Ab durch die Decke
Kryptowährungen und der «Bullenmarkt» – wie ein für viele noch neuartiges Finanzsystem Menschen anzieht und welche psychischen Risiken damit einhergehen.

Für viele sind Kryptowährungen ein unbeschriebenes Blatt. Man liest und hört von Bitcoin, von Elon Musk und einem Hund, dass der Markt wieder einmal «bullish» sei – hat aber an sich überhaupt keinen Schimmer, was damit gemeint ist. Was motiviert Menschen dazu, in einen volatilen Markt zu investieren?
Von Berit Barthelmes
Lektoriert von Marina Reist und Ladina Hummel
Illustriert von cryptochefs.io
Hast du schon in Krypto investiert? Nein? Dann geht es dir wahrscheinlich wie den meisten. Kryptowährungen sind zwar spätestens seit dem Boom von Bitcoin(Bustillos, 2013) aus der Finanzwelt nicht mehr wegzudenken, sind bis jetzt aber mehr oder minder nur einer grossen (nerdigen) Expertinnen- und Experten-Community vorbehalten. Diesen Eindruck hat man zumindest, wenn man sich Nachrichten bzgl. des Auf- und Abschwungs von Bitcoin, Etherium, Cardano und Co. anschaut. Das Programm Word kennt bspw. nur das Wort Bitcoin – die restlichen Krypto-Währungen werden rot unterstrichen, obwohl es sich dabei um einige der spannendsten und erfolgreichsten Kryptowährungsprojekte überhaupt handelt (Corbet, 2019). Ein Thema im Halbschatten also. Viele scheuen sich aufgrund der technischen Komplexität von Kryptowährungen davor, sich überhaupt mit dem Thema zu beschäftigen. Warum sich ein Blick hinter die Kulissen lohnt, liest du hier.
«Da wir nun alle dank Bitcoin reich sind … sollten wir etwas von diesem unverdienten Reichtum für einen guten Zweck einsetzen.»
Hal Finney, zweiter Angestellter und Softwareentwickler bei PGP Cooperation
Wertewandel

Bereits zu Zeiten der Römer wurde Wert mittels Tauschhandel transferiert (Franz, 2021). Man tauschte Getreide gegen Milch, Gemüse gegen Brot und auch der Handel mit Rohstoffen boomte. Später tauschte man Waren gegen Gold, bis schliesslich die ersten papiernen Währungen aufkamen und mit Papiergeld eingekauft wurde (Weikard, 2021).Betrachtet man diese Entwicklung, so ist es dank fortschreitender Digitalisierung ein logischer nächster Schritt, dass nicht nur Bücher und Musik, sondern auch unser Geld vermehrt digitalisiert wird. Teilweise sehen wir unser Geld heute nur noch online in Form von Zahlen auf einem Display und können diesen Wert digital nutzen, um bspw. online einzukaufen.
«Wir brauchen Bankgeschäfte, aber keine Banken mehr.»
Bill Gates, Gründer Microsoft, 1994
Kuh, Gold oder Bitcoin
Menschen haben schon immer Wert gegen Wert getauscht. Kryptowährungen wie der Bitcoin (die erste und am Markt stärkste Krypto-Währung) ermöglichen es, unkompliziert, innerhalb kürzester Zeit und ohne Bank, Dinge zu kaufen und zu verkaufen. Interkontinentale Transaktionen mit vergleichsweise wenig Gebühren sind dadurch möglich.
Kryptowährungen gehen noch einen Schritt weiter. Mithilfe von kryptographischen Mechanismen ermöglichen sie, Wert zu transferieren, ohne eine zentrale Instanz, wie z. B. eine Bank, einschalten zu müssen (Chan, 2017; Härdle, 2020). Möchte ich Wert vom einen ans andere Ende der Welt transferieren? Kein Problem. Soll die Transaktion innerhalb von maximal zehn Minuten erledigt sein? Nichts leichter als das. Möchte ich dabei nur minimale Gebühren bezahlen? Kryptowährungen machen es möglich (Graber, 2020).
