Wie bringe ich meine Stimmung nach oben?
Der Einfluss des Dopaminsystems auf unser Befinden

Am liebsten würden wir uns ständig glücklich fühlen, obwohl wir kaum eine Person getroffen haben, bei der dies tatsächlich zutrifft. Trotzdem kennzeichnet uns das Streben nach konstantem Glück als Menschen. Zur Erklärung unserer Glücksfluktuationen wird hier die Theorie der «Pain-Pleasure-Scale» vorgestellt.
Von Engji Blickensdorfer
Lektoriert von Julia Küher und Anja Blaser
Illustriert von Janice Lienhard und Darius Hell
Jede Person weiss, wie es sich anfühlt, einen guten Tag zu haben. Manchmal beginnt es schon am Morgen im Bett, wenn sich das Aufstehen nicht mühsam, sondern erholsam und süss anfühlt. Beim Frühstücken schmeckt das Croissant besonders knusprig und ein Cappuccino dazu rundet die Geschmackspalette ab. Alles läuft rund. Der Sport macht Spass, die To-Do’s erledigen sich wie von selbst und am liebsten würde man jede Person anlächeln, die einem begegnet, weil man sich so gut fühlt. Wie schön wäre es, wenn jeder Moment unseres Lebens so aussehen würde? Bloss aber, dass wir als menschliche Wesen geboren wurden. In dieser komplexen Körperhülle existierend, sind wir mit Mechanismen ausgestattet, die ständig nach Balance suchen, so auch bei unserer Stimmung (Billman, 2020).
Streben nach Glück
Intuitiv ist es uns schon bewusst, dass wir uns nicht durchgehend glücklich und «high» fühlen können. Aber warum ist das so? Oftmals habe ich mich selbst gefragt: «Wieso geht es mir oft schlecht nach einem Tag mit sehr vielen Glücksmomenten? Warum habe ich mich innerlich leer gefühlt, unmittelbar nachdem ich mit der allerletzten Prüfung meines Bachelors in Psychologie fertig war? Warum fährt meine Laune nach unten, nachdem ich einen tollen Nachmittag mit meinen Freunden verbracht habe?» Dieses Jahr bekam ich unerwarteterweise eine Antwort auf diese Fragen, und zwar von einer Professorin von der Stanford University. Prof. Dr. Lembke untersucht seit mehreren Jahrzehnten das Thema «Sucht» und stellte im Rahmen ihrer Recherchen die Theorie der «Pain-Pleasure-Scale» auf (Lembke, 2021). Diese Theorie ist in der Lage, viele Phänomene zu erklären, darunter auch, warum es Personen nicht die ganze Zeit über gut gehen kann und wie es geschafft werden kann, die eigene Stimmung zu verbessern (Lembke, 2021). Die «Pain-Pleasure-Scale»bezieht sich hauptsächlich auf den Neurotransmitter Dopamin und deckt dessen Rolle im alltäglichen Verhalten auf (Lembke, 2021).
Dopamin in Kürze

Dopamin ist ein Molekül bzw. ein Neurotransmitter, welches mit dem Erleben von Freude bzw. Lust korreliert (Jäncke, 2017). Noch dazu korreliert Dopamin mit Hochstimmung, Motivation und Zielstrebigkeit (Huberman, 2021). Lange waren Wissenschaftler*innen der Meinung, dass Dopamin als Reaktion auf für uns angenehme Stimuli ausgeschüttet wird. Jedoch wurde entdeckt, dass die Dopaminausschüttung eigentlich nicht die Konsequenz des angenehmen Stimulus an sich ist, sondern eine Reaktion darauf, dass der Stimulus antizipiert bzw. begehrt wird (Lieberman & Long, 2018). Wenn eine Person beispielsweise Eiscreme mag, wird Dopamin nicht wegen der Eiscreme an sich ausgeschüttet, sondern weil sie die Eiscreme haben möchte. Immer, wenn Ziele verfolgt werden, wird Dopamin ausgeschüttet (Huberman, 2021). Jede Person hat eine andere Dopaminbaseline und es wird vermutet, dass dies auf unterschiedliche Umwelt- und Genetikfaktoren zurückzuführen ist (Huberman, 2021). Dopamin ist mit vielen menschlichen Zuständen assoziiert. Beispielsweise wird das Burnout-Syndrom mit einem Dopaminmangel in Verbindung gebracht (Tops et al., 2007). Eine starke Dopaminausschüttung ist ebenfalls zuständig für die ausgeprägte Hochstimmung in der ersten Phase einer Liebesbeziehung (Lieberman & Long, 2018). Das Gefühl der Verliebtheit zum Partner dauert laut Anthropologin Helen Fischer 12 bis 18 Monate, weil die neue Beziehung in dieser Zeit neue Möglichkeit antizipieren lässt (Fisher, 2004). Dementsprechend wird sehr viel Dopamin ausgeschüttet, was für ein gutes Gefühl sorgt (Fischer, 2004). Des Weiteren ist eine Dopamindysfunktion bzw. Unterfunktion mit Symptomen von Aufmerksamkeitsstörungen assoziiert (Dawei et al., 2006).
