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The Lone Wolf

Das Täterprofil des Einzelgängers im Terrorismus 

Seit den prägenden 9/11-Anschlägen auf die Twin Towers und das Pentagon stieg zunehmend die Aufmerksamkeit am Terrorismus. Jedoch gibt es bislang keine einheitliche Definition von Terrorismus oder Terroristen. Im Folgenden wird versucht dem Begriff des Terroristen näher zu kommen. Vor allem soll das Täterprofil von Terroristen als Einzelgänger analysiert werden. Was zeichnet einen sogenannten lone wolf aus? Welche Motivationen stecken dahinter? Was bringt den Einzelnen dazu Massaker zu begehen? Und wann ist überhaupt von einem terroristischen Akt zu sprechen? 

Von Teodora Djukaric 
Lektoriert von Madeleine Lanz und Jenny Lienhart
Illustriert von Teodora Djukaric 

Zum Terrorismusbegriff 

Obschon Terrorismus kein neues Phänomen ist, stellt jener durch die steigende Anzahl an terroristischen Delikten nach 9/11 eine konstante Bedrohung dar (Bock, 2009). 

Sobald wir die Begriffe Terror, Terroranschlag, Terroristen, oder neue Verantwortlichkeitserklärungen von Terrorgruppen wie Al-Qaida oder dem IS lesen, löst dies oftmals Angst und Furcht bei dem Einzelnen aus. Diese starke Wirkung der konstanten Angst und Bedrohung resultiert primär aus der Wahrnehmung der Gesellschaft sowie der individuellen Bürger|innen, die mit dem Terrorismusbegriff negative Emotionen und zugleich eine Verurteilung assoziieren (Bock, 2009).  

Für die Einen gelten Terroristen als unmenschlich, für die Anderen sind es Freiheitskämpfer. Der individuelle Standpunkt macht es davon abhängig, ob jemand einen Täter als Terrorist, Helden oder als Kriminellen bezeichnet (Ganor, 2002). Aufgrund der subjektiven Urteile und unterschiedlichen Wahrnehmungen konnte bislang keine einheitliche Definition von Terroristen gefunden werden.  

Eine oftmals zur Analyse verwendete sowie grundlegende Definition ist die folgende: 

«The term ‘terrorism’ means premeditated, politically motivated violence perpetrated against noncombatant targets by subnational groups or clandestine agents» 

U.S. Department of State 

Zudem filtert Nacos (2016) drei ausschlaggebende Charakteristika aus allen bisherigen Definitionsversuchen des Terrorismus. Als erster relevanter Punkt zeigt sich, dass mit dem Terrorakt oftmals ein politisches Ziel verbunden ist. Des Weiteren werden terroristische Aktivitäten von nicht-staatlichen Akteuren ausgeübt. Als drittes und zentrales Element des Terrorismus gilt, dass die Gewalttaten gegen Bürger|innen sowie Nichtkämpfer durchgeführt werden.  

Was sind lone wolves ? 

Eine Frage, die sich oft in den vielen Versuchen, politische Gewalttäter zu definieren stellt, ist es, ob Individuen, die nicht einer extremistischen Gruppe angehören, sondern auf eigene Faust gewalthaltige und extremistische Akte begehen, als terroristisch eingestuft werden sollen oder nicht? In der Vergangenheit haben einige Wissenschaftler argumentiert, dass eine Assoziation zu einer bestimmten Gruppe erforderlich sei, um als terroristisch eingestuft zu werden (Nacos, 2016). Allerdings werden die bisherigen Definitionen, die auch am Anfang erklärt wurden, mit dem speziellen Typ des lone wolf – Terroristen in Frage gestellt. Müssen Terroristen zwingend in Gruppen agieren? Die einfache Antwort ist: Nein! 

Im 21. Jahrhundert hat sich die Zahl der einsamen Wölfe im Terrorismus deutlich ausgeweitet und die lone wolves gelten als die am schnellsten wachsende Form des Terrorismus (Weimann, 2012). Im Gegensatz zu terroristischen Organisationen wird diese Form des Terrorismus von einzelnen Individuen ausgeübt (Spaaji, 2012). Einsame Wölfe unterscheiden sich von anderen terroristischen Gruppen dadurch, dass sie meist alleine, ohne Verbindungen zu einer terroristischen Organisation oder einem Netzwerk operieren. Ihre Handlungen werden zudem nicht primär von Befehlen oder Hierarchiesystemen gesteuert (Spaaji, 2012). Am wichtigsten ist jedoch, dass diese Täter|innen, je nach Risikoaversion, unkonventionellere Angriffe wie Geiselnahmen, Bombenangriffe und Attentate durchführen, um hohe Aufmerksamkeit zu erzielen (Phillips, 2011).  

