himmelskonstellationen im Spannungsfeld von Literatur und Wissen (Vol. 2). Vandenhoeck & Ruprecht.

Lillqvist, Outi, and Marjaana Lindeman (1998). Belief in Astrology as a Strategy for Self-Verification and Coping with Negative Life-Events. European Psychologist 3(3), 202–8.

Nordheim, E. (2016). »Abrahamitische Religionen«? Monotheismus und Trinität im Dialog von Judentum, Christentum und Islam. Aschkenas, 26(1), 5–15. https://doi.org/10.1515/asch-2016-0002

Peters, A., McEwen, B. S., & Friston, K. (2017). Uncertainty and stress: Why it causes diseases and how it is mastered by the brain. Progress in neurobiology156, 164–188.

Szabó, Á. (1992). Das geozentrische Weltbild: Astronomie, Geographie, und Mathematik der Griechen. Deutscher Taschenbuch Verlag.

Schlosser, W. (2017, 12. Oktober). Archäoastronomie. Eine Einführung.

https://www.archaeologie-online.de/artikel/2007/thema-archaeoastronomie/einfuehrung/

Start, L. J. (2009). The Hope of Heaven. https://cache.kzoo.edu/bitstream/handle/10920/9010/TheHopeOfHeaven.pdf?sequence=1

Worthington, A. (2001). A brief history of the Summer solstice at Stonehenge. Third Stone. http://www. thirdstone. demon. co. uk/download/stnhenge_42. Pdf

Winter is coming

Saisonal abhängige affektive Störungen

Saisonal abhängige affektive Störungen gehen mit mehreren Besonderheiten einher. Beispielsweise sind die Symptome nicht mit der einer depressiven Störung kongruent und die Behandlung findet meist ohne Medikamenteneinnahme statt. Ein kompakter Überblick.

Von Sebastian Junghans
Lektoriert von Berit Barthelmes und Norzin Bhusetshang
Illustriert von Janice Lienhard

Auf dem Fussweg vom Bahnhof Oerlikon zum Psychologischen Institut in Zürich gibt es nicht viel zu sehen, bis auf eine Menge Grau. Man verlässt die betonlastige Bahnhofsunterführung, kreuzt eilig die Tramtrassen, nur um dann wieder in einem zum Institut führenden grauen Tunnel zu verschwinden. Der Zürcher Winter, geprägt vom wolkenbedeckten Himmel und unangenehmen Temperaturen, verstärkt die Wahrnehmung dieses Grau(en)s zusätzlich. Umso mehr geniesst man die Momente, in denen einige Sonnenstrahlen den Weg durch die Wolkendecke finden und das Grau kurzweilig zu vertreiben mögen. Es ist faszinierend, wie etwas Licht einen so hastigen Ort kurz innehalten lässt und den Passanten sichtlich Freude bereitet. Doch woran liegt diese saisonal abhängige Sehnsucht nach der Sonne und nach Licht?

Saisonale Gegebenheiten

Menschen sind in ihrer Stimmung und in ihrem Verhalten von saisonalen Gegebenheiten abhängig (Wehr & Rosenthal, 1989 in Magnusson & Boivin, 2003). Vielleicht merkt es manch eine oder einer bei sich selbst: Im Winter fällt das Aufstehen etwas schwerer, die Stimmung ist gedrückt und man würde am liebsten den ganzen Tag zuhause verbringen. Während solche Empfindungen unter Stimmungsschwankungen einzuordnen wären, gibt es Menschen, die stärker von saisonalen Gegebenheiten beeinflusst werden und vor allem im Winter an einer depressiven Symptomatik leiden.

1984 definierten Rosenthal und Kollegen seasonal affective disorders,oder zu Deutsch saisonal abhängige affektive Störungen, als ein Krankheitsbild, das sich durch jährliche zur gleichen Zeit auftretende Depressionen auszeichnet. Die Kriterien zur Diagnose einer saisonal abhängigen affektiven Störung nach DSM-5 wie auch nach ICD-10 sind das regelmässige, zeitlich zusammenhängende Auftreten einer depressiven Episode und einer Jahreszeit (bspw. Winter) und einer Remission im zeitlichen Zusammenhang mit einer Jahreszeit (bspw. Frühling). Eine vollständige Remission entspricht dabei dem Verschwinden der depressiven Symptomatik. Die Diagnose kann nur gestellt werden, wenn eine saisonal gebundene depressive Episode in den letzten zwei Jahren aufgetreten ist und in diesem Zeitraum keine nicht saisonal gebundenen depressiven Episoden vorgekommen sind. Zudem gibt es die Bedingung, dass die Patient*innen in ihrer Lebensgeschichte häufiger saisonal abhängige depressive Episoden als nicht saisonal abhängige depressive Episoden erlebt haben (Gründer, o. D.).

Neuere Untersuchung

Eine neuere Studie aus dem Jahr 2009 von Brancaleoni und Kollegen verglich Studierende aus Italien und Norwegen, um erneut die Hypothese der Prävalenz des positiven Zusammenhangs der Winterdepression mit dem Breitengrad zu testen. Die Resultate sprachen für eine Verwerfung der Hypothese, weil die Unterschiede zwischen den Gruppen gering waren. Zur Überprüfung wäre eine Replikationsstudie mit italienischen Studierenden, die in Norwegen studieren, sinnvoll. Der Vergleich mit ihren Landsleuten in der Heimat könnte mögliche Unterschiede aufdecken.

Verlauf und Symptome

Die meisten Betroffenen beginnen im Herbst oder frühen Winter Symptome zu entwickeln. Dazu gehören Symptome, die auch bei Depressionen auftreten, wie gedrückte Stimmung, Interessensverlust, Konzentrationsschwierigkeiten, Energielosigkeit und Müdigkeit. Zudem zeigen Betroffene sogenannte atypische Symptome. Darunter fallen Hypersomnie, vermehrter Appetit, vor allem auf kohlenhydratreiche Lebensmittel wie Süssigkeiten, Gewichtszunahme, erhöhte Reizbarkeit und ein Schweregefühl, bei dem die Extremitäten als «schwer wie Blei» empfunden werden. Im Frühling oder Sommer remittieren diese Symptome und treten erst wieder im nächsten Herbst oder Winter auf.

Therapie

Saisonal abhängige affektive Störungen werden üblicherweise mit einer Lichttherapie behandelt (Magnusson & Boivin, 2003). Die Lichttherapie führt bei rund 80 Prozent der Patient*innen zur Remission. Bei der Therapie setzen sich Patient*innen vor eine spezielle Lampe, welche mit einer Lichtstärke von 2’500 bis 10‘000 Lux strahlt. Dies entspricht einer 5- bis 20-mal grösseren Lichtmenge als bei einer normalen Raumbeleuchtung. Patient*innen setzen sich 60-80 cm vom Lichttherapiegerät entfernt hin, das sich auf Augenhöhe befinden sollte. Bei Geräten mit 10’000 Lux wird empfohlen, sich 30 Minuten vor das Gerät zu setzen, wobei diese Dauer mit sinkender Luxzahl steigt. Dabei ist es nicht nötig direkt in das Gerät zu schauen, ein Blick alle Minute genügt, die restliche Zeit kann mit Lesen, Schreiben oder Arbeiten verbracht werden (Konstantinidis et al., 2003).

Die antidepressive Wirkung der Lichttherapie setzt nach 3 bis 4 Tagen ein – einiges schneller als bei der Einnahme von Antidepressiva. Dennoch kann es angebracht sein, Patient*innen medikamentös zu behandeln, wenn die Lichttherapie nicht wirkt.

Nach oben?

In der breiten Bevölkerung herrscht die Annahme, dass Winterdepression vor allem Bewohner*innen nördlicher Länder, wie Finnland, Norwegen oder Kanada, betrifft. Dies beruht wiederum auf der Annahme, dass die Winterdepression auf mangelndes Licht zurückzuführen sei. Festzuhalten ist: Je nördlicher die Koordinate, desto kürzer wird die Dauer zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang im Winter. Die Dauer betrug beispielsweise am 21. Dezember letzten Jahres in Helsinki 5 Stunden und 48 Minuten (Sonnenaufgang und Sonnenuntergang Zeiten Helsinki, Dezember 2021, o. D.), während sie in Zürich 8 Stunden und 26 Minuten betrug (Sonnenaufgang und Sonnenuntergang Zeiten Zürich, Dezember 2021, o. D.).