«Pain-Pleasure-Skala»
Nach der obigen Ausführung, was Dopamin ist, lässt sich nun die Einbettung in die «Pain-Pleasure-Scale» besser verstehen. Prof. Lembke (2021) schreibt in ihrem Buch Dopamine nation, dass beim Streben nach oder beim Erleben von etwas, das für uns angenehm ist, ein bestimmtes Mass an Dopamin ausgeschüttet wird. Es wird ein Peak an Dopamin erlebt und sich gut gefühlt. Damit die Balance wiederhergestellt wird, bewegt sich die «Skala» unmittelbar nach dem Peak in die Gegenrichtung, was als «Schmerz» empfunden wird (Lembke, 2021). Dieser Schmerz ist jedoch nicht als ein echter physiologischer Schmerz zu verstehen, sondern als ein unangenehmes Gefühl, was infolge des jetzigen Mangels bzw. der Senkung an Dopamin entsteht. Am Beispiel der Eiscreme wird der «Schmerz» als ein Craving nach mehr Eiscreme sichtbar, wenn die Eiscreme aufgegessen ist. Wenn wir etwas Aufregendes erleben, macht es dieser Theorie nach Sinn, dass Schmerz in Form von Langeweile sichtbar wird. Die Anwesenheit einer schlechteren Stimmung infolge einer früheren guten Stimmung erscheint im Lichte dieser Theorie ebenfalls logisch. Dieses Phänomen ist nach Prof. Lembke ein normales alltägliches Phänomen, welches unser Sterben nach Balance widerspiegelt. Es beginnt uns dann sehr schlecht zu gehen, wenn wir die «Pain-Pleasure-Skala» zu sehr an das eine Extrem bringen, und zwar, wenn unser Hirn zu viel Dopamin ausschüttet (Lembke, 2021). Dies ist unter anderen in zwei Situationen der Fall: Beim Drogenkonsum und bei einer konstanten Anhäufung mehrerer dopaminausschüttenden Stimuli (Huberman, 2021).
«Pleasure and pain are processed in the same parts of the brain, and the brain tries hard to keep them in balance.»
Lembke, 2021, S. 1
Drogenkonsum
Bei den meisten Menschen gibt es eher selten Anlässe für eine sehr grosse Dopaminausschüttung, ausser beim Konsum von Drogen (Huberman, 2021). Prof. Huberman erklärt, dass beim Konsum von Drogen (z. B. Kokain) eine grosse Menge an Dopamin ausgeschüttet wird, was normalerweise mit viel «Pleasure» gleichzusetzen ist. Gemäss der Theorie wird nach jeder Dopaminausschüttung das gleiche Ausmass an Schmerz unmittelbar danach ausgelöst. Bei Drogenkonsument*innen wird der Abfall des Dopamins viel intensiver sein, und zwar im Verhältnis zum vorherigen Anstieg. Weil der «Schmerz» bzw. der Mangel an Dopamin für sie äusserst unangenehm und kaum aushaltbar ist, nehmen diese Personen mit grosser Wahrscheinlichkeit immer mehr Drogen zu sich, damit noch mehr Dopamin freigesetzt wird. Dieser Vorgang läuft unbewusst ab. Laut Prof. Huberman ist das Düstere an Drogen aber, dass sie eine graduelle Senkung der normalen Dopaminbaseline bewirken, sodass die Betroffenen insgesamt weniger «Pleasure» erleben (auch von anderen Stimuli) und sie durch das erfolglose Versuchen, den Dopaminspiegel wieder hochzubringen, die verfügbaren Dopaminvesikel in den Präsynapsen weiter erschöpfen (Huberman, 2021). Im Grunde genommen geht es ihnen schlecht, weil sie so fest versuchen, sich wieder gut zu fühlen.
