Klimawandel in Entwicklungsländern

Ein Einblick in einen fachfremden Forschungsbereich
In diesem Frühjahr habe ich an den National Model United Nations (NMUN) 2019 teilgenommen. Dabei habe ich viel über die Klimathematik erfahren – zum Beispiel, dass Entwicklungsländer am wenigsten zum Klimawandel beitragen, aber am stärksten von dessen weitreichenden Konsequenzen betroffen sind.
Von Noémie Lushaj
Lektoriert von Marie Reinecke und Vera Meier
Illustriert von Gianna Zorzini
Seit Beginn der Industrialisierung findet aufgrund menschgemachter Einflüsse eine globale Erwärmung statt (Bose, 2010). Im Jahr 2015 wurde das Übereinkommen von Paris von 195 Parteien der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC), anlässlich der 21. Conference of the Parties (COP), angenommen: Dieses Abkommen zielt darauf ab, die Klimaerwärmung auf maximal 2°C, und wenn möglich, sogar auf maximal 1.5°C über dem prä-industriellen Niveau zu halten (UNFCCC, 2015). Um dieses Ziel zu erreichen, müssen gemäss dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) die weltweiten CO2-Emissionen bis 2050 auf netto-null reduziert werden (IPCC, 2018). Dies stellt eine grosse Herausforderung dar: Bisher sind die Vorhersagen von Experten|innen nicht optimistisch. Laut Brown und Caldeira (2017) ist die Klimaerwärmung bereits viel weiter fortgeschritten als ursprünglich gedacht. Die Erderwärmung könnte bis zum Ende des Jahrhunderts die 4°C-Grenze erreichen. Demnach muss sich die Situation so schnell wie möglich verbessern. Wird das Zwei-Grad-Ziel, wie im Übereinkommen von Paris formuliert, nicht erreicht, werden die weltweiten Folgen für Mensch und Umwelt verheerend sein (IPCC, 2018). Inzwischen brennt unsere Erde jeden Tag ein bisschen stärker und Menschen, die in Entwicklungsländern leben, sind schon längst von den Flammen dieses Feuers betroffen (Levy & Patz, 2015).
Zwischen Dürre und Flut überleben
Die Klimaerwärmung führt, als Folge von schmelzenden polaren Eiskappen, zu einem Meeresspiegelanstieg (Overpeck et al., 2006). Während diese Vorstellung für uns in der Schweiz ziemlich abstrakt und entfernt erscheint, stellt das für die Bevölkerung von Ländern, die nur ein paar Meter über den Meeresspiegel liegen und über wenige Ressourcen verfügen, eine sehr reelle und aktuelle Gefahr dar. In der Tat drohen ganze Regionen und Inselstaaten, wie zum Beispiel die sich entwickelnde Inselrepublik Kiribati im Pazifik, im Wasser zu verschwinden (Tong, 2015). In schon ein paar Jahrzehnten könnten mehrere Anteile der 33 kiribatischen Inseln unbewohnbar sein (Ives, 2016). Wird bis zu deren Überflutung keine Lösung gefunden, so werden die rund 110‘000 Einwohner Kiribatis gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und zum Beispiel nach Fiji zu migrieren. Dort hat der ehemalige Präsident Kiribatis, Anote Tong, prophylaktisch Land gekauft (Ives, 2016).
Zum Meeresspiegelanstieg kommt hinzu, dass der Klimawandel sowohl die Frequenz als auch die Intensität von extremen Wetterbedingungen erhöht: Es kommt vermehrt zu Dürren und Überflutungen (Mirza, 2001). Da, wo starke Wetterveränderungen auftreten, leiden Ökosysteme massiv (Walther et al., 2002). Diese Veränderungen haben wiederum einen Einfluss auf verschiedene Bereiche der Gesellschaft, so dass die Lebensumstände, insbesondere in ohnehin schon instabilen Entwicklungsländern, insgesamt drastisch verschlechtert werden: In den betroffenen Regionen geht die Biodiversität verloren, wichtige Infrastrukturen werden geschädigt, das kulturelle Erbe ist gefährdet und der Zugang zu Nahrung und Wasser wird erschwert (Mirza, 2001). Auch die menschliche Gesundheit, sowohl körperlich als auch psychisch, ist als Folge von klimabedingten Katastrophen in Gefahr (Haines, Kovats, Campbell-Lendrum, & Corvalan, 2006). Obwohl die aversiven gesundheitlichen Konsequenzen des Klimawandels auch in Industrieländern spürbar sind – zum Beispiel bei Hitzewellen – sind Menschen in Entwicklungsländern überproportional von diesen Folgen betroffen (Haines et al., 2006).
