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Nächster Halt…

Empirische Befunde und Erfahrungsberichte zum Umgang mit Veränderungen beim Übergang in einen neuen Lebensabschnitt.

Vier Menschen erzählen von ihren persönlichen Erfahrungen mit einer entscheidenden Veränderung in ihrem Leben. Dabei wird deutlich, wie prägend diese Veränderungen erlebt werden können. Anhand eines wissenschaftlichen Inputs soll eine umfassendere Einordnung ermöglicht werden.

Von Laurina Stählin
Lektoriert von Isabelle Bartholomä und Hannah Meyerhoff
Illustriert von Rebekka Stähli

Immer wieder finden im Leben kleine oder grössere Veränderungen statt. Vier Geschichten liefern Beispiele dafür, verteilt über fast die ganze Lebensspanne. Vom Kindergartenkind, das in die Schule kommt, bis zum Umzug in ein Altersheim, der endgültig wirkt, es aber vielleicht doch nicht ist. Die Beispiele zeigen, dass viele individuelle Komponenten beim Beginn einer neuen Lebensphase eine Rolle spielen. Wie ein solcher Übergang erlebt und wie damit umgegangen wird, scheint sehr stark von der entsprechenden Person abzuhängen. Zudem scheinen sich die Menschen intensiv mit den jeweiligen Übergängen zu beschäftigen, die Veränderungen nehmen einen beträchtlichen Platz im Leben der betroffenen Menschen ein. Um dieser Subjektivität gerecht zu werden, und dennoch den Blick auf die Bedeutung solcher Veränderungen über die ganze Lebensspanne hinweg zu öffnen, soll in diesem Artikel den individuellen Erfahrungsberichten eine kleine Auswahl an wissenschaftlichen Befunden gegenübergestellt werden.

Die Unterteilung der lebenslangen Entwicklung in unterschiedliche Phasen wurde bereits in verschiedenen Theorien beschrieben, beispielsweise durch den Psychoanalytiker Erik Erikson oder den Entwicklungspsychologen Daniel Levinson (Berk & Schönpflug, 2011). Nach Levinsons Theorie liegt am Anfang eines neuen Lebensabschnitts jeweils ein Übergang. Auf diesen folgt eine Phase, in welcher ein Mensch Kontinuität zu erreichen versucht, indem eigene und gesellschaftliche Anforderungen aufeinander abgestimmt werden (Berk & Schönpflug, 2011). In ihrer Studie über Lebensereignisse, welche die Definition des Selbst beeinflussen, versteht McLean (2008) Identität als Konstruktion einer persönlichen Kontinuität über die Entwicklung einer zusammenhängenden Lebensgeschichte. Erfahrungen können in die Identität integriert werden, indem eine Veränderung wahrgenommen wird, oder indem Stabilität wahrgenommen und so die bestehende Identität bestätigt wird. Kontinuität wird in beiden Fällen wahrgenommen, weil man sich in beiden Situationen auf das Selbst bezieht. Die Formulierung einer Lebensgeschichte ist ein selbstreflektierter Prozess und bietet die Möglichkeit einer Erklärung, warum man sich verändert hat, oder eben gleich geblieben ist (McLean, 2008). Es kann Menschen also helfen, ihre Identität zu entwickeln oder zu festigen, wenn sie wichtige Lebensereignisse anhand eines Lebensentwurfs in einen grösseren Zusammenhang einordnen können.

Solche persönlichen Lebensentwürfe zeigen Parallelen zu sogenannten »Cultural Life Scripts« (Berntsen & Rubin, 2004). Damit ist die kulturell definierte Vorstellung davon gemeint, wie ein Lebensentwurf gestaltet sein soll bezüglich der Abfolge und des Zeitpunkts, wann verschiedene Lebensphasen stattfinden. In der Untersuchung von Berntsen und Kollegen (2011) beantworteten die Studienteilnehmenden Fragen über ihr schlimmstes sowie über ihr schönstes Lebensereignis. Dabei entsprachen insbesondere die positiven Lebensereignisse, die von den Studienteilnehmenden genannt wurden, relativ deutlich dem kulturell vorgegebenen Lebensentwurf. Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden nannten die beiden Lebensereignisse »Geburt« und »Heirat«. Frühere Ergebnisse konnten bereits zeigen, dass »Cultural Life Scripts« häufig in der Hinsicht verzerrt sind, als dass positive Lebensereignisse vor allem im jungen Erwachsenenalter erwartet werden (Berntsen & Rubin, 2004). Dementsprechend wurden auch in dieser Studie über 60 Prozent der positiven Lebensereignisse im dritten beziehungsweise vierten Lebensjahrzehnt angeordnet, während die Häufigkeit der berichteten negativen Ereignisse ab dem Alter von 40 Jahren bis zum aktuellen Alter linear anstiegen (Berntsen, Rubin, & Siegler, 2011). Interessanterweise zeigte sich kein bedeutender Anstieg der positiven Ereignisse im jungen Erwachsenenalter mehr, wenn die Ereignisse, die zum kulturellen Lebensentwurf-Muster passen, ausgeschlossen wurden. Dies bedeutet, dass sich viele Versuchspersonen beim Bericht ihres schönsten Lebensereignisses an dem kulturell geprägten Lebensentwurf orientiert haben (Berntsen et al., 2011). Warum sich diese Menschen an den kulturellen Erwartungen orientiert haben, wenn sie von ihrem ganz persönlichen schönsten Lebensereignis berichten sollten, erklären Berntsen und Kollegen (2011) folgendermassen: «Such life script consistent events helps to anchor the personal life story in a cultural context and are often used as concrete turning points in life stories defining beginning and endings of life story chapters.» (S. 1197).

