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Kulturelle Farbnuancen

Reinheit wird mit Weiss und Trauer mit Schwarz assoziiert. Ist dies jedoch überall auf der Welt tatsächlich der Fall?
Illustration zweier Frauen in Kleidern

Farben begleiten uns in vielfältiger Weise durch das Leben und beeinflussen unsere Wahrnehmung und Emotionen. Obwohl manche Farbassoziationen als allgemeingültig erscheinen mögen, zeigt sich beim Betrachten verschiedener Kulturen eine bunte Vielfalt an unterschiedlichen Bedeutungen und Symboliken.

Ä hnlich wie im klassischen Ballett Schwanensee, wo der schwarze Schwan für Hass und Feindschaft steht, wird Schwarz in der westlichen Kultur mit Dunkelheit, dem Bösen, Schmerz und Unglück assoziiert (He, 2009). In China hingegen wird Schwarz mit Formalität, Eleganz, Prestige sowie mit Ehrlichkeit und Gerechtigkeit assoziiert. In der modernen chinesischen Kultur wird es jedoch mit Katastrophen, Schwierigkeiten und Kriminellen in Verbindung gebracht. Daneben symbolisiert die Farbe im Westen nicht nur Trauer, sondern auch Nüchternheit und Würde. Der schwarze Anzug und das schwarze Kleid etwa sind beide beliebte formelle Kleidung im Westen (He, 2009).

Sowohl He (2009) als auch Hurlbert und Ling (2017) stellten kulturelle Unterschiede in den Farbvorlieben zwischen englischen und chinesischen Studienteilnehmenden fest, wobei chinesische Personen eine stärkere Vorliebe für Farbtöne im rötlichen Spektrum zeigten. In der chinesischen Kultur ist Rot die Grundfarbe des Landes und spiegelt das Streben nach materiellem und geistigem Wohlstand wider (He, 2009). Es ist die Farbe des Glücks und wird bei Dekorationen und Hochzeitskleidung verwendet. So tragen in China Bräute wie auch Führungspersonen rote Kleidung (He, 2009). In westlichen Ländern hingegen hat Rot die Bedeutung von Gewalt und Wut (Ciolăneanu & Villalva, 2023; He, 2009). Es wird mit Feuer und Blut assoziiert und symbolisiert Revolution oder Brutalität (Ciolăneanu & Villalva, 2023; He, 2009). Zudem sehen einige Westler*innen Rot als Zeichen für Gefahr oder Ärger. Das rote Tuch, das Stierkämpfer benutzen, um die Bullen zu provozieren, empfinden Menschen als aufwühlend (He, 2009). Neben dieser negativen Bedeutung hat Rot in der westlichen Kultur noch eine andere Konnotation. Das Tragen von roter Kleidung kann als subtiler Indikator für sexuelles Interesse dienen (Niesta Kayser & Schwarz, 2017).

«Wenn die Menschen einer Nation die spezifischen Bedeutungen der Farben anderer Menschen nicht verstehen, ist es nicht möglich effektiv und korrekt zu kommunizieren.»

He, 2009, S. 160

In der chinesischen Kultur wird Weiss als das Gegenteil von Rot betrachtet und gilt in den meisten Fällen als Tabu (He, 2009). Weiss assoziiert man mit Trauer und Tod. Bei Beerdigungen tragen die Angehörigen traditionell weisse Kleidung und schwenken weisse Fahnen. Weiss hat ausserdem eine politische Bedeutung und symbolisiert Misserfolg und vergebliche Handlungen (He, 2009). Im Westen symbolisiert Weiss Eleganz und Ehrlichkeit und steht für moralische Reinheit und Treue (He, 2009; Sherman & Clore, 2009). Auf Hochzeiten trägt die Braut traditionell ein weisses Kleid, eine Praxis, die seit der Ära von Königin Victoria an Popularität gewonnen hat. Vor besagter Zeit war die Farbe des Hochzeitskleides weniger relevant, obwohl die Bräute in der römischen Antike bereits ein weisses Hochzeitskleid trugen, weil Weiss ein Symbol der Feier und der Heiligkeit war (He, 2009).

Farben in Wohnräumen

Signifikante Unterschiede ergeben sich weiterhin zwischen Kulturen in Bezug auf die Vorlieben für Farben der Wohnräume. Menschen aus dem Osten bevorzugen signifikant mehr grüne, pinke und leicht gesättigte Farben im Schlafzimmer, die ihnen ein Sicherheitsgefühl geben, Menschen aus Westeuropa hingegen eher dunklere Grautöne (Serra et al., 2021). Die Experimente von Pravossoudovitch et al. (2014) mit einer französischen Stichprobe lieferten jedoch nur schwache Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Grün und dem Gefühl von Sicherheit.

Hinsichtlich der Farbe Blau herrscht mehr Konsens. In 55 unterschiedlichen Ländern aus der ganzen Welt wird Blau hauptsächlich mit Entspannung, Ruhe, Komfort und Frieden in Verbindung gebracht (Serra et al., 2021). Da emotionale Assoziationen zu bestimmten Farben die Farbpräferenz für Haustypen beeinflussen, wird Blau vorwiegend mit Wohnhäusern assoziiert (Serra et al., 2021). Jacobs und Jacobs (1958) erwähnten damals, dass Blau für den Himmel, die himmlische Liebe und die Wahrheit stehe, und interpretierten ferner, dass Blau immer am Himmel erscheint, nachdem die Wolken sich verziehen, was auf die Enthüllung der Wahrheit hindeuten solle.