Wenn Blut statt Wasser fliesst
Vertreter der sogenannten Klima-Konflikt-Hypothese behaupten, dass die Klimaerwärmung nicht nur ökologische, wirtschaftliche und soziale Konsequenzen hat, sondern auch globale sicherheitspolitische Risiken mit sich bringt (Bochsler, 2018). Tatsächlich werden Ressourcen in manchen Fällen instrumentalisiert, indem eine Gruppe sie kontrolliert. Dies wird oft getan um mehr Autonomie zu gewinnen, Macht über Land zu erlangen oder neue Ideologien zu etablieren (Mildner, Richter, & Lauster, 2011). Dabei besteht die Gefahr, dass es zu gewalttätigen Konflikten und Kriegen kommt (Mildner et al., 2011). In Südasien beispielsweise, haben Konflikte um Wasser, als fundamentale, immer knapper werdende Ressource, eine lange Geschichte (Joy & Paranjape, 2007). Aufgrund von bevorstehenden Dürren wird diese Problematik vermutlich weiter verschärft werden und es besteht die Gefahr, dass es zu sogenannten Wasserkriegen kommt. Vor dem Hintergrund, dass etwa ein Viertel der Menschheit vor einer Wasserkrise steht (Sengupta & Cai, 2019), sollten solche Wasserkriege unbedingt vermieden werden. Gerade in Entwicklungsländern, in denen oft schon grosse Unsicherheiten vorherrschen, könnten solche zusätzlichen Konflikte, die aus der Klimaerwärmung entstehen, zerstörende Effekte haben.
Auch abgesehen von dieser Wasserkrieg-Problematik kann der Klimawandel in bestimmten Situationen auf komplexe und unerwartete Weise zu politischer Unsicherheit führen. Dies wird anhand der Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Opium und Terror in Afghanistan sehr gut exemplifiziert. Gemäss dem United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UNOCHA) erfuhr das südasiatische Entwicklungsland, in dem Landwirtschaft eine wichtige Unterhaltsquelle ist, in den letzten Jahren eine extreme Trockenheit. Im Jahr 2018 wurde ein Niederschlagsdefizit von 70 Prozent verzeichnet (UNOCHA, 2018). Dies setzte rund 2 Millionen Menschen in einen Zustand der Nahrungsunsicherheit. Viele Afghanen|innen mussten nach Alternativen suchen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. In diesen Dürrezeiten begannen viele Menschen, Mohn zu kultivieren, denn diese Pflanze ist wertvoll und muss selbst bei anhaltender Trockenheit nur wenig gewässert werden (Hagen, 2018). Laut dem United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) haben afghanische Mohnkulturen in den letzten Jahren tatsächlich ein Rekordniveau erreicht (UNODC, 2017). Dank Mohn, aus dem Opium hergestellt wird, können afghanische Bauern und Bäuerinnen ihren Lebensunterhalt aufbessern. Doch dies hat eine Schattenseite: Im Austausch gegen Schutz müssen sie ihre Gewinne mit den Taliban teilen (Hagen, 2018). Somit werden Terrororganisationen durch den Handel mit illegalen Substanzen wie Opium gestärkt (UNODC, 2017). Als Entwicklungsland, ohne notwendige Ressourcen und Unterstützung, aus diesem Teufelskreis herauszukommen, ist fast unmöglich.