Es kann für Menschen also nicht nur hilfreich sein, entscheidende Veränderungen innerhalb ihres eigenen Lebens in einem grösseren Kontext zu sehen. Eine gleichzeitige Orientierung an den gesellschaftlichen Erwartungen ermöglicht auch einen Vergleich und kann somit helfen, die eigene Lebensgeschichte als Ganzes einzuordnen und in ein angepasstes Selbstbild zu integrieren.

Wie in den folgenden Erfahrungsberichten zu lesen ist, steht die Einordnung in die eigene Lebensgeschichte in der Zeit des Übergangs jedoch nicht unbedingt im Zentrum und passiert vielleicht auch gar nicht bewusst. Insbesondere wenn die Ablösung einer Lebensphase der anderen mit einem bestimmten Ereignis zusammenhängt, wie es bei allen der hier beschriebenen Veränderungen der Fall ist, steht dieses Geschehen häufig im Vordergrund und stellt eine wichtige Ursache der intensiven Auseinandersetzung dar. Möglicherweise ist dies der Fall, weil gerade mit dem Ereignis auch viele der entscheidenden Veränderungen einhergehen. Womöglich ist jedoch genau diese stärkere Konzentration auf das Ereignis selbst als auf die Einordnung im Lebenslauf ein wichtiger Vorgang, welcher die Integration in den eigenen Lebensentwurf erst möglich macht.

Nächster Halt: Schule

Ich habe schon darüber nachgedacht, wie es in der Schule sein wird. Ich glaube, ich werde ganz viele Freunde haben und dass es cool wird, weil meine ältere Schwester auch dort sein wird. Dann kann ich sie immer in der Pause sehen. Und das finde ich cool. Ich freue mich auch, weil ich neue Lehrerinnen haben werde und meine Kindergärtnerin hat gesagt, dass die neuen Lehrerinnen immer die liebsten sind. Ich habe auch ein bisschen Angst davor, dass ich die Hausaufgaben falsch machen könnte oder dass ich sonst etwas falsch machen werde und die Lehrerinnen dann schimpfen oder sagen werden «da kannst du jetzt noch einmal von vorne anfangen».

Ich denke nicht, dass etwas an mir anders sein wird, wenn ich in die Schule komme. Ich habe auch keine Ahnung, was sonst anders sein wird, wenn ich in die Schule komme. Vielleicht, dass ich dann viel machen muss, zum Beispiel Hausaufgaben. Sonst wird eigentlich nichts anders sein.

Ich stelle es mir in der Schule so vor, dass man Strafaufgaben bekommen kann. Aber eigentlich wünsche ich mir, dass es keine Strafaufgaben gibt. Ich habe auch ein bisschen Angst, weil es Jungs gibt, die in der Pause immer kämpfen. Aber meine ältere Schwester ist beliebt und würde mich beschützen, wenn mir jemand etwas antun wollte.

Den ersten Schultag stelle ich mir ganz normal vor. Ich gehe dann in die Schule. Vielleicht bin ich ein wenig aufgeregt, weil es dort sicher Dinge hat, die noch etwas schwierig sind. Eigentlich bin ich jetzt schon Schülerin, weil Sommerferien sind. Wenn mich jetzt jemand fragen würde, würde ich schon sagen, dass ich ein Schulmädchen bin. Ich habe einen Schulthek mit Delfinen drauf. Ich habe auch zwei Etuis und einen Turnsack. Ich freue mich auf viele Sachen. Eigentlich freue ich mich auf alles. Nur nicht aufs Rechnen und Schwimmen.

