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Es brennt so gut

Warum sich Muskelkater gut anfühlt

Muskelkater kann sehr schmerzhaft sein und doch kommt es immer wieder vor, dass sich Leute positiv über genau jene Schmerzen äussern. Das liegt vermutlich nicht an biologischen Faktoren, sondern an unbewusster Emotionsregulation.

Von Sebastian Junghans
Lektoriert von Cynthia Jucker und Michelle Donzallaz
Illustriert von Daniel Skoda

Was wir gemeinhin als Muskelkater bezeichnen, ist das Gefühl, welches sich nach besonders intensiven oder ungewohnten Trainings nach ein, zwei Tagen einstellt. Es handelt sich dabei um kleine Einrisse bei einem Teil der Muskelfasern (Mathias, 2018). Durch die leicht geschädigten Muskelfasern dringt langsam Wasser ein, die Fasern schwellen an und diese Dehnungen lösen Schmerz aus. Zusätzlich führen die Dehnungen zu Gefässeinengungen mit Verschlechterungen der Durchblutung, was die Schmerzen noch stärker macht (Mathias, 2018). Muskelkater zu haben, ist also nicht ein unbedingt wünschenswerter Zustand und trotzdem wird er zumindest partiell positiv bewertet. An dieser Stelle möchte ich festhalten, dass es zu meiner untersuchten Frage keinerlei wissenschaftliche Artikel gab, die das angesprochene Phänomen untersucht hätten. Daher geht es hauptsächlich um die kognitive Umstrukturierung, die nötig ist, um aus Muskelschmerzen ein positives Gefühl zu ziehen.

Schmerz

Laut der International Association for the Study of Pain ist Schmerz ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potenzieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird (Merskey, 1986). Schmerz wird in den allermeisten Fällen negativ assoziiert. Muskelkater scheint dieser Definition zu genügen, da sowohl die Gewebeschädigung als auch ein unangenehmes Gefühlserlebnis vorhanden sind. In dieser Schmerzdefinition steckt ein hervorzuhebender Teil, nämlich das Erleben des Betroffenen. Schmerz ist nicht nur objektive Reizwahrnehmung. Das Schmerzerleben kann durch die Bewertung des Betroffenen anscheinend zu einem guten Gefühl führen.

Muskelkater ist vergleichsweise sicherlich ein wünschenswerter Schmerz. Er ist von kurzer Dauer, seine Ursache ist in den meisten Fällen bekannt, durch Schonung und das Auftragen von Salben u. Ä. schnell auszukurieren und unterliegt einem gewissen Gefühl der Kontrollierbarkeit, da er selbstverschuldet ist (Kröner-Herwig, 2011). Nichtsdestotrotz ist und bleibt Muskelkater auf physiologischer Ebene ein Schmerz.

Auf die Frage, warum wir Muskelkater ab und an als positiv und zumindest als nicht aversiv empfinden, gibt es keine direkte Antwort. Die Schmerzforschung beschäftigt sich vernünftigerweise mit Schmerzen, die als unangenehm empfunden werden und die Sportforschung unter anderem mit der Frage, ob Muskelkater gut für den Muskelaufbau ist.

Emotionsregulation

Emotionsregulation beschreibt die Prozesse, mit welchen Individuen beeinflussen welche Emotionen sie haben, wann sie sie haben und wie sie diese Emotionen erleben und ausdrücken (Gross, 1998). Diese emotionsregulatorischen Prozesse können automatisch oder kontrolliert und bewusst oder unbewusst sein (Gross, 1998).

Frijda (1986) hat ein Prozessmodell der Emotionsregulation erstellt, welches erklären könnte, warum Muskelkater so unterschiedlich bewertet wird. Emotionsregulationen beginnen mit der Emotion selbst. Nur wenn die Emotion als wichtig bewertet wird, kann sie auch einer Regulation unterzogen werden (Gross, 1998). Ist dieses Kriterium erfüllt, kommt es zur Situationsselektion (Gross, 1998). Darunter versteht man zum Beispiel das Aufsuchen oder Vermeiden gewisser Orte, Menschen oder Objekte. Der zweite Schritt ist die Situationsmodifikation (Gross, 1998). Bei diesem Schritt geht es darum, aktiv eine emotionsauslösende Situation zum eigenen Vorteil zu ändern. Seine Nachbarn|innen um 3:00 Uhr nachts zu fragen, ob sie die Musik leiser drehen könnten, würde unter diese Kategorie fallen. Der nächste Schritt behandelt die Aufmerksamkeitslenkung (Gross, 1998). Ganz im Sinne von «aus den Augen, aus dem Sinn» kann man seine Aufmerksamkeit von einem emotionsauslösenden Stimulus abwenden oder sie einem solchen zuwenden. Der vierte Teil ist die kognitive Umbewertung (Gross, 1998). Darunter fallen Vorgänge wie Neubewertungen oder auch die Tendenz Ereignisse als positiver zu bewerten als sie das eigentlich sind. Der letzte Teil des Prozessmodells handelt von der Reaktionsmodulation (Gross, 1998). Ein Beispiel dafür wäre, auf Traurigkeit mit Sport, anstatt mit Alkoholkonsum zu reagieren.

