Mein Handy weiss, wie es mir geht
Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps für die individuelle Gesundheit

Die Digitalisierung verändert sämtliche Bereiche unseres Lebens in rasanter Geschwindigkeit.
Auch das Gesundheitswesen befindet sich in einer Revolution (Jörg, 2018). Wie hat es sich bisher entwickelt und welche Rolle spielen dabei die beliebten Gesundheits-Apps?
Von Julia Schmid
Lektoriert von Cynthia Jucker und Marcia Arbenz
Illustriert von Kerry Willimann
2015 informierten sich 60 Prozent der Deutschen im Internet über verschiedene Gesundheitsaspekte (Erdogan, 2016). Messungen aus dem Jahre 2017 zeigen, dass mehr als die Hälfte der befragten Personen mindestens einmal pro Monat das Internet bei Gesundheitsfragen konsultierte (Bertelsmann Stiftung, 2018). Dank dem riesigen Angebot an Gesundheit-Apps – über 325’000, mit steigender Tendenz («Research2Guidance», 2017) – kann man sich nicht nur informieren, sondern auch die eigenen Daten erfassen. Dieses Angebot wird laut Albrecht (2018) von jeder dritten Versuchsperson genutzt.
In diesem Text wird nur auf Apps eingegangen, die von gesunden Personen im Sinne einer Lifestyleoptimierung angewendet werden. Diese beziehen sich auf Bereiche wie Fitness, Wellness, Schlaf, Ernährung oder Verhütung (Jörg, 2018). Sie erfassen Körper- und Fitnessdaten anhand von Sensoren (z. B. in Fitnessarmbändern oder Smartwatches) und Fragebögen (Jörg, 2018). Die gesammelten Daten, unter anderem Anzahl Schritte, Kalorienverbrauch, Pulsfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz und Schlafdauer, werden auf das Handy oder Tablet übertragen, miteinander in Verbindung gebracht und analysiert (Jörg, 2018).
Über Prävention und fehlende Qualitätsstandards
Gesundheits-Apps werden im Gesundheitsförderungs- und Präventionsbereich grosses Potenzial zugeschrieben. Sie vermitteln Wissen über den Körper, Verhalten und deren Zusammenhänge, können nachweislich die Bewegungsmotivation steigern und helfen, gesünder zu leben (Meidert et al., 2018). Bereits das Mitführen eines Schrittzählers erhöht die Bewegungstendenz (Graf, Bauer, & Schlepper, 2015). Dies dient als Grundlage von Verhaltensänderungen und führt zu einem erheblichen Fortschritt in der Prävention verschiedener Krankheiten wie zum Beispiel Typ-2-Diabetes (Jörg, 2018). Viele Apps werden aber bereits nach kurzer Zeit nicht mehr gebraucht (Meidert et al., 2018). Die empirische Evidenz zur Langzeitwirkung liegt noch nicht vor.
«Wenn Menschen sich immer mehr an ihren gemessenen Daten orientieren, birgt es aber auch Risiken.» Mandy Scheermesser, 2018
Zurzeit fehlen Qualitätsstandards und der Markt ist sehr intransparent (Draeger, 2016). Hinzu kommt die hohe Fehleranfälligkeit(Steinmetz, 2016). Für den privaten Gebrauch mag die Genauigkeit ausreichen, doch für die Forschung – die von der grossen Datenmenge profitiert und zunehmend Apps anwendet – ist sie häufig unzureichend (Jörg, 2018). Je nach Tätigkeit werden die Anzahl Schritte über- oder unterschätzt, wie beim Tisch abwischen (Steinmetz, 2016). Auch beim Kalorienverbrauch handelt es sich um eine grobe Schätzung und die Herzratenmessungen liegen bis zu 25 Herzschläge daneben (Jörg, 2018). Diagnosen, die anhand von Apps erstellt werden, behalten nur jedes dritte Mal recht (Jörg, 2018).
Gesundheits-Apps mit Sensoren, welche Puls, Blutdruck oder den Sauerstoffgehalt bei gesunden Laien ohne ärztliche Aufsicht messen, sind aufgrund mangelnder Datenqualität und möglicher Fehlinterpretationen fragwürdig (Jörg, 2018). Die Hypothese, dass die riesige, zum Teil fehlerhafte Menge an Gesundheitsdaten zu Hypochondrie führt, wurde bisher aber nicht bestätigt (Jörg, 2018).