Selbst wenn die Symbolik von Farben in verschiedenen Kulturen von grosser Bedeutung ist, deuten Daten von Niederländer*innen zu den bevorzugten Farben in Arbeitsumgebungen und Wohnräumen darauf hin, dass sie keine Farbpräferenz haben (van der Voordt et al., 2017). Die Autoren vermuten als möglichen Grund die Tatsache, dass Menschen ihre physische Umgebung oft auf einer unbewussten Ebene erleben und sich weniger bewusst über die Einflüsse von Farben sind.

​​Colapinto (2007)​ schrieb über die Pirahã, einen abgelegenen Stamm im Amazonasgebiet, der eine faszinierende sprachliche Eigenschaft aufweist: Sie haben keine festen Wörter für Farben. Stattdessen verwenden sie beschreibende Phrasen, die von Moment zu Moment variieren. Wenn ihnen beispielsweise eine rote Tasse gezeigt wird, könnten sie sie mit Blut vergleichen oder als lokale Beeren namens vrvcum beschreiben, die zur Gewinnung eines roten Farbstoffs verwendet werden. Diese einzigartige Eigenschaft ihrer Sprache rührt von ihrer Hingabe an eine Realität her, die ausschliesslich auf beobachtbaren Erfahrungen beruht. Demzufolge vermeiden die Pirahã abstraktes Denken oder Sprechen, was zu einem Fehlen von Farbterminologie, Quantifikatoren, Zahlen und Mythen in ihrer Sprache führt. Daneben ist die pragmatische Einstellung der Pirahã bemerkenswert, da sie bereit sind, Beschreibungen anzubieten, die den Wunsch anderer erfüllen, selbst wenn ihnen die Farbe nicht wichtig ist.

Es wird angenommen, dass die kulturellen Hintergründe, in denen man aufwächst und lebt, die Wahrnehmung von Farben stark prägen. Die faszinierende Beziehung zwischen Farben und Emotionen untersuchten Ciolăneanu und Villalva (2023), um herauszufinden, ob linguistische Beweise als Instrument zur Unterscheidung zwischen universellen und kulturell bedingten Aspekten von Emotionen verwendet werden können. Dafür nahmen Muttersprachler*innen verschiedener lateinischer Sprachen, sowie des Russischen, des Chinesischen und des Türkischen an der Studie teil und codierten chromatische Begriffe, die mit den primären Emotionen der Wut und Angst verbunden sind. So mussten die Teilnehmenden angeben, welche Farben sie mit der jeweiligen Emotion verbinden. Die Ergebnisse enthüllten zwei vorwiegende Emotions-Farb-Assoziationen: Wut wurde mehrheitlich mit der Farbe Rot in Verbindung gebracht, während Angst mit Weiss korrelierte. Diese Assoziationen schienen eine physiologische Grundlage zu haben, da Wut mit einem Anstieg des Blutflusses verbunden war, während Angst einen kontrastierenden Rückgang des Blutflusses zeigte (Ciolăneanu & Villalva, 2023). Experimente von Pravossoudovitch et al. (2014) unter Französ*innen, wobei entweder Wörter oder Symbole als Reize verwendet wurden, ergaben ebenfalls einen starken Zusammenhang zwischen Rot und Gefahr.

Weitere empirische Belege zeigen Unterschiede in der Farbverarbeitung innerhalb und zwischen den Kulturen. Die Forschung von Jameson (2005) zu Farbnamen und -kategorisierung spiegelt zwei gegensätzliche Ansichten wider: einen kulturellen Relativismus, der besagt, dass die Farbwahrnehmung von kulturspezifischen Sprachzuordnungen geprägt ist, und einen Universalismus, der die panmenschliche Farbverarbeitung als Grundlage für ähnliche Farbnamen in verschiedenen Kulturen betont. Die Autorin stellt eine alternative Perspektive vor, die sowohl allgemeine kognitive Regeln als auch soziokulturelle evolutionäre Prozesse berücksichtigt. Die kognitiven Dimensionen von Helligkeit und Sättigung werden zum Beispiel als universell prägend angesehen. Gleichzeitig benötigen die Sprecher*innen einer Sprache ein für sie brauchbares System zur Farbbenennung. Ein besseres Verständnis der Kultur und der individuellen Prozesse beim Farblexikon würde Beziehungen zwischen Kultur, Farbwahrnehmung, Sprache und Gehirnverarbeitung klären (Jameson, 2005).

Alles in allem bietet das Zusammenspiel zwischen Emotionen und Farben wertvolle Einblicke in unsere emotionalen Erfahrungen. Die Erforschung der Symbolik von Farben zeigt, dass sie eine ästhetische und auch eine tiefe kulturelle und emotionale Bedeutung tragen. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Interpretation von Farben verdeutlichen die Komplexität der menschlichen Wahrnehmung. Es bleibt spannend, weiter zu erforschen, wie etwa die globale Migration die Farbpräferenzen beeinflusst. Dieses unerforschte Terrain birgt das Potenzial, aufzuzeigen, wie individuelle Präferenzen in einer immer stärker globalisierten Ära geformt werden.

Zum Weiterlesen

  • Fox, J. (2022). The World According to Color: A Cultural History. St. Martin’s Press.

Referenzen