Das Leben von Trans*-Personen in der Schweiz
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Das Missverständnis, die Geringschätzung, die Stigmatisierung und sogar die Pathologisierung ihrer Identität gehört zum Alltag vieler Transfrauen und -männer. Transphobie ist ein ernstzunehmendes und folgenreiches Problem. Eine wertschätzende Darstellung von Transidentität in den Medien soll Problematik entschärfen. Das aware gibt Trans*-Menschen eine Stimme.
Von Noémie Lushaj und Marcia Arbenz
Lektoriert von Vera Meier und Selina Landolt
Illustriert von Melina Camin
Laut dem Transgender Network Switzerland(TGNS) sind Trans*-Personen Individuen, «[…] deren Geschlechtsidentität (teilweise) nicht dem ihnen körperlich zugeordneten Geschlecht entspricht» (TGNS, 2017). Innerhalb des Trans*-Begriffs existieren viele feine Unterscheidungen, welche die verschiedenen Facetten der Transidentität deutlich machen. Die Verwendung des Sternchens in der Bezeichnung signalisiert entsprechend, dass «[…]verschiedene Ausprägungen und Selbstbezeichnungen der Geschlechtsidentität eingeschlossen sind» (TGNS, 2017). Es ist ein Zeichen von Respekt und Wertschätzung gegenüber Angehörigen der Trans*-Community, die angemessene Sprache zu verwenden (TGNS, 2017). Dabei sind bestimmte Begriffe zu vermeiden, die eine abwertende Konnotation mit sich bringen: Von Trannies, Shemales, Ladyboys und ehemaligen Frauen oder Männern sollte nicht mehr die Rede sein (TGNS, 2017). Im Zweifel ist es wünschenswert, Trans*-Menschen direkt zu fragen, wie sie gerne genannt werden möchten und welche Pronomen sie präferieren (Brandenburg, 2018).
Transgender ist (k)eine Krankheit
Personen, die anders als Transfrauen und -männer eine Kongruenz zwischen ihrer empfundenen Geschlechtsidentität und ihrem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht erfahren, werden als cisgender bezeichnet (TGNS, 2017). Die moderne westliche Gesellschaft ist hochgradig cisnormativ, das heisst, dass Cisidentität als Standard angesehen wird (Capuzza & Spencer, 2015). Menschen, die von dieser Norm abweichen, in diesem Fall eben Trans*-Menschen, werden häufig stigmatisiert oder gar pathologisiert. In der Tat ist gender dysphoriaeine im DSM-5 beschriebene psychische Erkrankung und auch das ICD-10 klassifiziert gender identity disorders als psychische Krankheiten (Reed et al., 2016). Mit der Erscheinung des ICD-11 wird sich diese Form der Kategorisierung ändern: Transfrauen und -männer werden von der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO) künftig nicht mehr als psychisch kranke Patienten|innen angesehen. Ihr Zustand wird im Rahmen der neuen Klassifikation als gender incongruenceim Kapitel sexual health beschrieben (Reed et al., 2016). Dieser Begriffs- und Kategorienwechsel stellt für viele einen massiven Fortschritt dar: Er reduziert das Stigma, das auf Trans*-Menschen lastet und erleichtert gleichzeitig deren Zugang zu Gesundheitsleistungen (Reed et al., 2016). Die Tendenz, Transidentität zu pathologisieren,entspringt vermutlich der Beobachtung, dass diese oft mit grossem Leiden verbunden ist. Forschende konnten aber zeigen, dass das Leiden von Transfrauen und -männern nicht per se darauf begründet ist, dass sie ihre Transidentität ausleben, sondern, auf der fehlenden gesellschaftlichen Akzeptanz und vorherrschenden Diskriminierung ihnen gegenüber (Robles et al., 2016).
