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Achtsamkeit und Akzeptanz in aller Munde

Vormarsch der Achtsamkeit und Akzeptanz in der Gesellschaft und ihr Einzug in die Psychotherapie

«Atme tief ein und aus. Konzentriere dich dabei auf deine Wahrnehmungen im Hier und Jetzt.» Wer kennt die ursprünglich aus dem Buddhismus stammenden Praktiken der Achtsamkeit und Akzeptanz heutzutage nicht? Nachfolgend geht es darum, wie diese beiden Konzepte populär geworden sind und ihren Weg bis in die Psychotherapie gefunden haben.

Von Natalie Birnbaum
Lektoriert von Jovana Vicanovic und Ladina Hummel
Illustriert von Nathalie Vital

Die Achtsamkeit wird oft durch das Praktizieren von achtsamkeitsbasierter Meditation ausgeübt und beschreibt die Aufmerksamkeitslenkung auf Erfahrungen wie Gedanken, Gefühle und Empfindungen, die im Hier und Jetzt erlebt werden. Erfahrungen, die auftreten, werden wahrgenommen, aber nicht verarbeitet und nicht bewertet. Dabei ist es wichtig, diesen Eindrücken gegenüber eine neugierige, offene und akzeptierende Haltung einzunehmen. Ausserdem geht es bei der Achtsamkeit nicht darum, einen bestimmten Zustand, wie beispielsweise Entspannung, zu erreichen oder seine Gefühle zu verändern, sondern bloss um das Wahrnehmen der verschiedenen Erfahrungen im Hier und Jetzt (Bishop et al., 2004).

Die Akzeptanz ist im Rahmen der akzeptierenden Haltung, die bei Achtsamkeitsübungen gegenüber Erfahrungen gezeigt wird, auch Bestandteil der Achtsamkeit. Akzeptanz beschreibt kein passives Hinnehmen der eigenen Gedanken, Gefühle und Empfindungen, sondern eine aktive Einstellung und Entscheidung dazu, Erfahrungen so wie sie sind, anzunehmen und sein zu lassen – egal ob sie als angenehm oder unangenehm empfunden werden (Hayes, 2004; Heidenreich & Michalak, 2006).

Wie die Achtsamkeit und Akzeptanz an Popularität gewannen

Die Konzepte Achtsamkeit und Akzeptanz sind heutzutage geradezu zu Modethemen geworden. Dies ist einerseits an der weiten Verbreitung dieser Konzepte in der Gesellschaft ersichtlich, was sich beispielsweise darin widerspiegelt, dass diese Themen oft in Werbungen zu sehen sind. Andererseits haben sie auch das Interesse der Wissenschaft auf sich gezogen, was daran erkennbar ist, dass die Anzahl wissenschaftlicher Kongresse und Artikel zu diesen Themen in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat. Mögliche Faktoren, die mit dieser Entwicklung in Zusammenhang stehen, sind die grössere Offenheit gegenüber diesen Themen in der heutigen Gesellschaft. Ausserdem könnte die zunehmende Popularität von Konzepten wie Achtsamkeit und Akzeptanz auch eine Sehnsucht der Gesellschaft widerspiegeln, sich in unserer schnelllebigen Welt Zeit zu nehmen, um sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Durch die erhöhte Offenheit gegenüber diesen beiden Themen in der Gesellschaft und die vermehrte Diskussion darüber, wird auch zunehmend mehr Forschung dazu betrieben. Durch die vermehrte empirische Fundierung steigt wiederum die Popularität und die Offenheit gegenüber diesen Konzepten in der Gesellschaft. Mit der steigenden Popularität von Achtsamkeit und Akzeptanz in den vergangenen Jahrzehnten haben diese beiden Konzepte unter anderem auch ihren Weg in verschiedene Psychotherapieansätze gefunden (Michalak et al., 2006).

Denkanstoss

Die Forschung zur Achtsamkeit steht unter anderem auch deshalb vor grundlegenden Schwierigkeiten, da sich die Grundprinzipien der Achtsamkeit und diejenigen der wissenschaftlichen Praxis widersprechen. Bei der Achtsamkeit steht das Erleben des Augenblicks im Zentrum. Es wird davon ausgegangen, dass das Erleben des Augenblicks einzigartig ist. Dementsprechend kann jeder Augenblick nur ein einziges Mal genau unter den zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Bedingungen erfahren werden und wird nie mehr genau gleich wahrgenommen. Dieses einzigartige Erleben im Rahmen der Achtsamkeit steht im Widerspruch zur Wissenschaft, deren Ziel der Erhalt von möglichst generalisierbaren Ergebnissen, die über das einzigartige Erleben hinausgehen, ist. Dieser Widerspruch stellt die Achtsamkeitsforschung vor grundlegende Herausforderungen (Michalak et al., 2006).

