Self-Monitoring
Haben Bewerber*innen, die sich ihrem Gegenüber in Vorstellungsgesprächen und Assessment-Centern gut anpassen können, einen Vorteil?

Das Persönlichkeitskonstrukt Self-Monitoring beschreibt, in welchem Ausmass Personen ihr Verhalten dem Verhalten der Interaktionspartner anpassen. Personen mit hoher Ausprägung passen ihr Verhalten der unmittelbaren sozialen Umgebung stark an, was in Personalauswahlverfahren vorteilhaft sein könnte.
Von Sebastian Junghans
Lektoriert von Jovana Vicanovic und Tabea Bührer
Illustriert von Livia Halbeisen
1974 präsentierte Snyder erstmals das Persönlichkeitskonstrukt Self-Monitoring, welches nach mehreren Revisionen auf zwei Hauptfaktoren zurückgeführt werden konnte. Hohes Self-Monitoring lässt sich mit hoher Ausprägung der Faktoren «Fähigkeit, die Selbstpräsentation zu ändern» und der «Sensitivität gegenüber dem expressiven Verhalten anderer» erklären (Lennox & Wolfe, 1984).
Self-Monitoring und damit einhergehendes Verhalten
Self-Monitoring korreliert positiv mit gewissen Verhaltensformen und Eigenschaften, die relevant in Personalauswahlverfahren sein können, darunter Faking und Lügen. Levashina und Campion (2007) trafen dabei eine Unterscheidung zwischen leichtem und schwerem Faking. Hogue et al (2013) definierten leichtes Faking als leichtes Ausschmücken von Tatsachen und das Verstellen, um zu gefallen, wohingegen schweres Faking das Erfinden oder Vorenthalten von relevanten Informationen beschreibt. Hogue et al. (2013) untersuchten, wie Geschlecht, Machiavellismus und Self-Monitoring mit Faking in Einstellungsgesprächen zusammenhängen. Bei den männlichen Probanden ging eine hohe Ausprägung von Self-Monitoring mit vermehrtem, leichtem Faking und höherer Ausprägung von Machiavellismus einher. Die absolute Ausprägung von Self-Monitoring und auch von Machiavellismus war bei den männlichen Probanden allgemein signifikant höher als bei den weiblichen Probandinnen. Ähnlich wie bei den männlichen Probanden hing auch bei den weiblichen Probandinnen Self-Monitoring positiv mit Machiavellismus zusammen, neben der zusätzlichen Beobachtung, dass bei den weiblichen Probanden schweres Faking auch positiv mit Self-Monitoring in Verbindung stand.
In einer Polizeistudie, in der es um die Beförderung in den Unteroffiziersrang ging, mussten 68 von 180 Personendatensätzen aufgrund von zu hohen Werten auf einer Lügenskala, für die eigentliche Analyse ausgeschlossen werden. Zwischen Self-Monitoring und der Punktzahl auf der Lügenskala wurde ein positiver, mittlerer signifikanter Zusammenhang gefunden (Osborn et al., 1998)
«Do Chameleons get ahead?»
Kilduff & Day, 1994, S. 1074
In Bezug auf den Arbeitsalltag wurden positiv behaftete Korrelate von Self-Monitoring gefunden. Kilduff and Day (1994) konnten beispielsweise beobachten, dass Personen mit hohem Self-Monitoring öfter unternehmensübergreifend befördert wurden und auch unternehmensintern häufiger in höhere Positionen berufen wurden. Dabei wechselten Personen mit hohem Self-Monitoring öfter den Arbeitgeber und ihren Wohnort. Day et al. (2002) fanden anhand einer Metaanalyse heraus, dass hohes Self-Monitoring auch positiv mit Führung, Arbeitsleistung und Involviertheit zusammenhängt. Allerdings erfahren Menschen mit tiefer Ausprägung von Self-Monitoring weniger Rollenambiguität und -konflikt und zeigen höheres Commitment.