«Stigma associated with the intersection of transgender status and mental disorders appears to have contributed to precarious legal status, human rights violations, and barriers to appropriate health care in this population.» Reed et al., 2016, S. 209
Transphobie: Wenn Hass tödlich ist
Die Ablehnung von beziehungsweise die Abneigung gegenüber Trans*-Menschen wird Transphobie genannt (TGNS, 2017). Sie äussert sich beispielsweise in Form verbaler und körperlicher Gewalt, sowie Benachteiligungen in verschiedenen Bereichen des Zusammenlebens. Unfaire Behandlungen werden auf dem Arbeitsmarkt von 22 Prozent und auf dem Wohnungsmarkt von 9 Prozent der Trans*-Menschen berichtet (Bradford, Reisner, Honnold, & Xavier, 2013). Solche Diskriminierungen resultieren in höheren Arbeits- und Obdachlosigkeitsquoten für Trans*-Personen (Grant, Mottet, & Herman, 2011). Auch ist die Wahrscheinlichkeit, in Bedingungen von extremer Armut zu leben, in dieser Gruppe, verglichen mit der Allgemeinbevölkerung, um das Vierfache erhöht (Grant et al., 2011). Weiter erleben 26 Prozent der Trans*-Personen eine Diskriminierung im Gesundheitsversorgungssystem (Bradford et al., 2013). Auch das Sozialleben kann beeinträchtigt sein, da Trans*-Menschen teilweise von ihrer Familie und ihrem Freundeskreis aufgrund ihrer Transidentität zurückgewiesen werden (White Hughto, Reisner, & Pachankis, 2015). Im Laufe des letzten Jahrzehnts wurden weltweit etwa 3‘000 Trans*-Personen ermordet (Elks, 2018). Der Transgender Day of Remembrance(TDoR) ist ein Gedenktag, der jährlich am 20. November stattfindet und an dem den Opfern transfeindlicher Gewalt gedenkt wird (Kraus, 2017).
Die minority stress theory besagt, dass Stressoren, die mit dem Minoritätsstatus einer Gruppe verbunden sind – im Fall von Trans*-Menschen Stressoren, die auf ihrer nichtnormativen Geschlechtsidentität basieren – die Gesundheit der betroffenen Population negativ beeinflussen (White Hughto et al., 2015). In der Tat sind die psychischen Konsequenzen der Transphobie für Trans*-Menschen schwerwiegend. Zum Beispiel leiden diese übermässig häufig an Depressionen und Angststörungen (Budge, Adelson, & Howard, 2013). Im National Transgender Discrimination Survey(NTDS) gaben 26 Prozent der befragten Trans*-Menschen an, gegenwärtig Alkohol oder Drogen zu konsumieren oder in der Vergangenheit konsumiert zu haben, um mit den Folgen der Diskriminierung umzugehen (Grant, Mottet, & Tanis, 2010). In einem amerikanischen Bericht zeigte sich, dass 42 Prozent der Transfrauen und 46 Prozent der Transmänner bereits einmal in ihrem Leben einen Suizidversuch unternommen haben (Haas, Rodgers, & Herman, 2014).
«Sie [Trans*-Menschen] werden nicht erst durch Operationen zur ‘richtigen Frau’ oder zum ‘richtigen Mann’, sondern sie waren schon immer diese Frau, dieser Mann.» Transgender Network Switzerland, 2018, S. 7
Sichtbarkeit für Trans*-Menschen
Trans*-Personen werden in den Medien zumeist entweder unterrepräsentiert (Smith et al., 2015) oder hauptsächlich in stigmatisierender und cisnormativer Weise dargestellt (Capuzza & Spencer, 2015). Um schädliche Darstellungen möglichst zu vermeiden, erscheint es sinnvoll, dass Trans*-Menschen persönlich von ihren Erfahrungen berichten und so sichtbar werden. In den nächsten Abschnitten erzählen Manu und Beni, was es für sie bedeutet, ein Transmann zu sein.
Manu, 19
Die Gewissheit kam mit 16 Jahren. Vorher war es lange kein Thema, vermutlich weil ich nicht gewusst hatte, dass es das gibt. Sonst wäre ich wahrscheinlich früher darauf gekommen. Aber ich habe das Gefühl, dass ich es schon immer ein wenig gespürt habe und 16 Jahre lang dachte «Das kann nicht alles sein, was mir das Leben zu bieten hat». Es ist, als hätte ich vorher immer alles schwarz-weiss gesehen. Und jetzt sehe ich alles in Farben. Meine gesamte Gefühlsrange hat sich vergrössert. Ich war damals depressiv. Zu dieser Zeit habe ich auch angefangen, Antidepressiva zu nehmen. Jetzt geht es mir viel besser. Es gab keinen ausschlaggebenden Moment [der Erkenntnis], es war eher ein Prozess – wenn auch ein schneller, alles in allem. Das ist anstrengend, der Körper arbeitet halt. Für die emotionale Unterstützung war ich lange bei einer Psychiaterin. Meine Familie war zuerst skeptisch. Verständlicherweise. Es gibt Lustigeres als wenn die 16-jährige Tochter zu einem kommt, und ihr Leben auf den Kopf stellen will. Die Reaktion meiner Mutter war nicht schlecht, aber ich hörte halt genau das, was ich nicht hören wollte. Für sie war es schwieriger, vor allem, weil ich neben meinen drei Brüdern das kleine Mädchen gewesen war, das sie sich gewünscht hatte. Das war schon noch schwierig. Ab und zu haben wir darüber gesprochen, aber es war schwer, weil sie mir nicht sagen wollte, wie schwierig es für sie ist, um mich nicht zusätzlich zu belasten.
