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Spannung beim neuen Anordnungsmodell

Was wird künftig eine Stunde Psychotherapie kosten?

Vor zwei Jahren wurde im aware der Entwurf des Anordnungsmodells zur Regelung der psychologischen Psychotherapie vorgestellt. Nach einer umfassenden Vernehmlassung, gekennzeichnet von erheblichem Widerstand einzelner Psychiatrieverbände, beschloss der Bundesrat die Einführung per Juli 2022.

Von André Widmer, Präsident ZüPP, Kantonalverband der Zürcher Psychologinnen und Psychologen
Illustriert von Timo F. Schmid

Darauf haben psychologische Psychotherapeut*innen in der Schweiz lange warten müssen: Der Bundesrat hat im März dieses Jahres entschieden, das Anordnungsmodell für die psychologische Psychotherapie per 1. Juli 2022 einzuführen – ein Meilenstein für die psychologische Psychotherapie in der Schweiz. Neu können psychologische Psychotherapeut*innen ab Mitte nächsten Jahres ihre Leistungen, sofern sie ärztlich angeordnet sind, selbstständig über die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) bzw. die Grundversicherung der Krankenkassen abrechnen.

«Die Einführung des Anordnungsmodells ist ein Meilenstein für die psychologische Psychotherapie in der Schweiz!»

Widmer, 2021

Vom Delegations- zum Anordnungsmodell

Das seit 40 Jahren geltende Delegationsmodell, bekannt unter der Bezeichnung «delegierte Psychotherapie», welches psychologischen Psychotherapeut*innen nicht als selbstständige Leistungserbringer der Grundversicherung anerkannte, wird durch das neue Anordnungsmodell ersetzt. Bei der bisherigen delegierten Psychotherapie mussten psychologische Psychotherapeut*innen bei einem zur Anstellung von psychologischen Psychotherapeut*innen berechtigten Arzt, einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Institution oder Spital angestellt sein. Die Therapiekosten, welche in diesem Fall von der Grundversicherung bezahlt wurden (etwas mehr als 130 Franken pro Stunde, im Gegensatz zu etwas mehr als 180 Franken für eine Therapiestunde bei einem Psychiater), konnten nur vom delegierenden Arzt in Rechnung gestellt werden. Psycholog*innen mit dem eidgenössischen Weiterbildungstitel Psychotherapie durften zwar mit einer kantonalen Praxis- oder Berufsausübungsbewilligung auch selbstständig psychotherapeutisch tätig sein, deren Patient*innen mussten aber die Kosten selbst bezahlen, beziehungsweise wurden sie in beschränktem Umfang von einer Zusatzversicherung der Krankenkassen übernommen.

Die Grundversicherung der Krankenkassen wird die Leistungen der bisherigen delegierten Psychotherapie nur noch bis Ende nächsten Jahres zur Abrechnung zulassen. Was der neue Tarif für eine Stunde Psychotherapie beim Anordnungsmodell sein wird, wird bis Ende Sommer 2021 verhandelt und muss vom Bundesrat bis Mitte des nächsten Jahres genehmigt werden.

«Als führender Psycholog*innen-Verband setzt sich die FSP für gute Lösungen für alle Betroffenen ein.»

Widmer, 2021

Was ändert sich für die heutigen Psychotherapeut*innen?

Neben der kantonalen Bewilligung für die fachlich eigenverantwortliche Berufsausübung, welche unter anderem als wichtige Voraussetzung den eidgenössischen Weiterbildungstitel Psychotherapie beinhaltet, werden bestehende Psychotherapeut*innen eine neue, separate Zulassung zur Abrechnung über die Grundversicherung benötigen, wenn sie künftig selbstständig abrechnen möchten. Diese werden sie erhalten – vorgesehen ist eine kantonale Bewilligungsstelle – wenn sie im Antrag belegen können, dass sie vor der Einführung des Anordnungsmodells am 1. Juli 2022 während mindestens drei Jahren ihre bisherige psychotherapeutische Tätigkeit unter regelmässiger Supervision ausgeübt haben (selbstständig oder angestellt, Psychotherapie während der Weiterbildungszeit wird angerechnet). Diejenigen, die bisher bei einem delegierenden Arzt, einer privaten ärztlichen Institution oder ähnlich angestellt waren, werden ihre Zusammenarbeit neu organisieren und die arbeitsvertraglichen Anstellungsbedingungen überprüfen und anpassen müssen (je nachdem, ob neu selbstständig, weiterhin angestellt tätig etc.). Durch die Einführung des Anordnungsmodells werden neue Formen der Zusammenarbeit für Ärzt*innen und Psycholog*innen möglich sein.