«Climate change is a global problem with grave implications: environmental, social, economic, political and for the distribution of goods. It represents one of the principal challenges facing humanity in our day. Its worst impact will probably be felt by developing countries in coming decades.» Papst Franziskus, zitiert nach Levy & Patz, 2015, S. 310
Für globale Probleme braucht es globale Lösungen
Die Klimaerwärmung verursacht enorme Ungerechtigkeiten. Auf globaler Ebene sind nicht alle Nationen im selben Ausmass von den Folgen der Erwärmung betroffen; Entwicklungsländer gehören zu den grossen Verlierern. Die Konsequenzen der Klimaerwärmung für diese Länder sind bei Weitem nicht proportional zu deren Schuldanteil an der Problematik (Levy & Patz, 2015). Aber auch innerhalb der einzelnen, von der Klimaerwärmung betroffenen Nationen gibt es Ungleichheiten: Auf nationaler Ebene sind demographische Gruppen wie ärmere Personen, ethnische Minderheiten, Frauen, Kinder und Menschen, die krank sind oder eine Behinderung haben, gegenüber den Folgen der Klimaerwärmung am vulnerabelsten (Levy & Patz, 2015). Um die Klimaänderung abzuschwächen (climate mitigation) und sich an deren Folgen anzupassen (climate adaptation) ist eine enge internationale Zusammenarbeit dringend angezeigt. Dabei müssen insbesondere Entwicklungsländer und die, in diesen Ländern am stärksten betroffenen Bevölkerungsgruppen, speziell unterstützt werden (Levy & Patz, 2015).
Meine Teilnahme bei NMUN-NY 2019
Im April dieses Jahres fand in New York die National Model United Nations (NMUN) 2019 Konferenz statt. Im Rahmen der NMUN haben Studierende aus der ganzen Welt regelmässig die Möglichkeit, UN-Verhandlungen zu simulieren. Ich hatte die Chance, mit einer Delegation von Geförderten der Schweizerischen Studienstiftung zu dieser Konferenz zu fliegen. Zusammen mit einem weiteren Delegierten repräsentierte ich die Islamische Republik Afghanistan in der Conference of the Parties der United Nations Framework Convention on Climate Change (COP UNFCCC). Ich konnte mich fünf Tage lang mit anderen Studierenden aus der ganzen Welt über die Herausforderungen der Klimaerwärmung in Entwicklungsländern austauschen. Dank dieser Erfahrung habe ich einen guten Einblick in den Ablauf von Verhandlungsprozessen bei internationaler Zusammenarbeit gewonnen. Auf der inhaltlichen Ebene wurde mir bewusster, wie stark Menschen in Entwicklungsländern vom Klimawandel, bereits jetzt, in ihrem Alltag betroffen sind.
Zum Weiterschauen
Robinson, M. (2015, May). Mary Robinson: Why climate change is a threat to human rights [Video file]. Retrieved from
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Tong, A. (2015, October). Anote Tong: My country will be underwater soon – unless we work together [Video file]. Retrieved from
https://www.ted.com/talks/anote_tong_my_country_will_be_underwater_soon_unless_we_work_together
Literatur
Bochsler, K. (2018). Der Klimawandel führt zu Konflikten: Eine steile These. Schweizer Radio und Fernsehen. Retrieved from https://www.srf.ch/kultur/wissen/klimawandel-der-klimawandel-fuehrt-zu-konflikten-eine-steile-these
Bose, B. K. (2010). Global warming: Energy, environmental pollution, and the impact of power electronics. IEEE Industrial Electronics Magazine, 4(1), 6-17. doi: 10.1109/MIE.2010.935860
Brown, P. T., & Caldeira, K. (2017). Greater future global warming inferred from Earth’s recent energy budget. Nature, 552, 45-50. doi: 10.1038/nature24672
Hagen, R. (2018). As drought increases so does opium. American Security Project. Retrieved from https://www.americansecurityproject.org/as-drought-increases-so-does-opium/
Haines, A., Kovats, R. S., Campbell-Lendrum, D., & Corvalan, C. (2006). Climate change and human health: Impacts, vulnerability and public health. Public Health, 120, 585-596. doi: 10.1016/j.puhe.2006.01.002
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Overpeck, J. T., Otto-Bliesner, B. L., Miller, G. H., Muhs, D. R., Alley, R. B., & Kiehl, J. T. (2006). Paleoclimatic evidence for future ice-sheet instability and rapid sea-level rise. Science, 311(5768), 1747-1750. doi: 10.1126/science.1115159
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Walther, G.-R., Post, E., Convey, P., Menzel, A., Parmesan, C., Beebee, T. J. C., … Bairlein, F. (2002). Ecological responses to recent climate change. Nature, 416, 389-395. doi: 10.1038/416389a