Vor allem hat mich meine Freundin unterstützt. Ich habe mich damals als lesbisch geoutet und dann an einem ominösen Abend haben wir uns geküsst und ineinander verliebt. Das war komisch für sie. Sie meinte: «Hä, du bist doch eine Frau, wieso stehe ich auf Frauen?». Als wir dann ein Paar wurden, war es für uns beide klar, dass das keine lesbische Beziehung war. Ich habe ihr dann gesagt: «Hey, ich glaube, ich bin ein Mann» und sie: «Ah, jetzt macht alles Sinn». Gerade durch sie habe ich gemerkt, dass ich sie nicht als Frau liebe, sondern als Mann. Gefühlt ist es eine heterosexuelle Beziehung. Sie hat mich durch diese ganze Zeit begleitet. Wir sind immer noch zusammen, seit drei Jahren. Ich habe schon das Gefühl, dass ich ein besserer Freund bin. Nur schon, weil ich weiss, was es heisst, wenn du deine Tage hast.
Was sich verändert hat, ist das Gefühl, besser zu meiner weiblichen Seite stehen zu können. Vorher hatte ich versucht, sie mit allen Mitteln zu unterdrücken. Jetzt, wo mich alle als Mann wahrnehmen, ist es okay. Aber es braucht schon ein wenig Mut, die weibliche Seite auszuleben. Mit kleinen Kindern habe ich es ein paar Mal erlebt, dass sie mich direkt gefragt haben, ob ich ein Mann oder eine Frau sei. Sie sind viel sensibler, noch nicht so verdorben von diesen starren Vorstellungen, so dass es sie vielleicht nicht ganz so stört, wenn jemand nicht so eindeutig Frau oder Mann ist. Sie fragen einfach: «Bist du ein Mann oder eine Frau?» und dann ist es okay. Der kleine Bruder meiner Freundin ist etwa acht Jahre alt und dann hat man ihm gesagt: «[…] heisst jetzt Manu» und er so: «Okay». Und das war es. Das würde ich mir bei allen Menschen wünschen. Ich kenne das bei mir selber, diesen Einordnungsdrang. Wenn ich irgendjemanden sehe, will ich ihn unbedingt als Mann oder als Frau schubladisieren, aber eigentlich ist es mir scheiss egal. Trotzdem ist es einfach so präsent in unserer Gesellschaft.
Es ist ein wenig traurig, aber mir wird als Mann besser zugehört. Klar, ich trete auch anders auf, aber es ist schon ein krasses Gefühl. Man wird ernster genommen. Gerade war ich mit meinem Vater in den Ferien und dann habe ich irgendwann einen schweren Koffer getragen und es war selbstverständlich, dass er ihn mir nicht mehr abnehmen will. Vorher, als Frau, hätte er mir den Koffer natürlich noch abgenommen aber jetzt habe ich ihn halt getragen – das war völlig klar. Ich habe realisiert, dass ich anders behandelt werde, obwohl sich für mich nichts verändert hat. Ich bin immer noch der gleiche Mensch wie vorher. Aber alle anderen sehen plötzlich etwas anderes in mir.
Immer noch finden ganz viele Leute in diesem Land, dass Schwule nicht heiraten dürfen. Wir haben also noch so viel anderes zu tun. Man kann jetzt nicht noch mit einem dritten Geschlecht kommen. Ich habe wie das Gefühl, dass die Gesellschaft noch nicht bereit ist für das. Wir sollten grundsätzlicher vorgehen und weniger symptomatisch. Ich finde, wir sollten viel grundsätzlicher an Toleranz arbeiten, und nicht zuerst für Transmenschen und dann für das und das… Ich habe nicht das Gefühl, dass es so irgendwo hinführt. Was ich gelernt habe durch das alles, ist, dass ich versuche, den Menschen hinter einer Person zu sehen. Ich habe gemerkt, dass wir durch das Geschlecht immer sehr viel konstruieren und einen Menschen gar nicht richtig anschauen. Ich habe es bei meiner Freundin gemerkt. Sie hat sich in mich verliebt. Sie hat sich nicht in eine Frau oder in einen Mann oder in sonst etwas verliebt, sondern einfach in mich.