Wie erfolgt die Zulassung zur Grundversicherung für künftige Psychotherapeut*innen?

Psychotherapeut*innen benötigen eine kantonale Berufsausübungs- oder Praxisbewilligung. Psychotherapeut*innen, welche ihren eidgenössischen Weiterbildungstitel erst nach der Einführung des neuen Anordnungsmodells ab Juli 2022 erlangen, müssen für die Zulassung zur Grundversicherung – ergänzend zu den zwei Jahren klinische Psychotherapiepraxis für den Weiterbildungstitel – ein weiteres Jahr Psychotherapiepraxis in einer psychotherapeutisch-psychiatrischen Einrichtung nachweisen, welche über eine Anerkennung des Schweizerischen Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF) Kategorie A oder B nach dem Weiterbildungsprogramm «Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie» oder C nach dem Weiterbildungsprogramm «Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie» (gilt für Psychotherapeut*innen, welche Leistungen für Kinder und Jugendliche verrechnen) verfügt. Dieses zusätzliche Jahr Psychotherapiepraxis ist eine neue spezielle Anforderung für die Zulassung zur Abrechnung über die Grundversicherung. Das zusätzliche Jahr wird die bereits heute bestehenden Engpässe für geeignete Anstellungen in den Kliniken während der Weiterbildung verstärken. Hier sind ergänzende Lösungen in Zusammenarbeit mit den akkreditierten Weiterbildungsinstitutionen und den Psychologieverbänden gefragt!

Danksagung

Der ZüPP möchte es nicht unterlassen, an dieser Stelle insbesondere der FSP nochmals für ihren grossen und unermüdlichen Einsatz ganz herzlich zu danken! Als Zürcher Verband und Gliedverband der FSP sehen wir es in den nächsten Monaten als eine wichtige Aufgabe an, unsere psychotherapeutisch tätigen Mitglieder über die Einführung des neuen Modells, die Ablösung der delegierten Psychotherapie und die dazu notwendigen Schritte im Kanton aktuell zu informieren.

Weitere Fragen zur Einführung

Für die Umsetzung der neuen Verordnung gibt es, wie bereits oben erwähnt, noch verschiedene Punkte zu klären, zum Beispiel betreffend die Ablösung der bisherigen psychotherapeutischen Leistungen, welche die Zusatzversicherungen bisher übernommen haben, und insbesondere die Tarife, welche von den drei Berufsverbänden FSP, SBAP und ASP sowie den Spitälern mit den Krankenkassen verhandelt werden. Offen ist auch, ob und wie psychologische Psychotherapeut*innen in Weiterbildung ihre Leistungen während der Weiterbildungszeit abrechnen können. Als führender Psycholog*innen-Verband setzt sich die FSP für gute Lösungen für alle Betroffenen ein.


Zum Weiterlesen

Bundesamt für Gesundheit (BAG). Neuregelung der psychologischen Psychotherapie ab 1. Juli 2022. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/versicherungen/krankenversicherung/krankenversicherung-leistungen-tarife/Nicht-aerztliche-Leistungen/neuregelung-der-psychologischen-psychotherapie-ab-1-juli-2022.html

Föderation Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP). Psychotherapie in die Grundversicherung. https://www.psychologie.ch/aktuelles-publikationen/psychotherapie-die-grundversicherung

Schweizerisches Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF). Verzeichnis der Weiterbildungsstätten für die Facharztweiterbildung. https://www.siwf-register.ch.

Kantonalverband der Zürcher Psychologinnen und Psychologen (ZüPP). Ab Juli 2022 gilt das Anordnungsmodell. https://www.zuepp.ch/aktuelles/berufspolitik/nl-20-anordnungsmodell/

Kantonalverband der Zürcher Psychologinnen und Psychologen (ZüPP). Studentische Mitgliedschaft. https://www.zuepp.ch/verband/mitglied-werden/

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