Achtsamkeits- und Akzeptanzübungen zur Behandlung von psychischen Störungen

Nachfolgend werden die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion und die Akzeptanz- und Commitmenttherapie als zwei Beispiele für die Anwendung von Achtsamkeit und Akzeptanz in der Psychotherapie kurz dargestellt.

Die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion ist ein achtwöchiges Programm, das von Jon Kabat-Zinn entwickelt wurde. Die Durchführung erfolgt im Gruppensetting und ist für Personen mit verschiedenen psychischen oder körperlichen Beschwerden geeignet. Das Programm besteht aus der Vermittlung der Grundlagen der Achtsamkeit, der Durchführung verschiedener Meditationsübungen, dem Üben, sich auf das Hier und Jetzt zu fokussieren (Heidenreich und Michalak, 2006) und aus Diskussionen über Möglichkeiten, die Achtsamkeit im Alltag anzuwenden (Kabat-Zinn, 1990). Viele Studien belegen die positiven Effekte der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion. Beispielsweise wird in der Metaanalyse von Grossman und Kolleg*innen (2004) von positiven Effekten der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion sowohl auf die psychische als auch auf die körperliche Gesundheit bei Personen mit psychischen Störungen oder körperlichen Erkrankungen und bei gesunden Personen berichtet. Bei der psychischen Gesundheit wurden Effekte auf Parameter wie das psychische Wohlbefinden, psychologische Symptome, Depression, Angst, Schlaf, psychologische Komponenten der Lebensqualität und die affektive Schmerzwahrnehmung gemessen. Bei der körperlichen Gesundheit wurden Effekte auf Parameter wie medizinische Symptome, körperliche Schmerzen, körperliche Beeinträchtigungen und körperliche Komponenten der Lebensqualität nachgewiesen (Grossman et al., 2004).

Die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) ist Teil der Verhaltenstherapie. Das Ziel der ACT ist nicht, das Auftreten oder den Inhalt von Gedanken, Gefühlen oder Empfindungen zu beeinflussen, sondern die Haltung, die diesen Erfahrungen entgegengebracht wird, zu verändern. Dazu werden verschiedene Therapiebausteine genutzt, zu denen auch die Achtsamkeit und die Akzeptanz zählen. Die Fokussierung auf die Gefühle, Gedanken und Empfindungen im Hier und Jetzt und das Beobachten des Kommens und Gehens der Gedanken ohne deren Verarbeitung oder Bewertung bei Achtsamkeits- und Akzeptanzübungen ist wichtig für den Therapiebaustein der kognitiven Defusion. Bei dieser geht es darum, mit verschiedenen Übungen die Schwere und die Glaubhaftigkeit der störungsrelevanten Gedanken und Empfindungen zu reduzieren. Dies geschieht beispielsweise dadurch, dass den Teilnehmenden gezeigt wird, dass Gedanken vorübergehend sind und sie die Realität nicht adäquat widerspiegeln. Dadurch soll der Bezug zu diesen Gedanken und Empfindungen verändert werden, nicht aber deren Inhalt oder deren Auftreten (Hayes, 2004; Hayes et al., 2005).

«… mindfulness teaches clients to look at thoughts as events in the world, not at the world as structured by thoughts.» Hayes, 2004, S. 654

Auch zur Wirksamkeit der ACT gibt es bereits viel Evidenz. Beispielsweise wurde gezeigt, dass die ACT bei der Behandlung von Depressionen und für verschiedene Masse der psychischen und der körperlichen Gesundheit wirksamer ist als die gängige Behandlung, Wartelistenkontrollgruppen oder eine psychologische Placebo-Kontrollintervention. Diese Überlegenheit der Wirksamkeit von ACT gegenüber derjenigen anderer Therapieformen zeigte sich allerdings nicht bei der Behandlung von Depression und Angst zusammen (Powers et al., 2009).

Trügt der Schein?