Nächster Halt: Mama

Dass da ein kleiner Mensch ist, der in allen Bedürfnissen auf mich angewiesen ist, hat in allen Bereichen meines Daseins zu massiven Veränderungen geführt. Viele Bereiche waren schon vor der Geburt betroffen: grössere Wohnung, neue Arbeitsstelle, Gedanken zur Arbeitssituation nach der Geburt und, ganz wichtig, auch die körperlichen und emotionalen Veränderungen mit allem, was eine Schwangerschaft so mit sich bringt. Nach der Geburt war es vor allem das gegenseitige Kennenlernen und rund um die Uhr Mamasein. Bedürfnisse, die zu jeder Tages- und Nachtzeit unabhängig von meinen eigenen gestillt werden durften und mussten.

Die Veränderungen kamen definitiv phasenweise und kontinuierlich, zum Teil aber auch sehr plötzlich. Viele der Veränderungen waren aber auch nur zu erahnen und andere haben mich selbst völlig überrascht. Es hätte mich allerdings nichts darauf vorbereiten können, was mit der Geburt geschehen ist. Wirklich endlich mein Kind zu halten, nach unfassbaren Schmerzen und dann dieses Gefühl der reinsten Liebe, die es gibt. Das ist nicht in Worten fassbar. Diese Veränderung wird definitiv nie enden, jeder Tag als Mama ist neu und jeder Schritt des Kindes braucht eine neue »Version« der Mama. Das ist ganz klar die prägendste und schönste Veränderung meines Lebens.

«Die Veränderungen kamen definitiv phasenweise und kontinuierlich, zum Teil aber auch sehr plötzlich. Viele der Veränderungen waren aber auch nur zu erahnen und andere haben mich selbst völlig überrascht.»

Das Muttersein hat bei mir einen so hohen Stellenwert, dass es praktisch immer das Erste ist, was Fremde über mich erfahren. Es ist etwas, worauf ich wirklich stolz bin und das ich gerne mit Anderen teile. Trotzdem gebe ich mir Mühe, mich nicht nur darüber zu identifizieren. Das war während der Schwangerschaft und direkt nach der Geburt schwierig, wird aber immer leichter. Aber für mich ist klar, dass es eine Definition von mir nicht ohne das Mamasein gibt. Ich selbst sehe mich jetzt viel gesetzter, selbständiger und glücklicher als vorher. Ich weiss jetzt wirklich, was es heisst, für mich selbst und jemand anderen die Verantwortung zu tragen. Ich trete offener und authentischer, also in mir und meinen Entscheidungen gesetzter, auf als vorher. Ich habe gelernt, zu unseren Bedürfnissen zu stehen und danach zu handeln.

Man merkt schon sehr schnell, wie die verschiedenen Phasen im Leben den Freundeskreis mit beeinflussen können. Viele Freunde sehe ich nur noch selten. Der Ausgang oder das Feierabendbier fallen weg. Zu anderen Freunden, gerade zu solchen, die selbst Kinder haben, hat sich aber eine viel engere Bindung ergeben. Was sich stark verändert hat, ist der Umgang mit meinen Eltern. Wir sind plötzlich auf einer Ebene (meistens). Ich weiss nicht, wie ich ohne sie und einige sehr enge Freunde die Schwangerschaft und die letzten Monate überstanden hätte. Sie haben mir unendlich geholfen.

Vor der Geburt habe ich mich eigentlich auf das Meiste gefreut. Von den körperlichen Veränderungen bis hin zum ersten Lachen der Kleinen. Ich freue mich auch auf alles, was noch kommt. Es hat aber auch viele Momente der Einsamkeit und Angst gegeben und es macht mich traurig, wie viele Freunde und Bekannte nicht mehr aktiv Teil meines Lebens sind. In diesen Momenten hilft mir vor allem meine Tochter. Sie zu sehen und Zeit mit ihr zu verbringen holt mich meistens aus meinem Kopf in den Moment zurück. Ihr Vertrauen macht mich jeden Tag dankbar. Und wenn sie lacht, scheint für mich die Sonne, egal wann und egal wo.

Nächster Halt: Ehe

Eigentlich sollte sich durch die Heirat nichts ändern. Mein Partner und ich führen bereits eine langjährige Beziehung und haben schon sehr viel miteinander erlebt. Beide sollen so bleiben wie sie sind, mit ihren Stärken und Schwächen. Und doch hat dieses Stück Papier einen hohen Stellenwert. Ich werde neue Rechte und Pflichten erhalten, bin nicht mehr nur für mich allein verantwortlich und muss allenfalls Entscheidungen für meinen Partner treffen. Es geht darum, dass man die Situation, beziehungsweise die Beziehung, wie sie jetzt ist, sozusagen »konservieren« möchte. Was eigentlich einen Widerspruch in sich bedeutet, denn genau das kann man nicht. Wir verändern uns laufend und können die Zukunft nicht beeinflussen.

