Digitales Burnout

Warum es sich lohnt, ab und an NICHT auf das Smartphone zu schauen
Das Smartphone wurde in den letzten zehn Jahren zum alltäglichen Begleiter. Es erleichtert das Leben mit Verkehrs-, Gesundheits- und Kommunikations-Apps enorm. Doch was geschieht, wenn das Smartphone Überhand gewinnt und man von den ganzen Informationen und Nachrichten überflutet wird?
Von Lea Mubi
Lektoriert von Laurina Stählin und Damian Striegel
Illustriert von Lucia Gasparovicova
Haben Pinguine Knie? Eine ganz banale Frage, die ich innert wenigen Sekunden beantworten könnte. Nicht weil ich eine Pinguin-Kennerin bin, sondern weil ich ein Smartphone besitze. Kurz bei Google eingegeben und schon habe ich die Antwort. Denn beinahe das komplette Wissen über die Welt kann ich über mein Smartphone abrufen und mit einem Drittel der Weltbevölkerung könnte ich damit kommunizieren (Költzsche, 2019). Neben der realen Welt ist innert der letzten zehn Jahre die virtuelle Welt entstanden, in welche man direkt und jederzeit über das Smartphone eintauchen kann (De-Sola, Talledo, Rodriguez de Fonseca, & Rubio, 2017). Diese virtuelle Welt bringt enorme Gewinne für die Wirtschaft und das alltägliche Leben. Noch nie zuvor konnte man so schnell so viele Menschen erreichen und seine Ideen verbreiten. Nehmen wir zum Beispiel das Konzept der shared economy. Plötzlich kann man bequem über Apps Autos, Haushaltsartikel und viele weitere Sachen teilen und muss sie nicht selbst kaufen (Gorr & Bauer, 2019). Die Digitalisierung verschafft dementsprechend in vielen Bereichen des Alltags Erleichterung – aber es gibt auch Schattenseiten. Während die Leistungsfähigkeit mit der Zunahme der Digitalisierung in der Vergangenheit immer mitgestiegen ist, wird zurzeit sichtbar, dass einerseits die neuen digitalen Mittel immer besser werden, unsere persönliche Leistungsfähigkeit jedoch stagniert oder sogar abnimmt (Markowetz, 2015).
Zunahme der digitalen Mittel, Abnahme unserer Leistungsfähigkeit und Konzentrationsspanne
Erklären lässt sich die Abnahme der persönlichen Leistungsfähigkeit und Konzentrationsspanne durch die Fragmentierung des Alltages (Markowetz, 2015). Das alltägliche Leben wird immer wieder unterbrochen, in dem man Anrufe entgegennimmt, Instagram checkt, E-Mails oder Whats-App Nachrichten beantwortet und ganz nebenbei noch die neusten Klamotten auf Zalando bestellt. Wir wechseln folglich permanent zwischen der realen und der virtuellen Welt hin und her. Dadurch wird der Alltag in kleine, zeitliche voneinander getrennte, Fragmente geteilt.
Die Auswirkungen dieser Fragmentierung haben die Software-Entwickler Tom DeMarco und Timothy Lister genauer untersucht. Sie kamen zum Schluss, dass man 15 Minuten braucht, um in den so genannten «Flow-Zustand» zu gelangen. Unter dem Begriff «Flow» versteht man das totale Aufgehen in seiner Arbeit, was in einen wahrlichen Arbeitsrausch übergehen kann (Markowetz, 2015). In diesem Zustand ist man produktiv und in der Lage, Spitzenleistungen zu erzielen. Die Folge ist ein Gefühl tiefster Zufriedenheit (Markowetz, 2015). Laut einer Studie von Markowetz (2015) wird aber durchschnittlich alle 18 Minuten auf das Smartphone geschaut. Dies hat zur Folge, dass man nur drei Minuten in einem Flow-Zustand verbringen könnte und somit die Leistungsfähigkeit und die Glücksgefühle massgeblich abnehmen.