Beni, 20
Ich habe mit einer Kollegin einen eigenen Verein gegründet, über den wir einmal im Monat ein Treffen für Jugendliche aus der LGBT-Community [Anm. d. Red.: Lesbian, Gay, Bisexual, and Transgender] organisieren. Meine Freundin ist neben Schule, Arbeit und Verein, ein wichtiger Ankerpunkt. Wir sind seit dem April 2017 zusammen. 2015 im Februar hatte ich mein Outing und 2015 im Juni habe ich begonnen, Hormone zu nehmen. Meine Freundin hat meine Gebärmutterentfernung mitbekommen und halt alles, was sonst noch los war, wie die ständige Medikamenten-Einnahme und mein momentaner Kleinkrieg mit der Krankenkasse. Bei mir ist die Penis-Epithese [Anm. d. Red.: Dabei wird ein künstlicher Penis aus medizinischem Silikon hergestellt, auf den spezifischen Genitalbereich abgestimmt und mit einem speziellen hautfreundlichen Kleber auf der Haut befestigt (Selvaggi & Elander, 2008)] ein Thema, weil ich keine Operation machen will, ich vertrage sie sehr schlecht. Das heisst man muss einen Silikonabdruck machen und nachher passt der künstliche Penis einfach perfekt, so dass er überhaupt nicht störend ist und für alles funktioniert. Man kann einen machen, der für das Urinieren im Stehen funktioniert, man kann einen machen, der schön aussieht und angenehm zu tragen ist, und man kann einen machen, der für Sex gebraucht werden kann. Das heisst,alle Funktionen sind möglich.
Ich hatte mich schon immer sehr burschikos gegeben und mich mit den Jungs besser verstanden. Wenn man mich als kleines Kind, so mit sechs oder sieben, gefragt hatte: «Willst du ein Junge sein?», was meine Gspöndli noch oft getan haben, weil sie mich etwas komisch fanden, habe ich geantwortet: «Ja natürlich, aber ich bin halt ein Mädchen». Mit zwölf hatte meine Schwester einen Kollegen, der auch ein Transmann war, und da erfuhr ich, dass es ein Wort dafür gibt. Aber damals habe ich es immer noch weit von mir weggeschoben. Ich hatte Tagträume, dass ich von zuhause abhaue und nach Deutschland gehe, dort meine Transition habe und dann zurückkehre, um mich als Mann in meine Familie einzuschleichen. Irgendwann hätte ich gesagt: «Hey übrigens, ich bin es». Dann kam der Moment, als wir in den Ferien waren und wir in einem Restaurant sassen, so wie jetzt und da gab es ein Mädchen, das so 14 Jahre alt war und ich war ungefähr 16 und sah aus wie ein süsser kleiner Justin Bieber, ein Bubi halt. Und sie hat immer wieder zu mir rüber geschaut. Es war wie klar, dass sie mich süss fand oder, dass ich ihr auffalle. Da habe ich zu meiner Mutter gesagt: «Weisst du, es ist mega unfair, wenn sie wüsste, dass ich eine Frau bin, hätte sie überhaupt kein Interesse mehr». Diese Aussage hat mich noch extremer zum Nachdenken gebracht. Ich habe mich in den nächsten Tagen in meinem Zimmer eingeschlossen und einfach YouTube-Video an YouTube-Video geschaut. Irgendwann bin ich auf das Video einer Psychologin oder Psychiaterin gestossen. Ich hatte die Frage eingegeben: «How to know if I’m transgender», und die Frau im Video sagte, wenn man das google, sei die Wahrscheinlichkeit relativ gering, dass man es nicht ist. Und mit dem Video ist für mich der Groschen gefallen. Auf einmal konnte ich akzeptieren, dass es so ist. Irgendwann muss man es einfach hinnehmen und dann die Dinge machen, die nötig sind.