Ich denke, dass vieles auch ohne Heirat ähnlich kommen würde. Im Prinzip braucht es kein Papier, das uns sagt, dass wir uns lieben, beziehungsweise zusammengehören. Aus finanzieller Sicht ist es ja sogar ein Nachteil. Trotzdem verändert eine Hochzeit auf jeden Fall in gewisser Weise. Neben den rechtlichen Veränderungen ist es vor allem ein emotionaler Akt. Man entscheidet sich bewusst für eine Person und träumt von der gemeinsamen Zukunft. Ich stelle es mir so vor, dass am Tag selber auch viele Emotionen im Spiel sein werden und ich mir erst dann so richtig bewusst werde, was eigentlich passiert. Doch die ganzen Veränderungen beginnen viel früher und dauern noch viel länger an. Was es aber effektiv bedeutet, verheiratet zu sein, denke ich, wird sich erst mit der Zeit herausstellen. Es wird sicherlich immer wieder Situationen geben, die neu sind und in denen wir Kompromisse finden müssen.

Meine Motivation für diesen Artikel war, dass mir bisher, wenn ich mich mit wissenschaftlichen Themen in der Psychologie beschäftigte, häufig der Bezug zum Einzelnen gefehlt hat. Ich sehe klar auch die Vorteile der Generalisierbarkeit, beispielsweise von Studienergebnissen. Jedoch ist für mich ganz persönlich der Einzelfall – eine individuelle Meinung, eine bestimmte Erfahrung, eine Lebensgeschichte – in seinem ganzen Umfang etwas sehr Schätzenswertes und besonders Interessantes. Meinen herzlichsten Dank möchte ich daher den vier Menschen aussprechen, welche sich offen und unkompliziert dafür bereit erklärt haben, ihre Erfahrungen zu teilen und so persönlich vom aktuellen Übergang in ihren neuen Lebensabschnitt zu berichten.

Den grössten und offensichtlichsten Einfluss auf meine eigene Identität hat der Namenswechsel. Ich stelle mir das sehr gewöhnungsbedürftig vor, mich anders zu nennen. Aber für mich stand der Namenswechsel gar nie zur Diskussion. Der gemeinsame Name symbolisiert für mich eine gewisse Zusammengehörigkeit.

Was ich, seit wir verlobt sind, oft mitbekommen habe, ist das grosse Schubladendenken der Leute. Logischerweise folgen auf die Heirat automatisch das Haus und anschliessend die Kinder. Ich habe auch von anderen Freundinnen gehört, die nach der Heirat oft gefragt werden, ob sie schon schwanger seien oder Kinder wollten. Oder es sind dauernd Gerüchte im Umlauf. Ich frage mich, ob man alles preisgeben muss, was man vorhat. Die Neugier der Leute ist oft riesig.

Ich freue mich sehr auf ein Leben mit meinem Partner an meiner Seite. Ich bin nicht allein, denn es ist jemand da, der mit mir den Weg geht. Das Leid ist nur halb so gross, wenn man es teilen kann, aber die Freude ist doppelt so gross. Was mir manchmal etwas Sorgen bereitet, ist die aktuelle Scheidungsrate. Auch wenn wir uns jetzt sehr sicher sind und selbstverständlich davon ausgehen, dass wir verheiratet bleiben, gibt es auch eine Restangst, zu scheitern. Alles, was wir machen können, ist uns weiterhin mit Verständnis, Ehrlichkeit und Vertrauen zu begegnen. Es werden sicherlich auch schwierige Zeiten kommen, in denen man eben nicht gerade aufgeben, sondern versuchen sollte, gemeinsam eine Lösung zu finden. Ich glaube, da darf man sich auch nicht verrückt machen damit und zu viel nachdenken. Ich freue mich sehr auf meine Hochzeit und bin gespannt, welche Herausforderungen uns das Leben stellt.

Nächster Halt: Altersheim

Ich hatte keine bestimmte Vorstellung, wie es sein könnte, weil ich auch nie bei jemandem zu Besuch war, der im Altersheim lebt. Meine Vorstellung war, es sei wie im Hotel. Es war dann alles ein bisschen anders. Offenbar hatte ich doch Erwartungen, aber ich habe gar nicht so bewusst darüber nachgedacht. Ich wollte einfach nicht zu meinen Kindern ziehen, das habe ich genau gewusst. Und ich habe auch immer gesagt, ich wolle ins Altersheim, weil ich noch selber bestimmen wollte, wohin ich gehe und nicht, dass man dann einfach über mich verfügt.

