Anordnungsmodell in Vernehmlassung
Der Bundesrat will die delegierte Psychotherapie neu regeln
In der letzten Ausgabe FS19 haben wir im Artikel «Delegierte Psychotherapie – diskriminierende Berufsbedingungen für Psychologen|innen» die Nachteile des aktuellen Delegationsmodells vorgestellt. Die psychologischen Berufsverbände unter der Führung der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) engagieren sich seit Jahren für eine bessere Lösung. Gefordert wird ein sogenanntes Anordnungsmodell. Jetzt schickt der Bundesrat einen konkreten Lösungsvorschlag in die Vernehmlassung.
Von André Widmer, Präsident ZüPP, Kantonalverband der Zürcher Psychologinnen und Psychologen
Der Lösungsvorschlag des Bundesrates sieht vor, dass psychologische Psychotherapeuten|innen im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung OKP (Grundversicherung) als selbständige Leistungserbringer|innen ihre Leistungen erbringen können und nicht mehr unter Aufsicht eines Arztes oder einer Ärztin arbeiten müssen. Voraussetzung ist unter anderem der eidgenössische Weiterbildungstitel «Psychotherapie». Durch die vorgeschlagene Lösung sollen sowohl die bestehenden Engpässe in der psychotherapeutischen Versorgung reduziert als auch die Berufssituation der psychologischen Psychotherapeuten|innen verbessert werden. Die Vernehmlassung des vorliegenden Entwurfs läuft bis zum 17. Oktober 2019. Grundsätzlich stösst der Vorschlag auf breite Zustimmung, auch wenn er zusätzliche Anforderungen für angehende Psychotherapeuten|innen beinhalten wird (Bundesamt für Gesundheit BAG, 2019b; Föderation Schweizer Psycholginnen und Psychologen FSP, 2019).
Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung soll verbessert werden
In der Medienmitteilung des Bundes vom 26. Juni 2019 wird darauf hingewiesen, dass psychische Störungen zu den häufigsten und am meisten einschränkenden Krankheiten in der Schweiz zählen. Erhebungen und Schätzungen zeigen, dass im Laufe eines Jahres bis zu einem Drittel der Bevölkerung an einer psychischen Störung erkrankt, welche in den meisten Fällen behandelt werden sollte. Am häufigsten sind Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen (Bundesamt für Gesundheit BAG, 2019b).
Durch das neue Anordnungsmodell liessen sich vor allem Versorgungsengpässe bei Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen in Krisen- und Notfallsituationen reduzieren. Die Anordnung durch Hausärzte|innen etc. ermöglicht einen einfacheren und früheren Zugang zur Psychotherapie als die bisher erforderliche vorgängige Konsultation bei Fachärzten|innen für Psychiatrie und Psychotherapie. Chronifizierungen können dadurch verhindert und Langzeittherapien reduziert werden (Bundesamt für Gesundheit BAG, 2019b).
Vorgesehene Änderungen für Psychologen|innen
Die aktuellen Anforderungen an psychologische Psychotherapeuten|innen zur Abrechnung ihrer Leistungen über die Grundversicherung sollen wie folgt ergänzt bzw. revidiert werden:
- Neu wird verlangt, dass zusätzlich zum Psychotherapietitel ein weiteres Jahr klinische Erfahrung in einer psychotherapeutisch-psychiatrischen Einrichtung nach dem Erwerb des Psychotherapietitels zu leisten ist. Die Einrichtung muss über eine Anerkennung des Schweizerischen Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF) der Kategorie A oder B verfügen.
- Leistungen von Psychotherapeuten|innen in Weiterbildung sollen neu nicht mehr über die Grundversicherung abgerechnet werden können. Dies bedeutet für Psychologen|innen in Weiterbildung, dass sie während der Weiterbildung keine Praxiserfahrungen in einer Privatpraxis mehr machen können.
- Die Psychotherapien müssen von Ärzten|innen angeordnet werden, die der erweiterten Grundversorgung angehören. Das sind Fachärzte|innen in Allgemeiner Innerer Medizin (Hausärzte|innen), Neurologie, Gynäkologie und Geburtshilfe, Psychiatrie und Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Kinder- und Jugendmedizin sowie Ärzte|innen der psychosomatischen und psychosozialen Medizin.
- Pro ärztliche Anordnung sollen maximal 30 Therapiesitzungen zugelassen werden. Für weitere Sitzungen ist eine Kostengutsprache durch den Versicherer erforderlich. In Krisensituationen können Leistungen bis zu zehn Sitzungen von allen Ärzten|innen angeordnet werden.
