Die Bedeutung des Himmels für den Menschen
Der Mensch auf der Erde – unter dem Himmel

Der Himmel war für die Menschheit schon seit Anbeginn ihrer Zeit von grosser Bedeutung. Aber warum? Und welche Rolle spielt der Himmel für den Menschen aus psychologischer Sicht?
Von Amira Weiss
Lektoriert von Berit Barthelmes und Alina S. von Garrel
Illustriert von Melina Camin
Wann begann der Mensch erstmals zum Himmel emporzuschauen und glaubte, darin den Sitz Gottes und das ewige Paradies für verstorbene Seelen zu erkennen? Wann begann er in Sternansammlungen Sternzeichen zu finden und in entfernten Galaxien die Möglichkeit ausserirdischen Lebens zu erahnen? Mit anderen Worten: Wie nahm die Beziehung zwischen Mensch und Himmel ihren Anfang und welche Deutungen und Bedeutungen wurden dem Himmel im Laufe der Menschheitsgeschichte zugeschrieben?
Mensch und Himmel: Einst…
Als eines der ältesten Hinweise auf astronomische Aufzeichnungen durch den Menschen gelten die Höhlenmalereien in der Höhle von Lascaux in Frankreich (Jègues-Wokliewiez, 2000). Gemäss der Archäoastronomin Jègues-Wokliewiez sind die 17‘000 Jahre alten Tierzeichnungen am Tierkreis angelehnt und wurden bewusst so positioniert, dass bei der Sommersonnenwende die Strahlen der untergehenden Sonne die sogenannte «Halle der Stiere» bestrahlen. Dies lässt auf ein gutes Verständnis des Sternenhimmels bereits in der Altsteinzeit schliessen (Jègues-Wokliewiez, 2000). Eindeutigere Befunde gehen auf die Babylonier zurück (Hunger & Sachs, 1988). Sie entwickelten mathematische Verfahren, um die Bewegungen der Himmelskörper aufzuzeichnen, die so präzise waren, dass sie Planetenbewegungen vorhersagen und daraus unsere Stundenzählung sowie den babylonischen Kalender entwickeln konnten (Hunger & Sachs, 1988). Die Ägypter ihrerseits beobachteten unter anderem den Stern Sirius, um die Nilschwemme vorhersagen zu können, was für die Planung ihrer Saat und Ernte essenziell war (Cornell, 1983). Auch wurde der berühmte Stonehenge-Steinkreis in England ca. 2500 vor Christus astronomisch so exakt ausgerichtet, dass die Sonne bei Sommersonnenwenden genau über dem «Heel-Stein» aufgeht (Worthington, 2001).
Archäoastronomie
Archäoastronomie, auch Paläoastronomie oder Ethnoastronomie ist ein «interdisziplinäres Forschungsgebiet zur Ermittlung der himmelskundlichen Kenntnisse vor- und frühgeschichtlicher Kulturen» (Schlosser, 2017).
An diesen Beispielen wird die strukturgebende Funktion des Himmels ersichtlich. Aus den Bewegungen der Himmelskörper liessen sich Kalender- und Zeitberechnungen ableiten, Naturereignisse vorhersagen, und Saat- und Erntezeit festmachen. Die Himmelsrichtungen konnten für das Erstellen von Karten und für die Orientierung auf Reisen herangezogen werden. Alles wichtige Errungenschaften, um das Leben und Zusammenleben der Menschen zu strukturieren.
…und Heute
In den letzten Jahrhunderten haben uns enorme Fortschritte in der Astronomie und Astrophysik ganz neue Einsichten offenbart. Heute wissen wir dank technisch immer besser werdenden Teleskopen mehr und mehr über das Universum, in dem sich unser Planet Erde befindet. Es werden neue Hoffnungen auf Ausweichplaneten, neue Ressourcen aus dem All und auf die Möglichkeit ausserirdischen Lebens gesetzt. Man könnte fast so weit gehen zu sagen, es hat eine Entspiritualisierung des Himmels und eine Hinwendung zu den Naturwissenschaften stattgefunden. Trotzdem trägt der Himmel auch heute noch eine religiöse Konnotation.
«Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen Zeichen sein und zur Bestimmung von Festzeiten, von Tag und Jahren dienen; sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, die über die Erde hin leuchten. So geschah es» Das Buch Genesis, 1:14-1:15
Projektionsfläche der Religionen

Während in der englischen Sprache die Differenzierung zwischen Sky und Heaven gemacht wird, beinhaltet das Wort Himmel im Deutschen beide Bedeutungen (Lesch et al., 2016). Der physische Himmel und der Himmel als transzendentale Sphäre – im Gegensatz zur Hölle – stehen sich also schon aufgrund einer geteilten Bezeichnung sehr nahe. Die Verbindung ist aber nicht zufällig. Der Himmel stand für den Menschen – zumindest bis in jüngster Zeit – für einen unerreichbaren Ort, mit scheinbar unendlicher Weite. Der bestirnte Nachthimmel liess auf einen entfernten nicht irdischen, eben himmlischen Ort hoffen, während der Himmel bei sonnenerhelltem Tag, Wärme und Sicherheit zu versprechen schien. Der beständige Wechsel von Tag und Nacht, die Mondphasen und Regelmässigkeiten der Planetenbewegungen vermitteln eine gewisse Stabilität und Berechenbarkeit des Lebens (Lesch et al., 2016).
Das Himmelszelt lässt all diese Assoziationen und Projektionen nicht nur wunderbar zu, vielmehr werden sie von den Religionen genutzt und bestärkt (Lesch et al., 2016). Professor Dr. Bernd Oberdorf der Universität Augsburg schreibt in diesem Zusammenhang: «Die nüchterne Kosmologie von Genesis 1 [transportiert] nicht nur vorwissenschaftliches Weltwissen in narrativem Gewand. Sie hat vielmehr durchaus einen religiösen Sinn: Sie kommuniziert die Verlässlichkeit der Welt, sie soll Weltvertrauen generieren. Die Welt ist von Gott so gemacht, dass uns der sprichwörtliche Himmel nicht auf den Kopf fallen kann» (Oberdorf, 2016, S .21).
Abrahamitische Religionen
Die drei monotheistischen Religionen Islam, Judentum und Christentum. Alle drei gehen auf Abraham, Stammvater der Israeliten zurück (Nordheim, 2016).
Den Sitz Gottes und des ewigen Paradises oben zu verorten, erscheint zudem viel intuitiver als gegensätzlich unten (Lesch et al., 2016). Zu Überlegenem und Idolisiertem wird aufgeschaut – so auch zum Himmel und Gott, buchstäblich durch den Blick nach oben, etwa bei einem Stossgebet, wie auch metaphorisch. Wo sonst sollte Gott und das Himmelsparadies residieren als über uns im Himmel. In der Bibel ist ausserdem von der Himmelfahrt Christi die Rede. Jesus stieg buchstäblich und metaphorisch zum Himmel auf, was diese Verortung weiter konkretisiert (Lesch et al., 2016).

Durch diese Projektion von allem Seligen und Guten in den Himmel fiel und fällt es vielen religiösen Menschen leichter, das leidvolle Leben auf Erden zu ertragen (Start, 2009). Der Himmel wird dabei als Belohnung für die Bewältigung des harten Lebens auf Erden gesehen: Eine Quelle des Trosts und der Hoffnung auf etwas Besseres (Start, 2009).
Die spirituelle Ladung des Himmels in den abrahamitischen Religionen lässt sich vermutlich auf die Religionen der Antike zurückführen. Im alten Griechenland und im alten Ägypten war es üblich, die Gestirne durch Gottheiten zu personifizieren, da sie glaubten, im Sternenhimmel seien Botschaften ihrer Götter zu finden. In Griechenland war die Sonne beispielsweise durch den Sonnengott Helios verkörpert, der den Feuerball der Sonne mit seinem Streitwagen über den Himmel zog, während im ägyptischen Sonnenkult die oberste Gottheit der Sonnengott Ra war. Zudem haben die Römer die damals bekannten Planeten unseres Sonnensystems nach ihren Gottheiten benannt: Jupiter, Venus, Mars, Merkur und Saturn. Diese Namen sind geblieben (Start, 2009).
Horoskop – neuer Trend oder uralter Brauch?