Zur Überprüfung der Hypothese, dass die Prävalenz einer Winterdepression mit nördlicheren Breitengraden steigt, wurden viele Studien durchgeführt, welche allerdings unterschiedliche Resultate hervorbrachten. Die Literatur gibt Anlass dazu, die Hypothese neu zu formulieren. In den Studien (z. B. Magnusson & Axelsson, 1993) war die Prävalenz für verschiedene Gruppen unterschiedlich. Zwischen 1870 und 1914 emigrierten rund 20‘000 Isländer*innen nach Nordamerika. Magnusson & Axelsson (1993) fanden dabei einen Ort in Kanada an dem 600 Nachfahren dieser Emigrant*innen lebten. Davon nahmen 250 an ihrer Befragung teil. Die Prävalenz für Winterdepressionen war in dieser Population signifikant geringer als bei Stichproben aus südlich gelegeneren Orten, wie New York, Maryland oder New Hampshire. Komplett verworfen werden sollte die Hypothese allerdings nicht: In einer isländischen Stichprobe wurden höhere Prävalenzen festgestellt als in der kanadisch-isländischen Stichprobe. Dies spricht für einen Einfluss des Breitengrades – allerdings nur zwischen sich ähnlichen Stichproben. Die Stichprobe aus Florida hatte die niedrigste Prävalenz aller untersuchter Orte. Magnusson und Axelsson (1993) interpretieren ihre Resultate so, dass der Breitengrad einen Einfluss auf die Prävalenz von saisonal abhängigen affektiven Störungen hat und dies innerhalb genetisch ähnlicher Populationen.

«The finding that the prevalence of combined SAD and S-SAD [subsyndromal seasonal affective disorder] was significantly lower in the Interlake district than in Iceland lends support to the hypotheses that prevalence rates of SAD and S-SAD are influenced by latitude within genetically similar populations.»

Magnusson & Axelsson, 1193, S. 951

Bei Verwandten ersten Grades von Betroffenen wurde ein erhöhtes Vorkommen von saisonal abhängigen affektiven Störungen gefunden (Enoch & Goldman, 2001). Dies spricht zusätzlich für die These, dass die Wahrscheinlichkeit eine saisonal abhängige affektive Störung zu bekommen, genetisch beeinflusst wird.

Frauen leiden häufiger an saisonal abhängigen affektiven Störungen als Männer. Die Erkrankung häuft sich nach der Pubertät (Swedo et al., 1995) und nimmt mit höherem Alter wieder ab (Eagles, 2001). In einer grossen deutschsprachigen Stichprobe (N = 610) lag das Durchschnittalter der Patient*innen bei rund 40 Jahren. Die Diagnosestellung fand durchschnittlich erst 11 Jahre nach der ersten depressiven Episode statt (Winkler et al., 2002).


Zum Weiterlesen

Magnusson, A. & Axelsson, J. (1993). The prevalence of seasonal affective disorder is low among descendants of Icelandic emigrants in Canada. Archives of General Psychiatry, 50(12), 947. https://doi.org/10.1001/archpsyc.1993.01820240031004

Magnusson, A. & Boivin, D. (2003). Seasonal affective disorder: An overview. Chronobiology International, 20(2), 189–207. https://doi.org/10.1081/cbi-120019310

Literatur

Eagles, J. M. (2001). Sociodemographic aspects. In T. Partonen & A. Magnusson (Eds.) Seasonal affective disorder, practice and research (pp. 33-46). Oxford: Oxford University Press.

Enoch, M. A., Goldman, D. (2001). Genetic influences. In T. Partonen & A. Magnusson (Eds.) Seasonal affective disorder, practice and research (pp. 261-266). Oxford: Oxford University Press.

Konstantinidis, A., Heiden, A., Kasper, S., Pjrek, E., Stastny, J., Thierry, N., Wimmer, R. Winkler, D. (2003). Diagnose, Ätiologie und Therapie der saisonal abhängigen Depression (SAD). Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie, 4(4), 26-30.

Brancaleoni, G., Nikitenkova, E., Grassi, L. & Hansen, V. (2009). Seasonal affective disorder and latitude of living. Epidemiology and Psychiatric Sciences, 18(4), 336-343. https://doi.org/10.1017/s1121189x00000312

Gründer, G. (o. D.). Saisonal abhängige affektive Störung – Dorsch – Lexikon der Psychologie. dorsch.hogrefe.com. Abgerufen am 27. Januar 2022, von https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/saisonal-abhaengige-affektive-stoerung

Magnusson, A. & Axelsson, J. (1993). The prevalence of seasonal affective disorder is low among descendants of Icelandic emigrants in Canada. Archives of General Psychiatry, 50(12), 947. https://doi.org/10.1001/archpsyc.1993.01820240031004

Magnusson, A. & Boivin, D. (2003). Seasonal affective disorder: An overview. Chronobiology International, 20(2), 189-207. https://doi.org/10.1081/cbi-120019310

Rosenthal, N. E., Sack, D. A., Gillin, J. C., Lewy, A. J., Goodwin, F. K., Davenport, Y., Mueller, P. S., Newsome, D. A. & Wehr, T. A. (1984). Seasonal affective disorder. Archives of General Psychiatry, 41(1), 72-80. https://doi.org/10.1001/archpsyc.1984.01790120076010

Sonnenaufgang und Sonnenuntergang Zeiten Helsinki, Dezember 2021. (o. D.). sunrise-and-sunset.com. Abgerufen am 26. Januar 2022, von https://www.sunrise-and-sunset.com/de/sun/finnland/helsinki/2021/dezember

Sonnenaufgang und Sonnenuntergang Zeiten Zürich, Dezember 2021. (o. D.). sunrise-and-sunset.com. Abgerufen am 26. Januar 2022, von https://www.sunrise-and-sunset.com/de/sun/schweiz/zurich/2021/dezember

Swedo, S. E., Pleeter, J. D., Richter, D. M., Hoffmann, C. L., Allen, A. J., Hamburger, S. D., Turner, E. H., Yamada, E. M. & Rosenthal, N. E. (1995). Rates of seasonal affective disorder in children and adolescents. American Journal of Psychiatry, 152(7), 1016-1019. https://doi.org/10.1176/ajp.152.7.1016

Winkler, D., Willeit, M., Praschak-Rieder, N., Lucht, M. J., Hilger, E., Konstantinidis, A., Stastny, J., Thierry, N., Pjrek, E., Neumeister, A., Möller, H. J. & Kasper, S. (2002). Changes of clinical pattern in seasonal affective disorder (SAD) over time in a German-speaking sample. European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience, 252(2), 54-62. https://doi.org/10.1007/s004060200012

Vom Privileg Mensch zu sein

Filmrezension zu Himmel über Berlin

Im Film geht es um zwei Engel, die Menschen helfen und sie um ihre Sinnlichkeiten beneiden. Sie sind ewige Beobachter einer durch die Berliner Mauer separierten Welt. Eine Bandbreite an Themen wird angesprochen: Krieg, Realität und was Menschlichkeit bedeutet. Es ist ein Film, der im Gedächtnis bleibt.

Von Marcia Arbenz
Lektoriert von Isabelle Bartholomä und Hannah Meyerhoff
Illustriert von Andrea Bruggmann

Zwei Engel schweben über den Berliner Himmel. Sie beobachten die Menschen, lauschen ihren Gedanken und bieten durch sanfte Berührungen Trost. Nur Kinder können sie sehen, für alle anderen sind sie unsichtbar. Damiel und Cassian, die beiden Engel, erzählen sich von den kleinen Dingen, die sie beobachtet haben. Es sind die kleinen Momente, die sie faszinieren, beispielsweise wie jemand den Regenschirm schliesst, um den Regen zu spüren oder jemand die Socken auszieht, um die Zehen nach einem langen Arbeitstag zu strecken. Oft tun sie so, als ob sie Teil vom Geschehen wären. Doch Damiel will mehr, er will Mensch sein und sich der Endlosigkeit seines Daseins entziehen. Zudem fühlt er sich zu der Trapezkünstlerin Marion hingezogen. Im Todesstreifen der Berliner Mauer findet er seine Sterblichkeit und macht sich auf die Suche nach Marion. Cassian hingegen versucht einem älteren Mann zu helfen und beobachtet vermehrt ein Filmset.

Der Schwarzweissfilm von Wim Wenders im Jahr 1987 spielt etwa derselben Zeit in Berlin. Die Mauer voller Graffiti und halbzerstörte Gebäude prägen die Stimmung des Films. Die Geschichte wird langsam und gemächlich erzählt. In der ersten Stunde scheint es kaum Handlung geben. Dies widerspiegelt jedoch die beobachtende Natur der Engel, die selten eingreifen und wenn, dann so subtil, dass man es kaum bemerkt. Oft wird durch die Kameraführung der Blickwinkel der Engel auf die Welt hinab gezeigt. Es gibt einige versteckte lustige Momente – dennoch ist der Film an manchen Stellen etwas zäh. Der Film erhielt 19 internationale Preise wie bester Regisseur im Cannes Film Festival, beste Kamera der deutschen Filmpreise oder bester ausländischer Film beim French Syndicate of Cinema Critics sowie zahlreiche Nominierungen (imdb, k.A.).