Mein Grossvater ist einer der grössten Homophoben [und Transphoben] gewesen. Und nun hat er es vollkommen abgelegt. Er ist voll auf meiner Seite und ich bin vollkommen sein Enkelsohn und es ist voll akzeptiert. Ich denke, Homophobie [und Transphobie] hat oft mit Unbetroffenheit, mit Angst und mit Unwissenheit zu tun. Jeder hat irgendeine Aufgabe und viele Menschen haben schwierige Aufgaben. Und die Transidentität ist halt einfach meine Aufgabe, so erklär ich es mir. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott will, dass ich mich umgebracht hätte. Denn das hätte ich getan, wenn ich die Transition nicht hätte machen können. Es gibt einen Spruch in der Bibel, der heisst «Gottes Wege sind unergründlich». Ich masse mir nicht an zu verstehen, warum was wie läuft. Ich konnte vielen Menschen, die auch trans* sind helfen dadurch helfen, dass ich meinen Weg akzeptiert habe und ihn nun gehe. Es hat sich viel Positives ergeben, dadurch, dass ich trans* bin. Klar, ich wäre gerne einfach möglichst «normal». Es ist eine coole Vorstellung, ganz «normal» durch das Leben zu gehen und keine Medikamente nehmen zu müssen oder Operationen zu machen, nur um sich wohl zu fühlen. Aber umso länger man drin ist, desto mehr vergessen es die Leute. Ich kenne wirklich Leute, die, wenn ich es wieder einmal erwähne, zu mir sagen, dass sie es vergessen hätten. Und ich merke auch, dass sie und auch ich die Erinnerungen angleichen, an das, was ich jetzt bin. Also wenn ich mich an meine Kindheit erinnere, nehme ich mich als Junge wahr, auch wenn ich damals als Mädchen gelebt habe. Das geht auch Kollegen und Kolleginnen so und auch meiner Mutter. Man passt sich so an.
Ich fände es mega schön, leibliche Kinder zu haben, aber ich habe auch Verwandte, die adoptierte Kinder haben und für die sind sie vollkommen ihre Eltern. Es ist keine Frage. Da denke ich mir: «Gut, meine Kinder werden es auch». Ich will dann auch offen mit ihnen umgehen, ich will, dass meine Kinder von Anfang an wissen, dass ich nicht ihr leiblicher Vater bin, aber dass ich trotzdem ihr Vater bin und sie trotzdem genauso gern habe. Aber ja, ich hatte einen halben Nervenzusammenbruch, bevor ich meine Gebärmutter entfernen liess, weil ich wusste, jetzt ist es vorbei. Mit 19 Jahren diese Entscheidung zu treffen war nicht einfach. Aber es war das Richtige.
Was mir wichtig ist: Transidentität ist keine Krankheit. Es kann Symptome einer psychischen Krankheit mit sich bringen, aber es ist keine. Ich finde es sehr wichtig, dass man einen Menschen nicht nur auf seine Transidentität oder Sexualität reduziert.
Die Transition
Mit Transition ist eine «Geschlechtsangleichung» gemeint: Das bei der Geburt zugeordnete Geschlecht kann der erlebten Geschlechtsidentität auf körperlicher, sozialer oder rechtlicher Ebene angepasst werden (TGNS, 2017). Daher sind mit der Transition physiologische, psychosoziale und administrative Veränderungen verbunden. Mittels Operationen wie Hysterektomien [Entfernungen der Gebärmutter] und Penektomien [Entfernungen des Penis’], Vaginoplastien [Vagina(re)konstruktionen] und Phalloplastien [Penis(re)konstruktionen], sowie Mastektomien [Brustentfernungen] und Brustvergrösserungen können unterschiedliche Teile des Körpers entfernt, modifiziert oder (re)konstruiert werden (Selvaggi & Bellringer, 2011; Sutcliffe et al., 2009). Auch Hormone können eingenommen werden, um endokrinologische Prozesse zu steuern und somit bestimmte Aspekte der äusserlichen Erscheinung, inklusive der Stimme, zu verändern (Selvaggi & Bellringer, 2011). Auch auf rechtlich-administrativer Ebene können Änderungen vorgenommen werden. Mai 2018 wurde in der Schweiz eine Veränderung des Zivilgesetzbuches vorgeschlagen: Diese sollte Modifizierungen des Vornamens und des amtlichen Geschlechts erleichtern, die vorher zwar möglich aber mit aufwändigen und teuren Prozeduren verbunden waren (Bundesamt für Justiz, 2018).
Zum Weiterlesen und -schauen
Transgender Network Switzerland (TGNS). (2018). Trans: Eine Informationsbroschüre von trans Menschen für trans Menschen und alle anderen [Brochure]. Abgerufen am 01. Februar 2019 von https://www.tgns.ch/wp-content/uploads/2018/05/Trans-Broschu%CC%88re-Inhalt.pdf
[World Health Organization (WHO)]. (2018). WHO: Revision of ICD-11 (gender incongruence/transgender) – questions and answers (Q&A) [Videodatei]. Abgerufen am 01. Februar 2019 von https://www.youtube.com/watch?v=kyCgz0z05Ik
Literatur
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