Horoskope und Astrologie im Allgemeinen scheinen in jüngster Zeit wieder in Mode gekommen zu sein, haben aber schon immer eine gewisse Popularität genossen (Lilqvist & Lindeman, 1998). Insbesondere die digitale Präsenz der Astrologie scheint diese neue Welle des «Astrologie-Hypes» von den letzten Jahrzehnten abzuheben. In den sozialen Medien wimmelt es nur so von Horoskop-Seiten zu jedem erdenklichen Thema. In gewissen Jugendkreisen gilt es sogar als trendy, die eigenen positiven wie negativen Eigenschaften mit dem eigenen Sternzeichen zu begründen. Aber was macht Astrologie insgesamt so populär?
«Prior research has shown that astrology may help people deal with negative life events or cope in the age of uncertainty»
Madelyn Good (Delgado, 2021)
Um eine Antwort darauf zu finden, sollte zunächst der Astrologie-Begriff definiert werden: Die Astrologie postuliert eine Vorhersagekraft der astronomischen Ereignisse und Gestirnkonstellationen für irdische Vorgänge und wurde bereits in Jahrtausende alten Kulturen praktiziert (Beck, 2007). Und welcher Nutzen erbringt uns diese Vorhersagekraft? Gemäss Delgado (2021) kann Astrologie Menschen dabei helfen, mit Stress und Unsicherheit umzugehen und ein besseres Verständnis von sich selbst zu erlangen.
In einer Studie aus dem Jahr 2017 wurde gezeigt, dass Stress unter anderem aus einer Unsicherheit gegenüber zukünftigen Ereignissen entsteht (Peters et al., 2017). Genau dieser Unsicherheit und dem daraus resultierenden Stress können Horoskope, seien es Tages-, Monats- oder Geburtshoroskope, entgegenwirken (Peters et al., 2017).
Barnum-Effekt
Barnum-Aussagen sind vage und allgemein gehaltene Persönlichkeitsbeschreibungen, die eine hohe Basisrate in der Population aufweisen (Fichten & Sunerton, 1983). Eine Barnum-Beschreibung könnte wie folgt lauten: «Sie handeln oft entschlossen, sind aber auch häufig unsicher, wie Sie sich verhalten sollen.» Die Bereitschaft zu glauben, dass eine solche Barnum-Beschreibung auf einen selbst zutrifft, wird als Barnum-Effekt bezeichnet (Fichten & Sunerton, 1983).
Manche Individuen fühlen sich von Horoskopen angezogen, weil sie in der Formung des Selbstbildes zur Hilfe gezogen werden können (Delgado, 2021). Dies trifft insbesondere auf Menschen mit weniger stark ausgeprägter Selbsterkenntnis zu, so Madelyn Good (Delgado, 2021). Die erlangte Selbsterkenntnis könnte allerdings durch den Barnum-Effekt bedingt sein, der möglicherweise ebenfalls für die gesteigerte Bereitschaft, an astrologische Vorhersagen und Persönlichkeitszuschreibungen zu glauben, verantwortlich ist (Fichten & Sunerton, 1983).
Geozentrisches vs. Heliozentrisches Welt-(Selbst)-bild
Das geozentrische Weltbild gibt der Erde und damit dem Menschen eine zentrale Position im Universum (Szabó, 1992). Die Erde steht gemäss dieser Auffassung im Zentrum und wird von den anderen Himmelskörpern umkreist. Dieses Weltbild wurde beispielsweise im alten China, den islamischen Kulturen wie auch im alten Griechenland gelehrt. Die Annahme, der Mensch auf der Erde bilde den Nabel der Welt, hatte zweifellos eine Auswirkung auf das Selbstbild des Menschen. Diese Position impliziert, dass sich (wie deswegen gesagt wird) alles um den Menschen dreht. Es ist ein egozentrisches und selbstgefälliges Bild unserer Stellung im Universum. Dem entgegen setzte sich im 16. Jahrhundert dank Nikolaus Kopernikus das heliozentrische Weltbild durch (Kopernikus, 1543). Kopernikus postulierte, dass sich die Erde und die anderen Planeten auf eigenen Bahnen um die Sonne bewegen und sich die Erde zusätzlich um sich selbst dreht. Dieser Weltbildwechsel, von Sigmund Freud auch «kosmologische Kränkung» genannt, stellte das Selbstbild des Menschen auf den Kopf. Der Mensch steht nun nicht mehr im Zentrum des Sonnensystems, und dieses, wie später klar wurde, schon gar nicht im Zentrum des Universums. Eine durch den wissenschaftlichen Fortschritt hervorgebrachte Entthronung (Szabó, 1992). Da fehlt nicht mehr viel, um sich existenziell zu fragen, welche Bedeutung der Mensch im weiten Kosmos überhaupt noch hat. Eben dieser wissenschaftliche Fortschritt hat aber auch zur Folge, dass wir uns vielleicht darauf freuen können, dass Astronomen bald auf ausserirdische, intelligente Lebensformen stossen werden. Und vielleicht können wir uns dann mit ihnen gemeinsam diesen existenziellen Fragen stellen?