«Es ist ein bisschen wie eine Endstation hier.»

Aber ob ich dies als Lebensabschnitt bezeichnen würde, weiss ich nicht. Es ist schon eine Umstellung auf eine Art. Am Anfang ist es sehr schwierig, das sagen auch andere. Man muss selber fragen gehen, wer wofür zuständig ist. Mit der Zeit sieht man dann, wie es läuft oder fragt andere Bewohner|innen. Aber am Anfang fühlte ich mich wie verlassen, alleine. Vor allem dies hatte ich mir anders vorgestellt.

Als ich umgezogen bin, ist es mir wirklich ganz schlecht gegangen, ich habe ständig gedacht, es ginge nicht. Alles war anders. Jetzt habe ich gemerkt, dass man nicht einfach Dinge erwarten kann, man muss selber etwas machen. Ich denke, ich werde sicher mit den Leuten hier klarkommen, aber ich merke doch, dass ich jahrelang alleine gelebt habe. Ich muss neu lernen, auf Leute zuzugehen, die ich nicht kenne. Oder auch einmal über Dinge sprechen, die mich nicht sonderlich interessieren. Viele Leute hier sprechen nur über das Essen oder darüber, was ihnen nicht passt. Das sind neue Herausforderungen, die auch ganz gut sind. Und ich kann nur mich selbst ändern. Ich muss hier jetzt einfach versuchen, mich anzupassen. Und das ist mir zum Teil auch schon gelungen. Es ist jetzt nicht mehr so schlimm wie am Anfang. Als es mir damals schlecht gegangen ist, habe ich mir immer wieder gesagt, dass es auch noch andere Möglichkeiten gäbe. Zum Beispiel, mit meinen beiden Schwestern zusammenzuwohnen. Diese Option möchte ich mir offen lassen, auch wenn das Altersheim eigentlich ein endgültiger Schritt ist.

Es ist ein bisschen wie eine Endstation hier. Man sieht hier einfach, wie das Leben langsam zu Ende geht. Und dann denkt man natürlich auch daran, wie es einem selber ergehen wird. Aber ich selber hatte noch nie Mühe mit dem Sterben oder dem Tod, ich kann da gut darüber sprechen. Es ist überhaupt nicht so, dass ich Angst davor hätte oder Gedanken daran verdrängen würde. Natürlich, wenn man hier Leute sieht, die schon halb gestorben sind, dann denkt man schon, dass man selber bestimmen können sollte, wann man sterben möchte. Ich möchte dies selber bestimmen können. Aber dafür müsste man ja bei einer Sterbehilfeorganisation angemeldet sein. Ich war einmal eine Zeit lang dort angemeldet, aber dann wollte ich doch nicht mehr. Und jetzt möchte ich eigentlich wieder.

Es hilft mir, mich nicht festzulegen, wie die Zukunft aussehen soll. Was ich sicher weiss, ist, dass ich nicht hierbleiben möchte, bis ich sterbe. Denn wann ich sterbe möchte ich noch selber bestimmen können.


Zum Weiterlesen

Berk, L. E., & Schönpflug, U. (2011). Entwicklungspsychologie (5., aktualisierte Aufl. /bearb. von Ute Schönpflug). München: Pearson Studium.

McLean, K. C. (2008). Stories of the young and the old: Personal continuity and narrative identity. Developmental Psychology, 44(1), 254–264. https://doi.org/10.1037/001211649.44.1.254

Literatur

Berntsen, D., & Rubin, D. C. (2004). Cultural life scripts structure recall from autobiographical memory. Memory & Cognition, 32(3), 427–442. https://doi.org/10.3758/BF03195836

Berntsen, D., Rubin, D. C., & Siegler, I. C. (2011). Two versions of life: Emotionally negative and positive life events have different roles in the organization of life story and identity. Emotion, 11(5), 1190–1201. https://doi.org/10.1037/a0024940

Berk, L. E., & Schönpflug, U. (2011). Entwicklungspsychologie (5., aktualisierte Aufl. / bearb. von Ute Schönpflug). München: Pearson Studium.

McLean, K. C. (2008). Stories of the young and the old: Personal continuity and narrative identity. Developmental Psychology, 44(1), 254–264. https://doi.org/10.1037/0012-1649.44.1.254

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