Während terroristische Gruppen eindeutig auf definierten Organisationsstrukturen und sorgfältig geplanten Aktionen und Operationen basieren, sind Einzelkämpferangriffe eher unberechenbar. Daher werden diese auch in vielen Fällen als gefährlicher angesehen als beispielsweise Attacken von Terrororganisationen (Weimann, 2012). Aus diesem Grund sind die einsamen Wölfe trotzdem dem Terrorismus unterzuordnen, da ihre Strategien ebenfalls oft politisch oder ideologisch motiviert sind sowie der Einsatz von extremer Gewalt eine essentielle Rolle spielt. Ihnen geht es vor allem darum, mittels radikalem, terroristischem Handeln eine Veränderung der unzufriedenen Umstände zu bewirken (Moghaddam, 2005). Dazu sind die Täter|innen bereit, sogar ihr Leben zu opfern. Diese Selbstopferungen können in verschiedener Hinsicht stattfinden. Einerseits verlassen Interessierte ihr Alltagsleben im Heimatland, um sich an terroristischen Akten zu beteiligen und Frauen geben ihre Freiheiten auf, wenn sie konservativen terroristischen Organisationen beitreten. Andererseits opfern lone wolves ihr Leben für Selbstmordanschläge. Doch welche Motivationen stecken hinter den Taten der Selbstopferung? 

Selbstopferung 

Moskalenko und McCauley (2010) schlagen zwei mögliche Erklärungen für Selbstopferungen im lone wolf-Terrorismus vor. Die erste Erklärung stammt aus der Evolutionspsychologie, in welcher die Gruppe vom Altruismus profitierte. Individuen handeln demnach entgegen dem Egoismus und verstehen ihre Handlungen als Akt der Selbstlosigkeit (Lenzer, 2003). In dieser Erklärung wird davon ausgegangen, dass Terroristen sich als Verantwortliche sehen, diejenigen zu bestrafen, die entgegen den Gruppennormen handeln.  

Nach der zweiten vorgeschlagenen Erklärung identifizieren sich lone wolf -Terroristen mit einer bestimmten Gruppe. Falls eine positive Identifikation mit einer Gruppe erfolgt, die sich selbst als Opfer der Gesellschaft oder Politik wahrnimmt, ist die Selbstopferung des lone wolf ein Akt der Wut und Empörung gegenüber den Verantwortlichen. Starke menschliche Uneinigkeit und Unzufriedenheit bieten eine Grundlage für motivierte Extremisten, moralische «Unterdrücker» zu bestrafen, auch wenn die Übertretung gegen jemand anderen ist. Die Täter|innen sehen sich als Selbsterlöser|innen und Märtyrer|innen für das Wohl der unterdrückten Gruppe. Ideologie, Gerechtigkeitsausgleich und Empathie scheinen wichtiger für die einsamen Wölfe zu sein als die Integrierung in terroristischen Organisationen (Moskalenko & McCauley, 2010). 

Die Anziehungskraft einer Gruppe 

Das Täterprofil der lone wolves sagt aus, dass sie alleine im Namen ihrer Gerechtigkeitsvorstellungen operieren, dennoch können sie mit den Werten und Überzeugungen extremistischer Gruppen sympathisieren. Die Überzeugungen von den Einzelgängern scheinen aus verschiedenen extremistischen, ideologischen, kulturellen und religiösen Hintergründen zu stammen (Weimann, 2012). 

Andererseits nutzen terroristische Gruppen diese individuellen Täter|innen aus, indem sie diese mit ihren verschiedenen Propagandamitteln einladen. So verwenden dschihadistische Terrorgruppen ihre eigenpublizierten Online-Propagandamagazine wie Al-Qaidas Inspire oder Rumiyah vom IS, um einen Open Source Dschihad zu verbreiten (Weimann, 2012). 