Hohes Self-Monitoring – ein Vorteil?
Rein theoretisch wäre es anzunehmen, dass Personen mit hohem Self-Monitoring in Assessmentcentern bessere Leistungen im Vergleich zu Personen mit niedrigem Self-Monitoring zeigen müssten. Vor allem in Aufgaben wie Rollenspielen sollte hohes Self-Monitoring stark von Vorteil sein. Die Befundlage dazu ist dennoch nicht eindeutig. Je eine Studie zeigte einen positiven, einen gemischten (Zusammenhang nur bei weiblichen Probandinnen gefunden) und keinen Zusammenhang (zwischen Self-Monitoring und der Gesamtleistung im Assessment Center). Bei den Studien wurden jeweils nicht dieselben Aufgaben und unterschiedliche Bewertungsdimensionen verwendet, was einen Vergleich erschwert. Jedoch zeigen die unterschiedlichen Befunde klar, dass hohes Self-Monitoring kein Erfolgsgarant bei der Teilnahme an Assessment Centern ist. Im Gegenteil, Leugnerová et al. (2016) stellten fest, dass hohes Self-Monitoring mit tiefer wahrgenommener Integrität einherging und diskutierten, dass Teilnehmende, welche sich ihrem Gegenüber zu stark anpassten, als unnatürlich wahrgenommen wurden. Der oben erwähnte Geschlechterunterschied wurde von Anderson und Thacker (1985) folgendermassen erklärt: In der Studie wurden bereits eingestellte Verkäufer*innen einer grossen amerikanischen Computerfirma zur Validierung zukünftiger Assessment Center getestet. Der festgestellte Vorteil der weiblichen Probandinnen mit hohem Self-Monitoring sei aufgrund der Männerdominanz in der Branche zu beobachten gewesen. Individuen mit hohem Self-Monitoring hätten demnach in vom anderen Geschlecht dominierten Branchen aufgrund der hohen Anpassungsfähigkeit Vorteile. Die tiefe Teilnehmendenzahl mit 15 Frauen und 49 Männern verlangt allerdings nach Replikationsstudien.

In der Studie von Emrich und Diehl (2007) wurde des Weiteren zwischen dispositionellem und situativem Self-Monitoring unterschieden. In der Dispositionsbedingung wurde den Probanden mitgeteilt, dass Charakterstärke die Schlüsseleigenschaft sei, um im Assessment Center erfolgreich abzuschneiden, wo den Proband*innen in der zweiten Bedingung hingegen gesagt wurde, dass Flexibilität (situatives Self-Monitoring) die Schlüsseleigenschaft zum Erfolg im Assessment Center sei. Unabhängig von der Bedingung waren Personen mit hohem Self-Monitoring insgesamt betrachtet besser als Personen mit niedrigem Self-Monitoring. Einzig und allein in einem lösungsorientierten Zweiergespräch zeigten die Teilnehmenden in der flexiblen Bedingung signifikant bessere Leistungen als die Teilnehmenden in der Dispositionsbedingung.
In Einstellungsgesprächen scheint eine hohe Ausprägung von Self-Monitoring hingegen nicht von Vorteil zu sein. Mehrere Studien fanden keine signifikanten Zusammenhänge. Dabei waren die Interviews von unterschiedlicher Länge, Strukturierungsgrad und Form (Panel vs. Einzel). Eine Erklärung könnte darin liegen, dass Personen mit hohem Self-Monitoring bei Interviews zu wenig oder ambivalente soziale Hinweise von ihrer Umgebung, sprich den interviewenden Personen, erhalten. Es konnte jedoch festgestellt werden, dass der Einfluss von Self-Monitoring auf die Einstellungsgesprächsleistung durch die Persönlichkeit der Interviewenden moderiert wird. Ist die interviewende Person stark extrovertiert, nimmt sie hohes Self-Monitoring beim Gegenüber als positiv wahr, wo hingegen Bewertende mit niedriger Extraversion Personen mit hoher Ausprägung von Self-Monitoring negativer beurteilen (Lazar et al., 2014).