«Ihre Kinder werden nicht wissen, was Bargeld ist.»
Tim Cook, Apple Geschäftsführer/CEO, 12.11.2015
Der «Bullenmarkt»
Bulle und Bär sind seit jeher die Zeichen für Aufschwung und Abschwung an den traditionellen Börsen (Redaktion Wiener Börse, 2021).Ein Bullenmarkt ist demnach einfach gesagt ein zeitlicher Abschnitt im Markt, während dem dieser eine Aufwärtsbewegung im Kurs verzeichnet. Eine typische Reaktion auf einen Bullenmarkt ist Euphorie und Gier auf Seiten der Investorinnen und Investoren, die sich immer höher steigende Kurse versprechen. Die Angst, einen immensen Kursanstieg zu verpassen (FOMO, «fear of missing out»), spielt dabei auch eine große Rolle (Przybylski, 2013). Wichtig ist, dass der Begriff Bullenmarkt einen Trend beschreibt und dass dieser Trend manchmal erst aus rückblickender zeitlicher Perspektive sichtbar wird. So kann es z. B. sein, dass die Kurse nach fünf erfolgreichen Monaten drei Monate lang nur fallen, es aber nach diesen drei Monaten wieder nach oben zu neuen Allzeithochs geht. In einem solchen Fall würde man trotz dreimonatiger Abwärtsbewegung im Grossen und Ganzen von einem Bullenmarkt sprechen. Investorinnen und Investoren, die sich viel von einer gewissen Investition versprechen, nennt man in diesem Zusammenhang auch «bullish» (Clarke, 1998).
Anonymes Geld

Grund für Investments in Kryptowährungen ist häufig die Gier nach schnellem Geld. Meist wird vergessen, dass Menschen, die viel Geld mit bspw. Bitcoin verdient haben, schon länger am Marktgeschehen teilnehmen (Kelliher, 2000). Diese Langzeitinvestor*innen verkaufen dann, wenn neue Kleininvestor*innen an den Markt kommen und sich riesige Gewinne in möglichst kurzer Zeit erhoffen. Die wenigsten der neuen und unerfahreneren Investor*innen investieren also, weil sie auf lange Sicht am Markt teilnehmen möchten. Genau darin liegt eine Gefahr der Kryptowährungen (Bradbury, 2013). Es gibt eine schier unendliche Anzahl an YouTube-Videos, die einem eine goldene Nase versprechen, Blogs und Influencer*innen, die selbst scheinbar viel Geld mit Kryptowährungen verdient haben (in kurzer Zeit, versteht sich) und nun weitere Personen in das Geschäft hineinziehen. Zwar bieten Kryptowährungen die Vorteile, schnell abwickelbar, dezentral und leicht zugänglich zu sein, jedoch handelt es sich weiterhin um einen volatilen (unsicheren) Markt, der sehr hype-abhängig (also abhängig von Trends) ist – was wiederum zu einer hohen Beeinflussbarkeit führen kann. Dieser Umstand birgt die Gefahr, dass man sich bei der Investition des eigenen Geldes auf einen von Elon Musk «zum Spass» ins Leben gerufenen Hunde-Coin, den Shiba Inu Coin verlässt und investiert, bis dieser Coin gar nichts mehr wert ist und man sein Geld verloren hat (Redaktion IT-Times, 2021).
Was brauche ich, um loszulegen?
Eigentlich nur ein Portfolio deines Vertrauens. Ein Portfolio ist eine virtuelle Brieftasche, in der du deine Coins ablegen und die Übersicht über den aktuellen Kurs behalten kannst. Um Coins zu kaufen, musst du auf einer Handelsplattform (z. B. Coinbase) Coins erwerben. Dort kannst du sie auch wieder verkaufen. Beide Schritte (das Erstellen eines Portfolios, z. B. mit Hilfe der App Exodus oder in der Coinbase App und das Kaufen von Coins auf einer Handelsplattform) sind notwendige Voraussetzung.