Einfluss des Smartphones auf unsere soziale, emotionale und psychologische Entwicklung
Aber nicht nur die Leistungsfähigkeit leidet unter einer übermässigen Nutzung des Smartphones, sondern auch die soziale, emotionale und psychologische Entwicklung (Yurdagül, Kircaburun, Emirtekin, Wang & Griffiths, 2019). Auf sozialer Ebene ersetzen virtuelle Kontakte und Treffen oft persönliche Beziehungen (Guedes et al., 2015). Die Anzahl Facebook-Freunde oder Instagram-Follower werden plötzlich wichtiger als die Anzahl tiefgehender Beziehungen in der realen Welt. Dies kann zu einem Gefühl der sozialen Isolation führen, woraus ein Teufelskreis entstehen kann: Durch das Gefühl der Einsamkeit wird die Smartphone-Nutzung immer weiter erhöht, da man sich in die virtuelle Welt flüchten will, um sich besser zu fühlen (Guedes et al., 2015). Andreassen und Kollegen (2016) untersuchten den Einfluss einer exzessiven Nutzung des Smartphones auf die psychologische Entwicklung. Sie fanden eine positive und signifikante Korrelation zwischen Symptomen von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Zwangsstörungen, Angst und Depression und einem übermässigen Smartphone-Gebrauch. Es zeigte sich auch, dass Frauen eher zu viel Zeit auf den sozialen Medien verbringen, während Männer vor allem Spiele auf ihrem Smartphone spielen. Hiermit wird ersichtlich, dass vielen Personen die dauerhafte Erreichbarkeit und die permanente Reizüberflutung per Smartphone zu schaffen machen und in einem «digitalen Burnout» enden können – also einem Gefühl der Unruhe, Überforderung und Leere (Markowetz, 2015).
Warum schauen wir so oft auf unser Smartphone?
Die Frage, die sich hier nun aufdrängt, lautet: Warum fällt es uns so schwer, unser Smartphone wegzulegen und einfach mal nur zu sein und zu entspannen? Viele Menschen spüren nämlich, dass ihr Smartphone eine Quelle des Stresses darstellt.
Die Antwort ist Dopamin. Dopamin wird oftmals auch als das Glückshormon bezeichnet. Es wird in grossen Mengen beim Sport, sexuellen Aktivitäten, Essen von Schokolade, aber eben auch beim Smartphone-Konsum ausgeschüttet (Epp, 2019). Schon der amerikanische Psychologe und Verhaltensforscher B.F. Skinner entdeckte in den 1950er Jahren in Experimenten mit Mäusen das seitdem in der Wissenschaft bekannte Prinzip der Random Rewards. Skinner teilte die Mäuse in zwei Gruppen auf (Markowetz, 2015). Die erste Gruppe bekam immer eine Belohnung, wenn sie einen Hebel in ihrer Box betätigte. Die zweite Gruppe bekam mal eine kleine Belohnung, mal eine grosse und mal gar keine Belohnung, wenn sie den Hebel betätigte (Markowetz, 2015). Das Experiment zeigte, dass es den Mäusen aus der ersten Gruppe, welche immer eine Belohnung bekamen, schnell langweilig wurde und sie aufhörten, den Hebel zu betätigen. Die zweite Gruppe jedoch, welche nicht konstant eine Belohnung bekam, taten nichts anderes mehr, als den Hebel zu betätigen (Markowetz, 2015). Die Schlussfolgerung lautete: Nicht die Belohnung selbst, sondern die Erwartung vielleicht eine Belohnung zu bekommen, stellt den Anreiz zur Handlung dar. Mit folgender Aussage überträgt Markowetz (2015) die Ergebnisse des Mäuse-Experimentes auf unser alltägliches Leben:
«Wir schauen regelmässig in unseren E-Mail-Account, nicht weil dort tatsächlich immer eine wichtige Nachricht ist, sondern weil sie dort sein könnte.»
Markowetz, 2015, S. 38
Schlussfolgernd kann gesagt werden, dass man durch einen bewussten Smartphone-Konsum von den Vorteilen der Digitalisierung profitieren und gleichzeitig die eigene mentale Gesundheit wie auch das Wohlbefinden aufrechterhalten kann. Und um auf meine anfängliche Frage zurück zu kommen: Ja, Pinguine haben Knie (Tripp, 2013)!
Wie gewinnen wir die Kontrolle zurück?