Um zu verstehen, wie einzelne Täter|innen mit einer terroristischen Gruppe sympathisieren, ist eine Analyse der Attraktion an Gruppen von Nöten. In der Tat ist die prominenteste organisatorische Form unter den terroristischen Gruppen hierarchisch und durch konsistente Prinzipien und Regeln bestimmt (Weber, 1947). Ein wichtiger Aspekt innerhalb einer Organisation ist die Verfolgung eines kollektiven Zieles, durch welches auch Taktiken und Strategien innerhalb der Gruppe beeinflusst werden (Crenshaw, 1985). Damit terroristische Organisationen ihre Ziele erreichen können, ist der Aufbau einer kollektiven Identität und Solidarität innerhalb der Gruppe entscheidend für die Effektivität und Wirksamkeit der Organisationen (Barnard, 1968). Die kollektive Identität bezieht sich auf die gemeinsame Ebene der Identitätsbildung und soll sich von einer individuellen Identität unterscheiden. Allerdings formt ein Individuum seine Identität und Persönlichkeit aus der kollektiven Gemeinschaft heraus, weshalb die kollektive Identität als Teil eines Selbstcharakterisierungsprozesses verstanden werden kann. Darüber hinaus spielen zwischenmenschliche Beziehungen und Kommunikation eine wichtige Rolle in diesem Prozess. Aber nicht nur die individuelle Identität wird durch die kollektive Identität geprägt, sondern auch umgekehrt, da Individuen die kollektive Identität ebenfalls als Gemeinschaft wahrnehmen (Kaina, 2009). Hinzu kommt, dass kollektive Identitäten stark vom Ausschluss von Mitgliedern des wahrgenommenen Anderen beeinflusst werden und ohne ihn nicht existieren könnten. Tatsächlich, wie Fuchs (2000) erwähnt, wäre jeder Teil einer kollektiven Gruppe, würde niemand mehr dazu gehören, da es keine Abgrenzungen zwischen Menschen innerhalb und ausserhalb des Kollektivs gäbe und dies jene ausmacht. Eine Unterscheidung zwischen In-Group und Out-Group, einer Innengruppe und einer auszuschliessenden Aussengruppe, ist daher in kollektiven Gemeinschaften wie auch in terroristischen Gruppen üblich, wodurch in der Innengruppe ein Us vs. Them – Grundgedanke entsteht.  Terrororganisationen formen ihre kollektive Identität meist über die Abgrenzung gemeinsamer politischer und ideologischer Feinde. 

Wenn Hogg (1992) über Mitglieder der In-Group und Out-Group diskutiert, unterscheidet er zwei Arten von Anziehung: die persönliche Anziehung und die soziale Anziehung. Die persönliche Anziehungskraft beruht auf persönlichen Interessen, Werten und Einstellungen, während die soziale Anziehung durch das positive Urteil eines in der In-Group anwesenden Mitglieds gegenüber Mitgliedern der Out-Group entsteht. Der Grund für eine Bevorzugung der In-Group entsteht, wenn die soziale Anziehung die persönliche übersteigt (Brewer & Gardner, 1996). 

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Moghaddams Staircase of Terrorism (2005): 

Moghaddam entwarf ein Konzept des Treppenhauses, um die Radikalisierung des Einzelnen metaphorisch darzustellen. Das Treppenhaus besitzt im groben fünf Stockwerke. Jede Stufe ist gekennzeichnet durch besondere psychologische Prozesse. 

Im Erdgeschoss dominieren die Gefühle der Benachteiligung und Ungerechtigkeit des Einzelnen. Die meisten Individuen, die dann in den zweiten Stock der Staircase aufsteigen, sind auf der Suche nach Lösungen, um ihre Situation zu verbessern und grössere Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu erlangen. Wenn sie aber keine Möglichkeiten sehen, das individuelle Lebensgefühl im positiven Sinn beeinflussen zu können, steigen sie weiter auf. Personen, die den zweiten Stock erreichen, aber trotzdem Ungerechtigkeiten wahrnehmen, erleben Wut und Frustration, und werden in einigen Fällen von Anführern beeinflusst. Die Individuen sind in dieser Phase aggressiver und anfälliger. Sie verlagern ihre Aggression auf einen bestimmten ‚Feind’. Ein Us vs. Them – Denken entsteht. Diejenigen, welche die Neigung haben, ihre Aggressionen körperlich zu verdrängen, klettern die Stufen weiter hinauf. Im dritten Stockwerk findet eine moralische Bindung zur Ideologie, radikal-politischen Motivationen oder zu Terrorgruppen statt. Einzelpersonen beginnen dabei, Terrorismus als eine berechtigte Strategie zu sehen. In der vierten Stufe wird die gewonnene moralische Bindung von Seiten der Terrororganisationen genutzt, um das (ideologisch behaftete) Denksystem zu verfestigen und legitimieren. Auf der letzten Etage sind die letzten Hemmschwellen ausgeschaltet und die Individuen lernen durch den Anschluss an Terrorgruppen, geschickt terroristische Handlungen durchzuführen. 