«Wann begann die Zeit und wo endet der Raum?
Ist das Leben unter der Sonne nicht bloß ein Traum?
Ist was ich sehe und höre und rieche
nicht bloß der Schein einer Welt vor der Welt?»

Wenders, 1987, 9:24

Mensch sein

Durch die Aussenperspektive von nicht-menschlichen Wesen auf den Menschen wird zwangsläufig die Frage aufgeworfen, was denn Mensch sein überhaupt bedeutet. Anfangs scheint die Versklavung durch die eigenen trübseligen Gedanken und die Eintönigkeit des Alltags die Antwort zu sein. Dem Gegenüber stellt sich die Freude der Engel über die kleinen alltäglichen Dinge, nach denen sie sich sehnen. Ähnlich wie Kinder, die eine wichtige Rolle im Film spielen, erkennen sie die Schönheit im Alltag und in der Vergänglichkeit. Aber auch Sinnlichkeiten, Unwissenheit und Irrtümer sehen sie als bemerkenswerte menschliche Eigenschaften an. Anders als die Menschen sind die Engel oft unberührt und zeigen kaum Emotionen. Sie scheinen alles hinzunehmen, nur selten kommt es zu Gefühlsausbrüchen. Wie die Menschen haben sie eine beinahe depressive Grundstimmung. Aber während sich die Personen im Film durch grübelnde Gedanken auszeichnen, sind die Engel einfach zu losgelöst vom Geschehen, um Emotionen zu verspüren. Es ist das Los der ewig Beobachtenden. Im Umkehrschluss wird das Mensch sein im Film auch durch die Fähigkeit, zu handeln und sein eigenes Dasein zu kreieren bestimmt.

Im Film wird immer wieder das Gedicht Lied vom Kindsein eingespielt (für Ausschnitte siehe Zitate). Dieses besteht aus vier Strophen, die meiner Meinung nach, folgende Themen beinhalten: Im ersten Teil geht es um die Reinheit und Unbeschwertheit des Kindes. Dieses wird im zweiten Teil durch das Stellen von Fragen über Realität und Identität abgelöst. Das Kind wird erwachsen, vollzieht einen Wandel und erhält neue Sichtweisen. Im vierten Teil wird aber klar, dass das Kind im Erwachsenen noch immer vorhanden ist. Es wird angedeutet, dass gewisse Taten oder Gefühle des Kindseins auf ewig Bestand haben.

Was ist wirklich?

Der Film spielt mit dem Konzept von Realität. Während man immer wieder an die Hinterlassenschaften des zweiten Weltkriegs in der Stadt erinnert wird, spielt ein Teil der Handlung auf einem Filmset über den zweiten Weltkrieg. Auch sieht man die Erinnerungen der Menschen über die Kriegszeit, wie eingestürzte Gebäude oder Leichen auf der Strasse. Die Vergangenheit ist im Film der Gegenwart verdächtig nah.

Einige wenige Menschen scheinen sich der Engel bewusst zu sein. Kinder sehen die Engel und interagieren mit ihnen. Doch auch ein erwachsener Mann kann sie erkennen. Er spricht sogar mit Damiel und Cassian. Während er von seiner Umgebung als merkwürdig angesehen wird, ist er der Einzige, der die Realität erkennt.

Hinzukommt, dass im Film immer wieder ein Gedicht eingespielt wird (siehe Kästchen). Darin wird unter anderem der Zweifel an der Realität direkt angesprochen. Sind unsere Wahrnehmungen tatsächlich wirklich? Wieso bin ich das, was ich bin? Was bestimmt Zeit und Raum?

Auch die Realität über die Bedeutsamkeit der eigenen Gedanken wird in Frage gestellt. Die Engel lauschen den Überlegungen der Menschen, die sich immer wieder vermischen und trennen. Kaum einer dieser Gedanken ist nicht selbstfokussiert oder grüblerisch. Von aussen scheinen sie sogar zumeist belanglos und dümmlich zu sein – vor allem wenn man sie in Beziehung zur Realität stellt. Vielleicht möchte der Film uns somit mitteilen, dass wir unsere eigenen Grübeleien weniger ernst nehmen sollen.

Krieg

Die Auswirkungen des zweiten Weltkriegs sind im Film omnipräsent. Die Mauer, die Menschen trennt, der Todesstreifen und die Erinnerungen der Menschen an Tod und Zerstörung wird immer wieder gezeigt. Aber auch die Engel scheinen einen Krieg zu führen: Sie kämpfen gegen das Trübsal der Menschen. Ihre einzigen Waffen sind hierbei sanfte Berührungen, die ihrem Empfangenden Wohlbefinden und Trost spenden. Manchmal können sie helfen, oft scheint es aber lächerlich wirkungslos zu sein – als würde man ein viel zu kleines Pflaster über eine Wunde kleben. Dennoch können sie in bestimmten Momenten den Menschen helfen und Unterstützung leisten, bis andere Hilfe naht.

«Wie kann es sein, daß ich, der ich bin,
bevor ich wurde, nicht war,
und daß einmal ich, der ich bin,
nicht mehr der ich bin, sein werde?»

Wenders, 1987, 9:55

Ein Film für ruhige Stunden

Insgesamt ist der Film sehr schön und poetisch. Dennoch erlebte ich ihn besonders in der ersten Stunde etwas zäh. Es gibt kaum Konflikte und Handlungen, obwohl es die Geschichte an sich anbietet. Die Dialoge wirken gestellt und sind in einer unnatürlichen Sprache verfasst. Dennoch bleibt einem der Film positiv im Gedächtnis, vielleicht weil man sich wünscht, dass es tatsächlich Engel gibt, die sich um uns kümmern. Er hallt aussergewöhnlich lange nach. Je länger man über ihn nachdenkt, desto mehr zieht er einen in Bann. Es ist ein Film für ruhige Stunden, in denen man entspannen und philosophieren möchte. Er erinnert an vergangene Zeiten und an das Privileg, Mensch zu sein.


Zum Ansehen

Wenders, W. (Regisseur). (1987). Der Himmel über Berlin [Film]. Deutschland, Frankreich: Road Movies Filmproduktion, Argos Films & Westdeutscher Rundfunk.

Literatur

Lied vom Kindsein. (k.A.). http://www.reverse-angle.com/deutsch/filme/katalog/timeline/ww-1/wingsofdesire/wod-song-of-childhood-german.htm

Wenders, W. (Regisseur). (1987). Der Himmel über Berlin [Film]. Road Movies Filmproduktion, Argos Films & Westdeutscher Rundfunk.

Wings of Desire Awards. (k.A.). https://www.imdb.com/title/tt0093191/awards

Ab durch die Decke

Kryptowährungen und der «Bullenmarkt» – wie ein für viele noch neuartiges Finanzsystem Menschen anzieht und welche psychischen Risiken damit einhergehen.

Für viele sind Kryptowährungen ein unbeschriebenes Blatt. Man liest und hört von Bitcoin, von Elon Musk und einem Hund, dass der Markt wieder einmal «bullish» sei – hat aber an sich überhaupt keinen Schimmer, was damit gemeint ist. Was motiviert Menschen dazu, in einen volatilen Markt zu investieren?

Von Berit Barthelmes
Lektoriert von Marina Reist und Ladina Hummel
Illustriert von cryptochefs.io

Hast du schon in Krypto investiert? Nein? Dann geht es dir wahrscheinlich wie den meisten. Kryptowährungen sind zwar spätestens seit dem Boom von Bitcoin(Bustillos, 2013) aus der Finanzwelt nicht mehr wegzudenken, sind bis jetzt aber mehr oder minder nur einer grossen (nerdigen) Expertinnen- und Experten-Community vorbehalten. Diesen Eindruck hat man zumindest, wenn man sich Nachrichten bzgl. des Auf- und Abschwungs von Bitcoin, Etherium, Cardano und Co. anschaut. Das Programm Word kennt bspw. nur das Wort Bitcoin – die restlichen Krypto-Währungen werden rot unterstrichen, obwohl es sich dabei um einige der spannendsten und erfolgreichsten Kryptowährungsprojekte überhaupt handelt (Corbet, 2019). Ein Thema im Halbschatten also. Viele scheuen sich aufgrund der technischen Komplexität von Kryptowährungen davor, sich überhaupt mit dem Thema zu beschäftigen. Warum sich ein Blick hinter die Kulissen lohnt, liest du hier.

«Da wir nun alle dank Bitcoin reich sind … sollten wir etwas von diesem unverdienten Reichtum für einen guten Zweck einsetzen.»