- Die Tarife werden von den Tarifpartnern ausgehandelt (Berufsverbände der Psychologen|innen, Krankenkassen etc.) und müssen vom Bundesrat genehmigt werden. Der Bundesrat wird, wenn nötig, einen ersten Tarif verordnen, damit beim Inkrafttreten des Anordnungsmodells nicht im tariflosen Zustand gestartet wird.
Die Kostenregelung des heutigen Delegationsmodells wird ab Gültigkeit der neuen Verordnung hinfällig. Ab dem Zeitpunkt der Einführung des Anordnungsmodells soll es noch eine Übergangszeit von zwölf Monaten geben, während der Leistungen der delegierten Psychotherapie abgerechnet werden können (Bundesamt für Gesundheit BAG, 2019a).
Erschwerte Bedingungen bei Psychotherapieweiterbildungen
Negative Auswirkungen hätte die Einführung des Anordnungsmodells in der vorgesehenen Form für Psychologen|innen, die jetzt oder in den nächsten Jahren eine Psychotherapieweiterbildung starten. In Zuge ihrer Therapieweiterbildung müssen sie praktische Erfahrungen sammeln, jedoch wird sich die Zahl der zur Verfügung stehenden Praxisplätze durch den Wegfall der Plätze der delegierten Psychotherapie verringern. Das neu für eine private Tätigkeit geforderte zusätzliche Praxisjahr in einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Institution wird den Engpass bei der klinischen Weiterbildungspraxis zudem verstärken. Für die psychologischen Psychotherapeuten|innen, die bei der Einführung des Anordnungsmodells ihre Weiterbildung bereits abgeschlossen und eine kantonale Praxisbewilligung (Berufsausübungsbewilligung) haben, wird sich dagegen nichts ändern (Bundesamt für Gesundheit BAG, 2019a).
Fazit
Die vom Bund vorgeschlagenen Änderungen sind noch nicht definitiv. Aufgrund der Vernehmlassung, die bis zum 17. Oktober 2019 dauert, sind noch Anpassungen am Verordnungsentwurf möglich. Voraussichtlich wird der Bundesrat im nächsten Jahr eine leicht revidierte Version verabschieden, die im Jahr 2021 in Kraft treten sollte.
Klar erkennbar ist die Absicht des Bundes, die psychotherapeutische Versorgung in der Schweiz zu verbessern, indem der Zugang zur Psychotherapie erleichtert wird; sowohl ärztliche als auch psychologische Psychotherapieleistungen sollen direkt von den Leistungserbringern über die Grundversicherung abgerechnet werden können. Gleichzeitig soll eine mit dem Übergang zum Anordnungsmodell unkontrollierte Mengenausweitung der angeordneten Psychotherapien und damit Kostensteigerungen in der Grundversicherung durch die zusätzlichen Anforderungen (weiteres Praxisjahr, keine Abrechnung von Leistungen durch Psychotherapeutinnen in Weiterbildung) verhindert werden.
Im Rahmen der Vernehmlassung wird sich der ZüPP zusammen mit der FSP, inklusive anderen psychologischen Berufsverbänden, dafür einsetzen, dass die psychologischen Psychotherapeuten|innen, insbesondere jene in Weiterbildung, bei der Zulassung zur Grundversicherung gegenüber ihren ärztlichen Kollegen|innen nicht unfair benachteiligt werden. Die FSP und deren Gliedverbände werden auch in den nächsten Jahren weiter gefordert sein und benötigen Unterstützung durch neue Mitglieder.
Zum Weiterlesen
Bundesamt für Gesundheit BAG. (2019a). Änderung der Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung (KVV; SR 832.102) und der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV; SR 832.112.31) betreffend Neuregelung der psychologischen Psychotherapie im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) und Anpassung der Zulassungsvoraussetzungen der Hebammen sowie der Personen, die auf ärztliche Anordnung hin Leistungen erbringenBern. Retrieved August 09, 2019, from, https://www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents/3067/KVV_KLV_Erl.-Bericht_de.pdf
Bundesamt für Gesundheit BAG. (2019b). Der Bundesrat will den Zugang zur Psychotherapie verbessern. Bern. Retrieved August 09, 2019, from,
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-75583.html
Föderation Schweizer Psycholginnen und Psychologen FSP. (2019). Medienmitteilung: Ein Meilenstein für die psychotherapeutische Versorgung ist in Griffweite. Bern. Retrieved August 09, 2019, from, https://www.psychologie.ch/medienmitteilung-ein-meilenstein-fuer-die-psychotherapeutische-versorgung-ist-griffweite-0