Dschihad und Open Source Dschihad 

Der Dschihad, im Englischen struggle genannt, bedeutet im Kontext des Koran und des klassischen Islam die religiöse Pflicht, gegen die Ungläubigen Allahs zu kämpfen (Weimann, 2015). Für diese Art von Kampf existieren jedoch zwei unterschiedliche Bedeutungen. Auf der einen Seite kann ein innerer sowie spiritueller Kampf  mit der Erfüllung von religiösen Pflichten ausgeführt werden. Auf der anderen Seite kann der Kampf physisch als militante Gewalt gegen die Feinde ausgeübt werden. In der zweiten Bedeutung wird Dschihad auch als holy war bezeichnet (Weimann, 2015). Open Source Dschihad bezieht sich auf die neuen technologischen Möglichkeiten. Durch die Entwicklung des Internets und der digitalen partizipativen Technologien hat sich die Kommunikation und Präsentation terroristischer Organisationen erheblich verändert (Bruns & Hanusch, 2017). Diese neue Form des Dschihads will den aufstrebenden und motivierenden Anhängern weltweit die Werkzeuge zur Verfügung stellen, die sie für Angriffe benötigen, ohne sie in ein Trainingslager der Dschihadisten zu schicken (Weimann, 2015). 


Zum Weiterlesen 

Moghaddam, F. M. (2005). The staircase to terrorism: A psychological exploration.  

American Psychologist, 60 (2), 161. 

Moskalenko, S., & McCauley, C. (2011). The psychology of lone-wolf terrorism.  

Counselling Psychology Quarterly, 24 (2), 115-126. 

Nacos, B. L. (2016). Mass-mediated terrorism: Mainstream and digital media in  

terrorism and counterterrorism. Rowman & Littlefield. 

Literaturverzeichnis

Barnard, C. I. (1968). The functions of the executive (Vol. 11). Harvard university press. 

Bock, A. (2009). Terrorismus. UTB. 

Brewer, M. B., & Gardner, W. (1996). Who is this „We“? Levels of collective identity  

and self representations. Journal of personality and social psychology, 71(1), 83. 

Bruns, A., & Hanusch, F. (2017). Conflict imagery in a connective environment:  

audiovisual content on Twitter following the 2015/2016 terror attacks in Paris and  

Brussels. Media, Culture & Society39(8), 1122-1141. 

Crenshaw, M. (1985) An organizational approach to the analysis of political terrorism,  

Orbis, 4, 465-489. 

Ganor, B. (2002). Defining terrorism: Is one man’s terrorist another man’s freedom  

fighter?. Police Practice and Research, 3(4), 287-304. 

Hogg, M. A. (1992). The social psychology of group cohesiveness: From attraction to  

social identity. London: Harvester Wheatsheaf. 

Kaina, V. (2009). Wir in Europa: Kollektive Identität und Demokratie in der  

Europäischen Union. Springer-Verlag. 

Lenzen, M. (2003). Evolutionstheorien in den Natur-und Sozialwissenschaften. Campus  

Verlag. 

Moskalenko, S., & McCauley, C. (2011). The psychology of lone-wolf terrorism.  

Counselling Psychology Quarterly, 24(2), 115-126. 

Moghaddam, F. M. (2005). The staircase to terrorism: A psychological  

exploration. American Psychologist, 60(2), 161. 

Nacos, B. L. (2016). Mass-mediated terrorism: Mainstream and digital media in  

terrorism and counterterrorism. Rowman & Littlefield. 

Phillips, P. J. (2011). Lone wolf terrorism. Peace Economics, Peace Science and Public  

Policy17(1). 

Spaaij, R. (2011). Understanding lone wolf terrorism: Global patterns, motivations and  

prevention. Springer Science & Business Media. 

U.S. Department of State. From Title 22 of the US Code, Section2656f(d). Zugriff unter 

https://www.state.gov/documents/organization/65464.pdf (15.01.2018)

Weber, M. (1947). The Theory of Social And Economic Organization. Free Press. 

Weimann, G. (2012). Lone wolves in cyberspace. Journal of Terrorism Research3(2). 

Weimann, G. (2015). Terrorism in cyberspace: The next generation. Columbia  

University Press. 

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