Hal Finney, zweiter Angestellter und Softwareentwickler bei PGP Cooperation

Wertewandel

Bereits zu Zeiten der Römer wurde Wert mittels Tauschhandel transferiert (Franz, 2021). Man tauschte Getreide gegen Milch, Gemüse gegen Brot und auch der Handel mit Rohstoffen boomte. Später tauschte man Waren gegen Gold, bis schliesslich die ersten papiernen Währungen aufkamen und mit Papiergeld eingekauft wurde (Weikard, 2021).Betrachtet man diese Entwicklung, so ist es dank fortschreitender Digitalisierung ein logischer nächster Schritt, dass nicht nur Bücher und Musik, sondern auch unser Geld vermehrt digitalisiert wird. Teilweise sehen wir unser Geld heute nur noch online in Form von Zahlen auf einem Display und können diesen Wert digital nutzen, um bspw. online einzukaufen.  

«Wir brauchen Bankgeschäfte, aber keine Banken mehr.»

Bill Gates, Gründer Microsoft, 1994

Kuh, Gold oder Bitcoin

Menschen haben schon immer Wert gegen Wert getauscht. Kryptowährungen wie der Bitcoin (die erste und am Markt stärkste Krypto-Währung) ermöglichen es, unkompliziert, innerhalb kürzester Zeit und ohne Bank, Dinge zu kaufen und zu verkaufen. Interkontinentale Transaktionen mit vergleichsweise wenig Gebühren sind dadurch möglich.

Kryptowährungen gehen noch einen Schritt weiter. Mithilfe von kryptographischen Mechanismen ermöglichen sie, Wert zu transferieren, ohne eine zentrale Instanz, wie z. B. eine Bank, einschalten zu müssen (Chan, 2017; Härdle, 2020). Möchte ich Wert vom einen ans andere Ende der Welt transferieren? Kein Problem. Soll die Transaktion innerhalb von maximal zehn Minuten erledigt sein? Nichts leichter als das. Möchte ich dabei nur minimale Gebühren bezahlen? Kryptowährungen machen es möglich (Graber, 2020).

«Ihre Kinder werden nicht wissen, was Bargeld ist.»

Tim Cook, Apple Geschäftsführer/CEO, 12.11.2015

Der «Bullenmarkt»

Bulle und Bär sind seit jeher die Zeichen für Aufschwung und Abschwung an den traditionellen Börsen (Redaktion Wiener Börse, 2021).Ein Bullenmarkt ist demnach einfach gesagt ein zeitlicher Abschnitt im Markt, während dem dieser eine Aufwärtsbewegung im Kurs verzeichnet. Eine typische Reaktion auf einen Bullenmarkt ist Euphorie und Gier auf Seiten der Investorinnen und Investoren, die sich immer höher steigende Kurse versprechen. Die Angst, einen immensen Kursanstieg zu verpassen (FOMO, «fear of missing out»), spielt dabei auch eine große Rolle (Przybylski, 2013). Wichtig ist, dass der Begriff Bullenmarkt einen Trend beschreibt und dass dieser Trend manchmal erst aus rückblickender zeitlicher Perspektive sichtbar wird. So kann es z. B. sein, dass die Kurse nach fünf erfolgreichen Monaten drei Monate lang nur fallen, es aber nach diesen drei Monaten wieder nach oben zu neuen Allzeithochs geht. In einem solchen Fall würde man trotz dreimonatiger Abwärtsbewegung im Grossen und Ganzen von einem Bullenmarkt sprechen. Investorinnen und Investoren, die sich viel von einer gewissen Investition versprechen, nennt man in diesem Zusammenhang auch «bullish» (Clarke, 1998).

Anonymes Geld

Grund für Investments in Kryptowährungen ist häufig die Gier nach schnellem Geld. Meist wird vergessen, dass Menschen, die viel Geld mit bspw. Bitcoin verdient haben, schon länger am Marktgeschehen teilnehmen (Kelliher, 2000). Diese Langzeitinvestor*innen verkaufen dann, wenn neue Kleininvestor*innen an den Markt kommen und sich riesige Gewinne in möglichst kurzer Zeit erhoffen. Die wenigsten der neuen und unerfahreneren Investor*innen investieren also, weil sie auf lange Sicht am Markt teilnehmen möchten. Genau darin liegt eine Gefahr der Kryptowährungen (Bradbury, 2013). Es gibt eine schier unendliche Anzahl an YouTube-Videos, die einem eine goldene Nase versprechen, Blogs und Influencer*innen, die selbst scheinbar viel Geld mit Kryptowährungen verdient haben (in kurzer Zeit, versteht sich) und nun weitere Personen in das Geschäft hineinziehen. Zwar bieten Kryptowährungen die Vorteile, schnell abwickelbar, dezentral und leicht zugänglich zu sein, jedoch handelt es sich weiterhin um einen volatilen (unsicheren) Markt, der sehr hype-abhängig (also abhängig von Trends) ist – was wiederum zu einer hohen Beeinflussbarkeit führen kann. Dieser Umstand birgt die Gefahr, dass man sich bei der Investition des eigenen Geldes auf einen von Elon Musk «zum Spass» ins Leben gerufenen Hunde-Coin, den Shiba Inu Coin verlässt und investiert, bis dieser Coin gar nichts mehr wert ist und man sein Geld verloren hat (Redaktion IT-Times, 2021).

Was brauche ich, um loszulegen?

Eigentlich nur ein Portfolio deines Vertrauens. Ein Portfolio ist eine virtuelle Brieftasche, in der du deine Coins ablegen und die Übersicht über den aktuellen Kurs behalten kannst. Um Coins zu kaufen, musst du auf einer Handelsplattform (z. B. Coinbase) Coins erwerben. Dort kannst du sie auch wieder verkaufen. Beide Schritte (das Erstellen eines Portfolios, z. B. mit Hilfe der App Exodus oder in der Coinbase App und das Kaufen von Coins auf einer Handelsplattform) sind notwendige Voraussetzung.

Es erstaunt also nicht, dass der Handel mit Kryptowährungen süchtig machen kann. Die Nachfrage nach Therapien im Bereich der Spielsucht ist hoch (Brodbeck, 2007). Bspw. die Castle-Craig-Klinik in der Nähe von Edinburgh in Schottland fokussiert sich auf die Therapie von Spielsucht und verzeichnet immer mehr «Kryptoabhängige» (Adler, 2021).

Auf was sollte ich achten?

Dem Erwerb von Kryptowährungen und Aktien liegen zwar unterschiedliche Mechanismen und Philosophien zugrunde, jedoch kann man sich zum Einstieg einiges anhand des Vergleichs dieser beiden Investitionsmöglichkeiten erschliessen. Bei beiden Investitionsentscheidungen gibt es mehrere Dinge vorab zu klären: Wie viel Geld möchtest du investieren? Möchtest du es im Ganzen oder peu à peu investieren? Wie steht der Markt gerade? Kaufst du zu einem teuren Zeitpunkt, solltest du vielleicht noch etwas warten? Ausserdem gibt es auch bei Kryptowährungen Unterschiede hinsichtlich des Risikos, das mit der Investition in einen Coin einhergeht. Gäbe es einen Vergleich Gold – Kryptowährung, würde man wahrscheinlich auf Bitcoin abstellen, da dieser vergleichsweise stabil ist und sich «bewiesen» hat, wie die Community sagen würde. Es lohnt sich, sich intensiv mit den verschiedenen Währungen und dem Markt zu beschäftigen (siehe «Zum Weiterlesen»), bevor man «blind» investiert (Redaktion CoinMarketCap, 2022; Redaktion FAZ, 2022; Imöhl, 2022; Redaktion WiWo, 2022).


Zum Weiterlesen

Bustillos, M. (2013, 01. April). The Bitcoin Boom. The New Yorker. https://www.newyorker.com/tech/annals-of-technology/the-bitcoin-boom

Corbet, S., Lucey, B., Urquhart, A., & Yarovaya, L. (2019). Cryptocurrencies as a financial asset: A systematic analysis. International Review of Financial Analysis, 62, 182-199. https://doi.org/10.1016/j.irfa.2018.09.003

Härdle, W. K., Harvey, C. R., & Reule, R. C. G. (2020). Understanding cryptocurrencies. Journal of Financial Econometrics, 18(2), 181-208. https://doi.org/10.1093/jjfinec/nbz033

Graber, F. (2022, 21. Januar). Boom der Kryptowährungen: Quo vadis, Bargeld? Falstaff. https://www.falstaff.de/nd/boom-der-kryptowaehrungen-quo-vadis-bargeld/

Literatur

Adler, T. (2021, 10. November). Klinik gegen Bitcoin-Sucht: Immer mehr Krypto-Abhängige lassen sich einweisen. Finanzen.net. https://www.finanzen.net/nachricht/geld-karriere-lifestyle/kryptosucht-klinik-gegen-bitcoin-sucht-immer-mehr-krypto-abhaengige-lassen-sich-einweisen-10605881

Bradbury, D. (2013). The problem with Bitcoin. Computer Fraud & Security, 2013(11), 5-8. https://doi.org/10.1016/S1361-3723(13)70101-5

Brodbeck, J., Dürrenberger, S., & Znoj, H. (2007). Grundlagenstudie Spielsucht: Prävalenzen, Nutzung der Glücksspielangebote und deren Einfluss auf die Diagnose des Pathologischen Spielens. Universität Bern, Schlussbericht August.