Es erstaunt also nicht, dass der Handel mit Kryptowährungen süchtig machen kann. Die Nachfrage nach Therapien im Bereich der Spielsucht ist hoch (Brodbeck, 2007). Bspw. die Castle-Craig-Klinik in der Nähe von Edinburgh in Schottland fokussiert sich auf die Therapie von Spielsucht und verzeichnet immer mehr «Kryptoabhängige» (Adler, 2021).
Auf was sollte ich achten?
Dem Erwerb von Kryptowährungen und Aktien liegen zwar unterschiedliche Mechanismen und Philosophien zugrunde, jedoch kann man sich zum Einstieg einiges anhand des Vergleichs dieser beiden Investitionsmöglichkeiten erschliessen. Bei beiden Investitionsentscheidungen gibt es mehrere Dinge vorab zu klären: Wie viel Geld möchtest du investieren? Möchtest du es im Ganzen oder peu à peu investieren? Wie steht der Markt gerade? Kaufst du zu einem teuren Zeitpunkt, solltest du vielleicht noch etwas warten? Ausserdem gibt es auch bei Kryptowährungen Unterschiede hinsichtlich des Risikos, das mit der Investition in einen Coin einhergeht. Gäbe es einen Vergleich Gold – Kryptowährung, würde man wahrscheinlich auf Bitcoin abstellen, da dieser vergleichsweise stabil ist und sich «bewiesen» hat, wie die Community sagen würde. Es lohnt sich, sich intensiv mit den verschiedenen Währungen und dem Markt zu beschäftigen (siehe «Zum Weiterlesen»), bevor man «blind» investiert (Redaktion CoinMarketCap, 2022; Redaktion FAZ, 2022; Imöhl, 2022; Redaktion WiWo, 2022).
Zum Weiterlesen
Bustillos, M. (2013, 01. April). The Bitcoin Boom. The New Yorker. https://www.newyorker.com/tech/annals-of-technology/the-bitcoin-boom
Corbet, S., Lucey, B., Urquhart, A., & Yarovaya, L. (2019). Cryptocurrencies as a financial asset: A systematic analysis. International Review of Financial Analysis, 62, 182-199. https://doi.org/10.1016/j.irfa.2018.09.003
Härdle, W. K., Harvey, C. R., & Reule, R. C. G. (2020). Understanding cryptocurrencies. Journal of Financial Econometrics, 18(2), 181-208. https://doi.org/10.1093/jjfinec/nbz033
Graber, F. (2022, 21. Januar). Boom der Kryptowährungen: Quo vadis, Bargeld? Falstaff. https://www.falstaff.de/nd/boom-der-kryptowaehrungen-quo-vadis-bargeld/
Literatur
Adler, T. (2021, 10. November). Klinik gegen Bitcoin-Sucht: Immer mehr Krypto-Abhängige lassen sich einweisen. Finanzen.net. https://www.finanzen.net/nachricht/geld-karriere-lifestyle/kryptosucht-klinik-gegen-bitcoin-sucht-immer-mehr-krypto-abhaengige-lassen-sich-einweisen-10605881
Bradbury, D. (2013). The problem with Bitcoin. Computer Fraud & Security, 2013(11), 5-8. https://doi.org/10.1016/S1361-3723(13)70101-5
Brodbeck, J., Dürrenberger, S., & Znoj, H. (2007). Grundlagenstudie Spielsucht: Prävalenzen, Nutzung der Glücksspielangebote und deren Einfluss auf die Diagnose des Pathologischen Spielens. Universität Bern, Schlussbericht August.