Viele der existierenden Studien zu Achtsamkeit und Akzeptanz weisen methodische Mängel auf und sehr wenige Studien verwenden aktive Kontrollgruppen, was Aussagen zur Effektivität der Achtsamkeit und Akzeptanz im Vergleich zu anderen Therapieansätzen erschwert (Heidenreich und Michalak, 2006; Michalak et al., 2006; Van Dam et al., 2018). Ausserdem unterscheiden sich die Studien darin, wie oft, wie lange, über welchen Zeitraum hinweg und in welchem Setting die Achtsamkeits- und Akzeptanzpraktiken ausgeübt werden, was Vergleiche zwischen verschiedenen Studien nur beschränkt möglich macht (Van Dam et al., 2018). Neben den positiven Wirkungen wurde auch von negativen Effekten wie beispielsweise Angst, die durch die Ausübung von Achtsamkeitspraktiken ausgelöst wurden, berichtet (Heide & Borkovec, 1983; Van Dam et al., 2018). Wie gross das Risiko für das Auftreten von negativen Effekten durch die Ausübung von Achtsamkeitspraktiken ist und was mögliche Risikofaktoren dafür sein könnten, wurde noch nicht ausreichend erforscht. Diese Punkte zeigen, dass der starke Anstieg der Popularität von Achtsamkeit und Akzeptanz in der Gesellschaft und die Anwendung dieser Praktiken in der Psychotherapie der qualitativ hochwertigen wissenschaftlichen Forschung vorausgeeilt sind und daher noch einige methodische Mängel und offene Forschungslücken bestehen, die es zu beheben gilt.


Zum Weiterlesen

Michalak, J., Heidenreich, T., & Bonus, M. (2006). Achtsamkeit und Akzeptanz in der Psychotherapie: Gegenwärtiger Forschungsstand und Forschungsentwicklung. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 54(4), 241–253. doi: 10.1024/1661-4747.54.4.241

Van Dam, N. T., van Vugt, M. K., Vago, D. R., Schmalzl, L., Saron, C. D., Olendzki, A., Meissner, T., Lazar, S. W., Kerr, C. E., Gorchov, J., Fox, K. C. R., Field, B. A., Britton, W. B., Brefczynski-Lewis, J. A., & Meyer, D. E. (2018). Mind the hype: A critical evaluation and prescriptive agenda for research on mindfulness and meditation. Perspectives on Psychological Science, 13(1), 36–61. doi: 10.1177/1745691617709589

Literatur

Bishop, S. R., Lau, M., Shapiro, S., Carlson, L., Anderson, N. D., Carmody, J., Segal, Z. V., Abbey, S., Speca, M., Velting, D., & Devins, G. (2004). Mindfulness: A proposed operational definition. Clinical Psychology: Science and Practice, 11(3), 230–241. doi.org/10.1093/clipsy.bph077

Grossman, P., Niemann, L., Schmidt, S., & Walach, H. (2004). Mindfulness-based stress reduction and health benefits: A meta-analysis. Journal of Psychosomatic Research, 57(1), 35-43. doi.org/10.1016/S0022-3999(03)00573-7

Hayes, S. C. (2004). Acceptance and Commitment Therapy, Relational Frame Theory, and the Third Wave of Behavioral and Cognitive Therapies. Behavior Therapy, 35(4), 639–665. doi.org/10.1016/S0005-7894(04)80013-3

Hayes, S. C., Luoma, J. B., Bond, F. W., Masuda, A., & Lillis, J. (2006). Acceptance and Commitment Therapy: Model, processes and outcomes. Behavior Research and Therapy, 44(1), 1-25. doi.org/10.1016/j.brat.2005.06.006

Heide, F. J., & Borkovec, T. D. (1984). Relaxation-induced anxiety: Mechanisms and theoretical implications. Behaviour Research and Therapy, 22(1), 1–12. doi.org/10.1016/0005-7967(84)90027-5

Heidenreich, T., & Michalak, J. (2006). Achtsamkeit und Akzeptanz als Prinzipien in der Psychotherapie. PiD – Psychotherapie im Dialog, 7(3), 235-240. doi.org/ 10.1055/s-2006-940036

Kabat-Zinn, J. (1990). Full catastrophe living: using the wisdom of your body and mind to face stress, pain and illness. Delacorte.

Michalak, J., Heidenreich, T., & Bonus, M. (2006). Achtsamkeit und Akzeptanz in der Psychotherapie: Gegenwärtiger Forschungsstand und Forschungsentwicklung. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 54(4), 241–253. doi.org/10.1024/1661-4747.54.4.241

Powers, M. B., Zum Vörde Sive Vörding, M. B., & Emmelkamp, P. M. G. (2009). Acceptance and commitment therapy: A meta-analytic review. Psychotherapy and Psychosomatics, 78(2), 73–80. doi.org/10.1159/000190790

Van Dam, N. T., van Vugt, M. K., Vago, D. R., Schmalzl, L., Saron, C. D., Olendzki, A., Meissner, T., Lazar, S. W., Kerr, C. E., Gorchov, J., Fox, K. C. R., Field, B. A., Britton, W. B., Brefczynski-Lewis, J. A., & Meyer, D. E. (2018). Mind the Hype: A Critical Evaluation and Prescriptive Agenda for Research on Mindfulness and Meditation. Perspectives on Psychological Science, 13(1), 36–61. doi.org/10.1177/1745691617709589

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