Bustillos, M. (2013, 01. April). The Bitcoin Boom. The New Yorker. https://www.newyorker.com/tech/annals-of-technology/the-bitcoin-boom

Chan, S., Chu, J., Nadarajah, S., & Osterrieder, J. (2017). A statistical analysis of cryptocurrencies. Journal of Risk and Financial Management, 10(2), 12. https://doi.org/10.3390/jrfm10020012

Clarke, R. G., & Statman, M. (1998). Bullish or bearish? Financial Analysts Journal, 54(3), 63-72. https://doi.org/10.2469/faj.v54.n3.2182

Escobari, D., & Jafarinejad, M. (2019). Investors’ uncertainty and stock market risk. Journal of Behavioral Finance, 20(3), 304-315. https://doi.org/10.1080/15427560.2018.1506787

Franz, A. (2021, 02. Juli). Handel im römischen Reich: Wie Archäologen antike Seewege erkunden. Süddeutsche Zeitung. https://www.sueddeutsche.de/wissen/roemer-schiffe-seewege-handel-maerkte-rom-antike-1.5339087

Graber, F. (2022, 21. Januar). Boom der Kryptowährungen: Quo vadis, Bargeld? Falstaff. https://www.falstaff.de/nd/boom-der-kryptowaehrungen-quo-vadis-bargeld/

Grable, J. E., & Roszkowski, M. J. (2008). The influence of mood on the willingness to take financial risks. Journal of Risk Research, 11(7), 905-923. https://doi.org/10.1080/13669870802090390

IT-Times Redaktion. (2021). Shiba Inu Coin: Was hinter der Kryptowährung steckt. https://www.it-times.de/news/shiba-inu-coin-was-hinter-der-kryptowaehrung-steckt-142672/

Imöhl, S., Ivanov, A., Buske, N. (2022, 31. Januar). Die zehn größten Kryptowährungen 2022 nach Marktkapitalisierung. Handelsblatt. https://www.handelsblatt.com/finanzen/anlagestrategie/trends/bitcoin-ether-und-co-die-zehn-groessten-kryptowaehrungen-2022-nach-marktkapitalisierung/27416084.html?ticket=ST-3006289-mL0fpGSCeaCa9jLkfeL9-ap6

Kelliher, C. F., & Mahoney, L. S. (2000). Using monte carlo simulation to improve long-term investment decisions. The Appraisal Journal, 68(1), 44-56. http://proxy.library.tamu.edu/login?url=https://www.proquest.com/scholarly-journals/using-monte-carlo-simulation-improve-long-term/docview/199961549/se-2?accountid=7082

Klemm, T. (2017, 05. Januar). Bezahlen mit Potential: Die schöne Welt des digitalen Banking. FAZ. https://www.faz.net/aktuell/finanzen/digital-bezahlen/bezahlen-mit-potential-die-schoene-welt-des-digitalen-banking-14599644.html

Przybylski, A. K., Murayama, K., DeHaan, C. R., & Gladwell, V. (2013). Motivational, emotional, and behavioral correlates of fear of missing out. Computers in Human Behavior, 29(4), 1841-1848. https://doi.org/10.1016/j.chb.2013.02.014

Redaktion CoinMarketCap. (2022). CoinMarketCap. https://coinmarketcap.com/de/

Redaktion CryptoChefs. (2022). CryptoChefs. https://cryptochefs.io

Redaktion FAZ. (2022). Kryptowährung. FAZ. https://www.faz.net/aktuell/finanzen/thema/kryptowaehrung

Redaktion Finanzen.net. (2022). Kryptowährungen. Finanzen.net. https://www.finanzen.net/devisen/kryptowaehrungen

Redaktion Wiener Börse(2021). Bullen und Bären: Wiener Börse. Wiener Börse. https://www.wienerborse.at/wissen/einstiegsinformationen/boersen-und-maerkte/bullen-und-baeren/

Redaktion WiWo. (2022). WiWo. https://www.wiwo.de/finanzen/boerse/bitcoin-ethereum-luna-das sind-die-zehn-groessten-kryptowaehrungen-nach-marktkapitalisierung-2022/27456842.html

Van Genabith, R. (2015, 13. November). Tim Cook zu Studenten: Ihre Kinder werden nicht wissen, was Bargeld ist.Apfellike. https://www.apfellike.com/2015/11/tim-cook-zu-studenten-ihre-kinder-werden-nicht-wissen-was-bargeld-ist/

Weikard, A. (2021, 16. September). Die Geschichte des Geldes: Bis zu den Bitcoins war es langer Weg. FOCUS Online. https://www.focus.de/wissen/mensch/geschichte/entstofflichung-des-geldes-von-bernstein-zu-bitcoin_id_24204565.html

White, L. (2015). The market for cryptocurrencies. Cato Journal, 35(2),383-402.

Sinn(e) des Lebens

Was suchen wir als Sinn des Lebens?

Sinn im Leben scheint eine zentrale Motivation des menschlichen Lebens zu sein: Wer ihn hat, ist gelassener und glücklicher, wer ihn nicht hat, ist eher rastlos und depressiv (George & Park, 2016). Doch wie genau verstehen wir den Sinn des Lebens und was kann uns Sinn im Leben geben?

Von Marco Altorfer
Lektoriert von Isabelle Bartholomä und Berit Barthelmes
Illustriert von Katrin Grings

Was ist der Sinn des Lebens? Je nachdem, wen man fragt, erhält man in der Regel ganz unterschiedliche Antworten: Religiöse Personen antworten vielleicht «Gottes Wille erfüllen», Biolog*innen «die eigenen Gene verbreiten», Humanist*innen «eine bessere Gesellschaft erschaffen» und Science-Fiction Enthusiast*innen «42». Die Unterschiedlichkeit der Antworten deutet an, dass nur schon die Frage ganz unterschiedlich verstanden werden kann. Was sind die verschiedenen Bedeutungen vom «Sinn des Lebens» und was für Antworttypen sind möglich?

Was meinen wir mit «Sinn»?

Sinn ist im Kontext von «Sinn des Lebens» ungefähr ein Synonym für «Bedeutung» (George & Park, 2016; Seachris, 2011). Im Englischen beispielsweise wird von «Meaning of Life» also «Bedeutung des Lebens» gesprochen. Dabei sind drei eng verwandte, aber doch unterschiedliche Aspekte von Sinn besonders relevant: Erstens Sinn als «Kohärenz», zweitens Sinn als «Zweckerfüllung» und drittens Sinn als «Signifikanz». Oder anders formuliert erstens als «Sinn ergeben», zweitens als «Sinn haben» und drittens als «sinnvoll sein» (die drei Formulierungen werden aber oft synonym gebraucht) (George & Park, 2016; Seachris, 2011).

«Hat man sein Warum des Lebens, so verträgt man sich fast mit jedem Wie.»

Nietzsche, 1889, S. 54

«Sinn ergeben»

Etwas ergibt Sinn, wenn es auf die richtige Weise in ein Wissenssystem oder Theoriegebilde passt, also wenn es plausibel oder kohärent ist (Seachris, 2011). Zum Beispiel ergibt es Sinn, den Klimawandel mit einer Eindämmung von CO2-Emissionen zu bekämpfen. Auf der anderen Seite ergibt etwas keinen Sinn, wenn es keine theoretische oder empirische Grundlage hat, also wenn es nicht plausibel oder inkohärent ist (Seachris, 2011). Zum Beispiel ergibt es keinen Sinn, den Klimawandel mit Klimaanlagen zu bekämpfen. Bezüglich Sinn des Lebens wollen wir also, dass unser (oder aller) Leben kohärent in einen grösseren Wissenskontext passt (George & Park, 2016; Seachris, 2011). Dieser Wissenskontext kann unter anderem religiös (z. B. biblische Lehre des Christentums), aber auch wissenschaftlich (z. B. Evolution und Urknall) geprägt sein.

«Sinn haben»

Etwas hat Sinn, wenn es einen Zweck erfüllt, beziehungsweise einem Ziel dienlich ist (George & Park, 2016; Seachris, 2011). Zum Beispiel hat mein Studium (unter anderem) den Sinn, mich zu bilden. Lerne ich im Studium aber nichts, hat es wohl (leider) keinen Sinn. Der Sinn des Lebens kann also so verstanden werden, dass wir wollen, dass unser (oder aller) Leben einen Zweck erfüllt, also dass wir etwas bewirken im Leben (George & Park, 2016; Seachris, 2011). Zum Beispiel kann ich den Zweck meines Lebens darin sehen, Gottes Wille zu befolgen oder die Welt zu verbessern.