Fehldiagnose ADHS
In seiner Vorlesung zu «Dopamin und Süchten» stellt Prof. Huberman (2021) das Beispiel eines Bekannten vor, bei welchem mit 14 Jahren eine ADHS-Diagnose vermutet worden sei. Er sei süchtig nach Videospielen und den sozialen Medien gewesen, weshalb er sich zusammen mit seinen Eltern dazu entschlossen habe, eine 30-tägige Handypause sowie eine Abstinenz von den sozialen Medien und Videospielen zu machen. Bis zum 14. Tag sei ihm dies äusserst schwergefallen, weil er seine vorhandenen Dopaminvesikel komplett erschöpft habe. Erst ab dem 14. Tag hätten sich neue Dopaminvesikel zu bilden begonnen, was dazu geführt habe, dass er sich graduell besser gefühlt habe. Am Ende habe der Junge keine ADHS-Symptome mehr gezeigt (Huberman, 2021).
Leistungsgesellschaft
Bei einer Anhäufung dopaminausschüttender Aktivitäten sind gesunde Menschen ebenfalls gefährdet, einen graduellen und sehr subtilen Abfall der Dopaminbaseline zu erleben (Huberman, 2021). In einer Leistungsgesellschaft ist dies oftmals der Fall, besonders wenn Druck verspürt wird, konstant leisten zu müssen, ohne gut abschalten zu können (Kuchel & Kuchel, 1991). Wie oft passiert es uns im Alltag, dass wir unsere Aufmerksamkeit sehr vielen Beschäftigungen zeitgleich widmen? Heute musste ich beispielsweise zwei Vorlesungen anschauen, diese zusammenfassen, emotional anspruchsvolle Sitzungen mit meinen Proband*innen im Praktikum durchführen, in Whatsappchats zurückschreiben, Einkaufen gehen, Zeit mit Freunden verbringen, etc. Menschen sind ständig von sehr vielen Stimuli umgeben, die die Aufmerksamkeit bzw. Dopamin beanspruchen, sodass es nicht überraschend ist, dass die Dopaminbaseline unmerklich ständig sinkt (Huberman, 2021).
Ich erinnere mich noch explizit an eine Vorlesung zu «Exekutiven Funktionen» von Prof. Dr. Lutz Jäncke im Jahre 2020, in welcher er uns auf Folgendes hinwies: «Wenn das Hirn sich daran gewöhnt hat, in einer gewissen Zeiteinheit mit Informationen bombardiert zu werden und es gleichzeitig nicht gelernt hat, diesen Reizen entgegenzuwirken bzw. sie gut zu verarbeiten, gibt es die Kontrolle gegenüber all den Reizen auf. Somit wird das Hirn von den Reizen getrieben und wird schliesslich zu deren Sklave». Ich nahm damals diese Informationen irgendwo im Gedächtnis auf, jedoch verstand ich deren Bedeutung erst im Jahr 2021, als ich mehrmals das Gefühl hatte, dass ich von meinem Alltag überwältigt werde und mich ausgebrannt fühlte. Als ich mein Verhalten im Rahmen der «Pain-Pleasure-Scale» zu analysieren begann, realisierte ich schnell, dass sich mehrere anspruchsvolle Aktivitäten zusammengehäuft hatten, was dazu führte, dass ich mein Dopaminsystem stark beanspruchte und der Dopaminabfall dementsprechend grösser war. Dies kann so weit gehen, dass es sich am Ende so anfühlt, als könnte kaum noch Freude an irgendetwas empfunden werden, was dem Zustand einer süchtigen Person ähnelt (Huberman, 2021).