Was macht Erfolg in Personalauswahlverfahren aus?
In praktischer Hinsicht implizieren die Resultate dieser Studien, dass man sich weder als Person mit hohem noch als Person mit niedrigem Self-Monitoring vor Assessmentcentern oder Einstellungsgesprächen fürchten muss. Self-Monitoring ist schlicht nicht das entscheidende Persönlichkeitsmerkmal, wenn es darum geht, in Einstellungsgesprächen oder Assessment Centern gut bewertet zu werden. In den durchforschten Studien wurden ganz unterschiedliche Dinge neben Self-Monitoring erhoben. Levine und Feldman (2002) untersuchten beispielsweise, wie sich Augenkontakt, Lächeln und Körperhaltung auf die Sympathiebewertung der Studienteilnehmenden in einem Interviewsetting auswirkte, wobei Häufigkeitsunterschiede von 10 Prozent beim Augenkontakt schon signifikante Unterschiede ausmachten. Der Erfolg in Personalauswahlverfahren ist also höchstwahrscheinlich nicht auf ein einzelnes Merkmal zurückzuführen.
Zum Weiterlesen
Snyder, M. (1974). Self-monitoring of expressive behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 30, 526-537. https://doi.org/10.1037/h0037039
Emrich, M., & Diehl, M. (2007). Flexibel versus charakterstark: Die Effekte situativen und dispositionellen Self-Monitorings im Assessment Center. Zeitschrift für Personalpsychologie, 6, 2-11. https://doi.org/10.1026/1617-6391.6.1.2
Literatur
Anderson, L. R., & Thacker, J. (1985). Self-monitoring and sex as related to assessment center rating and job performance. Basic and Applied Social Psychology, 6, 345-361. https://doi.org/10.1207/s15324834basp0604_5
Day, D. V., Schleicher, D. J., Unckless, A. L., & Hiller, N. J. (2002). Self-monitoring personality at work: A meta-analytic investigation of construct validity. Journal of Applied Psychology, 87, 390-401. https://doi.org/10.1037/0021-9010.87.2.390
Hogue, M., Levashina, J., & Hang, H. (2013). Will I fake it? The interplay of gender, Machiavellianism, and self-monitoring on strategies for honesty in job interviews. Journal of Business Ethics, 117, 399-411. https://doi.org/10.1007/s10551-012-1525-x
Kilduff, M., & Day, D. V. (1994). Do chameleons get ahead? The effects of self-monitoring on managerial careers. Academy of Management Journal, 37, 1047–1060. https://doi.org/10.2307/256612
Lennox, R. D., & Wolfe, R. N. (1984). Revision of the Self-Monitoring Scale. Journal of Personality and Social Psychology, 46, 1349-1364. https://doi.org/10.1037/0022-3514.46.6.1349
Leugnerová, M., Vaculik, M., & Prochazka, J. (2016). The influence of candidate social effectiveness on assessment center performance ratings: A field study. International Journal of Selection and Assessment, 24, 150-160. https://doi.org/10.1111/ijsa.12137
Levashina, J., & Campion, M. A. (2007). Measuring faking in employment interview: Development and validation of an interview faking behavior scale. Journal of Applied Psychology, 92, 1638–1656. https://doi.org/10.1037/0021-9010.92.6.1638
Levine, S. P., & Feldman, R. S. (2002). Women and men’s nonverbal behavior and self-monitoring in a job interview setting. Applied HRM Research, 7, 1-14.
Osborn, S. M., Field, H. S., & Veres, J. G. (1998). Introversion-extraversion, self-monitoring, and applicant performance in a situational panel interview: A field study. Journal of Business and Psychology, 13, 143-156. https://doi.org/10.1023/A:1022965721229