«Alles kann einem Mann abgenommen werden, aber nur eines: die letzte der menschlichen Freiheiten – die eigene Einstellung unter den gegebenen Umständen zu wählen und den eigenen Weg zu wählen.»

Frankl, 1946, S. 75

«Sinnvoll sein»

Etwas ist sinnvoll, wenn es uns als signifikant, wichtig, bedeutungsvoll oder wertvoll erscheint (George & Park, 2016; Seachris, 2011). Es geht also um eine evaluative oder wertende Perspektive. Zum Beispiel wird moralisches Handeln, wie Armen zu helfen, oft als sinnvoll angesehen. Alltägliche Dinge wie Netflix schauen hingegen nicht. Der Sinn unseres Lebens soll also etwas sein, das unser Leben zu etwas Besonderem und Wertvollen macht (George & Park, 2016; Seachris, 2011). Zum Beispiel werden von vielen Personen grosse wissenschaftliche Leistungen wie die Erforschung der Radioaktivität von Marie Curie oder moralische, heroische Taten wie der Kampf gegen Unterdrückung von Gandhi und Martin Luther King als sinnvoll angesehen. Anderen Personen erscheinen kleinere Dinge als sinnvoll, wie der gute Umgang mit seinen Mitmenschen oder möglichst oft in Fortnite zu gewinnen.

Die drei Aspekte von Sinn bezüglich Sinn des Lebens können verbunden werden: Leben kann Sinn ergeben, haben und sinnvoll sein (George & Park, 2016; Seachris, 2011). Beispielsweise kann mein Leben Sinn ergeben, indem es in den Kontext einer Religion passt, Sinn haben, indem es Gottes Willen dieser Religion folgt und sinnvoll sein, indem es spezielle moralische Leistungen beinhaltet. In der Regel müssen wir alle Aspekte des Sinns des Lebens zumindest zum Teil erfüllen, um unser Leben als sinnvoll zu erachten (George & Park, 2016). Doch verstehen wir den Sinn des Lebens zwingend aus der individuellen Perspektive oder kann er auch aus einer allgemeineren gesehen werden?

Sinn im Leben oder des Lebens?

Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist in der Regel eine persönliche (Metz, 2007). Es wird gefragt: «Hat mein Leben einen Sinn?». Doch unweigerlich dazu gesellt sich meist die andere, verwandte Frage: «Hat das Leben einen Sinn?». Das heisst, es wird auch gefragt, ob das Leben generell oder für irgendjemanden einen Sinn hat (Metz, 2007). Der «Lebensaspekt» im Sinne des Lebens kann als Spektrum von einer individuellen bis zu einer (völlig) universellen Sichtweise verstanden werden (Seachris, 2011). So kann sich der Lebensaspekt unter anderem auf ein Menschenleben, alle Menschenleben, alles biologische Leben oder die ganze Existenz (Sinn von «allem») beziehen. Simplifizierend wird dabei jeweils Sinn im Leben (oder Sinn meines Lebens) und Sinn des Lebens unterschieden, wobei Sinn im Leben das individuelle Leben betrachtet und Sinn des Lebens alle distanzierteren Sichtweisen (Metz, 2007; Seachris, 2011). Eine umfassende Sinntheorie, wie sie zum Beispiel die meisten Religionen geben, umfassen dabei generell beide Aspekte (Metz, 2007). Je nach Theorie sind die beiden Sinnarten unterschiedlich, gleich oder die Existenz der einen (oder beider) wird jeweils abgestritten. Theorien des Sinns des Lebens bestehen in der Regel aus Erklärungen für mehrheitlich metaphysische Fragen wie der Entstehung des Universums, Wirkungsmechanismen des Universums und Leben nach dem Tod (Seachris, 2011). Dabei gibt es religiöse und wissenschaftliche Erklärungen. Viele Religionen erklären die Entstehung des Universums durch Gott, die Wirkungsmechanismen des Universums durch Gottes Willen und das Leben nach dem Tod durch eine Seelenwanderung. Geläufige wissenschaftliche Theorien sind der Urknall für die Entstehung des Universums, Physik und Evolution für Wirkungsmechanismen des Universums und «nichts» als Leben nach dem Tod (Seachris, 2011). Bezüglich des Sinns im Leben gibt es drei Theoriefamilien, die im Folgenden vorgestellt werden.

Frankls Sinn im Konzentrationslager

Der österreichische Psychiater Viktor Frankl überlebte die Inhaftierung in Konzentrationslagern der Nazis im Zweiten Weltkrieg (Frankl, 1946). Er verarbeitete und analysierte seine Erlebnisse im Buch «… Trotzdem Ja zum Leben sagen». Darin beschreibt er, dass im Konzentrationslager nicht die physisch fittesten am längsten überlebten, sondern jene, die weiterhin einen Sinn in ihrem Leben sehen und somit das Leiden ertragen konnten. Frankl kommt zum Schluss, dass selbst wenn einem jegliche Freiheit genommen wird, man immer noch seine Einstellung zum Leben wählen kann. Somit kann Sinn in jedem Moment des Lebens gefunden werden, auch im Leiden und im Sterben (Frankl, 1946).

Nihilismus

Beginnen wir mit der pessimistischsten Theoriefamilie. Der Nihilismus behauptet, dass das Leben keinen Sinn hat oder, dass Sinn im Leben nicht erreichbar ist (Metz, 2007). Generell gehen Nihilist*innen so vor, dass sie Bedingungen für Sinn im Leben aufstellen und dann gegen diese argumentieren. So kann ein Nihilist beispielsweise die Existenz von Gott für Sinn im Leben voraussetzen, aber Atheismus vertreten (was aber eher selten ist). Die häufigste Strategie von Nihilist*innen besteht darin, objektive Werte oder moralische Standards für Sinn im Leben vorauszusetzen, aber deren Existenz oder Erreichbarkeit zu bestreiten (Metz, 2007).

Eng verwandt mit dem Nihilismus ist die Sichtweise, dass die Sinnfrage unbeantwortbar ist, entweder weil die Frage an sich ungültig (oder sinnlos) ist, da sie keine abschliessende oder befriedigende Antwort zulässt, oder weil wir nicht die kognitiven Fähigkeiten haben, sie zu beantworten (Wittgenstein, 1921).

«Wovon man nicht sprechen kann, darüber soll man schweigen.»

Wittgenstein, 1921, S. 90

Supranaturalismus

Supranaturalistische Theorien postulieren, dass der Sinn im Leben durch übernatürliche Entitäten gegeben wird (Metz, 2007; Seachris, 2011). Dies ist grundsätzlich die Domäne der Religionen. Üblicherweise wird in Religionen von einer oder mehreren Gottheiten ausgegangen, die die Welt kreiert haben und das menschliche Zusammenleben regeln, sowie eines Lebens nach dem Tod meist in Verbindung mit einer überlebenden Seele (dies entspricht in etwa dem Sinn des Lebens). Der Sinn im Leben wird nun in der Regel in der Befolgung des Willens der Götter und im Erreichen des Nachlebens gesehen (Metz, 2007; Seachris, 2011). Ausserdem gibt es den sogenannten moderaten Supranaturalismus, deren Befürworter dafür einstehen, dass es Sinn im Leben ohne übernatürliche Entitäten geben kann, aber dass nur mit ihnen «vollständiger» oder «absoluter» Sinn erreicht werden kann (Metz, 2007).

Naturalismus

Anhänger des Naturalismus sind überzeugt, dass Sinn im «normalen» physischen Leben gefunden werden kann (Metz, 2007; Seachris, 2011). Er unterteilt sich in subjektive, objektive und hybride Theorien. Laut subjektiven Theorien kann in der Regel alles dem Leben einer Person Sinn geben, was diese Person als sinnerfüllend empfindet. Dieser Sinn kann durchaus von anderen geteilt werden, wie zum Beispiel bei der Familiengründung. Der Sinn kann aber auch höchst individuell sein, beispielsweise alle Kieselsteine auf der Welt zu zählen. Objektive Theorien hingegen postulieren, dass Sinn nur aus objektiven Werten stammen kann, das heisst Dingen, die einen inhärenten oder intrinsischen Wert haben. Häufige Beispiele sind ein moralisches Leben führen, nach Wahrheit streben oder Schönheit kreieren. Der Sinn entsteht dabei nicht dadurch, dass die eigene Lebensweise als sinnvoll empfunden wird, sondern dadurch, dass sie den objektiven Wert erfüllt. Das Problem der subjektiven Theorien ist, dass sie absurde oder auch unmoralische Lebensweisen als sinngebend erlauben. Das Problem der objektiven Theorien dagegen ist, dass es fraglich ist, ob objektive Werte existieren und dass Sinn im Leben in der Regel mit einem Sinngefühl verbunden wird. Hybride Theorien versuchen nun, die beiden Theorien zu vereinen, indem sie postulieren, dass Sinn im Leben sowohl subjektive wie auch objektive Werte benötigt. Das heisst, der sinnerfüllende objektive Wert muss von der Person auch als sinnerfüllend empfunden werden (Metz, 2007; Seachris, 2011).