«When we do something we enjoy—like playing videogames—the brain releases a little bit of dopamine and we feel good. But one of the most important discoveries in the field of neuroscience in the past 75 years is that pleasure and pain are processed in the same parts of the brain and that the brain tries hard to keep them in balance.»
Lembke, 2021, S. 1
Wie bringe ich meine Stimmung wieder hoch?
Wie können wir aber tatsächlich unsere Stimmung verbessern und dafür sorgen, dass es uns wieder gut geht? Gemäss der Theorie von «Pain-Pleasure» geht es nicht darum, etwas aktiv zu machen, um die Stimmung zu verbessern (Huberman, 2021). Dies würde vielmehr dazu führen, dass die Dopaminbaseline noch weiter sinkt. Erst wenn der Dopaminmangelzustand bewusst wird und dieser trotz des Schmerzes, Cravings und der Langeweile akzeptiert wird, wird verstanden, dass der Schmerz ein vorübergehender Zustand ist (Huberman, 2021). Mit dem Wissen, dass der Schmerz, wie auch immer er sich manifestieren mag (z. B. als Craving, Langeweile, schlechtere Stimmung) nur vorübergehend ist, kann sich selbst nach einer Woche mit anspruchsvollen Erlebnissen einen Tag geben werden, in dem bewusst nichts gemacht wird. Somit kann das Hirn neue Dopaminvesikel bilden und die Dopaminbaseline langsam erhöht werden, damit später wieder mehr Freude empfunden werden kann (Huberman, 2021).
Dank der Interpretation meiner Stimmung als Abhängige von Dopamin, bin ich noch bewusster darin geworden, wie ich meine Woche plane und wie ich meine Erlebnisse verteile. Es gelingt mir jetzt besser, anspruchsvolle Aktivitäten an unterschiedlichen Tagen zu verteilen, sofern das möglich ist. Wenn das nicht geht, nehme ich mir mindestens einen halben Tag zur Erholung, an dem ich nichts mache. Wenn ich mit den Wellen meiner Stimmung fliesse, statt sie zu meiner «perfekten» Vorstellung hinzubewegen, hat sie vielmehr die Tendenz, sich automatisch nach oben zu bewegen und auch dort länger zu verweilen.
Zum Weiterlesen
Lembke, A. (2021). Dopamine nation: Finding balance in the age of indulgence. Dutton.
Literatur
Billman, G. E. (2020). Homeostasis: The underappreciated and far too often ignored central organizing principle of physiology. Frontiers in Physiology, 11(200). https://doi.org/10.3389/fphys.2020.00200
Fischer, H. (2004). Why we love: The nature and chemistry of romantic love. Macmillan.
Huberman, A. (2021). Controlling Your Dopamine For Motivation, Focus & Satisfaction. (Abgerufen am: 10.01.2022). [Video]. https://www.youtube.com/watch?v=QmOF0crdyRU
Jäncke, L. (2017). Lehrbuch Kognitive Neurowissenschaften (2. Aufl.). Hogrefe AG.
Kuchel, O. G., & Kuchel, G. A. (1991). Peripheral dopamine in pathophysiology of hypertension. Interaction with aging and lifestyle. Hypertension, 18(6), 709–721. https://doi.org/10.1161/01.hyp.18.6.709
Lembke, A. (2021). Dopamine nation: Finding balance in the age of indulgence. Dutton.
Lembke, A. (2021). Digital addictions are drowning us in dopamine. The Wall Street Journal.
Li, D., Sham, P. C., Owen, M. J. & He, L. (2006). Meta-analysis shows significant association between dopamine system genes and attention deficit hyperactivity disorder (ADHD). Human Molecular Genetics, 15(14), 2276–2284. https://doi.org/10.1093/hmg/ddl152
Lieberman, D. Z. & Long, M. E. (2018). The molecule of more. Benbella Books Inc.
Tops, M., Boksem, M. A. S., Wijers, A. A., van Duinen, H., Den Boer, J. A., Meijman, T. F., & Korf, J. (2007). The psychobiology of burnout: Are there two different syndromes? Neuropsychobiology, 55. 143–150. https://doi.org/10.1159/000106056