Laut Markowetz (2015) gibt es keine allgemeingültige digitale Diät um aus diesem Hamsterrad auszubrechen und wieder die Kontrolle über den persönlichen Smartphone-Gebrauch zurück zu gewinnen. Jedoch existieren einige hilfreiche Ansatzpunkte, um den Smartphone-Konsum zu minimieren:
- Das Smartphone einfach mal zuhause lassen (Scherrer, 2016)
- Alarmtöne ausschalten (Scherrer, 2016)
- Smartphone-freie Phasen kreieren und Smartphone-freie Zonen erstellen (Markowetz, 2015)
- Eine Detox-App nutzen, welche anzeigt, wie oft man auf das Smartphone schaut und wie viel Zeit man in gewissen Apps verbringt (Scherrer, 2016)
- Miteinander telefonieren, anstatt Nachrichten zu schreiben (Scherrer, 2016)
- Einen echten Wecker kaufen (Markowetz, 2015)
- Reduktion der sozialen Netzwerke und der Apps, die man nicht benutzt (Schindler, 2017)
- Achtsamkeitstrainings wie Yoga und Meditation (Markowetz, 2015)
- Die Gründe für seine Smartphone-Gewohnheiten erkennen (Schindler, 2017)
Zum Weiterlesen
Gorr, C., & Bauer, M. (2019). Gehirne unter Spannung – Kognition, Emotion und Identität im digitalen Zeitalter. Berlin, Deutschland: Springer Verlag.
Markowetz, A. (2015). Digitaler Burnout – Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist. München, Deutschland: Knaur Verlag.
Literatur
Andreassen, C. S., Billieux, J., Griffiths, M. D., Kuss, D. J., Demotrovics, Z., Mazzoni, E., & Pallesen, S. (2016). The relationship between addictive use of social media and video games and symtomes of psychiatric disorders: A large-scale cross-sectional study. Psychology of Addictive Behaviors, 30, 252–262.
De-Sola, J., Talledo, H., de Fonseca, F. R., & Rubio, G. (2017). Prevalence of problematic cell phone use in an adult population in Spain as assessed by the Mobile Phone Problem Use Scale (MPPUS). PLoS ONE, 12(8), 1–17.
Epp, E. (2019). Mein Smartphone kämpft gegen mich und ich kämpfe gegen mein Smartphone. Verfügbar unter: https://www.stern.de/neon/herz/psyche-gesundheit/handysucht–mein-smartphone-kaempft-gegen-mich-und-ich-gegen-mein-smartphone-8553568.html
Gorr, C., & Bauer, M. (2019). Gehirne unter Spannung – Kognition, Emotion und Identität im digitalen Zeitalter. Berlin, Deutschland: Springer Verlag.
Guedes, E., Sancassiani, F., Carta, M. G., Campos, C., Machado, S., King, A. L. S., & Nardi, A. E. (2016). Internet addiction and excessive social network use: What about Facebook? Clinical Practice & Epidemiology in Mental Health, 12, 43–48.
Költzsche, T. (2019). Mehr als 2,5 Milliarden Menschen besitzen ein Smartphone. Verfügbar unter: https://www.golem.de/news/mobile-mehr-als-2-5-milliarden-menschen-besitzen-ein-smartphone-1902-139219.html
Markowetz, A. (2015). Digitaler Burnout – Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist. München, Deutschland: Knaur Verlag.
Scherrer, P. (2016). Der Feind in meiner Tasche – 8 Tipps gegen die Smartphone-Abhängigkeit. Verfügbar unter: https://www.watson.ch/digital/native/779917160-du-haengst-zu-viel-am-smartphone-hier-sind-einige-tipps-die-helfen
Schindler, J. (2017). Digitaler Detox: 10 Tipps gegen Handysucht. Verfügbar unter: https://www.generali-vitalityerleben.de/generali-vitality-erleben/digital-detox–10-tipps-gegen-handysucht-21814/
Tripp, E. (2013). Do penguins have knees? Verfügbar unter: http://marinesciencetoday.com/2013/10/08/do-penguins-have-knees/
Yurdagül, C., Kircaburun, K., Emirtekin, E., Wang, P., & Griffiths, M. D. (2019). Psychopathological consequences related to problematic instagram use among adolescents: The mediating role of body image dissatisfaction and moderating role of gender. Verfügbar unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs11469-019-00071-8.pdf