Die Theorien zum Sinn im Leben versuchen zu erklären, wie unser Sinn im Leben entsteht. Was sie jedoch nicht erklären ist, wieso wir überhaupt nach Sinn im Leben streben.

«Meaning arises when subjective attraction meets objective attractiveness.»

Wolf, 1997, S. 224

Wieso brauchen wir Sinn?

Die «terror management theory» (TMT) liefert interessante Anhaltspunkte, warum wir den Wunsch nach Sinn im Leben besitzen (George & Park, 2016; Solomon et al., 2015). Die TMT postuliert, dass während der Evolution des Menschen mit dem wachsenden Intellekt das Problem vom Bewusstsein des Todes und daraus resultierender Todesfurcht („death terror“) entstand. Damit diese Todesfurcht den Menschen nicht paralysiert und handlungsunfähig macht, mussten in der Evolution kognitive Mechanismen entwickelt werden, um diese zu puffern. Die TMT geht von zwei übergreifenden Puffern aus: Ein überdauerndes kulturelles (unter anderem religiöses) Weltbild und Selbstwertgefühl. In verschiedenen Studien konnte festgestellt werden, dass Erinnerungen an den Tod zu weniger Angst führen, wenn das Vertrauen in das eigene Weltbild oder das Selbstwertgefühl gestärkt wird. Das kulturelle Weltbild hat nun eine enge Verwandtschaft mit dem Sinn des Lebens und das Selbstwertgefühl im Kontext der TMT eine enge Verwandtschaft mit dem Sinn im Leben. Unser Sinngefühl hilft uns also, Todesfurcht zu überwinden und unser Leben aktiv zu gestalten (George & Park, 2016; Solomon et al., 2015).


Zum Weiterlesen

Frankl, V. (1946). … Trotzdem Ja zum Leben sagen.

George, L. S., & Park, C. L. (2016). Meaning in Life as Comprehension, Purpose, and Mattering: Toward Integration and New Research Questions. Review of General Psychology, 20(3), 205–220. https://doi.org/10.1037/gpr0000077

Nietzsche, F. (1889). Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt.

Literatur

Frankl, V. (1946). … Trotzdem Ja zum Leben sagen.

George, L. S., & Park, C. L. (2016). Meaning in Life as Comprehension, Purpose, and Mattering: Toward Integration and New Research Questions. Review of General Psychology, 20(3), 205–220. https://doi.org/10.1037/gpr0000077

Metz, T. (2007). The Meaning of Life. In E. N. Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2021). Metaphysics Research Lab, Stanford University. https://plato.stanford.edu/archives/win2021/entries/life-meaning/

Nietzsche, F. (1889). Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt.

Seachris, J. (2011). Meaning of Life: Contemporary Analytic Perspectives. In Internet Encyclopedia of Philosophy. https://iep.utm.edu/mean-ana/

Solomon, S., Greenberg, J., & Pyszczynski, T. (2015). The worm at the core: On the role of death in life. Random House.

Wittgenstein, L. (1921). Tractatus logico-philosophicus.

Wolf, S. (1997). Happiness and meaning: Two aspects of the good life. Social Philosophy and Policy, 14(1), 207–225.

Mensch und Maschine verbunden

Ein Einblick in die Forschung und die Rezeption von Gehirn-Computer-Schnittstellen

Im vergangenen Jahrzehnt hat die Verwendung von Gehirn-Computer-Schnittstellen vermehrt Aufmerksamkeit in der Forschung erlangt. Dies resultiert nicht nur in interessanten Implikationen für die Zukunft der Weiterentwicklung von neuropsychologischen Interventionen, sondern wirft auch Fragen zur Identität des Menschen auf.

Von Lena Kohler
Lektoriert von Anja Blaser und Marina Reist
Illustriert von Svenja Rangosch

Zahlreiche Medienproduktionen wie z. B. Black Mirror und Altered Carbon profitieren von der Faszination, mit welcher die Menschheit dem Konzept der Verbindung von Mensch und Maschine entgegenblickt. Dies nicht ohne Grund: Technischer Fortschritt erweitert das Ausmass der Möglichkeiten des Menschen von Alltagsbeschäftigungen bis hin zur Mortalität, und beeinflusst so auch, wie wir uns definieren. Obwohl das Ausmass, in welchem diese Verbindung in der Fiktion dargestellt wird, den Forschungsstand weit überschreitet, findet sie heute bereits in verschiedenen Arten statt. So können gegenwärtig diverse neurologische Krankheiten durch die Interaktion von Gehirn und Computer – sogenannte Gehirn-Computer-Schnittstellen – behandelt werden.

Mit Gedanken die Umgebung steuern

Mit Gehirn-Computer-Schnittstellen (Englisch: brain-computer-interface, BCI) können externe Instrumente wie Computer oder Prothesen durch «Gedanken» gesteuert werden – und dies ohne jeglichen Input des peripheren Nervensystems (Chaudhary et al., 2020). Dysfunktionalitäten von motorischen und sensorischen Systemen können somit direkt umgangen werden, indem die Gehirnaktivität über invasive oder nichtinvasive Methoden gewonnen, analysiert, und anschliessend in Kontrollsignale übersetzt wird, welche unter anderem die Bewegung von Prothesen ermöglichen (Chaudhary et al., 2020).

Unter invasiven Methoden wird hierbei die Implantierung von Elektroden in den Epidural oder Subdural Raum des Gehirns oder das Spiking der Aktivität von einzelnen (single-unit) oder mehreren (multiple-unit) Neuronen verstanden (Chaudhary et al., 2020). Bei nichtinvasiven Methoden wird hingegen nicht direkt in das Gehirn eingegriffen, stattdessen werden EEG-Parameter wie ereigniskorrelierte Potentiale und sensomotorische Rhythmen durch diverse Aufgaben und Paradigmen moduliert (Nierhaus et al., 2019). Ein Beispiel dazu sind Motor-Imagery Aufgaben, bei denen Patient*innen mit einer Gehirn-Computer Schnittstelle sich vorstellen eine Bewegung auszuführen (Nierhaus et al., 2019). Dadurch lernt die Gehirn-Computer-Schnittstelle, welche Gehirnaktivität aus der Vorstellung einer bestimmten Bewegung resultiert und kann dieses Wissen zur Bewegung eines externen Instruments anwenden (Nierhaus et al., 2019). Da nichtinvasive Methoden nicht mit einem direkten Eingriff ins Gehirn verbunden sind, sind sie grundsätzlich mit weniger Risiken assoziiert; jedoch kann damit auch nicht die Signalqualität invasiver Methoden erreicht werden (Gassert, 2019).

Die Weite und die Grenzen des Forschungshorizonts

Vor allem für Individuen mit schweren Dysfunktionalitäten im zentralen oder peripheren Nervensystem bieten Gehirn-Computer-Schnittstellen vielversprechende Rehabilitationsmöglichkeiten (Chaudhary et al., 2020). So profitieren z. B. Patient*innen mit Tetraplegie: In einer Studie lernte eine Tetraplegikerin innerhalb von 13 Wochen mithilfe einer invasiven Schnittstelle eine Prothese auf verschiedene Aufgaben anzuwenden. Dies gelang ihr schliesslich beinahe so koordiniert und schnell wie einer Person ohne Behinderung (Collinger et al., 2013). Es zeigt sich also, dass Gehirn-Computer-Schnittstellen die angeborenen Kontrollsignale zu Bewegungen von Armen und Händen in Paralyse-Patient*innen regenerieren können (Collinger et al., 2013). Auch Patient*innen mit Amyotropher Lateralsklerose kann eine Gehirn-Computer-Schnittstelle zur Rehabilitation verhelfen. Unter Anwendung einer nichtinvasiven, auf P300-basierenden Gehirn-Computer-Schnittstelle können die Betroffenen lernen, mit Augenbewegungen Texte zu schreiben (Nijboer et al., 2008). Dies bietet eine Form von Kommunikation zwischen Patient*innen und ihrer Umwelt, welche sonst nicht möglich wäre, und erhöht so den Lebensstandard der Betroffenen (Nijboer et al., 2008). Des Weiteren können mit BCI-Stimulation unter anderem Patient*innen mit Gliedergürteldystrophie, Morbus Parkinson und Major Depressive Disorder behandelt werden (Saha et al., 2021).