Innerhalb dieses Modells lässt sich eine Antwort auf die Frage finden, warum wir zumindest teilweise Positives aus Muskelkater ziehen können. Auf Schmerzen wird allgemein mit negativen Emotionen reagiert. Natürlich fallen die negativen Emotionen auf zeitweiligen Muskelschmerz weniger stark aus als auf chronische Schmerzen oder gravierende Verletzungen. Nichtsdestotrotz geht Muskelkater mit Emotionen einher, welche anscheinend als wichtig erachtet werden, ansonsten würde keine Emotionsregulation stattfinden. Die Situationsselektion bei Muskelkater beinhaltet vielleicht das Meiden oder Aufsuchen einer Sportstätte, dient allerdings nicht der Modulation negativer Emotionen auf direktem Weg. Auch bei der Situationsmodifikation wird nicht an der Emotion direkt angesetzt. Bei Muskelkater wäre ein typisches Vorgehen das Loswerden des Muskelkaters durch Bäder, Massagen und ähnliches. Auch der dritte Schritt bringt für die positive Bewertung von Muskelkater wenig. Seine Aufmerksamkeit nicht auf den Muskelkater zu verwenden scheint schwierig, da er spätestens beim nächsten Absitzen oder Aufstehen wieder zu spüren sein wird. Die Antwort auf die Frage warum wir Muskelkater teilweise als positiv bewerten liegt vermutlich im vierten Punkt, dem Umdenken.

Kognitive Umbewertung

Um aus Wahrnehmung, wie auch Schmerz eine ist, eine Emotion ziehen zu können, muss der Wahrnehmung eine Bedeutung zugeschrieben werden und es muss eine Evaluation der Ressourcen zur Bewältigung der Situation stattfinden (Gross, 1998). An diesen beiden Stellschrauben kann gedreht werden, will man eine Situation neu bewerten. Unter dem Punkt Kognitive Umbewertung fasst Gross (1998) mehrere Vorgehen zusammen; interessant für uns ist das cognitive reframing. Beim cognitive reframing geht es darum, aversive Erlebnisse in Bezug auf ein grösseres Ziel umzubewerten. Man gibt der ganzen Situation einen neuen Rahmen. In Bezug auf Muskelkater ist dies durchaus vorstellbar. Sporttreiben passiert meistens nicht ohne Grund und je nach Motivation, die indirekt zum Muskelkater führt, ist er ein notwendiges Übel auf dem Weg zu einem höheren Ziel. Ob Muskelkater positiv oder negativ bewertet wird, könnte auch davon abhängen, ob die Zielsetzung einen gewinnorientierten oder verlustvermeidenden Charakter hat. Will man Muskeln aufbauen nimmt man den Muskelkater gerne in Kauf, will man nur in Form bleiben weniger. Auch was die Ressourcen angeht, ist Muskelkater bewältigbar. Man muss eigentlich nichts machen ausser zu Warten, um ihn wieder loszuwerden.

Fazit

Auf die Frage, warum sich Muskelkater auch gut anfühlen kann, existiert bis jetzt keine wissenschaftlich geprüfte Antwort. Es ist trotzdem bemerkenswert, dass man aus Schmerzen, einem zumeist negativ assoziierten Phänomen, etwas Positives ziehen kann. Zudem passiert dies alles weitestgehend unbewusst. Ob diese Prozesse nun der Konditionierung, Gewissenskonflikten oder doch dem cognitive reframing zuzuschreiben sind, bleibt noch offen.

Masochismus als Erklärung?
Auf der Suche nach positiven Gefühlen verbunden mit Schmerzen kommt man nicht umhin den Masochismus zu erwähnen. Masochisten|innen sind Menschen, welche Lust oder Befriedigung aus ihnen zugefügten Schmerzen oder Erniedrigungen ziehen (Vetter, 2009). Die verspürte Befriedigung muss nicht immer sexueller Natur sein (Vetter, 2009). Masochismus wird in der modernen Psychologie durch Lerntheorien erklärt, also durch operante und klassische Konditionierung, und in der Psychoanalyse durch tiefenpsychologisches Abwehrverhalten von Ängsten und Gewissenkonflikten (Vetter, 2009). Zwar könnte es sein, dass Befriedigung aus Muskelkater durch Konditionierung möglich ist. Sich sportlich zu betätigen, um Schmerzen zu entwickeln, aus denen man dann Lust ziehen kann, scheint ein gar komplizierter Weg zu sein. Und dass Muskelkater und die damit verbundenen Gefühle etwas mit Tiefenpsychologie und Gewissenskonflikten zu tun haben, ist zwar nicht auszuschliessen, doch es gibt keine Evidenz dafür.


Zum Weiterlesen

Gross, J. J. (1998). The emerging field of emotion regulation: An integrative review. Review of General Psychology, 2, 271–299.

Literatur

Frijda, N. H. (1986). The emotions. Cambridge, England: Cambridge University Press.

Kröner-Herwig, B. (2011). Schmerz als biopsychosoziales Phänomen – eine Einführung. In B. Kröner-Herwig, J. Frettlöh, R. Klinger, & P. Nilges (Eds.), Schmerzpsychotherapie (pp. 3–14). Berlin, Germany: Springer.

Mathias, D. (2018) Muskelkater. In D. Mathias (Ed.), Fit und gesund von 1 bis Hundert: Ernährung und Bewegung – Aktuelles medizinisches Wissen zur Gesundheit (p. 112). Berlin, Germany: Springer.

Merskey, H. E. (Ed.). (1986). Classification of chronic pain: Descriptions of chronic pain syndromes and definitions of pain terms. Pain, Suppl 3, 226.

Vetter, B. (2009). Pervers, oder? Sexualpräferenzstörungen: 100 Fragen, 100 Antworten: Ursachen, Symptomatik, Behandlung. Bern, Switzerland: Hogrefe.

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