Professoren|innen gefragt
«Was bleibt ist die Veränderung;
was sich verändert, bleibt.»
(Dr. phil. Michael Richter)
Statement von Frau Prof. Dr. Alexandra M. Freund:
Als Entwicklungspsychologin ist die Veränderung von psychologischen Prozessen über die Zeit mein zentrales Forschungsinteresse: Unter welchen Bedingungen tritt Veränderung in welchem Masse und aufgrund welcher zugrundeliegenden Prozesse auf? Die rasanten Veränderungen im Kindes- und Jugendalter sind faszinierend und scheinen uns fast gleichbedeutend mit Entwicklung. Beschäftigt man sich aber mit dem mittleren und dem höheren Alter, wird einem klar, dass Veränderung nur ein Aspekt von Entwicklung ist: Die Stabilität von psychischen Funktionen steht in diesen Altersgruppen stärker im Vordergrund als die Veränderung. Allerdings stimmt das nur bei relativ oberflächlicher Betrachtung, denn Stabilität impliziert Anpassungsleistungen an sich ständig verändernde interne und externe Faktoren. Versuchen Sie einmal, stabil mit geschlossenen Augen und nach vorne gestreckten Armen auf einem Bein zu stehen. So ähnlich ist es auch, Entwicklungsstabilität zu erreichen. Die Sängerin Petula Clark (wenn Sie sie nicht kennen, von ihr stammt der uralte Hit „Downtown“, ein Ohrwurm aus den 1960iger Jahren) drückte das in einem Interview kürzlich so aus: Stabilität zu erreichen ist mit zunehmendem Alter vergleichbar damit, auf einer sich schnell herunterbewegenden Rolltreppe auf derselben Höhe zu bleiben. Ein sehr treffendes Bild, finde ich.
Statement von Herrn Prof. Dr. Guy Bodenmann:
Veränderungen widerspiegeln den natürlichen Werdegang eines jeden Menschen. Man verändert sich im äußeren Erscheinungsbild ebenso wie bezüglich innerer Werte, Einstellungen, Bedürfnissen und Zielen. Für Paare bedeutet die Veränderung beider Partner eine bedeutende und ständige Herausforderung. Der Mensch, zu dem man ja in der Beziehung sagte, ist schon bald nicht mehr derselbe und selber ist man es genauso wenig. Beide entwickeln sich, teils gemeinsam (Ko-Evolution als Dyade), teils individuell, in kongruenter Weise oder diametral, teils im Gleichschritt, teils in unterschiedlichen Phasen, meist nicht linear, sondern in Entwicklungssprüngen. Nur die Paare, bei denen die Partner Schritt mit der Entwicklung des anderen halten können, an ihr teilhaben und sie begleiten, haben längerfristig eine Überlebenschance. Dies gelingt nur, wenn sich die Partner konstant updaten, über ihre Wünsche und Visionen austauschen, sich füreinander interessieren und die Veränderungen beim anderen wahrnehmen und bejahen. Die Paare, denen dies nicht gelingt, entfremden sich unmerklich, reagieren mit Enttäuschung auf die Veränderung des anderen, verlieren sich aus den Augen.
Statement von Herrn Prof. Dr. Johannes Ullrich:
Meditation oder Legitimation?
Oh, dazu wüsste ich gerne mal, in welchem Zusammenhang der Richter das gesagt hat; diese Aussage lässt sich ja in beliebige Zusammenhänge stellen und dadurch in ihrer Bedeutung verändern. Das erinnert mich an Forschung von Solomon Asch zum Verständnis von Aussagen in unterschiedlichen Kontexten. Nehmen Sie die Aussage von Thomas Jefferson, „I hold it that a little rebellion, now and then, is a good thing, and as necessary in the political world as storms are in the physical“, und schreiben Sie diese Lenin zu, bekommen Sie eine revolutionäre Auslegung (und wahrscheinlich weniger Zustimmung). Den Richter-Spruch können wir zum Beispiel als eine Meditation über Vergänglichkeit verstehen oder als eine Legitimation von irgendeiner „Strukturreform“. Da Wahrscheinlichkeit und Legitimation von Veränderung miteinander verknüpft sind, dürfte dieser Spruch, der Veränderung als etwas natürlich Gegebenes darstellt, prima zur Legitimation von menschengemachter Veränderung geeignet sein.
Statement von Herrn Prof. Dr. Moritz M. Daum:
Halt.
Die Veränderung ist der zentrale Inhalt der Entwicklungspsychologie. Und wie war die Welt der Entwicklungspsychologen früher so einfach. Der Mensch veränderte sich vom Säugling zum Erwachsenen. Und dann war Schluss. In der heutigen Entwicklungspsychologie ist alles viel komplizierter. Die Entwicklung hört nicht nach der Adoleszenz auf, der Mensch entwickelt sich ein ganzes Leben lang. Es ist auch nicht einfach nur eine Veränderung über die Zeit; kritische Lebensereignisse, positive wie negative führen ebenso zu Veränderungen im Denken und Handeln, unabhängig vom Zeitpunkt des Auftretens. Man denke nur an die Geburt eines eigenen Kindes oder den Abschluss eines Studiums. Entwicklung besteht nicht nur aus Reifungsprozessen, die Veränderung eines Individuums ist beeinflusst durch einen ständigen und dynamischen Austausch mit der Umwelt. Die Theorie der dynamischen Systeme (Smith & Thelen, 2003)bietet hier ein wertvolles theoretisches Rahmenkonstrukt, und methodische Möglichkeiten, diese vielfältigen Interaktionsprozesse sichtbar zu machen. Dadurch wird es sicherlich nicht einfacher, Entwicklung zu untersuchen, aber sehr viel spannender. Denn der Mensch verändert sich, ständig.
Zum Weiterlesen
Smith, L. B., & Thelen, E. (2003). Development as a dynamic system. Trends in Cognitive Sciences, 7(8), 343–348. doi: 10.1016/S1364-6613(03)00156-6