Trotz dieser wissenschaftlichen Befunde hält sich der bisherige Informationsgehalt der Gehirn-Computer-Schnittstellen in der Therapie sowie im Alltagsgebrauch in Grenzen, dies nicht zuletzt wegen den jeweiligen Nachteilen von invasiven und nichtinvasiven Verfahren (Gassert, 2019). In vielen Studien konnten bisher ausserdem nur bedingt Fortschritte nachgewiesen werden, und dies nur mit grossem Therapieaufwand (Krueger et al., 2020). Während das Konzept von Gehirn-Computer-Schnittstellen zahlreiche Möglichkeiten für die Praxis liefert und Informationen zu Gehirnstrukturveränderungen offenlegt, bedürfte die Forschung dazu bessere Dokumentation und alternative Ansätze für signifikantere Ergebnisse (Gassert, 2019; Krueger et al., 2020).

BCI-Analphabetismus

Nicht allen Patient*innen gelingt eine erfolgreiche Steuerung der Gehirn-Computer-Schnittstelle (Gassert, 2019). Diese Erfolgslosigkeit, von Neurologen BCI-Analphabetismus genannt, betrifft in verschiedenen Studien zwischen 10 und 30 Prozent und ist heute grösstenteils noch unerklärt (Gassert, 2019; Psychologische Prädiktoren der BCI Steuerung, 2018). Bewiesen ist, dass psychologische Indikatoren, wie Motivation und kognitive Fähigkeiten sowie physiologische Indikatoren, wie Alter des*der Patient*in, mit der Leistung der Schnittstelle in Verbindung stehen (Krueger et al., 2020; Psychologische Prädiktoren der BCI Steuerung, 2018). So sind z. B. Alter, Multimorbidität und Depressionen bedeutsame Einflussfaktoren und können bei der Patient*innenauswahl als Ausschlusskriterien fungieren (Krueger et al., 2020).

Mensch und Person neu definiert

Verbunden zu sein bringt neben Nutzen auch Kosten. Obwohl der Mensch heute schwer ohne Technik definiert werden kann, suggeriert die von Gehirn-Computer-Schnittstellen ermöglichte einzigartige Interaktion zwischen Mensch und Maschine für einige Forscher*innen das Hervortreten einer neuen Einheit von Wesen, sogenannter Maschinenmenschen (Müller, 2014). Doch nicht nur auf einer Makroebene stellt sich die Frage, wie sich der Mensch mit dieser Verbindung weiterentwickelt, sondern auch auf einer gegenwartsorientierten, persönlichen Ebene; die der Patient*innen. So beschäftigt sich die Neuroethik mit der Frage, inwiefern ein Mensch mit einer Gehirn-Computer-Schnittstelle noch autonom ist (Drew, 2019).

«Computergestützte Übersetzung und technische Umsetzung transformieren die Identität des Nutzers, er ist Mensch und Maschine zugleich.»

Dr. Oliver Müller, 2014

Eine Patientin, welche durch eine schwere Epilepsie in Behandlung kam, beschreibt das Verhältnis mit ihrer Schnittstelle als symbiotisch: Der Koexistenz zweier Spezies in ihrem Körper (Drew, 2019). Ähnlich erläutern Patient*innen, welche wegen Depressionen oder Zwangsstörungen in Behandlung kamen, dass sich ihr Sinn für Selbstwirksamkeit durch die BCI-Behandlung veränderte (Drew, 2019). Es stellt sich die Frage, welcher Anteil ihrer Gedanken dem Ich zuzuordnen sei, evoziert Gefühle der eigenen Künstlichkeit (Drew, 2019). Dies nicht zuletzt, da die Behandlung mit einer Gehirn-Computer-Schnittstelle gewisse Persönlichkeitsveränderungen mit sich ziehen kann: Patient*innen werden plötzlich pathologisch euphorisch, verfallen in eine Spielsucht, welche sich wieder zurückbildet, sobald die Verbindung der Schnittstelle unterbrochen wird (Müller, 2014; Drew, 2019). Manche werden durch starke persönliche Veränderungen von ihrer Familie kaum wiedererkannt, die Schnittstelle dadurch als Bedrohung ihres Personseins angesehen (Drew, 2019).

Für die Neuroethik bedeutet dies, zu untersuchen, welche Veränderungen der Persönlichkeit und der Identität vertretbar sind (Müller, 2014). Diese Frage lässt sich jedoch nicht einheitlich beantworten, denn die Antwort dazu ist abhängig von der verwendeten Persönlichkeitstheorie (Baylis, 2013). Neuroethiker Baylis argumentiert damit, dass BCI-bedingte Veränderungen der Persönlichkeit als bedrohlich angesehen werden können, sofern die Persönlichkeit als statisches Konstrukt angesehen wird. Wird die Persönlichkeit jedoch als separat von der persönlichen Identität und als dynamisch verstanden, ist die Annahme dessen Bedrohlichkeit selbst problematisch (Baylis, 2013). Schlussendlich kommt es also auf das Ausmass an, in dem Patient*innen Kontrolle über ihr eigenes Leben ausüben können (Baylis, 2013).


Zum Weiterlesen

Kübler, A. (2013). Brain-computer interfacing: Science fiction has come true. Brain, 136(6), 2001–2004. https://doi.org/10.1093/brain/awt077

Literatur

Baylis F. (2013). „I am who I am“: On the perceived threats to personal identity from deep brain stimulation. Neuroethics6(3), 513–526. https://doi.org/10.1007/s12152-011-9137-1

Chaudhary, U., Mrachacz‐Kersting, N., & Birbaumer, N. (2020). Neuropsychological and neurophysiological aspects of brain‐computer‐interface (BCI) control in paralysis. The Journal of Physiology, 599(9), 2351–2359. https://doi.org/10.1113/jp278775

Collinger, J. L., Wodlinger, B., Downey, J. E., Wang, W., Tyler-Kabara, E. C., Weber, D. J., McMorland, A. J., Velliste, M., Boninger, M. L. & Schwartz, A. B. (2013). High-performance neuroprosthetic control by an individual with tetraplegia. The Lancet, 381(9866), 557–564. https://doi.org/10.1016/s0140-6736(12)61816-9

Drew, L. (2019). The ethics of brain–computer interfaces. Nature, 571(7766), 19-21. https://doi.org/10.1038/d41586-019-02214-2

Gassert, R. (2019, 9. August). Die Tücken der Schnittstellen. ETH Zürich. Aufgerufen am 23.01.2022, von https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2019/08/blog-gassert-bci.html

Krueger, J., Reichert, C., Dürschmid, S., Krauth, R., Vogt, S., Huchtemann, T., Lindquist, S., Lamprecht, J., Sailer, M., Heinze, H. J., Hinrichs, H. & Sweeney-Reed, C. M. (2020). Rehabilitation nach Schlaganfall: Durch Gehirn-Computer-Schnittstelle vermittelte funktionelle Elektrostimulation. Klinische Neurophysiologie, 51(03), 144–155. https://doi.org/10.1055/a-1205-7467

Müller, O. P. D. (2014, 3. November). Ethische Fragen bei Neurotechnologien. Bundeszentrale für politische Bildung. Aufgerufen am 23.01.2022, von https://www.bpb.de/gesellschaft/umwelt/bioethik/194202/ethische-fragen-bei-neurotechnologien

Nierhaus, T., Vidaurre, C., Sannelli, C., Mueller, K. R., & Villringer, A. (2019). Immediate brain plasticity after one hour of brain–computer interface (BCI). The Journal of Physiology, 599(9), 2435–2451. https://doi.org/10.1113/jp278118

Nijboer, F., Sellers, E., Mellinger, J., Jordan, M., Matuz, T., Furdea, A., Halder, S., Mochty, U., Krusienski, D., Vaughan, T., Wolpaw, J., Birbaumer, N. & Kübler, A. (2008). A P300-based brain–computer interface for people with amyotrophic lateral sclerosis. Clinical Neurophysiology, 119(8), 1909–1916. https://doi.org/10.1016/j.clinph.2008.03.034

Psychologische Prädiktoren der BCI Steuerung. (2018, 9. August). Universität Würzburg. Aufgerufen am 23.01.2022, von https://www.psychologie.uni-wuerzburg.de/int/projekte/psychologische-praediktoren-der-bci-steuerung/

Saha, S., Mamun, K. A., Ahmed, K., Mostafa, R., Naik, G. R., Darvishi, S., Khandoker, A. H., & Baumert, M. (2021). Progress in brain computer interface: Challenges and opportunities. Frontiers in Systems Neuroscience, 15. https://doi.org/10.3389/fnsys.2021.578875