Auch ist zur Zeit der Datenschutz nicht gewährleistet. Häufig werden die Daten an Dritte weitergegeben (Bork, Weitz, & Penter, 2018). Vor allem Krankenkassen und Versicherungen könnten Interesse an diesen Daten zeigen, um so Risikoprofile zu erstellen (Jörg, 2018).
Risiko der Selbstvermessung
Immer mehr Menschen haben das Bedürfnis, ihre Körperfunktionen zu messen und zu analysieren (Meidert et al., 2018). Diese Selbstvermessung wird mit dem Drang nach Erkenntnissen über sich selbst, nach Selbstoptimierung und -Management erklärt (Timmer, Kool, & van Est, 2015). Die erhobenen Daten dienen als Entscheidungsgrundlage, Ansporn, Dokumentation und zum Austausch mit Gleichgesinnten (Meidert et al., 2018). Risiken dieses Trends bestehen darin, dass durch häufiges Messen das Gefühl für den eigenen Körper verloren gehen, ein Messzwang entstehen oder Ängstlichkeit und Stress verstärkt werden können (Meidert et al., 2018).
Auch könnte die zunehmende Selbstvermessung den Anschein erwecken, dass der eigene Gesundheitszustand komplett selbst bestimmt werden kann. Anreizsysteme der privaten Krankenversicherungen (z. B. tiefere Prämie bei Benutzung einer Gesundheits-App) könnten dies noch verstärken (Meidert et al., 2018). Eine Entwicklung Richtung Diskriminierung von Menschen mit Krankheiten oder Behinderung, Entsolidarisierung und Zugangsungerechtigkeit ist möglich (Meidert et al., 2018).
Abschliessend lässt sich sagen, dass Gesundheits-Apps ein grosses Potenzial besitzen. Damit dieses genutzt werden kann, müssen die Qualität gesichert und einige Fragen, wie die Eingliederung ins Gesundheitssystem, geklärt werden. Bis dahin ist ein kritischer Umgang empfohlen.
Zum Weiterlesen
Jörg, J. (2018). Digitalisierung in der Medizin. Wie Gesundheits-Apps, Telemedizin, künstliche Intelligenz und Robotik das Gesundheitswesen revolutionieren.Berlin: Springer Verlag.
Meidert, U., Scheermesser, M., Prieur, Y., Hegyi, S., Stockinger, K., Eyyi, G., …Becker, H. (2018). Quantified Self – Schnittstelle zwischen Lifestyle und Medizin. Zürich: vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich.
Literatur
Albrecht, U. V. (2018). Gesundheits-Apps. Fachübergreifende Qualitätskriterien sind unabdingbar. Deutsches Ärzteblatt, 115(3), 61–62.
Bertelsmann Stiftung. (2018). Das Internet: Auch Ihr Berater für Gesundheitsfragen? –Ergebnisse einer Bevölkerungsumfrage zur Suche von Gesundheitsinformationen und zur Reaktion der Ärzte. doi: 10.11586/2017052
Bork, U., Weitz, J., & Penter, V. (2018). Apps und Mobile Health. Deutsches Ärzteblatt, 115(3), 57–60.
Draeger, F. (2016). Gut vernetzt. Apotheken-Umschau, 1(16), 13–17.
Erdogan, B. (2016). „Dr. Google hat jetzt Zeit für Sie!“ – Aufbruch in die digitale Medizin? Rheinisches Ärzteblatt, 3(1), 12–14.
Graf, C., Bauer, C., & Schlepper, S. (2015). „10.000 Schritte für Ihre Gesundheit“. Bewegungsempfehlungen kommen. Rheinisches Ärzteblatt, 10(1), 17–19.
Jörg, J. (2018). Digitalisierung in der Medizin. Wie Gesundheits-Apps, Telemedizin, künstliche Intelligenz und Robotik das Gesundheitswesen revolutionieren.Berlin: Springer Verlag.
Meidert, U., Scheermesser, M., Prieur, Y., Hegyi, S., Stockinger, K., Eyyi, G., …& Becker, H.(2018). Quantified Self – Schnittstelle zwischen Lifestyle und Medizin. Zürich: vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich.
Research2guidance. (2017). mHealth App Developer Economics 2017. Retrieved from https://research2guidance.com/product/mhealth-economics-2017-current-status-and-future-trends-in-mobile-health/
Steinmetz, V. (2016). Sportlich vermessen. Der Spiegel, 5(1), 88.
Timmer, J., Kool, L., & van Est, R. (2015). Coaches everywhere. In L. Kool, J. Timmer & R. van Est (Eds.), Sincere support. The rise of the e-coach (pp. 9–26). Den Haag: Rathenau Instituut.