Bustillos, M. (2013, 01. April). The Bitcoin Boom. The New Yorker. https://www.newyorker.com/tech/annals-of-technology/the-bitcoin-boom
Chan, S., Chu, J., Nadarajah, S., & Osterrieder, J. (2017). A statistical analysis of cryptocurrencies. Journal of Risk and Financial Management, 10(2), 12. https://doi.org/10.3390/jrfm10020012
Clarke, R. G., & Statman, M. (1998). Bullish or bearish? Financial Analysts Journal, 54(3), 63-72. https://doi.org/10.2469/faj.v54.n3.2182
Escobari, D., & Jafarinejad, M. (2019). Investors’ uncertainty and stock market risk. Journal of Behavioral Finance, 20(3), 304-315. https://doi.org/10.1080/15427560.2018.1506787
Franz, A. (2021, 02. Juli). Handel im römischen Reich: Wie Archäologen antike Seewege erkunden. Süddeutsche Zeitung. https://www.sueddeutsche.de/wissen/roemer-schiffe-seewege-handel-maerkte-rom-antike-1.5339087
Graber, F. (2022, 21. Januar). Boom der Kryptowährungen: Quo vadis, Bargeld? Falstaff. https://www.falstaff.de/nd/boom-der-kryptowaehrungen-quo-vadis-bargeld/
Grable, J. E., & Roszkowski, M. J. (2008). The influence of mood on the willingness to take financial risks. Journal of Risk Research, 11(7), 905-923. https://doi.org/10.1080/13669870802090390
IT-Times Redaktion. (2021). Shiba Inu Coin: Was hinter der Kryptowährung steckt. https://www.it-times.de/news/shiba-inu-coin-was-hinter-der-kryptowaehrung-steckt-142672/
Imöhl, S., Ivanov, A., Buske, N. (2022, 31. Januar). Die zehn größten Kryptowährungen 2022 nach Marktkapitalisierung. Handelsblatt. https://www.handelsblatt.com/finanzen/anlagestrategie/trends/bitcoin-ether-und-co-die-zehn-groessten-kryptowaehrungen-2022-nach-marktkapitalisierung/27416084.html?ticket=ST-3006289-mL0fpGSCeaCa9jLkfeL9-ap6
Kelliher, C. F., & Mahoney, L. S. (2000). Using monte carlo simulation to improve long-term investment decisions. The Appraisal Journal, 68(1), 44-56. http://proxy.library.tamu.edu/login?url=https://www.proquest.com/scholarly-journals/using-monte-carlo-simulation-improve-long-term/docview/199961549/se-2?accountid=7082
Klemm, T. (2017, 05. Januar). Bezahlen mit Potential: Die schöne Welt des digitalen Banking. FAZ. https://www.faz.net/aktuell/finanzen/digital-bezahlen/bezahlen-mit-potential-die-schoene-welt-des-digitalen-banking-14599644.html
Przybylski, A. K., Murayama, K., DeHaan, C. R., & Gladwell, V. (2013). Motivational, emotional, and behavioral correlates of fear of missing out. Computers in Human Behavior, 29(4), 1841-1848. https://doi.org/10.1016/j.chb.2013.02.014
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Redaktion Wiener Börse(2021). Bullen und Bären: Wiener Börse. Wiener Börse. https://www.wienerborse.at/wissen/einstiegsinformationen/boersen-und-maerkte/bullen-und-baeren/
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Van Genabith, R. (2015, 13. November). Tim Cook zu Studenten: Ihre Kinder werden nicht wissen, was Bargeld ist.Apfellike. https://www.apfellike.com/2015/11/tim-cook-zu-studenten-ihre-kinder-werden-nicht-wissen-was-bargeld-ist/
Weikard, A. (2021, 16. September). Die Geschichte des Geldes: Bis zu den Bitcoins war es langer Weg. FOCUS Online. https://www.focus.de/wissen/mensch/geschichte/entstofflichung-des-geldes-von-bernstein-zu-bitcoin_id_24204565.html
White, L. (2015). The market for cryptocurrencies. Cato Journal, 35(2),383-402.