Zum Weiterlesen
Beck, R. (2007). A brief history of ancient astrology. Blackwell Publishing.
Lesch, H., Oberdorfer, B., Waldow, S., Bergengruen, M., Giacobazzi, C., Hafner, J. E., … & Zaun, H. (2016). Der Himmel als transkultureller ethischer Raum: Himmelskonstellationen im Spannungsfeld von Literatur und Wissen (Vol. 2). Vandenhoeck & Ruprecht.
Sugarman, H., Impey, C., Buxner, S., & Antonellis, J. (2011). Astrology beliefs among undergraduate students. Astronomy Education Review, 10(1).
Van Rooij, J. J. (1994). Introversion-extraversion: Astrology versus psychology. Personality and Individual Differences, 16(6), 985-988.
Literatur
Beck, R. (2007). A Brief History of Ancient Astrology. Blackwell Publishing.
Cornell J. (1983) Sternenaufgang über dem Nil. In Die ersten Astronomen. Birkhäuser.
Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. (2017). Deutsche Bibelgesellschaft.
Delgado, C. (2021). Why are People so Into Astrology Right Now? Discovermagazine. https://www.discovermagazine.com/mind/why-are-people-so-into-astrology-all-of-a-sudden
Fichten, C. S., & Sunerton, B. (1983). Popular horoscopes and the “Barnum Effect”. The Journal of Psychology, 114(1), 123–134.
Hunger, H., Sachs, A. (1988) Astronomical Diaries and Related Texts from Babylonia I: Diaries from 652 B.C. to 262 B.C. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Jeguès-Wolkiewiez, C. (2000). Lascaux, vision du ciel des Magdaléniens. In Proceedings XVIII Valcamonica Symposium: Arte rupestre e tribale: Conservazione e salvaguardia dei messaggi.
Copernicus, N. (1965). De revolutionibus orbium coelestium. Norimbergae, Apud J. Petreium, 1543. [Bruxelles, Culture et Civilisation, 1966].
Lesch, H., Oberdorfer, B., Waldow, S., Bergengruen, M., Giacobazzi, C., Hafner, J. E., … & Zaun, H. (2016). Der Himmel als transkultureller ethischer Raum: Himmelskonstellationen im Spannungsfeld von Literatur und Wissen (Vol. 2). Vandenhoeck & Ruprecht.
Lillqvist, Outi, and Marjaana Lindeman (1998). Belief in Astrology as a Strategy for Self-Verification and Coping with Negative Life-Events. European Psychologist 3(3), 202–8.
Nordheim, E. (2016). »Abrahamitische Religionen«? Monotheismus und Trinität im Dialog von Judentum, Christentum und Islam. Aschkenas, 26(1), 5–15. https://doi.org/10.1515/asch-2016-0002
Peters, A., McEwen, B. S., & Friston, K. (2017). Uncertainty and stress: Why it causes diseases and how it is mastered by the brain. Progress in neurobiology, 156, 164–188.
Szabó, Á. (1992). Das geozentrische Weltbild: Astronomie, Geographie, und Mathematik der Griechen. Deutscher Taschenbuch Verlag.
Schlosser, W. (2017, 12. Oktober). Archäoastronomie. Eine Einführung.
https://www.archaeologie-online.de/artikel/2007/thema-archaeoastronomie/einfuehrung/
Start, L. J. (2009). The Hope of Heaven. https://cache.kzoo.edu/bitstream/handle/10920/9010/TheHopeOfHeaven.pdf?sequence=1
Worthington, A. (2001). A brief history of the Summer solstice at Stonehenge. Third Stone. http://www. thirdstone. demon. co. uk/download/stnhenge_42. Pdf